Entscheidungsdatum
09.03.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W141 2229997-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Stephan WAGNER sowie den fachkundigen Laienrichter Robert ARTHOFER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX ,
geboren am XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich vom 21.02.2020, XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Wirksamkeit ab dem 27.09.2019 hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) der Beschwerdeführerin einen Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung von 60 vH eingetragen.
2. Mit Wirksamkeit ab dem 18.11.2019 hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin die Zusatzeintragungen "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" und "Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen" in den Behindertenpass eingetragen.
3. Die Beschwerdeführerin hat am 16.01.2020 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Zusatzeintragung „Die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ in den Behindertenpass gestellt.
3.1. Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde eine Stellungnahme eines Arztes für Allgemeinmedizin, basierend auf der Aktenlage vom 27.01.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass keine Begleitperson erforderlich ist, da das Gehen und Stufensteigen der Beschwerdeführerin zwar erschwert aber mit den Walkingstöcken als Hilfsmittel ausreichend sicher erfolgt.
3.2. Mit bei der belangten Behörde am 10.02.2020 eingelangtem Schreiben brachte die Beschwerdeführerin eine schriftliche Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme ein. Die Beschwerdeführerin führte im Wesentlichen zusammenfassend aus, dass sie jede Stufe meiden würde und wenn sie doch gezwungen werde, dann trage ihre Begleitperson die zwei Stöcke. Beim hinaufgehen müsse sie beide Hände gebrauchen. Sie müsse sich hinaufziehen. Beim hinuntergehen versuche sie immer, wenn möglich mit beiden Händen, die Stufen zu bewältigen, mit Hilfe einer Begleitperson. Darüber hinaus könne sie ohne Stöcke nicht gehen. Auch eine Einkaufstasche zu tragen wäre für sie unmöglich. Sie müsse auch sehr aufpassen, dass sie nicht stürze. Auch ihre Handtasche begleite ihr Schwierigkeiten. Diese werde dann von ihrer Begleitperson getragen.
3.3. Zur Überprüfung der vorgebrachten Einwände wurde von der belangten Behörde eine weitere Stellungnahme desselben Arztes für Allgemeinmedizin, basierend auf der Aktenlage vom 18.02.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.02.2020 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen.
Dem Bescheid war die Stellungnahme vom 18.02.2020 des Arztes für Allgemeinmedizin beigelegt.
5. Gegen den Bescheid vom 21.02.2020 wurde von der Beschwerdeführerin am 06.03.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben. Die Beschwerdeführerin brachte im Wesentlichen zusammenfassend vor, dass ihr Mann und sie am 19.01.2018 einen Autounfall mit dreimaligem Überschlag verursacht durch den Sekundenschlaf ihres Mannes gehabt hätten. Ihr linkes Bein wäre damals seitlich weggezogen worden. Sie habe sofort operiert werden müssen. Der Oberschenkel sei gebrochen gewesen und sie habe eine Platte bekommen. Diese wäre zu kurz gewesen, wodurch sich der Knochen um 20 Grad verschoben habe. Der Knochen wäre so zusammengewachsen. Die Schrauben würden sich auch lösen. Das Wadenbein wäre ebenfalls gebrochen gewesen, hätte auch eine Platte bekommen und wäre verschraubt worden. Durch diese Verschraubung sei der Fuß um 2 cm kürzer. Auch die beiden Knöchel und das Sprunggelenk wären operiert worden.
6.1. Mit Schreiben vom 27.03.2020 hat die belangte Behörde den Verwaltungsakt und die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Die gegenständliche Rechtsache wurde mit Beschluss vom 25.02.2021 der bisherigen Gerichtsabteilung abgenommen und in weiterer Folge am 03.03.2021 der Gerichtsabteilung W141 neu zugewiesen.
6.2. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 05.08.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.
6.3. Im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs vom 10.12.2020 haben weder die belangte Behörde noch die Beschwerdeführerin Einwendungen erhoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Da sich die Beschwerdeführerin mit der Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ in den Behindertenpass nicht einverstanden erklärt hat, war dies zu überprüfen.
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführerin ist Inhaber eines Behindertenpasses.
1.2. Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Die Inhaberin des Behindertenpasses bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass liegen nicht vor.
1.2.1. Art der Funktionseinschränkungen:
? Degenerative, osteoporotische, posttraumatische und postoperative Veränderungen am Stütz- und Bewegungsorgan
? Arterielle Hypertonie
1.2.2. Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen:
Größe: 156 cm Gewicht: 77 kg Blutdruck: 130/80
Status — Fachstatus:
Guter AZ.
voll orientiert, Stimmung und Antrieb unauffällig, kooperativ;
Kopf / Hals: Haut und sichtbare Schleimhäute normal durchblutet, Visus (Lesen mit Brille, z. n. Staroperationen beidseits im Jahr 2020) und Gehör altersentsprechend unauffällig, keine Einflussstauung, Schilddrüse äußerlich unauffällig.
Thorax: inspektorisch unauffällig - keine Residuen nach Serienrippenfraktur rechts.
Lunge: auskultatorisch unauffällig. Nichtraucherin, keine Atemauffälligkeiten.
Herz: linksbetonte Grenzen, HT- rein, rhythmisch, normfrequent, kompensiert.
Abdomen: über TN, normale Organgrenzen, 3x-ige Nykturie.
Obere Extremitäten: altersentsprechend frei beweglich, kein Tremor.
Untere Extremitäten: geringe Einschränkungen linkes Sprunggelenk nach operierter trimalleolärer Fraktur, keine wesentlichen Residuen nach distaler Oberschenkeifraktur links - keine relevante Achsenabweichung feststellbar, geringe Beinverkürzung links, geringe Coxarthrosen beidseits, keine Ödeme, keine sensomotorischen Defizite.
Achsenorgan: unauffälliger struktureller Befund, ausreichend frei bewegliche HWS, BWS/LWS - sehr gutes Bückvermögen - objektiviert beim selbständigen Auf- und Zubinden der Schuhe.
Gesamtmobilität - Gangbild: kommt mit zwei Walking-Gehstöcken ins Untersuchungszimmer. Kann im Zimmer dann frei stehen und auch frei gehen.
1.2.3. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen:
Die Beschwerdeführerin ist nicht auf den Gebrauch eines Rollstuhles bzw. Rollators angewiesen, sie ist weder blind noch hochgradig sehbehindert und bedarf zur Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht der ständigen Hilfe einer zweiten Person.
Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit der Beschwerdeführerin sind soweit gegeben, dass keine Begleitperson erforderlich ist.
Bei der Beschwerdeführerin liegen auch keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder der Sinnesfunktionen vor.
Die Beschwerdeführerin leidet auch nicht an kognitiven Einschränkungen, aufgrund derer sie im öffentlichen Raum zur Orientierung und Vermeidung von Eigengefährdung der ständigen Hilfe einer zweiten Person bedürfte.
1.3. Der Verwaltungsakt ist unter Anschluss der Beschwerdeschrift am 27.03.2020 im Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
2. Beweiswürdigung:
Aufgrund der vorliegenden Beweismittel und des Aktes der belangten Behörde ist das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).
Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: „Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)“.
Zu 1.1.) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem mit Stichtag 04.03.2021 aus dem zentralen Melderegister eingeholten Datenauszug.
Zu 1.2.) Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – auf das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin und den vorgelegten medizinischen Beweismitteln. Diese sind schlüssig, nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf.
Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wurde zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Erforderlichkeit einer Begleitperson ausführlich Stellung genommen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen der persönlichen Untersuchung erhobenen klinischen Befund, entsprechen unter Berücksichtigung des erstatteten Vorbringens und der vorgelegten Beweismittel den festgestellten Funktionseinschränkungen.
Die vorgelegten Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen, der befasste Sachverständige hat sich eingehend damit auseinandergesetzt und fasst deren Inhalt nachvollziehbar wie folgt zusammen:
- Radiologischer (Beckenübersicht) Befund - Röntgeninstitut Baden - 12.11.2018: geringe diffuse Demineralisationszeichen, mittelgradige Coxarthrose beidseits; Beckenschiefstand, wobei im linksseitigen Ausgleich der rechte Hüftkopf um ca. 1,2 cm höhersteht; ISG-Arthrosen bds.
- Pflegegeldgutachten vom 13.09.2018: Zustand nach Verkehrsunfall am 19.01.2018 mit distaler Femurfraktur links und Operation, trimalleoläre Sprunggelenksfraktur links und Operation, Serienrippenfraktur links.
- Befund- Landesklinikum Baden-Mödling - 29.03.2018 bzw. 06.09.2018: Fract. fern. dist. sin. operata, Fract. trimall. sin. operata, Fract. costae IX-XI dext. non ree., Cont. capitis non rec., Cont. abdominis non rec - Röntgen: Knickbildung im mittleren Oberschenkelschaftbereich von ca. 20° - keine Schmerzen, jedoch noch Gangunsicherheit.
- Befund Engelsbad - 11.07.2018: Fract. fern. dist. sin. - Verplattung, Fract. costae IX-XI dext., Fract. trimall, sin; St. p. Pneumonie postoperativ 01/2018, St. p. Blasenhebung, Osteoporose, arterielle Hypertonie, Hyperchoiesterinämie.
- Befund - KH Barmherzige Brüder Eisenstadt - 19.01.2018: Fract. fern. dist. sin., Fract. costae IX-Xi dext. sine disloc., Fract. trimall. Sin, Cont. capitis cum haematoma reg. parietale sin., Cont. thoracis et puim. utriusque, AHT, Hyperlipidämte, Pneumonie.
Die Beweismittel stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis des eingeholten Sachverständigenbeweises, es wird kein aktuell höheres Funktionsdefizit beschrieben als gutachterlich festgestellt wurde und sie enthalten auch keine neuen fachärztlichen Aspekte, welche unberücksichtigt geblieben sind.
Im allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten werden alle relevanten Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigt. Laut Sachverständigengutachten liegen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" nicht vor, da ein selbstständiges Fortbewegen möglich ist und der Gesamtleidenszustand eine Begleitperson nicht erforderlich macht.
Die Beschwerdeführerin ist zur Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht ständig auf die Hilfe einer zweiten Person angewiesen. Die Beschwerdeführerin kann sich, allenfalls unter Verwendung ihrer Walking¬Gehstöcke, sicher allein im öffentlichen Raum fortbewegen.
Der Sachverständige hält weiter nachvollziehbar fest, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Bewegungseinschränkung infolge ihrer Erkrankung bei der Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht der ständigen Hilfe durch eine andere Person bedarf.
Der allgemeinmedizinische Sachverständige hält darüber hinaus unzweifelhaft fest, dass bei der Beschwerdeführerin keine kognitiven Einschränkungen feststellbar sind, wodurch sie im öffentlichen Raum zur Orientierung und Vermeidung von Eigengefährdung nicht ständig der Hilfe einer zweiten Person bedarf.
Betreffend die vorgelegten medizinischen Beweismittel erklärt der Sachverständige weiter, dass die angeführten Beweismittel die erlittenen Verletzungen, die durchgeführten Behandlungen und das absolut zufriedenstellende posttraumatische Behandlungsgesamtergebnis beschreiben. Es wird in den Beweismitteln keine kognitive Beeinträchtigung beschrieben. In den Beweismitteln ist ebenso wenig erwähnt, dass die Beschwerdeführerin zur Fortbewegung im öffentlichen Raum der ständigen Hilfe einer anderen Person bedarf.
Der Sachverständige hält abschließend zusammenfassend schlüssig fest, dass die Beschwerdeführerin aus gutachterlicher Sicht nach neuerlicher allgemeinmedizinischer Untersuchung und nach Berücksichtigung des vorliegenden Aktenmaterials zur Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht der ständigen Hilfe durch eine andere Person bedarf. Eine Begleitperson ist weder aus somatischen noch aus neuropsychiatrischen Gründen erforderlich. Kein Einzelleiden und auch nicht das Zusammenwirken aller Gesundheitsschädigungen bedingt das Erfordernis der beantragten Zusatzeintragung
Die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin wurde umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt.
Die medizinischen Stellungnahmen stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit des befassten Sachverständigen oder dessen Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Zur Erörterung der Rechtsfrage, ob die Beschwerdeführerin auf eine Begleitperson angewiesen ist, siehe die rechtlichen Erwägungen unter Punkt II 3.1.
Zu 1.3.) Das Schreiben, mit welchem die Beschwerdevorlage durch die belangte Behörde erfolgt ist, weist am Eingangsvermerk des Bundesverwaltungsgerichtes das Datum 27.03.2020 auf.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichtes mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)
Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist. (§ 42 Abs. 2 BBG)
Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. (§ 45 Abs. 1 BBG)
Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu. (§ 45 Abs. 2 BBG)
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist u.a. jedenfalls einzutragen:
2. die Feststellung, dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes
a) einer Begleitperson bedarf;
diese Eintragung ist vorzunehmen bei
– Passinhabern/Passinhaberinnen, die über eine Eintragung nach Abs. 4 Z.1 lit. a verfügen;
– Passinhabern/Passinhaberinnen, die über eine Eintragung nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d verfügen;
– bewegungseingeschränkten Menschen ab dem vollendeten 6. Lebensjahr, die zur Fortbewegung im öffentlichen Raum ständig der Hilfe einer zweiten Person bedürfen;
– Kindern ab dem vollendeten 6. Lebensjahr und Jugendlichen mit deutlicher Entwicklungsverzögerung und/oder ausgeprägten Verhaltensveränderungen;
– Menschen ab dem vollendeten 6. Lebensjahr mit kognitiven Einschränkungen, die im öffentlichen Raum zur Orientierung und Vermeidung von Eigengefährdung ständiger Hilfe einer zweiten Person bedürfen, und
– schwerst behinderten Kindern ab Geburt bis zum vollendeten 6. Lebensjahr, die dauernd überwacht werden müssen (z. B. Aspirationsgefahr).
b) die Fahrpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen kann; diese Eintragung ist bei Menschen mit Behinderung, die dem Personenkreis des § 48 des Bundesbehindertengesetzes angehören, bei Vorliegen eines festgestellten Grades der Behinderung/einer festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 70% bzw. bei Bezug von Pflegegeld oder anderen vergleichbaren Leistungen nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften vorzunehmen.
c) einen geprüften Assistenzhund besitzt (§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise).
Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind, um die Frage der Notwendigkeit einer Begleitperson beurteilen zu können, - regelmäßig unter Beiziehung eines ärztlichen Sachverständigen - die Art der Gesundheitsschädigung des Betroffenen und deren Konsequenzen für die allfällige Notwendigkeit der Beiziehung einer Begleitperson darzustellen (vgl. VwGH 01.03.2016, Ro 2014/11/0024).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes wurde ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin eingeholt, das diesen Anforderungen gerecht wird (siehe dazu Pkt. II.2. der Beweiswürdigung). Wie oben eingehend ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das schlüssige Sachverständigengutachten vom 05.08.2020 zugrunde gelegt.
Unter Berücksichtigung der gutachterlichen medizinischen Beurteilung erreichen die dauernden Gesundheitsschädigungen der Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt kein Ausmaß, das die Vornahme der Zusatzeintragung „Die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ rechtfertigen würde. Die Beschwerdeführerin ist selbständig gehfähig. Sie bedarf zur Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht ständig der Hilfe einer zweiten Person.
Die Beschwerdeführerin verfügt als Inhaber eines Behindertenpasses auch weder über eine Eintragung nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. a („ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen“) noch über eine Eintragung nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b („blind oder hochgradig sehbehindert“) oder nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. d („taubblind“) der unter Pkt. II.3. auszugsweise wiedergegebenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen.
Die Beschwerdeführerin leidet auch nicht an kognitiven Einschränkungen, aufgrund derer sie im öffentlichen Raum zur Orientierung und Vermeidung von Eigengefährdung der ständigen Hilfe einer zweiten Person bedürfte.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung „Die Inhaberin des Behindertenpasses bedarf einer Begleitperson“ in den Behindertenpass rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG).
Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (§ 24 Abs. 2 VwGVG).
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden (§ 24 Abs. 3 VwGVG).
Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen (§ 24 Abs. 4 VwGVG).
Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden (§ 24 Abs. 5 VwGVG).
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für den beantragten Zusatzvermerk sind die Art, das Ausmaß und die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf das Erfordernis einer Begleitperson.
Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.
Sohin erscheint der Sachverhalt geklärt und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird ausgeführt, dass damit präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden sollen. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt. Es war sohin keine – von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abweichende – Neuregelung beabsichtigt.
Vielmehr wird in den Erläuterungen ausdrücklich festgehalten, dass im Hinblick auf die ab 01.01.2014 eingerichtete zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Einheitlichkeit der Vollziehung der im Behindertenpass möglichen Eintragungen sicherzustellen, die Voraussetzungen, die die Vornahme von Eintragungen im Behindertenpass rechtfertigen, in einer Verordnung geregelt werden sollen.
Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W141.2229997.1.00Im RIS seit
21.05.2021Zuletzt aktualisiert am
21.05.2021