Entscheidungsdatum
12.03.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
L504 2236392-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch Rae Wintersberger / Riess, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.09.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid gem. § 51 Abs 2 FPG, § 28 Abs 1 u. Abs 2 VwGVG, ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid hat das Bundesamt gegen die beschwerdeführende Partei [bP] gem. § 52 Abs 4 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (I.), gem. § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG in die Türkei zulässig ist (II.), gem. § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen III.), einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gem. § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (IV.), gem. § 55 Abs 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (V.).
Auf Grund einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde dieser gem. § 18 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
In der Beschwerde wurde ua. auf den langjährigen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet und auf die intensiven privaten und familiären Anknüpfungspunkte hingewiesen. Ihre schon beim Bundesamt gemachten Angaben, wonach sie sich in der Türkei somit nicht mehr integrieren könne, konkretisierte sie in der Beschwerde dahin gehend, dass sie sich kein ordentliches Leben dort aufbauen könne. Sie beherrsche die Landessprache zu wenig und würde sie dort auch keine Hilfe erhalten. Aus diesen Gründen sei eine Abschiebung jedenfalls unzulässig. Konkret wird ua. der Antrag gestellt, dass das BVwG feststellen soll, „dass eine Abschiebung in die Türkei unzulässig ist“.
In einer am 05.03.2021 ho. eingelangten Äußerung der anwaltlich vertretenen bP, gab sie an, dass die Kurden Diskriminierungen ausgesetzt seien, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie hätten die Türkei zum „Entgleisen“ gebracht. Unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse in der Türkei sei der bP dort ein Leben nicht möglich.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie eingebrachter Stellungnahme v. 04.03.2021 Beweis erhoben.
1. Feststellungen (Sachverhalt)
Siehe I. Verfahrensgang
2. Beweiswürdigung
Der für diese Entscheidung maßgebliche Sachverhalt ergibt sich zweifelsfrei aus der Aktenlage einschließlich der Beschwerde und der eingebrachten Stellungnahme der bP.
3. Rechtliche Beurteilung
Stattgabe der Beschwerde und Behebung des Bescheides
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
§ 50 FPG Verbot der Abschiebung
(1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
§ 51 FPG Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat
(1) Während eines Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbots, worüber der Fremde zu verständigen ist, ist auf Antrag des Fremden festzustellen, ob die Abschiebung in einen von ihm bezeichneten Staat, der nicht sein Herkunftsstaat ist, gemäß § 50 unzulässig ist.
(2) Bezieht sich ein Antrag gemäß Abs. 1 auf den Herkunftsstaat des Fremden, gilt dieser Antrag als Antrag auf internationalen Schutz. Diesfalls ist gemäß den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 vorzugehen.
(3) Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag darf der Fremde in den Staat gemäß Abs. 1 nicht abgeschoben werden, es sei denn, der Antrag wäre gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. Nach Abschiebung des Fremden in einen anderen Staat ist das Verfahren als gegenstandslos einzustellen.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)
(5) Der Bescheid, mit dem über einen Antrag gemäß Abs. 1 rechtskräftig entschieden wurde, ist auf Antrag oder von Amts wegen abzuändern, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt wesentlich geändert hat, so dass die Entscheidung hinsichtlich dieses Landes anders zu lauten hätte. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über einen derartigen Antrag darf der Fremde in den betroffenen Staat nur abgeschoben werden, wenn der Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückzuweisen ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0234, mit näherer Begründung (Rz 10 bis 13) dargelegt, dass für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG (von Amts wegen) gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung - wie beim Antragsverfahren nach § 51 Abs. 1 FPG betreffend einen vom Herkunftsstaat verschiedenen "Drittstaat" - der Maßstab des § 50 FPG gilt.
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang (siehe Rz 14 iVm Rz 15 sowie auch Rz 19) unter Bezugnahme auf das Erkenntnis vom 16. Dezember 2015, Ra 2015/21/0119, klargestellt, dass weder das FPG noch das AsylG 2005 einen eigenständigen Antrag eines Fremden kennen, der darauf gerichtet ist festzustellen, dass eine Abschiebung in seinen Herkunftsstaat gemäß § 50 FPG unzulässig ist. Einem Fremden sei es verwehrt, eine derartige Feststellung zu begehren, weil über das Thema dieser Feststellung ohnehin - und ausschließlich - im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz abzusprechen sei. Stelle ein Fremder dennoch einen derartigen Antrag, so gelte er gemäß § 51 Abs. 2 FPG als Antrag auf internationalen Schutz und es sei gemäß den Bestimmungen des AsylG 2005 vorzugehen. Aus den ErläutRV zum FrÄG 2009 (330 BlgNR 24. GP 31) ergibt sich, dass dies nicht nur dann gilt, wenn der Fremde noch keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sondern auch dann, wenn er bereits ein abgeschlossenes Asylverfahren durchlaufen hat und der nunmehrige Feststellungsantrag entsprechend den asylrechtlichen Bestimmungen als Folgeantrag zu behandeln ist (vgl. E 16. Dezember 2015, Ra 2015/21/0119; 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).
Mit der in § 52 Abs. 9 FrPolG 2005 gewählten Formulierung "dass eine Abschiebung ... gemäß § 46 (FrPolG 2005) ... zulässig ist", sollte nur ein Hinweis auf die Norm gegeben werden, in der die Abschiebung geregelt ist, und nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass für die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 46 FrPolG 2005 (Hinweis E 20. Oktober 2011, 2010/21/0056) gegeben sein müsste. Entscheidend ist somit, ob der genannten Feststellung ein "Verbot der Abschiebung" iSd § 50 FrPolG 2005, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 MRK, entgegensteht (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).
In seinem Erkenntnis vom 31. August 2017, Ra 2016/21/0367, hat der VwGH in der Rz 10 neuerlich betont, es sei nicht Aufgabe des BFA bzw. des BVwG, im Verfahren zur Erlassung einer fremdenpolizeilichen Maßnahme letztlich ein Verfahren durchzuführen, das der Sache nach einem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz gleichkommt. Die Überlegung, es sei im Rahmen eines Rückkehrentscheidungsverfahrens in eine abschließende Prüfung eines allfälligen Gefährdungsszenarios im Herkunftsstaat einzusteigen, erweise sich daher - außer die Führung des dafür vorgesehenen Verfahrens auf internationalen Schutz und damit die Stellung eines diesbezüglichen Antrags wird vom Fremden abgelehnt (vgl. zu einem solchen Fall das schon mehrfach genannte Erkenntnis Ra 2016/21/0234) - als verfehlt. (VwGH 05.10.2017Ra 2017/21/0157)
Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:
Gegenständlich hat die bP in der durch den Rechtsfreund eingebrachten Beschwerde ua. ausdrücklich den „Antrag“ gestellt, das BVwG möge „feststellen, dass die Abschiebung in die Türkei nicht zulässig ist“ und entsprechende Bedenken auf Basis der persönlichen Rückkehrsituation erhoben.
Wie sich aus oa. Judikatur des VwGH klarstellend ergibt, ist es dem Fremden verwehrt einen derartigen Feststellungsantrag zu stellen, da weder das FrPolG 2005 noch das AsylG 2005 einen eigenständigen Antrag eines Fremden kennen, der darauf gerichtet ist festzustellen, dass eine Abschiebung in seinen Herkunftsstaat gemäß § 50 FrPolG 2005 unzulässig ist.
Gemäß § 51 Abs 2 FPG gilt ein solcher Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung, wenn er sich wie hier auf den Herkunftsstaat bezieht, ex lege als Antrag auf internationalen Schutz. Diesfalls ist nun vor dem Bundesamt nach den Bestimmungen des AsylG 2005 vorzugehen.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ist nicht zulässig. In einem solchen Fall ist ein anhängiges Rückkehrentscheidungsverfahren einzustellen, und eine bereits erlassene erstinstanzliche, mit Beschwerde bekämpfte Rückkehrentscheidung vom VwG ersatzlos zu beheben. Eine Aussetzung des Rückkehrentscheidungsverfahrens bis zur Beendigung des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz kommt nicht in Betracht, weil es nach der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz jedenfalls einzustellen wäre: sei es, weil Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt wurde, sei es, weil eine negative Entscheidung und damit einhergehend eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 FrPolG 2005 bzw. ein Ausspruch über die dauerhafte Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder ein Ausspruch nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 ergangen ist (VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162).
Die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides ist eine Entscheidung in der Sache selbst (vgl. VwGH 25. März 2015, Ro 2015/12/0003). Als verfahrensrechtliche Grundlage für eine solche Entscheidung ist im Spruch daher § 28 Abs. 1 und Abs. 2 (bzw. Abs. 3 Satz 1) VwGVG 2014 zu nennen.
Auf Grund des in der Beschwerde ausdrücklich gestellten Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat, der gesetzlichen Anordnung, dass dieser Antrag ex lege gem. § 51 Abs 2 FPG als Antrag auf internationalen Schutz gilt und diesfalls nach den Bestimmungen des AsylG 2005 vorzugehen ist, war die Rückkehrentscheidung und die anderen Spruchpunkte aufgrund des sachlichen bzw. rechtlichen Zusammenhanges ersatzlos zu beheben.
Absehen von einer mündlichen Beschwerdeverhandlung
Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine Verhandlung entfallen, da aufgrund der Aktenlage feststand, dass der Bescheid des Bundesamtes zu beheben war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Abschiebung Anhängigkeit ersatzlose Behebung Feststellungsantrag Rückkehrentscheidung behobenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L504.2236392.1.00Im RIS seit
21.05.2021Zuletzt aktualisiert am
21.05.2021