TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/15 W227 2209294-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.03.2021
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Entscheidungsdatum

15.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

Spruch


W227 2209294-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde des iranischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 26. Jänner 2021, Zl. 1104290305/201250571, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte erstmals am 1. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen damit begründete, zum Christentum konvertiert zu sein, weshalb ihm im Falle einer Rückkehr in den Iran die Todesstrafe drohen würde. Er habe sich bereits im Iran für das Christentum interessiert und sei nun in Österreich am 8. April 2018 getauft worden. Bei einer Rückkehr befürchte er aufgrund seines Glaubenswechsel mit dem Tod bestraft zu werden.

2. Mit Bescheid vom 20. September 2018 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran zulässig sei und setzte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 20. Juli 2020, Zl. W259 2209294-1/25E, rechtskräftig seit 24. Juli 2020, als unbegründet ab. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass es – trotz in Österreich erfolgter Taufe – nicht glaubwürdig sei, dass der Beschwerdeführer den christlichen Glauben ernsthaft verinnerlicht habe, weshalb ihm bei einer Rückkehr in den Iran aufgrund seines Glaubenswechsels keine asylrelevante Verfolgung drohen würde.

4. Mit rechtskräftig gewordenen Bescheid vom 14. September 2020 sprach die Bezirkshauptmannschaft XXXX gegen den Beschwerdeführer gemäß § 12 Waffengesetz 1996 (WaffG) ein Waffenverbot aus.

5. Von 16. September 2020 bis 12. Dezember 2020 war der Beschwerdeführer nicht aufrecht in Österreich gemeldet.

6. Am 13. Dezember 2020 stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass sein erster Asylantrag „negativ“ entschieden worden sei; es habe sich nichts geändert. Er habe nach wie vor Angst, bei einer Rückkehr in den Iran aufgrund seiner „jetzigen“ Religion getötet zu werden.

7. In den Einvernahmen vor dem BFA am 18. Dezember 2020 sowie am 13. Jänner 2021 führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, nach der „negativen“ Gerichtsentscheidung nicht mehr im Flüchtlingsheim übernachtet zu haben, sondern bei einem Freund in XXXX . Er sei aber regelmäßig zum Flüchtlingsheim gegangen und habe sich dort seine „monatliche Unterstützung“ geholt. Es gebe keine neuen Asylgründe, seine Gründe aus dem ersten Asylverfahren seien nach wie vor aufrecht. Bei einer Rückkehr in den Iran würde er aufgrund seiner Abwendung vom Islam von den Behörden getötet werden. Auch seine Verwandten – welche „sehr gläubig“ seien – wüssten, dass er Christ sei und würden ihn aufgrund seiner Konversion verfolgen. All seinen Verwandten sei sein Glaubenswechsel bekannt, weil er, als er im April 2018 getauft worden sei, dies auf diversen „Social Media“ Plattformen „gepostet“ habe. Seiner Familie habe er sogar ein paar Tage nach der Taufe Videos von der Taufe geschickt.

8. Am 29. Dezember 2020 teilte das Bundeskriminalamt (jedoch ohne nähere Begründung) mit, dass der Beschwerdeführer vom iranischen Interpol-Landeszentralbüro in Teheran (Interpol Teheran) identifiziert worden sei.

9. Mit dem (hier) angefochtenen Bescheid wies das BFA den Folgeantrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG i.V.m. § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) i.V.m. § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.), gewährte ihm gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) und erließ gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahre befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, es liege kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt vor; der Beschwerdeführer stütze seinen Folgeantrag ausschließlich auf Umstände, die er bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht habe, weshalb im Ergebnis eine entschiedene Sache i.S.d. § 68 AVG vorliege. Das erlassene Einreiseverbot stütze sich einerseits auf die Tatsache, dass der Beschwerdeführer das Bundesgebiet – trotz rechtskräftiger behördlicher Anordnung – nicht in der ihm gewährten Frist verlassen habe und somit Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes verletzt habe und andererseits auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfüge, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, weshalb der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt sei.

Mit dem Schreiben vom Interpol Teheran setzte sich das BFA hingegen nicht auseinander.

10. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer im Wesentlichen (nochmals) betonte, dass ihm eine Rückkehr in den Iran aufgrund seiner Religion nicht möglich sei; das Vorgehen der iranischen Behörden gegen Christen sei „unberechenbar“. Zudem sei sein Religionswechsel publik, er habe dies in den sozialen Medien veröffentlicht, seine Verwandten wüssten davon.

Weiters sei nicht nachvollziehbar, warum Interpol Teheran mit der Identifizierung seiner Person beauftragt worden sei. Es sei nicht auszuschließen, dass Interpol mit den iranischen Behörden kooperiere und demnach seine Informationen (seine Identität, sein Aufenthalt in Österreich sowie sein Fluchtgrund) an diese weitergeleitet worden seien.

Zudem sei zu beachten, dass sich die Situation im Iran im Hinblick auf Covid-19 verschlechtert habe. Iran sei – neben Italien und China – von Covid-19 am schwersten betroffen; die Zahl der Infizierten würde seit Juni 2020 „steil“ steigen.

Darüber hinaus sei die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von zwei Jahren rechtswidrig, weil aus dem Gesamtverhalten des Beschwerdeführers keine derartige Gefährdung erkannt werden könne, die ein Einreiseverbot erforderlich machen würde.

11. Mit Beschluss vom 16. Februar 2021, Zl. W227 2209294-2/4E, erkannte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu.

12. Am 23. Februar 2021 teilte das Bundeskriminalamt – auf entsprechende Nachfrage des Bundesverwaltungsgerichts – mit, dass der Beschwerdeführer am 2. September 2020 von der Polizeiinspektion XXXX wegen des Verdachts der Körperverletzung gemäß § 83 Strafgesetzbuch (StGB) erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Im Zuge dessen habe das Bundeskriminalamt gemäß § 65 Abs. 6 letzter Satz Sicherheitspolizeigesetz (SPG) eine Personsfeststellung vorgenommen, um die ermittelten erkennungsdienstlichen Daten zu Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Geburtsort und Namen der Eltern abgesichert und plausibel zuordnen zu können. Dabei seien personenbezogene Daten des Beschwerdeführers im Wege des Interpol-Schriftverkehrs an den Iran übermittelt worden. Interpol Teheran habe in Folge mitgeteilt, dass die erkennungsdienstlich behandelte Person festgestellt habe werden können.

13. Am 23. Februar 2021 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Verfahrensparteien das o.a. Schreiben des Bundeskriminalamtes und gab ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Parteien äußerten sich nicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zum Beschwerdeführer

Der 43-jährige Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und wuchs in der Stadt XXXX auf. Er besuchte im Iran mehrere Jahre die Schule und arbeitete danach als Sozialarbeiter. Er ist ledig und gesund; er leidet an keiner hinsichtlich Covid-19 relevanten Vorerkrankung. Seine Muttersprache ist Farsi. Seine Familie – mit der er weiterhin in Kontakt ist – lebt nach wie vor im Iran; eine Schwester lebt in Norwegen.

Am 24. Juli 2020 wurde das erste Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig (abweisend) entschieden.

Mit (rechtskräftig gewordenen) Bescheid vom 14. September 2020 sprach die Bezirkshauptmannschaft XXXX gegen den Beschwerdeführer gemäß § 12 WaffG ein Waffenverbot aus, weil der Beschwerdeführer am 2. September 2020 einen anderen Asylwerber mit einem Messer verletzte und oberflächliche Schnittverletzungen am Unterarm zufügte. Im Zuge der Ermittlungen wegen des Verdachtes der Begehung eines strafrechtlichen Deliktes (Körperverletzung) gab das Bundeskriminalamt – ausschließlich zum Zwecke der erkennungsdienstlichen Behandlung des Beschwerdeführers bzw. seiner Identifizierung in Österreich – Interpol Teheran den Namen, das Geschlecht, das Geburtsdatum und den Geburtsort des Beschwerdeführers sowie die Namen der Eltern des Beschwerdeführers bekannt.

Von 16. September 2020 bis 12. Dezember 2020 war der Beschwerdeführer in Österreich nicht aufrecht gemeldet (ZMR-Auszug vom 10. Februar 2021).

Der Beschwerdeführer hat einen Freundeskreis in Österreich und leistete gemeinnützige Tätigkeiten. Er verfügt über geringe Deutschkenntnisse, befindet sich in staatlicher Grundversorgung (GVS-Auszug vom 12. März 2021) und ist strafgerichtlich unbescholten (Strafregisterauszug vom 11. März 2021).

Nicht festgestellt werden konnte, dass für den Beschwerdeführer aufgrund seiner Beiträge auf diversen „Social Media“ Plattformen über seine in Österreich erfolgte Taufe bei einer Rückkehr in den Iran eine Verfolgungsgefahr seitens seiner Verwandten besteht (siehe zusätzlich unten Punkt 3.1.1.2.).

1.2. Zur hier relevanten Situation im Iran

1.2.1. Allgemeine Politische Lage und Sicherheitslage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik. Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“. Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten. Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des Weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative.

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt. Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat. Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann.

Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte.

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen. In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund.

(Länderinformation der Staatendokumentation zum Iran vom 20. November 2020, S. 6 ff)

1.2.2. Grundversorgung

Die Grundversorgung ist in Iran gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Der Mindestlohn liegt bei ca. 15,7 Mio. Rial im Monat (ca. 110 Euro). Das durchschnittliche monatliche pro Kopf Einkommen liegt bei ca. 54,6 Mio. Rial (ca. 400 Euro).

(Länderinformation der Staatendokumentation zum Iran vom 20. November 2020, S. 83)

Sozialbeihilfen

Dem Gesundheitsministerium ist auch die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen. Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten „Hohen Versicherungsrat“ (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Ein Hauptversicherer ist die „Organisation für Sozialversicherung“ (SSIO). Alle Arbeitgeber und -nehmer zahlen in dessen System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen. Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Beitragsjahren. Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch in der Höhe von ca. 20 Euro pro Kind. Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 70-80% des Gehaltes, das für mindestens ein Jahr gezahlt wird. Schließlich erhält ein geringer Teil der nicht oder gering verdienenden iranischen Bevölkerung zur Sicherung der Grundversorgung monatlich 450.000 IRR (ca. 3 Euro, sog. Yarane).

Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frau-en- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z.B. Frauengruppen).

Kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung sind als Teil des Sozialwesens für alle iranischen Bürger gewährleistet. Weitere Leistungen können vom Arbeitgeber und privaten Anbietern oder Organisationen angeboten werden.

Eine staatliche Arbeitslosenhilfe gibt es nicht, es sei denn der Rückkehrer oder dessen Arbeitgeber haben monatliche Beiträge an eine entsprechende Versicherungsfirma gezahlt. Die Mitgliedschaft in der Sozialversicherung ist für alle Arbeitnehmer verpflichtend. Die Sozialversicherung schützt im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Berufsunfällen und auch bei altersbedingtem Ausscheiden. Seit 2003 wurden die zuständigen Institutionen überholt und zusammengelegt, um Ineffektivität und Redundanzen zu vermeiden. Das System deckt alle Angestellten und Freiberuflichen ab, wobei letztere zwischen verschiedenen Stufen wählen können. Freiwillige Abdeckung ist für vorher versicherte Personen bis 55 Jahre verfügbar (mindestens 30 Tage) sowie für die Gruppe der Berufskraftfahrer. Spezielle Systeme gibt es darüber hinaus für Staatsangestellte und Militärangehörige. Solange Rückkehrende für eine iranische Organisation/Firma arbeiten, übernehmen die Arbeitgeber den Großteil der Beiträge. Ansonsten muss (je nach gewähltem Angebot) selbst eingezahlt werden. Für Angestellte müssen 7% des monatlichen Gehalts abgegeben werden, während Selbstständige und Private einen individuell abgestimmten Beitrag in Gänze bezahlen.

Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt um die „sadeqe“, die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße. Ein Ansatz, gerade der Armut auf dem Land entgegenzuwirken, ist Bildung. Der Staat schickt beispielsweise Studenten, die als Pflichtteil des Studiums in Dörfern abgelegener Regionen unterrichten müssen. Viele weitere staatliche Anstrengungen zur Bekämpfung der Armut werden jedoch dadurch behindert, dass der Staat selbst aufgrund des Verfalls des Ölpreises in finanziellen Schwierigkeiten steckt.

(Länderinformation der Staatendokumentation zum Iran vom 20. November 2020, S. 85 ff)

1.2.3. Medizinische Versorgung

Seit der islamischen Revolution hat sich das iranische Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert jedem Staatsbürger das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung. Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität. Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs. Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z.B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird. Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt. Der Rote Halbmond ist auch die zentrale Stelle für den Import von speziellen Medikamenten, die für Patienten in speziellen Apotheken erhältlich sind. In jedem Bezirk gibt es Ärzte sowie Kliniken, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitscenter kontaktieren und einen Termin vereinbaren.

Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Das Gesundheitswesen ist zwar fast flächendeckend – laut WHO haben 98% aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung, die Qualität schwankt jedoch. Die spezialisierte, medizinische Versorgung ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich. Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede einzelner Regionen. Zum Beispiel liegt der Unterschied der Lebenserwartung im Vergleich mancher Regionen bei bis zu 24 Jahren. Folgende sieben Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als die Referenz-Provinz Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan, sowie Sistan und Belutschistan. Politische Reformen wurden bereits unternommen, um einen gleichmäßigeren Zugang zu Gesundheitsdiensten zu schaffen. Nichtsdestotrotz gibt es noch eine Vielzahl an Haushalten, die sich keine ausreichende gesundheitliche Versorgung leisten können. Gesundheitsdienste sind geographisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt.

Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen „Behvarz“ (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch aus-gebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u.a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) und für durchschnittlich 1.500 Personen zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird, und mehr als 85% der ländlichen Bevölkerung in dieser Weise „nahversorgt“ werden. In Städten übernehmen sogenannte „Gesundheitsposten“ in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser. Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren (ca. 3.000 landesweit) zu finden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an ca. 730 städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind. 90% der Bevölkerung in ländlichen als auch ärmeren Regionen hat Zugang zu essenziellen Gesundheitsdienstleistungen.

Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen durchschnittlich 55% der Gesundheitsausgaben von den versicherten Personen in bar direkt an die Gesundheits-dienstleister entrichtet werden („Out-of-pocket expenditure“ ohne staatliche oder von Versicherungen unterstützte Hilfeleistungen), sei es bei staatlichen oder größtenteils privaten sekundären oder tertiären Einrichtungen. Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, dass die Versorgung des Kranken mit Gütern des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt.

Die Regierung versucht kostenfreie medizinische Behandlung und Medikamentenversorgung für alle Iraner zu gewährleisten, insofern gibt es zwei verschiedene Krankenversicherungen: entweder durch die Arbeit oder privat. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/. Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern abgedeckt.

Versicherung durch Arbeit: Regierungsangestellte profitieren vom kostenfreien Zugang zur staatlichen Krankenversicherung. Private Firmen decken die Unfallversicherung für ihre eigenen Mitarbeiter.

Private Versicherung: Mit Ausnahme von Regierungsangestellten müssen sich alle iranischen Bürger selbst privat versichern, wenn deren Arbeitgeber dies nicht bereits erledigen. Um die Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig.

Salamat Versicherung: Diese neue Versicherung wird vom Ministerium für Gesundheit angeboten und deckt bis zu 90% der Behandlungskosten. Die Registrierung erfolgt online unter: http://www.bimesalamat.ir/isc/ISC.html. Die Registrierung erfordert eine geringe Gebühr. Pro Jahr sollten 2,450.000 IRR vom Begünstigten eingezahlt werden. Es gibt Ärzte und private Zentren, die eine öffentliche und/oder SALAMAT-Versicherung akzeptieren, um einen Teil der Ausgaben zu decken. Um zu 90% abgedeckt zu sein, muss man sich auf staatliche bzw. öffentliche Krankenhäuser und Zentren beziehen. TAMIN EJTEMAEI Krankenhäuser decken 100% der versicherten Kunden ab. Die „Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste“ (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Für anerkannte Flüchtlinge wurde eine eigene Versicherungsorganisation g-schaffen. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u.a. die „Imam Khomeini Stiftung“, um nicht versicherte Personen, etwa Mittellose oder nicht anerkannte Flüchtlinge, wobei letztere kaum Chancen auf eine gute Gesundheitsversorgung haben.

Alle iranischen Staatsbürger inklusive Rückkehrende haben Anspruch auf grundlegende Ge-sundheitsleistungen (PHC) sowie weitere Angebote. Es gibt, wie bereits oben beschrieben, zwei verschiedene Arten von Krankenversicherung: Versicherung über den Arbeitsplatz oder private Versicherung. Beide werden von der öffentlichen Versicherung im Iran TAMIN EJ-TEMAEI verwaltet. Die Anmeldung erfolgt über www.tamin.ir/. Die Leistungen variieren dabei je nach gewähltem Versicherungsschema. Informationen zu verschiedenen Varianten erhält man bei der Anmeldung. Notwendige Dokumente: Eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto, und ein vollständiges medizinisches Check-up sind notwendig. Weitere Dokumente können noch verlangt werden. Zuschüsse hängen von der gewählten Versicherung des Klienten ab, über die er/sie während der Registrierung ausführlich informiert wird. Jegliche Kosten werden vom Arbeitgeber getragen, sobald die Person eine Arbeit in Iran aufnimmt. Andernfalls müssen die Kosten selber getragen werden.

Für schutzbedürftige Gruppen im Iran gibt es zwei Arten von Zentren: Öffentliche und private. Die öffentlichen Einrichtungen sind in der Regel überlaufen und es gibt lange Wartezeiten, weshalb Personen, die über die nötigen Mittel verfügen sich oft an kleinere spezialisierte private Zentren wenden. Die populärste Organisation ist BEHZISTI, welche Projekte zu Genderfragen, älteren Menschen, Behinderten (inklusive psychischer Probleme), ethnischer und religiöser Minderheiten, etc. anbietet. Außerdem werden Drogensüchtige, alleinerziehende Mütter, Personen mit Einschränkungen etc. unterstützt. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem psychosoziale Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen, Suchtbehandlungen, etc. Es gibt einige Zentren unter Aufsicht der BEHZISTI Organisation, welche Personen in Not Hilfe gewähren. Solche Leistungen sind kostenfrei. Aufgrund der hohen Nachfrage und einiger Beschränkungen bevorzugen viele zahlungspflichtige private Zentren.

Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen den Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen. Im Generellen gibt es aber keine ernsten Mängel an Medizin, Fachärzten oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem des Iran. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt es für Bürger Privatkrankenhäuser mit Spezialleistungen in größeren Ballungsräumen. Die öffentlichen Einrichtungen bieten zwar grundsätzlich fast alle Leistungen zu sehr niedrigen Preisen an, aber aufgrund langer Wartezeiten und überfüllter Zentren, entscheiden sich einige für die kostenintensivere Behandlung bei privaten Gesundheitsträgern.

(Länderinformation der Staatendokumentation zum Iran vom 20. November 2020, S. 87 ff)

1.2.4. Rückkehr

Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren. Eine Einreise ist lediglich mit einem gültigen iranischen Reisepass möglich. Die iranischen Auslandsvertretungen sind angewiesen, diesen jedem iranischen Staatsangehörigen auf Antrag auszustellen.

Zum Thema Rückkehrer gibt es kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglichen Flucht-gründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr. Australien zahlt Rückkehr-hilfe an eine bislang überschaubare Gruppe an freiwilligen Rückkehrern in Teheran in Euro aus.

Iranische Flüchtlinge im Nordirak können offiziell nach Iran zurückkehren. Dafür werden iranische Identitätsdokumente benötigt. Wenn Personen diese Dokumente nicht besitzen, können sie diese beantragen. Für die Rückkehr nach Iran braucht man eine offizielle Erlaubnis des iranischen Staates. Die Rückkehr wird mit den Behörden von Fall zu Fall verhandelt. Iranische Rückkehrer, die nicht aktiv kurdische Oppositionsparteien, wie beispielsweise die KDPI oder Komala unterstützen, werden nicht direkt von den Behörden ins Visier genommen werden. Sie können aber durchaus zu ihrem Leben im Nordirak befragt werden. Der Fall kann aber anders aussehen, wenn Rückkehrer Waffen transportiert haben, oder politisch aktiv sind und deshalb Strafverfolgung in Iran riskieren. Die Rückkehr aus einem der Camps in Nordirak kann als Zugehörigkeit zu einer der kurdischen Oppositionsparteien gedeutet werden und deshalb problematisch sein.

In Bezug auf Nachkommen von politisch aktiven Personen wird berichtet, dass es solche Rückkehrer gibt, aber keine Statistiken dazu vorhanden sind. Es ist auch durchaus üblich, dass Personen die Grenze zwischen Irak und Iran überqueren. Auch illegale Grenzübertritte sind weit verbreitet. Nachkommen von politisch aktiven Personen riskieren nicht notwendigerweise Strafverfolgung, wenn sie nach Iran zurückkehren. Ob solch ein Rückkehrer Strafverfolgung befürchten muss, würde von den Profilen der Eltern und wie bekannt diese waren, abhängen. Befragungen durch Behörden sind natürlich möglich, aber wenn sie beweisen können, dass sie nicht politisch aktiv sind und nicht in bewaffneten Aktivitäten involviert waren, wird wohl nichts geschehen.

Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußern und dann nach Iran zurückkehren, können von Repressionen betroffen sein. Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online-Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab.

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach IStGB wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden.

(Länderinformation der Staatendokumentation zum Iran vom 20. November 2020, S. 90 ff)

1.2.5. Covid-19

Iran gehört zu den Ländern, die am meisten von der Corona-Pandemie betroffen sind. Quellen sprechen von einer „zweiten Welle“ an Infektionen in Iran, die wieder für vergleichsweise hohe Ansteckungs- und Todeszahlen sorgt. Nach offiziellen Angaben gibt es über 230.000 Infizierte und rund 11.000 Todesopfer (Stand 1.7.). Ein Mitglied der Corona-Taskforce meinte allerdings, die Ergebnisse stichprobenartiger Antikörper-Tests deuteten darauf hin, dass sich bereits 18 Millionen Iraner infiziert hätten.

Die Lage ist weiterhin sehr unübersichtlich und volatil. Die Zahl der Neuerkrankungen hat sich nach offiziellen Angaben mit rund 2.500 pro Tag auf hohem Niveau stabilisiert. Ursprünglich hatte sich die Epidemie auf Qom und die Hauptstadt Teheran konzentriert, von der zweiten Welle ist aber auch der Südwesten, besonders die Provinz Khuzestan. Von der zweiten Infektionswelle ebenfalls besonders betroffen sind die Provinzen Kordestan, Kermanshah, Hormuzgan, Bushehr, Khorasan Razavi, West- Aserbaidschan und Ost- Aserbaidschan sowie Ilam, Lorestan und Golestan.

Seit April hatte die iranische Regierung die Corona-Maßnahmen aus Sorge um die wirtschaftliche Situation schrittweise gelockert. Anfang Juli führte Iran jedoch wieder einige Beschränkungen ein. Die Regierung ordnete eine Maskenpflicht u.a. für die U-Bahn Teherans, Busse und Behördengänge an. Die Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Die generelle Maskenpflicht gilt zunächst bis 21. Juli, eine Verlängerung dieser Regelung bis August ist möglich. In einigen Provinzen können wieder weitergehende Beschränkungen eingeführt werden. Dies gilt vor allem für die am stärksten betroffenen Gebiete im Süden und Westen des Landes.

Seit 26. April 2020 ist bei Ankunft in Iran eine Verpflichtung zur 14-tägigen Heimquarantäne zu unterschreiben. Landgrenzen bleiben weiterhin größtenteils geschlossen. Ausnahmen gibt es an der Grenze zu Afghanistan und Irak, z.B. die Grenzübergänge Mehran, Siran Band-Baneh und Bashmagh-Mirvan zwischen Iran und Irak, die für PKW und Personen wieder geöffnet sind. Die Verkehrsbeschränkungen für Gemeinde-, Stadt- und Provinzgrenzen wurden aufgehoben. Nahezu alle internationalen Flugverbindungen sind, und es gibt andauernde Einschränkungen im Flugverkehr. Die meisten Nachbarländer des Iran haben die Grenzen für Bürger des Iran und von Drittstaaten geschlossen, beziehungsweise verpflichten diese zu Quarantäneaufenthalten, bevor sie ihre Reise fortsetzen können. Die Situation ist zur Zeit sehr unübersichtlich und kann sich auch jederzeit und kurzfristig ändern.

Millionen Iraner haben während der Coronakrise ihre Arbeitsplätze verloren. Die Wirtschaft steckt in einer akuten Krise, und die nationale Währung Rial ist nur noch weniger als die Hälfte wert. Eine andere Quelle gibt an, dass der Rial in den Monaten nach Mai 2018 etwa 70% seines Wertes verloren hat. Für große Teile der Bevölkerung, Umfragen zufolge rund 70% in Teheran, gibt es keinen finanziellen Spielraum mehr. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Brot, Fleisch und Reis steigen täglich. Die Medien berichten regelmäßig über Entlassungen und Streiks von Arbeitern, die seit Monaten nicht bezahlt wurden, auch in staatlichen Fabriken. Die Inflation wird für das Jahr 2020 vom Internationalen Währungsfonds auf 34,2% geschätzt. Die Wirtschaft war schon vor Corona durch drastische US-Sanktionen und Missmanagement der Regierung angeschlagen. Die erste Corona-Welle hat dazu geführt, dass das Bruttoinlandsprodukt laut offiziellen Angaben um 15% gesunken ist. Die Rezession in Iran wird auch ein drittes Jahr in Folge anhalten, optimistische Prognosen gehen von minus 5% aus. Die iranische Regierung versucht, die angeschlagenen Staatsfinanzen durch Privatisierungen zu stützen.

Im Parlament wird schon intensiv über eine Einbestellung und Rücktrittsforderung an Präsident Rohani diskutiert. Kommentatoren, aber auch Offizielle, warnen sogar vor Unruhen bzw. nicht nur internationale Risikoanalysten schätzen, dass es bis zu den nächsten Aufständen nur eine Frage der Zeit ist. Für Rohani gilt immer noch, dass die Gefahren eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs durch Corona größer sind als das Gesundheitsrisiko. Er lehnt eine Abkehr von der Lockerung der Maßnahmen ab.

(Kurzinformation der Staatendokumentation vom 15. Juli 2020, S. 2 ff)

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf den Akteninhalt und die im Rahmen der Feststellungen jeweils in Klammer angeführten Beweismittel sowie auf nachstehende Beweiswürdigung:

Dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Iran keine Verfolgung seitens seiner Verwandten droht, beruht drauf, dass der Beschwerdeführer im ersten Asylverfahren mehrmals vorbrachte, seine Familie sei nicht streng gläubig und halte sich selber nicht an religiöse Vorschriften; sie würde nicht beten und nicht den Ramadan einhalten (BVwG, Verhandlungsschrift [VHS] vom 17. Juli 2020, S. 9). Weiters führte er aus, er habe seiner Familie von seiner Konversion erzählt und diese habe sogar gewollt, dass er ein Video von der Taufe mache und ihr schicke (VHS vom 17. Juli 2020, S. 14). Seine Familie habe sich sehr gefreut, dass er hier die Möglichkeit habe, sich taufen zu lassen. Befragt, ob seine Familie ihn absichtlich einer Gefahr aussetzen würde, antwortete der Beschwerdeführer „Nein, auf keinen Fall.“ (VHS vom 17. Juli 2020, S. 15).

In Anbetracht der Aussagen des Beschwerdeführers im ersten Asylverfahren ist es demnach völlig unglaubwürdig, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Konversion bei einer nunmehrigen Rückkehr in den Iran Verfolgung seitens seiner Familie drohen würde.

Die Feststellung zur Person des Beschwerdeführers sowie zu seinem Gesundheitszustand ergeben sich aus seinen Angaben vor dem BFA (Niederschrift vom 13. Jänner 2021, S. 2). Die Feststellungen zu seinen Familienangehörigen sowie zu seinem Leben in Österreich beruhen auf seinen Angaben vor dem BFA sowie auf seinen Angaben im ersten Asylverfahren.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zur Abweisung der Beschwerde [Spruchpunkt A)]

3.1.1. Zur Zurückweisung des Antrages nach § 68 AVG

3.1.1.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der
§§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung (nun: Beschwerde) nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen – berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt.

In jenem Fall, in dem das BFA den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, ist „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesfalls zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat – von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen – im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 28.08.2019, Ra 2019/14/0091, sowie die ausführliche Zusammenfassung der zu § 68 Abs. 1 AVG ergangenen Rechtsprechung in VwGH 18.12.2019, Ro 2019/14/0006).

3.1.1.2. Fallbezogen ist somit zu prüfen, ob das BFA zu Recht zum Ergebnis gekommen ist, dass im Vergleich zum am 24. Juli 2020 rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist:

Der Beschwerdeführer bringt im zweiten Asylantrag keine neuen Asylgründe vor. Er gibt selbst an, dass sich seit dem ersten Verfahren „nichts geändert habe“. Er führt als Asylgrund wiederum die ihm bei einer Rückkehr in den Iran drohende Verfolgungsgefahr aufgrund seines Glaubenswechsels an, worüber jedoch bereits im ersten Asylverfahren rechtskräftig (abweisend) entschieden wurde.

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, ihm drohe – neben staatlicher Verfolgung – Verfolgung seitens seiner Verwandten, weil diese aufgrund seiner Beiträge auf diversen „Social Media“ Plattformen von seinem Glaubenswechsel, insbesondere von seiner Taufe, erfahren hätten, ist festzuhalten, dass dieses Vorbringen keinen „glaubhaften Kern“ aufweist (siehe dazu die diesbezüglichen Ausführungen in der Beweiswürdigung), weshalb auch dieses Vorbringen zu keiner Sachverhaltsänderung führt.

Auch die Übermittlung des Bundeskriminalamtes von personenbezogenen Daten des Beschwerdeführers an Interpol Teheran führt zu keiner rechtlich relevanten Sachverhaltsänderung:

So wurde Interpol Teheran nur der Name, das Geschlecht, das Geburtsdatum und der Geburtsort des Beschwerdeführers sowie die Namen der Eltern des Beschwerdeführers bekannt gegeben und dies ausschließlich zum Zwecke der erkennungsdienstlichen Behandlung des Beschwerdeführers im Zuge des Verdachtes der Begehung eines strafrechtlichen Deliktes (Körperverletzung) in Österreich. Es ist nicht davon auszugehen, dass Interpol Teheran bzw. den iranischen Behörden dadurch bekannt geworden ist, dass ein Asylverfahren des Beschwerdeführers in Österreich anhängig ist. Demnach ist auch nicht davon auszugehen, dass die iranischen Behörden Kenntnis vom Inhalt des Asylverfahrens (bspw. vom Fluchtgrund des Beschwerdeführers) erlangt haben. Somit ist davon auszugehen, dass die iranischen Behörden durch die erfolgte Datenübermittlung keine Informationen erlangt haben, die bei einer allfälligen Rückkehr zu einer Verfolgung des Beschwerdeführers führen könnten. Es ist demnach ausgeschlossen, dass die vorliegende Sachverhaltsänderung – Datenübermittlung an Interpol Teheran im Zuge der strafrechtlichen erkennungsdienstlichen Behandlung des Beschwerdeführers in Österreich – zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des Folgeantrages führen könnte, zumal laut den Länderberichten selbst die Kenntnis der iranischen Behörden von der Asylantragstellung eines iranischen Staatsangehörigen im Ausland zu keinen staatlichen Repressalien führt.

Sofern sich der Beschwerdeführer auf die aufgrund der Ausbreitung der Covid-19 Pandemievrschlechternden Versorgungslage im Iran beruft, ist Folgendes festzuhalten:

Der Beschwerdeführer fällt nicht unter die Covid-19-Risikogruppe. Aufgrund seiner (oben dargelegten) persönlichen Verhältnisse ist es ihm zumutbar, in seiner Heimatregion nach einem Wohnraum und einem Arbeitsplatz zu suchen, um ein für seinen Lebensunterhalt ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften.

Folglich sind beim Beschwerdeführer keine exzeptionellen Umstände hervorgekommen, welche eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellen könnten (vgl. zur Beurteilung von Auswirkungen der zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus gesetzten Maßnahmen im Iran etwa VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0390; 26.01.2021, Ra 2020/14/0575, jeweils m.w.N.).

Es ist demnach seit dem rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren zu keiner wesentlichen Änderung der maßgeblichen Umstände gekommen, weshalb keine wesentliche Sachverhaltsänderung vorliegt und der Folgeantrag des Beschwerdeführers zu Recht zurückgewiesen wurde. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides erweist sich daher als unbegründet.

3.1.2. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels

3.1.2.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt. Diese Bestimmungen sind auch bei der Zurückweisung eines Folgeantrags nach § 68 Abs. AVG anzuwenden, weil weiterhin eine rechtskräftige abweisende Entscheidung gemäß §§ 3 und 8 AsylG vorliegt (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).

Unter den in § 57 Abs. 1 AsylG genannten Voraussetzungen ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen.

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß
§ 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 AsylG behauptet noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze [§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG)] erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Ein-griff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG i.S.d. Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens i.S.d. Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR sowie des VfGH und VwGH jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit, 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. auch VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

3.1.2.2. Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen in Österreich, weshalb er in Österreich über kein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK verfügt. Zu seinem Privatleben ist festzuhalten, dass er in Österreich über einen Freundeskreis verfügt und gemeinnützige Tätigkeiten leistete. Er hat jedoch geringe Deutschkenntnisse und befindet sich nach wie vor in Grundversorgung. Eine außergewöhnliche Integration liegt aufgrund dieser Umstände jedenfalls nicht vor.

Weiters musste sich der Beschwerdeführer bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein. Die Beschwerdeführer durfte sich hier bisher nur aufgrund von Anträgen auf internationalen Schutz in Österreich aufhalten, welche zu keinem Zeitpunkt berechtigt waren. Bereits in dem im Juli 2020 rechtskräftig entschiedenen Erstverfahren konnte keine Verletzung des Schutzes des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK festgestellt werden. Seit dieser Entscheidung, die auch eine Rückkehrentscheidung beinhaltete, sind nur ein paar Monate vergangen. Den weiteren Aufenthalt vermochte der Beschwerdeführer nur zu legalisieren, in dem er einen neuerlichen, unzulässigen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Auch der Verfassungsgerichtshof vertritt die Ansicht, ein allein durch beharrliche Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt könne keinen Rechtsanspruch aus Art. 8 EMRK bewirken, zumal eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde (VfSlg. 19.086/2010 m.w.H.).

Zu den Bindungen des Beschwerdeführers zum Iran ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer den Iran vor sechs Jahren verließ und bis zu seiner Ausreise sein gesamtes Leben in Iran verbrachte. Er wuchs dort auf, besuchte die Schule, sammelte Arbeitserfahrung und erfuhr dort seine Sozialisation. Er spricht zudem Farsi, die Sprache der Majoritätsbevölkerung. Es ist demnach nicht erkennbar, inwiefern dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr bei der Wiedereingliederung in die dortige Gesellschaft unüberwindbare Hürden gegenüberstehen könnten. Es ist daher von einer deutlich stärkeren Bindung des Beschwerdeführers zum Iran als zu Österreich auszugehen.

Damit überwiegen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung jedenfalls die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG in Verbindung mit Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist daher ebenfalls nicht geboten.

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG liegen vor:

Da der Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zurückgewiesen wurde, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG zu erlassen. Es ist auch – wie bereits ausgeführt – kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG von Amts wegen zu erteilen.

3.1.3. Zur Zulässigkeit der Abschiebung

3.1.3.1. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung festzustellen, ob die Abschiebung in einen bestimmten Staat zulässig ist. Unzulässig ist eine solche gemäß § 50 Abs. 1 FPG in den Fällen des § 8 Abs. 1 AsylG und gemäß § 50 Abs 2 FPG in den Fällen des § 3 AsylG. Gemäß § 50 Abs. 3 ist eine Abschiebung auch unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EMGR entgegensteht.

3.1.3.2. Das Bestehen eines Sachverhaltes nach § 3 AsylG sowie § 8 Abs. 1 AsylG wurde mit der Entscheidung des BVwG vom 20. Juli 2020 (im ersten Asylverfahren) verneint. Dass sich die Umstände seitdem wesentlich geänderten hätten bzw. nunmehr ein Sachverhalt nach § 3 AsylG oder nach § 8 Abs. 1 AsylG vorliege, konnte – wie unter Punkt 3.1.1. ausgeführt – nicht aufgezeigt werden. Eine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR besteht nicht. Die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran ist daher zulässig.

3.1.4. Zur Nichtgewährung einer Frist für eine freiwillige Ausreise

3.1.4.1. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht im Falle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG keine Frist für die freiwillige Ausreise.

3.1.4.2. Das BFA gewährte demnach dem Beschwerdeführer zu Recht keine Frist für die freiwillige Ausreise.

3.1.5. Zur Erlassung eines Einreiseverbotes

3.1.5.1. Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung vom BFA mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten. Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (§ 53 Abs. 2). Dies ist (unter anderem) insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag (§ 53 Abs. 2 Z 6 FPG). Die Erfüllung eines Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 FPG indiziert, dass der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nicht nur geringfügig gefährdet (vgl. etwa VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0349).

3.1.5.2. Fallbezogen begründete das BFA die Erlassung eines Einreiseverbotes damit, dass der Beschwerdeführer zum einen seiner Ausreiseverpflichtung – trotz rechtskräftiger behördlicher Anordnung – nicht nachgekommen sei und somit Bestimmungen des FPG verletzt habe und zum anderem, dass der Beschwerdeführer nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfüge, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, weshalb § 53 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt sei.

Die vom BFA getroffene Ermessensentscheidung erweist sich als vertretbar:

So hielt der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach fest, dass der Umstand, dass einem Fremden Grundversorgung gewährt wird, Mittellosigkeit geradezu bestätigt (vgl. etwa VwGH 07.10.2020, Ra 2020/14/0348). Weiters ist es im vorliegenden Fall als rechtsmissbräuchlich zu werten, dass der Beschwerdeführer einen neuerlichen Asylantrag stellte, ohne gleichzeitig neue Asylgründe vorzubringen (vgl. wiederum VwGH 07.10.2020, Ra 2020/14/0349). Mit Nichtnachkommen der Ausreisverpflichtung – trotz rechtskräftiger behördlicher Anweisung – verletzte der Beschwerdeführer verwaltungsrechtliche Vorschriften. Zu beachten ist zudem, dass der Beschwerdeführer nach rechtskräftigem Abschluss seines ersten Asylverfahrens ca. drei Monate in Österreich nicht aufrecht gemeldet war (von 16. September 2020 bis 12. Dezember 2020), womit er ebenfalls gesetzliche Bestimmungen verletzte (vgl. § 15 Abs. 1 Z 4 AsylG i.V.m. § 2 Meldegesetz 1991 [MeldeG]). Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer im September 2020 ein Waffenverbot erlassen. Zu den zu berücksichtigenden privaten Interessen des Beschwerdeführers i.S.d. Art. 8 EMRK ist festzuhalten, dass diese – wie bereits unter Punkt 3.1.2. ausgeführt – gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung seines Aufenthaltes in Österreich zurückzutreten haben. Die Festsetzung eines Einreiseverbotes in der Dauer von zwei Jahren ist somit – trotz strafgerichtlicher Unbescholtenheit des Beschwerdeführers – aufgrund seiner mehrfachen Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften und der bei ihm vorliegenden Mittellosigkeit vertretbar (vgl. auch VwGH 22.02.2021, 2021/21/0036, m.w.N.).

3.1.6. Eine Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2. Auflage [2018] § 24 VwGVG Anm. 7a mit Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision [Spruchpunkt B)]

3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.2.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass hier entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliegt, entspricht der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Dass gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot zu erlassen war, entspricht ebenfalls der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Ausreiseverpflichtung Einreiseverbot Folgeantrag glaubhafter Kern Identität der Sache Interessenabwägung Mittellosigkeit non-refoulement Prüfung öffentliches Interesse Pandemie Prozesshindernis der entschiedenen Sache Rechtsmissbrauch Resozialisierung Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W227.2209294.2.01

Im RIS seit

19.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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