TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/16 L504 2238471-1

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Veröffentlicht am 16.03.2021
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Entscheidungsdatum

16.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


L504 2238471-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. staatenlos, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.12.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 57, 10 AsylG 2005, §§ 52, 46, 55 FPG idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte am 30.07.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann, welcher seinen Angaben nach staatenloser Palästinenser mit muslimisch-sunnitischem Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Araber angehört und aus dem palästinensischen Gebiet Gaza stammt.

In der von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung gab die bP zu ihrer Ausreisemotivation Folgendes an:

„[…]

Ich habe mein Heimatland wegen dem Krieg und der Regierung verlassen, die Lage ist sehr schlecht! Man weiß nicht wann wieder eine Bombe fallen kann. Die Regierung hat die Situation nicht im Griff, Leute können aufgrund politischer Meinungen verhaftet werden! Ich habe hiermit alle meine Gründe und die dazugehörenden Ereignisse angegeben, warum ich nach Österreich gereist bin! Ich habe keine weiteren Gründe einer Asylantragstellung.

[…]“.

In der am 02.12.2020 durchgeführten Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte die bP zu ihrer ausreisekausalen Problemlage im Herkunftsstaat und allfälligen Problemen, die sie im Falle der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat erwarte, im Wesentlichen vor:

„[…]

Fluchtgrund:

F: Beantworten Sie die nachstehenden Fragen mit „Ja“ oder „Nein“. Sie haben später noch die Gelegenheit, sich ausführlich zu diesen Fragen zu äußern:

F: Sind Sie in Ihrer Heimat oder in einem anderen Land vorbestraft bzw. haben Sie im Herkunftsland oder hier Strafrechtsdelikte begangen?

A: Nein.

F: Werden Sie in der Heimat von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals von den Behörden festgenommen oder verhaftet?

A: Nein.

F: Hatten Sie in Ihrer Heimat jemals Probleme mit den Behörden?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals wegen Ihrer Religion verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals wegen Ihrer Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt?

A: Nein.

F: Aus welchem Grund verließen Sie Ihren Heimatstaat bzw. den Staat Ihres letzten Aufenthaltes? Schildern Sie dies bitte möglichst chronologisch und lebensnah, d.h. mit sämtlichen Details und Informationen, sodass die Behörde Ihr Vorbringen nachvollziehen kann! Nehmen Sie sich dafür im Rahmen einer freien Erzählung ruhig Zeit!

A: Ich stehe für Freiheit und dort kann man nicht frei leben. Dort herrschen Kriege und die Regierung ist korrupt. Wenn man eine Meinung äußert wird man festgenommen.

F: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihren Heimatstaat bzw. den Staat Ihres letzten Aufenthaltes zu verlassen, vollständig vorbringen können?

A: Ja, das wars.

F: Haben Sie Ihre Meinung geäußert?

A: Einige Freunde von mir sind festgenommen worden. Ich habe selbst keine persönlichen Probleme gehabt.

F: Ist Ihnen von 2015 bis zur Ausreise etwas passiert oder gab es Vorfälle?

A: Nein, ich war meistens nur zuhause.

F: Welche Probleme hatte ihr Bruder?

A: Er hat im Internet geschrieben, dass wir leben wollen. Er wurde dann eingesperrt.

F: Wie lange wurde Ihr Bruder eingesperrt?

A: ich weiß es nicht.

Frage wird wiederholt

A: ich weiß es nicht.

Frage wird wiederholt

A: Ich glaube zwei Tage wurde er eingesperrt.

F: Wurde Ihr Bruder zuhause festgenommen?

A: Er wurde zuhause festgenommen. Nachgefragt: ich war selbst nicht zuhause.

F: gab es deshalb eine Gerichtsverhandlung?

A: Sie wollten meinem Bruder nur Angst machen.

F: Wann kam es zur Verhaftung Ihres Bruders?

A: Ich erinnere mich nicht.

F: Wie alt waren Sie zum Zeitpunkt dieser Festnahme?

A: Ich glaube ich war noch Student an der Uni.

F: Wer hat ihnen von der Festnahme Ihres Bruders erzählt?

A: Meine Mutter hat es mir erzählt, sie hat geweint, als ich nachhause kam.

F: Was hat Ihnen Ihr Bruder über die Festnahme erzählt.

A: Er hat mir nichts erzählt. Wie ich gesagt habe, hat er nur zwei Wörter im Internet geschrieben. Außerdem ist mein Bruder nicht gesprächig.

F: Gab es sonst noch Probleme Ihres Bruders?

A: Nein weitere Probleme hatte er nicht. Nachgefragt: Die zwei Wörter hat er geschrieben, ansonsten hat er nichts gemacht. Ich lüge nicht.

A: 2015 habe ich die Uni absolviert. Dort leben wir alle unter Kriegszuständen, unter Raketen. Die Jugend hat Schwierigkeiten.

F: Wurden Sie selbst einmal bedroht, verfolgt oder mitgenommen?

A: Nein, ich persönlich nicht. Nachgefragt: Nur mein Bruder, das ich gerade erzählt habe wurde einmal festgenommen.

F: Welche konkrete Bedrohung gegen Ihre Person würden Sie jetzt befürchten, wenn Sie in Ihren Heimatstaat bzw. den Staat Ihres letzten Aufenthaltes zurückkehren müssten?

A: Was heißt das, es würde mein Ende sein. Mein Leben wird unter Gefahr stehen. Dieser Krieg und die korrupte Regierung.

[…]“

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (I.).

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Palästina-Gaza nicht zuerkannt (II.).

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (III.).

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Palästina-Gaza gemäß § 46 FPG zulässig sei (IV.).

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (V.).

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ebenso ergebe sich aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat in Verbindung mit ihrer persönlichen Situation keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Relevante Abschiebungshindernisse würden demnach nicht vorliegen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht gegeben sein und werde daher eine Rückkehrentscheidung mit der angegebenen Frist für die freiwillige Ausreise verfügt.

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Die Muttersprache des vom BFA beigezogenen Dolmetschers sei kurdisch und nicht arabisch, weshalb es zu Verständigungsschwierigkeiten gekommen sei. Der Dolmetscher hätte die bP zur Eile gedrängt und auf eine Frage nach Betreiben einer Sportausübung selbst geantwortet. Die Rückübersetzung sei nur kursorisch und nicht wortwörtlich erfolgt. Aus Furcht und wegen mangelnder Belehrung über ihre Rechte hätte die bP nicht widersprochen und das Protokoll unterschrieben. Ergänzend wird vorgebracht, dass die bP als auch ihr Bruder am 25. Juli 2019 von 7 Hamas Mitgliedern in ziviler Kleidung, vermummt und bewaffnet bei ihnen zu Hause aufgesucht worden wären, in Folge dessen erniedrigt, misshandelt (beide weisen noch Narben am Kopf auf), mitgenommen und schließlich für zwei Tage festgehalten worden seien. Diese Misshandlung sei als Strafe dafür gedacht, dass die bP sich weigerte, sich der Hamas anzuschließen sowie wegen der kritischen Äußerungen über deren Regime und Aktivitäten. In der von der bP selbst verfassten handschriftlichen Beschwerde mit der Überschrift „Die Fluchtgründe aus Gaza“ führte sie neben einer demonstrativen Aufzählung der Aktivitäten der Hamas aus, dass die Hamas Regierung sie 2020 verfolgt hätte. Die Hamas Regierung hätte sie verhaftet, ins Gefängnis gesteckt, gefoltert, und mit dem Umbringen bedroht. Eine mündliche Beschwerdeverhandlung wird beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Identität und Herkunftsstaat:

Name und Geburtsdatum (wie im Einleitungssatz des Spruches angeführt) stehen (lt. Bundesamt) nicht fest.

Die bP ist der Volksgruppe der Araber und dem muslimisch-sunnitischem Glauben zugehörig.

Die bP ist staatenlos und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist der Gaza.

1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise:

Die bP ist im Gaza geboren und absolvierte dort ihre Schulbildung. Sie ist gesund und ledig.

Vor ihrer Ausreise wohnte sie mit ihren Geschwistern und Eltern im Gaza in XXXX , XXXX , XXXX , im Einfamilienhaus ihrer Eltern.

Sie absolvierte eine zwölfjährige Schulbildung, welche sie 2015 mit Matura abschloss. Nach einem zweijährigen Studium im Gesundheitsbereich der Lebensmittelkontrolle arbeitete sie von 2015 bis 2017 bei einer privaten Firma als Techniker im Gaza. Von 2017 bis zu seiner Ausreise war sie arbeitslos.

Die bP ist nicht bei UNRWA registriert.

1.3. Aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:

Im Gaza halten sich die Eltern, fünf Brüder und drei Schwestern auf, welche im Familienhaus wohnen. Zwei Schwestern sind verheiratet.

Die bP pflegt zu seinen Familienangehörigen Kontakt über das Internet. Zu ihrer Mutter habe sie wegen ihrer Zuckerkrankheit alle zwei Tage Kontakt.

Die bP verfügt zudem im Gaza über Onkel und Tanten, zu welchen sie keinen Kontakt hält.

1.4. Ausreisemodalitäten:

Sie reiste am 27. Februar 2020 mit ihrem Bruder legal nach Ägypten aus und von dort mit dem Flugzeug weiter in die Türkei wo sie sich ca. einen Monat aufhielt. Anschließend reiste sie schlepperunterstützt im Gefolge von syrischen Staatsbürgern nach Griechenland, wo sie sich drei Monate aufhielt. Von dort ging es über Albanien, dem Kosovo, Serbien, Ungarn nach Österreich, wo sie am 30.07.2020 eintraf. Die Reise hat € 900 gekostet.

Zum Verbleib des heimatsstaatlichen Reisepasses gab sie an, diesen habe sie im Meer verloren.

Sie durchreiste auf ihrem Weg nach Österreich mehrere als sicher geltende Staaten. In diesen suchte sie nicht um Schutz an. Es wurde nicht dargelegt, dass ihr dort die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht auch möglich gewesen wäre oder, dass Flüchtlinge dort keinen Schutz erlangen könnten.

1.5. Aktueller Gesundheitszustand:

Die bP hat im Verfahren keine aktuell behandlungsbedürftige Erkrankung dargelegt. Sie gehört keiner Covid-Risikogruppe an.

1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich:

Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes

Die bP begab sich ohne Vorhandensein eines gültigen Einreise- bzw. Aufenthaltstitels am 30.07.2020 in das Bundesgebiet.

Mit der am 30.07.2020 erfolgten Stellung des Antrages auf internationalen Schutz erlangte die bP eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG, die nach Antragsabweisung durch die Beschwerdeerhebung verlängert wurde.

Da ihr in diesem Verfahren weder der Status eines Asylberechtigten noch jener eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, erweist sich die Einreise als rechtswidrig und stellt grds. gem. § 120 Abs 1 iVm Abs 7 FPG eine Verwaltungsübertretung dar.

Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich

In Österreich hält sich ein Bruder der bP auf, welcher gemeinsam mit der bP eingereist ist. Eine über das normale Maß hinausgehende Bindung zu diesem kam nicht hervor. Dieser ist wie die bP Asylwerber und von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bedroht.

Grad der Integration

Die bP hat bisher keine relevanten Integrationsschritte gesetzt.

Für den Fall, dass die bP in Österreich dauerhaft verbleiben dürfte, äußerte sie den Wunsch als Elektriker zu arbeiten.

Teilweise oder gänzliche wirtschaftliche Selbsterhaltung während des Verfahrens bzw. Teilnahme an möglicher und gesetzlich erlaubter Erwerbstätigkeit für Asylwerber (vgl. zB https://www.ams.at/unternehmen/service-zur-personalsuche/beschaeftigung-auslaendischer-arbeitskraefte/beschaeftigung-von-asylwerberinnen-und-asylwerbern#wieknnenasylwerberinnenundasylwerberbeschftigtwerden) oder Abhängigkeit von staatlichen Leistungen

Die bP lebt von der staatlichen Grundversorgung.

Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Familienleben; die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren

Die bP hat diese Anknüpfungspunkte während einer Zeit erlangt, in der der Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet stets prekär war.

Bindungen zum Herkunftsstaat

Die beschwerdeführende Partei ist im Herkunftsstaat geboren, absolvierte dort ihre Schulzeit, kann sich im Herkunftsstaat – im Gegensatz zu Österreich – problemlos verständigen und hat ihr überwiegendes Leben in diesem Staat verbracht. Sie wurde somit im Herkunftsstaat sozialisiert und kennt die dortigen Regeln des Zusammenlebens einschließlich der gegebenen sozialen Unterstützungsnetzwerke. Es leben dort auch noch insbes. Familienangehörige und Verwandte.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die beschwerdeführende Partei als von ihrem Herkunftsstaat entwurzelt zu betrachten wäre.

Strafrechtliche/verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen

In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen keine Vormerkungen wegen rk. gerichtlicher Verurteilungen auf.

Das Vorliegen von rk. Verwaltungsstrafen wurde dem BVwG nicht mitgeteilt und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.

Sonstige Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts

Da der bP weder der Status einer Asylberechtigten noch der einer subsidiär schutzberechtigten Person zukommt, stellt die rechtswidrige Einreise (bei strafmündigen Personen) gegenständlich auch grds. eine Verwaltungsübertretung dar (vgl. § 120 Abs 1 iVm Abs 7 FPG).

Verfahrensdauer

Gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz wurde am 30.07.2020 gestellt und erging der Bescheid vom Bundesamt am 03.12.2020. Nach eingebrachter Beschwerde erging mit heutigem Erkenntnis die Entscheidung im Beschwerdeverfahren.

1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen / nichtstaatlichen Akteuren bzw. den von der bP vorgebrachten Problemen, die sie persönlich im Entscheidungszeitpunkt im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat erwartet:

Die bP vermochte eine persönliche Bedrohung vor der Ausreise nicht glaubhaft machen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP im Zusammenhang mit ihrer als nicht glaubhaft erachteten ausreisekausalen Bedrohungslage im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, konkret ihre Herkunftsregion Gaza, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer entscheidungsrelevanten realen Gefahr für Leib und/oder Leben ausgesetzt wäre.

Aus der derzeitigen Lage ergibt sich im Herkunftsstaat, insbesondere in der Herkunftsregion der bP, unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse, keine Situation, wonach im Falle der Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts besteht. Dies ergibt sich auch nicht aus der amtswegigen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat auf Basis der verfahrensgegenständlichen aktuellen Berichtslage.

Es kann mangels Vorbringen der bP in der Einvernahme daher nicht festgestellt werden, dass sie aktuell im Falle der Rückkehr in den Gaza in Bezug auf die Erlangung von Lebensnotwendigem, insbesondere hinsichtlich Nahrung und Unterkunft nicht das Notwendige erlangen könnte.

1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat

Das Bundesamt traf auf Basis des zu Gehör gebrachten Länderinformationsblattes der Staatendokumentation nachfolgende Feststellungen, wobei die bP im Verfahren beim Bundesamt dazu im Rahmen des Parteiengehörs keine Stellungnahme abgab:

Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:

Es folgen Auszüge aus dem Länderinformationsblatt zu Palästina - Gaza mit der letzten Gesamtaktualisierung vom 29.4.2020, welche zur Entscheidungsfindung im vorliegenden Fall verwendet wurden.

Politische Lage

Die Palästinensischen Gebiete bestehen aus dem Westjordanland, dem Gaza-Streifen und Ost-Jerusalem (AA 6.11.2019a). Palästina hat den Status eines Völkerrechtssubjekts, wird aber von Österreich nicht als Staat im Sinne des Völkerrechts anerkannt (BMEIA 18.3.2020). 137 Staaten erkennen Palästina als unabhängigen Staat an (GIZ 3.2020a). Konkret bedeutet der Beobachter-status als Nicht-Mitgliedstaat, den etwa auch der Vatikan innehat, mehr Mitspracherechte bei den Vereinten Nationen. Künftig können die Palästinenser im Sicherheitsrat und in der Generalversam-mlung – sofern sie betroffen sind – an Diskussionen teilnehmen und Resolutionen einbringen. Ein weiterer wichtiger Zugewinn ist der Zugang zu Unterorganisationen der UN wie dem Internatio-nalen Strafgerichtshof. Dadurch hätten die Palästinenser das Recht, etwaige Militäroperationen der Israelis in den Palästinensergebieten oder die Siedlungspolitik der israelischen Regierung vor Gericht zu bringen (BPB 30.11.2012). Im Dezember 2014 stimmte das europäische Parlament mit einer überwältigenden Mehrheit (498 Stimmen dafür, 88 dagegen) für die „Quasi“-Anerkennung Palästinas als Staat. Dieses Votum ist rechtlich nicht bindend, aber es sendet eine starke Botschaft an die internationale Gemeinschaft. Schweden ist einen Schritt weiter gegangen und hat Palästina offiziell als Staat anerkannt (BBC 17.12.2014).

Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO – Palestinian Liberation Organisation) wurde 1964 gegründet, 1974 als einzig legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes von der UNO anerkannt und erhielt den Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen (VP o.D.; vgl. Britannica o.D.). 1993 kam es zum Oslo-Abkommen zwischen Israel und der PLO (BPB 17.7.2011). Im Jahr 1993 folgte die Anerkennung der PLO als einzige Vertreterin der Palästinenser durch Israel (Israel MFA 10.9.1993). Die PLO ist die Dachorganisation für die verschiedenen palästinensischen Parteien und Bewegungen, darunter die Fatah, die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), die Arabische Befreiungsfront, die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP), die Palästinensische Befreiungsfront (PLF) und die Palästinensische Volkspartei (PPP). Hamas und Islamischer Dschihad sind nicht in der PLO vertreten (VP o.D.; vgl. SZ 12.1.2018).

Nach dem Erdrutschsieg der Hamas [Anm.: bei den Wahlen im Jahr 2006] begannen die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern von Hamas und Fatah, in deren Verlauf Hunderte von Menschen ums Leben kamen. Ihren Höhepunkt fanden sie im Juni 2007 im Gazastreifen als die Hamas mit Gewalt die Kontrolle über alle Sicherheitseinrichtungen und Regierungsgebäude der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA – Palestinian Authority) übernahm (GIZ 3.2020a). Zahlreiche Mitglieder und Anhänger der Fatah von Palästinenserpräsident Abbas flohen aus Gaza (Spiegel 13.6.2007; FAZ 3.8.2008). Von diesem Zeitpunkt an war Palästina zweigeteilt, in einen von Hamas kontrollierten Gazastreifen und ein von Fatah kontrolliertes Westjordanland. In beiden Gebieten wurden Aktivisten der jeweils anderen Seite inhaftiert und misshandelt, deren Einrichtungen geschlossen, ihre Medien verboten und ihre Demonstrationen aufgelöst. 2012 einigten sich Präsident Mahmoud Abbas und (damaliger) Hamas-Chef Khaled Mashaal in Katar auf die Bildung einer Übergangsregierung unter Leitung von Mahmoud Abbas (GIZ 3.2020a).

Die PA wurde 1994 nach Abschluss der Osloer Verträge zwischen Israel und der PLO gegründet. Am 13.4.2019 wurde die neue PA unter Premierminister Mohammad Shtayyeh vereidigt. Grundpfeiler des politischen Systems sind der Präsident, die Regierung unter Vorsitz eines Premierministers sowie das Parlament, der sogenannte Legislativrat (Palestinian National Council – PLC) mit 132 Sitzen. Das Wahlrecht sieht Verhältniswahl (Landesebene) und Direktwahl (Bezirksebene) vor. Letzte Wahlen in der Westbank und Gaza fanden im Januar 2006 statt; die vierjährige Legislaturperiode ist seit 2010 abgelaufen. Der Legislativrat tagt seit der Machtübernahme der Hamas in Gaza im Juni 2007 nicht mehr. Am 22.12.2018 hat Präsident Abbas den PLC für aufgelöst erklärt (AA 6.11.2019b; vgl. FH 4.2.2019). Parlamentswahlen hätten in den folgenden sechs Monaten stattfinden sollen, was nicht passierte. Die Hamas lehnte die Entscheidung über die Auflösung des PLC ab (FH 4.2.2019). Der Präsident der Palästinensischen Behörde wird vom Volk direkt gewählt. Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden im Januar 2005 statt. Die Amtszeit von Präsident Abbas ist formal seit 2009 abgelaufen (AA 6.11.2019b; vgl. FH 4.2.2019). Präsident Abbas ist auch Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation und Generalkommandant der Fatah-Bewegung (USDOS 11.3.2020). Der Premierminister ist laut Verfassung gegenüber dem Präsidenten und dem Legislativrat für sein Handeln und das Handeln des Kabinetts verantwortlich (GIZ 3.2020a).

Der Gazastreifen steht seit 2007 unter einer Blockade seitens Israel, was sich schwer auf die Wirtschaft auswirkt(e). Der gesamte Waren- und Personenverkehr in und aus dem Gaza-Streifen ist stark eingeschränkt. Die Bevölkerung in Gaza beläuft sich auf 1,9 bis 2 Millionen, von denen etwa 1,57 Millionen registrierte palästinensische Flüchtlinge sind (UNRWA 2019; vgl. GIZ 3.2020b).

Nach dem Wahlsieg der Hamas 2006 kam es 2007 zum Bruch zwischen der Hamas und der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Im Gazastreifen regiert die Hamas seitdem allein und wird höchstens von noch radikaleren Kräften herausgefordert (DS 17.5.2018; vgl. USDOS 11.3.2020). Obwohl die Gesetze der PA in Gaza formal gültig sind, hat sie nur wenig Autorität, und die Hamas verfügt über die de facto-Kontrolle (USDOS 11.3.2020). Seit 2007 funktioniert der Gazastreifen als De-facto-Einparteienstaat unter der Herrschaft der Hamas, obwohl kleinere Parteien - darunter der Islamische Dschihad, die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) und eine von Präsident Abbas nicht unterstützte Fraktion der Fatah - in unterschiedlichem Maße toleriert werden. Einige dieser Gruppen verfügen über eigene Medien und veranstalten Kundgebungen und Versammlungen. Diejenigen, die mit Präsident Abbas und seinen Unterstützern in der Fatah verbunden sind, sind jedoch der Verfolgung ausgesetzt (FH 4.2.2019). Zivilgesellschaftliche Organisationen in Gaza geben an, dass die Hamas und andere islamistische Gruppen keinen öffentlichen Dissens, keine Opposition und keinen bürgerlichen Aktivismus tolerieren (USDOS 11.3.2020). Am 6. Mai 2017 wurde Ismail Haniyye zum neuen Vorsitzenden des Politbüros der Hamas gewählt. Er löste damit Khaled Mashaal ab, der das Amt seit 1996 innehatte (GIZ 3.2020a).

In den letzten Jahren sind mehrere Versöhnungsversuche zwischen Fatah und Hamas gescheitert (CGRS 6.3.2020). Am 12. Oktober 2017 unterzeichneten Fatah und Hamas in Kairo erneut ein Versöhnungsabkommen. Nach 2011 und 2014 ist dies der dritte Versuch, den seit mehr als zehn Jahren bestehenden Konflikt zwischen den beiden wichtigsten politischen Bewegungen in Palästina zu überwinden. Am 21. Dezember 2017 erklärte jedoch der Hamas-Chef im Gazastreifen Yahia al-Sinwar, dass das Abkommen vom 12.10.2017 dabei sei, zu scheitern (GIZ 3.2020a). Die ständige Verschiebung der Wahlen im Gaza-Streifen verhindert jede Möglichkeit für eine Änderung des politischen Status quo. Die Umsetzung des Versöhnungsabkommens von 2017, das schließlich zu Wahlen geführt hätte, scheiterte zum Teil an der Frage der Kontrolle über die innere Sicherheit des Gazastreifens, da die Hamas ihren unabhängigen bewaffneten Flügel und eine dominante Sicherheitsposition im Territorium behalten wollte (FH 4.2.2019; vgl. CGRS 6.3.2020). Die Kontrolle über die Grenzübergänge wurde von der Hamas 2017 auf die PA übertragen (CGRS 6.3.2020; vgl. DS 1.11.2017), wenngleich die Hamas trotzdem über die de facto Kontrolle in Sicherheits- und anderen Angelegenheiten hatte (USDOS 20.4.2018). Im Jänner 2019 zog die PA ihre Mitarbeiter am Grenzübergang zu Ägypten (Rafah) mit der Begründung zurück, dass die Hamas die Arbeit ihrer Mitarbeiter behindere (CGRS 6.3.2020).

Es gibt noch keinen Termin für die nächsten Präsidentschaftswahlen (FH 4.2.2019; vgl. CGRS 6.3.2020). Entscheidungen über die Durchführung von Wahlen sind stark politisiert. Die PA führte 2017 Gemeinderatswahlen im Westjordanland durch, aber die Hamas lehnte angesichts der Streitigkeiten zwischen Hamas und Fatah über die Kandidatenlisten die Teilnahme ab, und im Gazastreifen wurden keine Wahlen abgehalten. Auch bei den letzten Kommunalwahlen 2012 war der Gazastreifen von der Teilnahme ausgeschlossen. Versöhnungs- und Wiedervereinigungs-versuche zwischen Fatah und Hamas bleiben weiterhin erfolglos (FH 4.2.2019). Die Fähigkeit palästinensischer Beamter, im Gazastreifen Politik zu machen und umzusetzen, ist durch israelische und ägyptische Grenzkontrollen, israelische Militäraktionen und die anhaltende Spaltung mit der PA im Westjordanland stark eingeschränkt (FH 4.2.2019).

2005 zog Israel sein Militär und die nach 1967 angesiedelten Israelis aus dem Gazastreifen ab, behielt jedoch die Kontrolle über Außengrenzen und Luftraum unilateral bei: Daraus resultiert der Rechtsstreit, ob der Gazastreifen noch besetzt ist oder nicht (DS 17.5.2018). Israel hat weiterhin die Kontrolle über Wasser, Elektrizität, Infrastruktur, Grenzübergänge, medizinische Behandlung, Exporte/Importe und viele andere Bereiche des täglichen Lebens. Den Palästinensern kommt keine Souveränität über ihre Ressourcen zu (MEE 13.10.2019). Die Blockade des Gazastreifens seit 2007 durch Israel, die durch die ägyptischen Beschränkungen an der Grenze zum Gazastreifen noch verschärft wird, schränkt den Zugang der fast zwei Millionen dort lebenden Palästinenser zu Bildung, wirtschaftlichen Möglichkeiten, medizinischer Versorgung, sauberem Wasser und Elektrizität ein. Achtzig Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen sind von humanitärer Hilfe abhängig (HRW 14.1.2020; vgl. FH 4.2.2019).

Die EU, Israel und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein (Zeit Online 28.8.2019). Die Hamas verhaftete in der ersten Jahreshälfte 2019 Hunderte Salafisten. Gruppen wie der sogenannte Islamische Staat sind im Gazastreifen momentan nicht stark organisiert, aber die Gefahr, dass sie hier Fuß fassen könnten, ist sehr groß (Zeit Online 8.7.2019).

Quellen:

[…]

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Israel und den Palästinensischen Gebieten ist wesentlich vom israelisch-palästinensischen Konflikt geprägt (AA 25.3.2020). Auch den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im besetzten Palästinensischen Gebiet auswirken (EDA 30.3.2020).

1994 begann Israel einen Grenzzaun zu bauen, der 2000, während der Intifada, attackiert und danach durch eine Sicherheitsbarriere ersetzt wurde. Dabei richtete Israel auch eine Pufferzone auf dem Gebiet des Streifens ein (was ihn noch schmäler macht), in die laut israelischen Einsatzregeln scharf hineingeschossen werden kann. Die Breite der Zone, bis zu 300 Meter, wird variabel festgelegt – dort fanden in der Vergangenheit Aufmärsche statt. 2005 zog Israel sein Militär und die nach 1967 angesiedelten Israelis aus dem Gazastreifen ab, behielt jedoch die Kontrolle über Außengrenzen und Luftraum unilateral bei: Daraus resultiert der Rechtsstreit, ob der Gazastreifen noch besetzt ist oder nicht. Die letzten Jahre sind geprägt von einem Wechselspiel von Raketenangriffen auf Israel aus dem Gazastreifen, dem Bau von Schmuggel- und Angriffstunnels – und der immer wieder gelockerten und angezogenen Blockade durch Israel (DS 17.5.2018) sowie israelischen Militäroffensiven (AA 25.3.2020).

Für den Gazastreifen besteht eine Reisewarnung (AA 25.3.2020; vgl. BMEIA 18.3.2020). Die Lage ist äußerst gespannt. Seit Ende März 2018 kommt es immer wieder zu Massenprotesten entlang der Grenze zu Israel. Gewaltsame Konfrontationen zwischen Demonstranten und der israelischen Armee haben zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 30.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Seit März 2018 kam es im Gazastreifen regelmäßig zu Demonstrationen entlang des Grenzzauns zu Israel (“Great March of Return“), teils wöchentlich. Viele der Proteste waren mit Gewalt verbunden, es wurden insgesamt mehr als 200 Palästinenser getötet und Tausende verletzt (CIA 15.3.2020). Andere Quellen sprechen von mehr als 180 getöteten Palästinensern, viele durch scharfe Munition der israelischen Streitkräfte. Laut einer NGO wurden im Jahr 2018 in Gaza insgesamt 255 Palästinenser durch israelische Streitkräfte getötet, die höchste Zahl seit den offenen Kampfhandlungen 2014. Viele der Opfer waren zivile Demonstranten in der Nähe des Grenzzauns, andere Todesopfer waren auf israelische Luftangriffe sowie Schusswechsel mit in Gaza ansässigen militanten Kämpfern zurückzuführen (FH 4.2.2019).

Die Kämpfe zwischen Israel und bewaffneten palästinensischen Gruppen in Gaza waren mit unrechtmäßigen Angriffen und zivilen Opfern verbunden. Israelische Streitkräfte feuern weiterhin scharfe Munition auf Demonstranten innerhalb des Gazastreifens ab, die keine unmittelbare Bedrohung des Lebens darstellen, was gegen internationale Menschenrechtsstandards verstößt. Nach Angaben einer palästinensischen Menschenrechtsorganisation haben die israelischen Streitkräfte bei den Protesten im Jahr 2019 bis Ende Oktober 34 Palästinenser getötet und nach Angaben des Gesundheitsministeriums des Gazastreifens 1.883 mit scharfer Munition verletzt (HRW 14.1.2020). Eine weitere Quelle gibt an, dass im Jahr 2019 38 Palästinenser im Rahmen der Proteste entlang des Grenzzauns getötet wurden (USDOS 11.3.2020). Insbesondere werden zahlreiche, mit Brandsätzen ausgestattete Drachen und Ballons eingesetzt, die vom Gazastreifen aus starten und im Nahbereich des Zauns landen. Auch Raketen- und Mörserbeschuss aus dem Gazastreifen heraus auf israelisches Staatsgebiet und israelische Gegenangriffe kommen des Öfteren vor (AA 25.3.2020; vgl. Zeit 28.8.2019).

Die Eskalation des Konflikts im und um den Gazastreifen forderte im Sommer 2014 über 2000 Todesopfer und zahlreiche Verletzte. Am 26. August 2014 ist ein (unbefristeter) Waffenstillstand geschlossen worden. Trotz des Waffenstillstandsabkommens nehmen die Spannungen periodisch zu und führen immer wieder zu Raketenbeschüssen auf israelische Gebiete und zu militärischen Aktionen der israelischen Armee im Gazastreifen, wie z.B. Anfang Mai 2019 (EDA 30.3.2020). Die von Ägypten vermittelte inoffizielle Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas war mehrfach gebrochen worden (Zeit 28.8.2019). Auch in den Monaten Juli, August, Oktober und November 2018 sowie März 2019 hatte es mehrere kleinere Gewaltausbrüche gegeben, die zum Teil zivile Todesopfer zur Folge hatten (HRW 4.2.2020). Palästinensische Kämpfer beschossen Israel mit mehr als 1.340 Raketen und Mörsergranaten, es wurden laut israelischer Regierung fünf israelische Soldaten getötet. Als Reaktion auf diese Angriffe starteten die Israeli Defense Forces im Laufe des Jahres 2019 579 Luftangriffe auf Ziele in Gaza, die nach Angaben der Vereinten Nationen zusammen mit Panzerbeschuss 66 Palästinenser, darunter 10 Minderjährige, töteten (USDOS 11.3.2020).

Nach der Eskalation der Lage zwischen Israel und dem Gaza-Streifen vom 12. und 13. November 2019 (BMEIA 18.3.2020; vgl. DW 13.11.2019) herrscht seit dem 14. November nunmehr ein Waffenstillstand. Ein neuerliches Aufflammen der feindseligen Handlungen kann aber nicht ausgeschlossen werden. In Palästina finden immer wieder Protestmärsche und Kundgebungen statt, im Gaza-Streifen kommt es zudem zu massiven Zusammenstößen mit Todesopfern am Grenzzaun (BMEIA 18.3.2020). Es kommt vor, dass die Grenzübergänge zwischen Israel und dem Gazastreifen vorübergehend und ohne Vorwarnung auf unbestimmte Zeit abgeriegelt werden (EDA 30.3.2020; vgl. AA 25.3.2020). Der Gazastreifen ist seit Juni 2007 für den allgemeinen Personenverkehr von und nach Israel fast vollständig abgeriegelt [Anm.: siehe Kapitel zu Bewegungsfreiheit] (AA 25.3.2020).

Quellen:

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Rechtsschutz / Justizwesen

Rechtssicherheit wird in Palästina dadurch erschwert, dass immer noch Elemente des osmanischen, britischen, jordanischen, ägyptischen, israelischen (israelische Militärverordnungen) und palästinensischen Rechts (seit 1994) nebeneinander existieren. Darüber hinaus wird in Palästina Gewohnheitsrecht und religiöses Recht (insbesondere im Familienrecht) angewandt. Daneben werden die Beschlüsse des Obersten Palästinensischen Gerichtshofes nicht immer umgesetzt (GIZ 3.2020a). Obwohl die Gesetze der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Gaza formal gültig sind, hat die PA nur wenig Autorität, und die Hamas verfügt über die de-facto-Kontrolle (USDOS 11.3.2020). Die Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas wirken sich auch auf das Justizwesen aus. Nach der Spaltung untersagte die palästinensische Behörde ehemaligen Mitarbeitern der Justizbehörden (und auch der Sicherheitskräfte) im Gazastreifen für die Verwaltung der Hamas zu arbeiten. Sie wurden stattdessen von der palästinensischen Behörde bezahlt, ohne zu arbeiten. Die Hamas stellte Ersatz-Staatsanwälte und Richter ein, die häufig keine entsprechende Ausbildung und Qualifikation für die Aufgaben hatten (GIZ 3.2020a).

Die Gesetze der PA sehen das Recht auf eine unabhängige Justiz sowie einen fairen und öffentlichen Prozess vor. Verfahren sind öffentlich, außer in Sonderfällen, etwa wenn es zum Schutz bestimmter Interessen nötig ist, das Verfahren nicht-öffentlich abzuhalten. Es gilt die Un-schuldsvermutung und der Angeklagte hat das Recht, zeitnah über die gegen ihn vorliegende Anklage informiert zu werden. Gemäß Amnesty International werden diese Rechte manchmal nicht gewahrt. Rechtsbeistand ist vorgesehen, auf Kosten des Staates, wenn nötig. Die Angeklagten haben das Recht auf Berufung. Während die PA in der Westbank diese prozeduralen Rechte weit¬gehend gewährleistet, implementiert sie die Hamas-Behörde im Gazastreifen nur inkonsistent (USDOS 11.3.2020). Dem Gerichtssystem der Hamas gelingt es üblicherweise nicht, einen fairen Prozess zu gewährleisten (FH 4.2.2019).

Die Hamas unterhält ein ad hoc Justizsystem, das getrennt von Strukturen der PA funktioniert. Das System ist politischer Einflussnahme ausgesetzt, Richtern mangelt es an angemessener Ausbildung und Erfahrung (FH 4.2.2019). Die Gerichte der Hamas, sowie deren Richter und Staatsanwälte, werden von der PA als illegal betrachtet. Die Bewohner des Gazastreifens können zivilrechtliche Klagen einreichen, auch wenn es um behauptete Menschenrechtsverletzungen geht; dies ist jedoch selten (USDOS 11.3.2020). Das von der Hamas beaufsichtigte Gerichtssystem gewährleistet im Allgemeinen keine ordnungsgemäßen Verfahren und in einigen Fällen werden Zivilisten vor Militärgerichten angeklagt (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Es gibt Berichte über willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen durch die Hamas, sowie über politisch motivierte Festnahmen. Es gibt keine rechtlichen oder unabhängigen Institutionen, die in der Lage gewesen wären, die Hamas als de-facto-Autorität im Gazastreifen zur Rechenschaft zu ziehen (USDOS 11.3.2020).

Die Israeli Defence Force (IDF) stellt Palästinenser, die wegen Sicherheitsdelikten beschuldigt werden, vor israelische Militärgerichte, denen seitens mancher NGOs vorgeworfen wird, unangemessen und unfair zu sein (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 11.3.2020).

Stammesgerichte spielen in Gaza eine wichtige Rolle für die Stabilität in der Gesellschaft (Al-Monitor 28.3.2018; vgl. GIZ 3.2020a). Die Menschen in Gaza bringen ihre Fälle lieber vor Stammesgerichte, weil diese meist sehr schnell ein Urteil fällen. Die Stammesgerichte stehen nicht im Widerspruch zur offiziellen Gerichtsbarkeit, sie operieren mit Unterstützung der Letzteren. Problematisch ist, das die Stammesrichter (tribal arbitrators) nicht im selben Maße unparteiisch sind wie offizielle Richter (Al-Monitor 28.3.2018).

Rechtlich anerkannte religiöse Gruppen sind befugt, über Fragen des persönlichen Status wie Ehe, Scheidung und Erbschaft zu entscheiden. Sie können geistliche Gerichte einrichten, um rechtsverbindliche Entscheidungen über den Personenstand und einige Vermögensfragen für Mitglieder der Religionsgemeinschaft zu treffen (USDOS 21.6.2019).

Quellen:

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Sicherheitsbehörden

Im Gazastreifen verfügt die Hamas in allen Gesellschaftsbereichen de-facto die Kontrolle. Es gibt keine rechtlichen oder unabhängigen Institutionen, die in der Lage sind, die Hamas zur Verantwortung bzw. Rechenschaft zu ziehen. Für die innere Sicherheit in Gaza zuständig sind Zivilpolizei, Wach- und Schutztruppen, eine interne Geheimdienst- und Ermittlungseinheit sowie der Zivilschutz. Für die nationale Sicherheit zuständig sind die nationalen Sicherheitskräfte, die Militärjustiz, die Militärpolizei, der medizinische Dienst und die Gefängnisbehörde. In einigen Fällen nutzen die "zivilen" Hamas-Behörden de facto den militärischen Flügel der Hamas-Bewegung, um gegen interne Meinungsverschiedenheiten vorzugehen (USDOS 11.3.2020).

Die Hamas hat kein konventionelles Militär im Gazastreifen, sondern unterhält verschiedene Einheiten von Sicherheitskräften, zusätzlich zu ihrem bewaffneten Flügel, der Izz al-Din al-Qassam Brigade. Dieser militärische Flügel untersteht dem politischen Büro der Hamas. Es gibt mehrere andere militante Gruppierungen, die im Gazastreifen operieren, vor allem die Al-Quds-Brigaden des Palästinensischen Islamischen Dschihad, die normalerweise, aber nicht immer, der Autorität der Hamas unterstehen (CIA 15.3.2020). Die Izz al-Din al-Qassam Brigade kann, gemäß Informationen aus dem Jahr 2014, als etwa 7.000 Mann starke „stehende Armee“ gesehen werden, mit einem Mobilisierungspotential von etwa 25.000 Mann (GS 1.5.2017). Die EU, Israel und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein (Zeit 28.8.2019), genauso wie Izz al-Din al-Qassam. Auch der Islamische Dschihad wird von der EU als terroristische Gruppierung eingestuft (EU 8.8.2019).

Die Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas wirken sich auch auf die Sicherheitskräfte aus. Nach der Spaltung untersagte die palästinensische Behörde ehemaligen Mitarbeitern der Sicherheitskräfte, im Gazastreifen für die Verwaltung der Hamas zu arbeiten. Sie wurden stattdessen von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) bezahlt, ohne zu arbeiten. Die Arbeit der palästinensischen Sicherheitsdienste und der Polizei wird jedoch auch durch die israelische Armee behindert, z.B. zerstörte sie während des Gazakrieges im Dezember 2008 alle Gefängnisse und Haftzentren in Gaza durch Bombenangriffe (GIZ 3.2020a). Israel behält die effektive zivile Kontrolle über seine Sicherheitskräfte im Gazastreifen bei (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

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Folter und unmenschliche Behandlung

Das Grundgesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verbietet Folter und die Ausübung von Gewalt gegen Gefangene. Folter und Misshandlungen kommen jedoch weiterhin vor (USDOS 11.3.2020) bzw. sind weit verbreitet (HRW 29.5.2019; vgl. HRW 10.2018). Sowohl die PA im Westjordanland als auch die Hamas-Behörden im Gazastreifen verhaften und foltern routinemäßig friedliche Kritiker und Gegner (HRW 14.1.2020; vgl. HRW 10.2018). In den Haftanstalten sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland kommt es regelmäßig zu Folter durch die Sicherheitsdienste der Hamas und der PA (HRW 10.2018; vgl. USDOS 11.3.2020). Da sich der Konflikt zwischen der Palästinensischen Behörde und der Hamas verschärft hat, haben beide Parteien die Unterstützer der jeweils anderen ins Visier genommen. Die Täter bleiben oft straffrei (HRW 10.2018).

Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen hat die Hamas Dutzende von Palästinensern, die wegen ihrer Teilnahme an der „Bidna Na'eesh“-Bewegung („Wir wollen leben“-Bewegung) verhaftet wurden, Folter und erniedrigender Behandlung ausgesetzt, darunter schwere Schläge, das Brechen von Gliedmaßen, etc. In einem Zeitraum von 18 Monaten bis April 2019 beschwerten sich laut Human Rights Watch (HRW) 213 Palästinenser in Gaza über Folter und Misshandlung durch die Hamas (USDOS 11.3.2020). Eine andere Quelle spricht von 156 Berichten über Fälle von Folter und anderweitigen Misshandlungen im Gazastreifen, die die Unabhängige Kommission für Menschenrechte (ICHR), die nationale palästinensische Menschenrechtsinstitution, bis Ende November 2019 erhalten hat (AI 18.2.2020).

Quellen:

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Korruption

Gesetzliche Regelungen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) sehen Strafen für behördliche Korruption vor. In der Praxis wird jedoch wenig getan, um gegen korrupte Beamte vorzugehen (USDOS 11.3.2020). Die von der Hamas kontrollierte Regierung verfügt über keine wirksamen oder unabhängigen Mechanismen zur Gewährleistung von Transparenz in Sachen Finanzierung, der Beschaffung oder ihrer Tätigkeit (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Im Gazastreifen werfen örtliche Beobachter und NGOs der Hamas Fälle von Mittäterschaft bei korrupten Vorgängen vor, einschließlich Vergünstigungen bei Einkaufskonditionen für Immobilien, und der Erzielung von finanziellen Einnahmen in Zusammenhang mit Gebührenforderungen gegenüber Importeuren im Gazastreifen. Hamas-Behörden unterdrücken die Berichte und den Zugang zu Informationen massiv. Importeure von eingeschränkt importierbaren Gütern, die dem Ministerium für zivile Angelegenheiten der PA nahe stehen, werden gemäß Informationen lokaler Geschäftsleute bevorzugt behandelt (USDOS 11.3.2020).

Laut Korruptionsbericht 2018 der palästinensischen Vereinigung AMAN – Coalition for Accountability and Integrity ist 2018 wie in den vorhergehenden Jahren die häufigste Form der Korruption im öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Bereich in Palästina die Vettern-, Klüngel- und Günstlingswirtschaft bei Dienstleistungen und Stellenbesetzungen (Wasta = gute Beziehungen). Daneben sind u.a. die Verletzung der Treuepflicht, Machtmissbrauch, der Missbrauch öffentlicher Gelder, die Veruntreuung von öffentlichen Geldern, Bestechung, Betrug, die Nichtbefolgung von Gerichtsentscheidungen und Geldwäsche zu beklagen (GIZ 3.2020a).

Quellen:

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NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Es gibt ein breites Spektrum palästinensischer NGOs und zivilgesellschaftlicher Gruppen. Die Hamas betreibt ein großes Netzwerk sozialer Dienste, schränkt die Aktivitäten von Hilfsorganisationen jedoch ein, wenn diese sich nicht den Restriktionen der Hamas beugen. Viele zivil-gesellschaftliche Gruppen wurden seit der Spaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) 2007 aus politischen Gründen geschlossen. Die Hilfs- und Wiederaufbaubemühungen von NGOs nach dem Konflikt mit Israel im Jahr 2014 werden teilweise durch Meinungsverschiedenheiten über den Zugang zum Staatsgebilde und die Kontrolle über die Grenzübergänge behindert (FH 4.2.2019).

In Gaza versucht die Hamas, verschiedene Organisationen an der Arbeit zu hindern, darunter aus Sicht der Hamas mit der Fatah in Verbindung stehende Organisationen, sowie Privatunternehmen und NGOs, die nach Ansicht der Hamas gegen ihre Interpretation der islamischen Gesellschafts-normen verstoßen. Das „Innenministerium“ der Hamas beansprucht die Überwachungsbefugnis über alle NGOs. Ihre Repräsentanten belästigen regelmäßig NGO-Mitarbeiter und erfragen Informationen über Angestellte, Gehälter und Aktivitäten. In Gaza stationierte NGOs berichten, dass Mitglieder der Hamas in ihren Büros auftauchen, um Steuern einzutreiben, die Herausgabe von Begünstigtenlisten zu fordern, Gehaltsinformationen abzufragen und um Mitarbeiter der NGOs zur Befragung auf Polizeistationen zu bringen (USDOS 11.3.2020).

Außerdem gibt es zahlreiche Berichte, dass die Hamas Mitglieder von internationalen Organisationen schikanieren. Palästinensische, israelische und internationale NGOs beobachten die Aktivitäten der israelischen Regierung in den besetzten Gebieten und publizieren ihre Erkenntnisse, obwohl Bewegungs- und Zugangsbeschränkungen, beispielsweise an der Grenze zwischen Israel und Gaza, diese Arbeit erschweren. Humanitäre Organisationen äußern sich weiterhin besorgt über den schwindenden Handlungsspielraum für internationale NGOs im Gaza-streifen, einschließlich einer erheblichen Zunahme der israelischen Reiseverbote, die ihre in Gaza stationierten Mitarbeiter betreffen. Die israelischen Behörden verstärkten die Kontrolle von nicht-staatlichen Besuchern sowie von Diplomaten, die in den Gazastreifen reisen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

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Wehrdienst und Rekrutierungen

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Allgemeine Menschenrechtslage

Die Hamas übt im Gazastreifen die De-Facto-Kontrolle aus und legt der Bevölkerung Restriktionen gemäß ihrer Interpretation des Islam und der Scharia auf (USDOS 21.6.2019). Berichtet wird von ungesetzlichen oder willkürlichen Tötungen; Folter und willkürlicher Inhaftierung durch Beamte der Hamas; willkürlichen oder unrechtmäßigen Eingriffen in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Internetfreiheit; Gewaltandrohungen, Verhaftungen und Verfolgungen von Journalisten; Zensur; Sperren von Websites; wesentlichen Eingriffen in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der politischen Partizipation; Korruption, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten; Gewalt und Gewaltandrohungen gegen LGBTI-Personen; etc. (USDOS 11.3.2020). Menschenrechtsorganisationen kritisieren außerdem Misshandlungen in Haft, Haft ohne Anklageerhebung und Gerichtsverfahren, Angriffe auf israelische Zivilisten, insbesondere durch selbst gebaute Raketen auf den Süden Israels, Gewalt gegen Frauen und grundsätzlich ein Klima der Rechtlosigkeit und Straffreiheit, besonders bei Aktionen gegen die politischen Gegner. Außerdem wird kritisiert, dass in Palästina weiterhin die Todesstrafe existiert (GIZ 3.2020a).

Es gibt Berichte über willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen durch die Hamas, sowie über politisch motivierte Festnahmen. In vielen Fällen würden die Gefangenen ohne formelle Anklage oder ordnungsgemäße Verfahren festgehalten. Von willkürlicher Verhaftungen waren vor allem zivilgesellschaftliche Aktivisten, Fatah-Mitglieder, Journalisten und Personen, die die Hamas öffentlich kritisierten, betroffen. Es gibt auch Berichte darüber, dass die Hamas Personen festnahm, welche die Hamas (im Gazastreifen) online kritisierten. Die Hamas nahm auch jene ins Visier, von denen vermutet wird, dass sie Verbindungen zu Israel haben. Im März 2019 nahmen die Hamas-Sicherheitskräfte tausende Palästinenser in Gaza fest, die im Rahmen der „Bidna Na‘eesh“-Bewegung („Wir wollen leben“-Bewegung) gegen hohe Preise und schlechte Qualität der [staatlichen] Leistungen demonstriert hatten, darunter zivilgesellschaftliche Aktivisten, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. Sicherheitskräfte der Hamas in Zivilkleidung und Uniformen schlugen, verhörten und folterten Hunderte der Demonstranten. Es gibt keine rechtlichen oder unabhängigen Institutionen, die in der Lage gewesen wären, die Hamas als de facto-Autorität im Gazastreifen zur Rechenschaft zu ziehen (USDOS 11.3.2020).

Auf der anderen Seite beklagen Menschenrechtsorganisationen auch zahlreiche Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch Israel in Palästina. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem wurden vom 19.01.2009 bis zum 31.12.2019 im Westjordanland und im Gazastreifen 3.512 Palästinenser durch israelische Sicherheitskräfte getötet, darunter 794 Minderjährige. Bei der israelischen Militäroperation "Protective Edge" im Gazastreifen im Juli/August 2014 kamen nach UN-Angaben mindestens 1.473 Zivilisten ums Leben (GIZ 3.2020). Laut dem Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen wurden seit 1.1.2018 (bis Stand 22.4.2020) im Gazastreifen 374 Palästinenser getötet, 260 davon im Jahr 2018, 108 im Jahr 2019 und sechs bis April 2020. Mehr als 37.000 Palästinenser wurden im Gazastreifen seit 1.1.2018 verletzt, davon 25.177 im Jahr 2018, 11.898 im Jahr 2019 und 36 bis Ende April 2020 (OCHA o.D.). Israels Blockade des Gazastreifens, die den Personen- und Warenverkehr in und aus dem Gebiet einschränkt, hat weiterhin verheerende Auswirkungen auf die Menschenrechte der in Gaza lebenden Palästinenser. Amnesty International spricht von einer „kollektiven Bestrafung“, die die humanitäre Krise noch weiter verschärft (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Die Religionsfreiheit ist eingeschränkt. Das Grundgesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) erklärt den Islam zur offiziellen Religion Palästinas und besagt, dass "Respekt und Heiligkeit aller anderen himmlischen Religionen (Judentum, Christentum) gewahrt werden sollen". Blasphemie ist ein kriminelles Vergehen. Die Hamas-Behörden setzen konservative sunnitische islamische Praktiken durch und versuchen, politische Kontrolle über Moscheen auszuüben. Sie erzwingen jedoch keine Gebete in Schulen und zwingen Frauen nicht dazu Hidschab zu tragen, wie es in den ersten Jahren der Kontrolle durch die Hamas üblich war (FH 4.2.2019).

Quellen:

[…]

Meinungs- und Pressefreiheit

Auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit 2019 von Reporter ohne Grenzen belegt Palästina den 137. Platz von insgesamt 180. Freedom House stufte den Status der Medien- und Presse-freiheit 2019 im Gazastreifen auf einer Skala von 0 (extrem schlecht) bis 4 (extrem gut) mit 0 ein (GIZ 3.2020a; vgl. RoG 2019, FH 4.2.2019). Die von der Fatah geführte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland und die Hamas-Behörden im Gazastreifen verhaften und foltern routinemäßig friedliche Kritiker und Gegner. Da sich der Konflikt zwischen der PA und der Hamas verschärft hat, haben beide Parteien die Unterstützer der jeweils anderen ins Visier genommen, festgenommen und misshandelt (HRW 10.2018; vgl. GIZ 3.2020a). Im ersten Halbjahr 2019 dokumentierte das Palestinian Center for Development and Media Freedoms 330 Verletzungen der Medienfreiheit in Palästina (Gazastreifen und Westjordanland) (GIZ 3.2020a).

In Gaza schränkt die Hamas die Pressefreiheit durch Verhaftungen und Verhöre von (kritischen) Journalisten ein. Es gibt außerdem Schikanen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sowie Zutrittsbeschränkungen (beispielsweise zu öffentlichen Gebäuden) einiger Journalisten. Diese Einschränkungen führen dazu, dass viele Journalisten Selbstzensur betreiben. Medienschaffende, die beschuldigt werden, die Hamas öffentlich zu kritisieren, darunter Aktivisten der Zivil-gesellschaft, Jugendliche, Social Media-Aktivisten und Journalisten, sehen sich mit Strafmaß-nahmen konfrontiert, darunter Razzien in ihren Büros oder Wohnhäusern, willkürliche Verhaftungen und die Verweigerung der Ausreise aus dem Gazastreifen (USDOS 11.3.2020).

Seit 2014 sind Zeitungen aus dem Westjordanland erlaubt und eine Reihe von politischen Fraktionen haben ihre eigenen Medienkanäle. Die Medien sind in Gaza nicht frei (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Zivilgesellschaftliche Organisationen in Gaza berichten, dass die Hamas Fernsehprogramme und schriftliches Material wie Zeitungen und Bücher zensiert (USDOS 11.3.2020). Die Behörden überwachen auch die sozialen Medien auf kritische Inhalte. Journalisten und Blogger im Gazastreifen sind weiterhin mit Repressionen konfrontiert, die in der Regel durch den inneren Sicherheitsapparat der Hamas ausgeübt werden (FH 4.2.2019).

Die Einschüchterung durch Hamas-Kämpfer und andere bewaffnete Gruppen wirkt sich auf die Freiheit des privaten Diskurses im Gazastreifen aus (FH 4.2.2019). Die Hamas überwacht private Kommunikationssysteme, darunter Telefon, Email und die Sozialen Medien. In Gaza ansässige palästinensische zivilgesellschaftliche Organisationen und Personen, die mit den Sozialen Medien beruflich zu tun haben, geben an, dass die Hamas de facto die Internetaktivitäten der Bewohner des Gazastreifens überwacht, und sie einschüchtert oder schikaniert (USDOS 11.3.2020). Zwischen Jänner 2018 und März 2019 wurden 66 Personen von den Hamas-Behörden wegen ihrer Beiträge in Sozialen Medien festgenommen oder weil sie „die revolutionäre Einheit“ verletzt oder “Technologie missbraucht“ hätten (HRW 14.1.2020).

Quellen:

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Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Immer wieder missachten palästinensische Sicherheitskräfte das Recht auf freie Meinungs-äußerung und Versammlungsfreiheit (GIZ 3.2020a). Sowohl die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) als auch die Sicherheitskräfte der Hamas haben im Laufe des Jahres 2019 friedliche Proteste und Demonstrationen im Westjordanland und im Gazastreifen selektiv eingeschränkt oder aufgelöst (USDOS 11.3.2020). Die Hamas löste nicht genehmigte Versammlungen gewaltsam auf (FH 4.2.2019). Unter der Regierung der Hamas muss für jede öffentliche Versammlung oder Feier im Gazastreifen im Vorhinein eine Genehmigung eingeholt werden, was dem Grundgesetz der PA widerspricht, die öffentliche Versammlungen, Treffen oder Umzüge im gesetzlichen Rahmen erlaubt. Die Hamas versucht, Kritik an ihrer Politik zu verhindern, indem sie willkürlich die Genehmigung von Treffen zu politischen oder sozialen Themen einfordert. Sie nutzt willkürliche Verhaftung, um Veranstaltungen zu verhindern, insbesondere den Protest „Bidna Na'eesh“ (Wir wollen leben) und politische Veranstaltungen, die mit der Fatah in Verbindung stehen (USDOS 11.3.2020). Demgegenüber unterstützte die Hamas jedoch die – teils gewaltsamen - sogenannten „Great March of Return“-Proteste, die im März 2018 als wöchentliche Demonstration begannen und bei denen es um die Forderung geht, dass die palästinensischen Flüchtlinge wieder in das heutige Israel zurückkehren können (FH 4.2.2019). Laut dem Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen wurden im Jahr 2019 im Gazastreifen insgesamt 108 Palästinenser getötet, davon 34 im Kontext von Demonstrationen (OCHA o.D.; vgl. AI 18.2.2020)

In Gaza werden friedliche Kritiker und Gegner von den Behörden der Hamas willkürlich verhaftet. Allein während Protesten im März 2019 wurden mehr als 1.000 Demonstranten verhaftet. Die Proteste waren Teil der „Bidna Na'eesh“-Bewegung, die sich gegen die gestiegenen Lebenserhaltungskosten und Steuererhöhungen durch die Hamas - vor dem Hintergrund der israelischen Blockade - richteten. Unter den Festgenommenen waren auch Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (HRW 29.5.2019). Die Sicherheitskräfte gingen auch mit Gewalt gegen die Demonstranten vor [Anm.: zu den Protesten seit März 2018 siehe auch Abschnitt 3. Sicherheitslage] (HRW 20.3.2019; vgl. GIZ 3.2020a). Es gibt auch Berichte über Folter von inhaftierten Oppositionellen oder anderen Kritikern durch die Hamas (HRW 14.1.2020). Die Hamas versucht auch, verschiedene Organisationen an ihrer Arbeit zu hindern. Dazu gehörten einige, denen sie vorwarf, zur Fatah zu gehören, sowie Privatunternehmen und NGOs, die nach Ansicht der Hamas gegen ihre Interpretation der islamischen Gesellschaftsnormen verstoßen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

[…]

Haftbedingungen

[…]

Todesstrafe

[…]

Bewegungsfreiheit

Die Behörden der Hamas haben im Gazastreifen allem Anschein nach keine routinemäßigen Einschränkungen der internen Bewegungsfreiheit im

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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