Entscheidungsdatum
16.03.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I406 2239434-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Algerien, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.01.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 21.12.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am nächsten Tag folgendermaßen begründete: „Ich arbeitete bei der Polizei bei einem Kontrollpunkt von Marokko zu Algerien. Dort ist die Drogenmafia sehr aktiv. 2015 sind vier meiner Arbeitskollegen bei einem Überfall/Hinterhalt durch die Mafia getötet worden. Ich war in dem hinteren Fahrzeug des Konvois, habe alles gesehen und seitdem habe ich einen Schock. Ich bin in Algier in eine Polizeikontrolle geraten, ich war alkoholisiert, der Kollege hat mich schlecht behandelt, wir haben gestritten. Dieser Kollege hat das gemeldet und ich musste vor Gericht. Aufgrund dessen habe ich ein Visum für die Türkei beantragt und habe mein Land verlassen.“ Bei einer Rückkehr habe er Angst um seine Freiheit, er müsse wahrscheinlich ins Gefängnis.
2. Am 22.12.2020 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde, BFA) statt. Dabei führte er im Wesentlichen aus, dass in seiner Heimat gegen ihn ein Haftbefehl bestehe. Er habe in Algerien bei der Polizei als Grenzschützer gearbeitet. Im Zuge eines Überfalls der marokkanischen Mafia seien vier seiner Arbeitskollegen getötet worden, er habe den Vorfall von einem zweiten Auto aus gesehen. Danach sei er mit seinem Auto unterwegs gewesen und habe während der Fahrt ein Bier getrunken. Er sei deswegen von der Polizei angehalten und angezeigt worden. Danach habe er zu seinem Vorgesetzten gesagt, dass er deswegen Bier getrunken habe, weil vier Freunde von ihm gestorben seien und er unter Schock stehe. Er habe seinem Vorgesetzten unterstellt, mit der Mafia zusammenzuarbeiten und gesagt, dass er seine Arbeit verlassen und von seinem Posten zurücktreten werde. Sein Vorgesetzter habe ihm ein Austrittsformular gegeben und ihm gesagt, er müsse aufgrund seiner Aussage zum Militärgericht gehen. Er habe gewusst, was ihn erwarten würde, und sei deshalb geflohen. Im Falle einer Rückkehr würde er ins Gefängnis gebracht, in seiner Heimat erwarte ihn der Tod.
3. Am 29.12.2020 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch das BFA statt, im Zuge derer ihm die Gelegenheit eingeräumt wurde, zu den Länderinformationen der Staatendokumentation zu Algerien Stellung zu nehmen. Er erhielt seine bisherigen Angaben aufrecht und fügte hinzu, in Algerien wegen des Lenkens eines Fahrzeuges unter Alkoholeinfluss in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt worden zu sein. In einem zweiten Verfahren sei er in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt worden, weil man ihm vorwerfe, die staatlichen Kräfte beleidigt und bedroht zu haben. Das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen. Er werde erst im Falle einer Rückkehr nach Algerien Beschwerde erheben. Sobald er nach Algerien zurückkehre, werde er eingesperrt und vom Militärgericht befragt. Der Beschwerdeführer legte Fotos von seiner Person und von verschiedenen Dokumenten (Haftbestätigung, Dienstausweis, Austrittsbestätigung, Polizeibericht, Dienstauftrag, Urteil, Haftstrafe) vor und behauptete, dass sich die Originale bei seinem Vater befinden würden. Er wurde aufgefordert, sich die Dokumente schicken zu lassen und dem BFA vorzulegen, kam dieser Aufforderung jedoch nicht nach.
4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 23.01.2021, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde weiters festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde ihm nicht gewährt (Spruchpunkt VI.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).
Weiters traf die belangte Behörde die folgenden Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:
1. Politische Lage
Letzte Änderung am 26.6.2020
Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik (AA 20.6.2019). Algerien, das größte Land Afrikas, gilt als wichtiger Stabilitätsanker in der Region (KAS 27.2.2019). Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt, seine Amtszeit ist seit der letzten Verfassungsreform im Jahr 2016 auf zwei Mandate begrenzt. Neben der nach Verhältniswahlrecht (mit Fünfprozent-Klausel) gewählten Nationalen Volksversammlung (Assemblée Populaire Nationale) besteht eine zweite Kammer (Conseil de la Nation oder Sénat), deren Mitglieder zu einem Drittel vom Präsidenten bestimmt und zu zwei Dritteln von den Gemeindevertretern gewählt werden (AA 20.6.2019). Die Gewaltenteilung ist durch die algerische Verfassung von 1996 gewährleistet, jedoch initiiert oder hinterfragt das Parlament seither selten Gesetzesvorschläge der Regierung und die Macht hat sich innerhalb der Exekutive zunehmend gefestigt. Präsident Bouteflika regierte weitgehend durch Präsidialdekret (BS 29.4.2020). Der Senatspräsident vertritt den Staatspräsidenten (AA 20.6.2019).
Im Februar 2019 entstand in Algerien eine Massenbewegung, welche sich mit dem arabischen Wort für Bewegung „Hirak“ beschreibt. Die algerischen Proteste begannen, nachdem der damals amtierende Präsident Abdelaziz Bouteflika seine fünfte Kandidatur für die Präsidentschaftswahl ankündigte. Zunächst forderten die Demonstrierenden den Rücktritt des Präsidenten, welcher dieser Forderung schließlich nachkam. Die Proteste endeten jedoch nicht mit dem Rücktritt Bouteflikas, bis Ende März 2020 wurde jeden Freitag auf den Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo demonstriert und die Veränderung des gesamten politischen Systems gefordert (IPB 12.6.2020; vgl. RLS 7.4.2020, HRW 14.1.2020, AA 17.4.2019, BAMF 18.2.2019). Die Proteste ungemindert weiter (RLS 7.4.2020 vgl. Standard 18.2.2020, Standard 12.12.2019, Guardian 13.12.2019) und verliefen meist friedlich (IPB 12.6.2020; vgl. BAMF 25.2.2019 Standard 13.12.2019, DF 9.12.2019), dennoch setzte die Polizei Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke ein, um die Menge zu zerstreuen (BAMF 25.2.2019; vgl. TB 22.2.2019, AI 18.2.2020). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden die Hirak-Märsche ab Ende März 2020 ausgesetzt, der Aktivismus wurde ins Internet verlagert (IPB 12.6.2020; vgl. ARI 7.4.2020, RLS 7.4.2020).
Während die Staatsführung mit behutsamen Konzessionen und vom Hirak misstrauisch beäugten Reformversprechen versuchte, die Bewegung auszubremsen, geht der Sicherheitsapparat weiter mit Repressalien gegen Demonstranten und Oppositionelle vor (Standard 18.2.2020; vgl. AI 18.2.2020, IPB 12.6.2020). Fast 1.400 Hirak-Aktivisten müssen sich mittlerweile vor Gericht verantworten, mehrere hundert sitzen schon hinter Gittern (Standard 18.2.2020; vgl. AI 18.2.2020). Der konsequent friedlich agierende Hirak war führungslos und nur partiell strukturiert. Das Regime verfolgte die Strategie des Aussitzens (Standard 18.2.2020). Versuche der Regierung, Teile der Bewegung zu kooptieren oder untereinander aufzuspalten (IPB 12.6.2020), oder die friedlichen Proteste in offene Gewalt umschlagen zu lassen, waren nicht erfolgreich (Standard 13.12.2019).
Eine neue Präsidentschaftswahl wurde für den 4.7.2019 angesetzt und wegen der Proteste verschoben (HRW 14.1.2020; vgl. FAZ 12.12.2019). Schließlich wurde am 12.12.2019 Abdelmadjid Tebboune mit 58,15% der Stimmen zum neuen Präsidenten der Republik gewählt (TSA 13.12.2019; vgl. DF 14.12.2019, Spiegel 13.12.2019, BBC 13.12.2019). Von den fünf zugelassenen Kandidaten waren drei in früheren Regierungen unter dem ehemaligen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika vertreten (Spiegel 13.12.2019; vgl. DF 14.12.2019, ARTE 14.12.2019). Auch der Wahlsieger Tebboune war unter Bouteflika mehrfach Minister und im Jahr 2017 drei Monate lang Ministerpräsident (DF 14.12.2019; vgl. ARTE 14.12.2019).
Etwa 24 Millionen Menschen waren wahlberechtigt (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019). Viele Menschen boykottierten den Urnengang, weil die zugelassenen Kandidaten in ihren Augen Marionetten des alten Bouteflika-Regimes waren (ARTE 14.12.2019; vgl. Guardian 13.12.2019). Mehrere Oppositionsparteien wollten einen gemeinsamen Gegenkandidaten aufstellen - konnten sich allerdings nicht einigen (TB 22.2.2019; vgl. TS 26.3.2019). Die Wahlbeteiligung lag bei ca. 40 Prozent (TSA 13.12.2019; vgl. BBC 13.12.2019, ARTE 14.12.2019, Guardian 13.12.2019). Das ist die niedrigste Wahlbeteiligung, die je bei einer Präsidentschaftswahl in Algerien verzeichnet wurde (Guardian 13.12.2019). Die Wahlbehörde zeigte sich mit dem Verlauf des Wahltages zunächst zufrieden; in 95 Prozent der Wahllokale sei der Betrieb reibungslos angelaufen (FAZ 12.12.2019). Es waren keine ausländischen Wahlbeobachtermissionen zugelassen (Reuters 12.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019).
Der Wahltag selbst wurde durch Proteste und Aufrufe zum Boykott der Wahlen beeinträchtigt (BBC 13.12.2019; vgl. ARTE 14.12.2019, Guardian 13.12.2019). Lokale Medien berichteten von zahlreichen Zwischenfällen. In der Hauptstadt Algier waren Tausende Menschen auf den Straßen, um gegen die Wahl zu protestieren (FAZ 12.12.2019; vgl. Spiegel 13.12.2019). Zentrum des Widerstandes gegen die Abstimmung war die Berberregion Kabylei im Osten des Landes (Standard 13.12.2019), wo es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Wahllokale wurden mit Backsteinen und Zement verschlossen, Wahlunterlagen in Brand gesetzt. Laut Medienberichten griffen die Sicherheitskräfte hart durch. Die Polizei setzte Tränengas ein. Vertreter der sogenannten Hirak-Protestbewegung beklagten Hunderte verhaftete und verletzte Menschen (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019; BBC 13.12.2019).
In Tizi Ouzou und Bejaia sind die Wahlbüros aus Sicherheitsgründen geschlossen worden (FAZ 12.12.2019; vgl. Spiegel 13.12.2019, TSA 13.12.2019). Der Wahlvorgang wurde auch in Boumerdès, Bouira, Bordj Bou Arreridj, Sétif und Jijel unterbrochen (TSA 13.12.2019). In Bouira hatten Demonstranten das Büro der Wahlkommission in Brand gesetzt (Spiegel 13.12.2019). In Béjaïa wurde ein Wahllokal überfallen und die Urnen zerstört (Reuters 12.12.2019; vgl. Standard 13.12.2019). Die Staatsführung um Armeechef Gaïd Salah sah die Wahlen als Mittel, die politische Krise zu beenden und die Legitimität der politischen Führung zu erneuern (Standard 12.12.2019; vgl. Reuters 12.12.2019, Guardian 13.12.2019).
Viele Demonstranten kündigten an, die offiziellen Ergebnisse nicht anzuerkennen (Reuters 12.12.2019). Der Wahlsieg von Tebboune löste erneut Massenproteste aus (ARTE 14.12.2019; vgl. BBC 13.12.2019). Der neue Präsident ist bei den vielen Demonstranten genauso verhasst wie seine vier Kontrahenten bei der Präsidentschaftswahl. Die Protestbewegung will weitermachen, bis das Regime aus Vertrauten des ehemaligen Machthabers Bouteflika tatsächlich fällt (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019).
Quellen:
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- AI - Amnesty International (18.2.2020): Algeria 2019, https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/algeria/report-algeria/, Zugriff 26.2.2020
- ARI - Arab Reform Initiative (7.4.2020): The Future of the Algerian Hirak Following the COVID-19 Pandemic, https://www.arab-reform.net/publication/the-future-of-the-algerian-hirak-following-the-covid-19-pandemic/, Zugriff 27.4.2020
- ARTE - Association Relative à la Télévision Européenne (14.12.2019): Algerien: Massenproteste gegen neuen Präsidenten, https://www.arte.tv/de/videos/094394-000-A/algerien-massenproteste-gegen-neuen-praesidenten/, Zugriff 16.12.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (18.2.2019): Briefing Notes 18 Februar 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003659/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_18.02.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 4.6.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (25.2.2019): Briefing Notes 25 Februar 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003661/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_25.02.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 4.6.2019
- BBC - British Broadcasting Corporation (13.12.2019): Algeria election: Fresh protests as Tebboune replaces Bouteflika, https://www.bbc.com/news/world-africa-50782676, Zugriff 16.12.2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020
- DF - Deutschlandfunk (14.12.2019): Demonstranten halten die Wahlen für manipuliert, https://www.deutschlandfunk.de/protestfreitag-in-algerien-demonstranten-halten-die-wahlen.799.de.html?dram:article_id=465858, Zugriff 16.12.2019
- DF -Deutschlandfunk Kultur (9.12.2019): Das algerische Volk verdient den Friedensnobelpreis, https://www.deutschlandfunkkultur.de/gewaltfreie-massenproteste-das-algerische-volk-verdient-den.1005.de.html?dram:article_id=465199, Zugriff 16.12.2019
- FAZ - Frankfurter Allgemeine (12.12.2019): Massenproteste und Sturm auf Wahlbüros, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wahl-in-algerien-massenproteste-und-sturm-auf-wahlbueros-16532460.html, Zugriff 16.12.2019
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- HP - le HuffPost (13.12.2019): Tebboune élu en Algérie, une marée humaine dans les rues d'Alger, https://www.huffingtonpost.fr/entry/alger-une-maree-humaine-contre-le-resultat-de-la-presidentielle_fr_5df39943e4b04bcba183cf12, Zugriff 16.12.2019
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Algeria, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/algeria, Zugriff 15.1.2020
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- Spiegel Online, der (13.12.2019): Algerien wählt früheren Regierungschef Tebboune zum Präsidenten, https://www.spiegel.de/politik/ausland/algerien-waehlt-frueheren-regierungschef-zum-praesidenten-abdelmadjid-tebboune-a-1301180.html, Zugriff 16.12.2019
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- Standard, der (13.12.2019): Algerische Proteste gegen eine Wahl als Farce, https://www.derstandard.at/story/2000112265488/algerische-proteste-gegen-eine-wahl-als-farce, Zugriff 16.12.2019
- Standard, der (18.2.2020): Zuckerbrot und Peitsche für Algeriens Protestbewegung, https://www.derstandard.at/story/2000114681764/zuckerbrot-und-peitsche-fuer-algeriens-protestbewegung, Zugriff 26.2.2020
- TB - Tagesblatt (22.2.2019): Tausende protestieren in Algerien: Polizei löst Demonstration auf, https://www.tagblatt.ch/newsticker/international/tausende-protestieren-in-algerien-polizei-lost-demonstration-auf-ld.1096496, Zugriff 28.2.2019
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- ZO - Zeit Online (11.4.2019): Algerien: Präsidentschaftswahl soll im Juli stattfinden, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/algerien-wahl-praesident-abdelaziz-bouteflika-proteste, Zugriff 28.5.2019
2. Sicherheitslage
Letzte Änderung am 26.6.2020
Demonstrationen fanden von Mitte Februar 2019 bis Ende März 2020 fast täglich in allen größeren Städten statt. Auch wenn diese weitgehend friedlich verliefen, konnten vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (AA 5.5.2020; vgl. Standard 12.12.2019, Guardian 13.12.2019, IPB 12.6.2020). Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt. Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB 11.2019; vgl. BS 29.4.2020). Es gibt nach wie vor bewaffnete Splittergruppen, und es herrscht nach wie vor eine Sicherheitswarnung, insbesondere für die Süd- und Ostgrenze, für den Süden und die Berberregionen des Landes. Seit 2014 hat es keine Entführungen mehr gegeben (BS 29.4.2020; vgl. BMEIA 8.5.2020, AA 5.5.2020), In den vergangenen zwei Jahren gab es keine größeren terroristischen Vorfälle (BS 29.4.2020).
Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden; Terroristen wurden Großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben oft das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten, z.B. Mali, führte. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara (so z.B. angeblich Iyad ag Ghali) vorhanden. Gruppen, wie die groupe salafiste pour la prédication et le combat (GSPC), die den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht anerkannte, sich in die Saharagebiete zurückzog und 2005 mit Al Qaida zur AQIM verband, sind auf kleine Reste reduziert und in Algerien praktisch handlungsunfähig. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die Mouvement d’unité pour je jihad en Afrique occidentale (MUJAO). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in Amenas/Tigentourine im Jänner 2013 zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des „Islamischen Staates“ (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 11.2019).
Der interkommunale Konflikt in der Region Ghardaia mit gewalttätigen Zusammenstößen zwischen 2013 und 2015 wurde durch eine starke Militärpräsenz unter Kontrolle gebracht. Islamistische Extremisten, die eine echte Bedrohung für die staatliche Identität darstellen, sind nach wie vor eine sehr kleine Minderheit. Sie werden von der Bevölkerung kaum oder gar nicht unterstützt (BS 29.4.2020).
Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich inzwischen weiter verbessert, die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien, Libyen und zu Mali. Es kommt mehrmals wöchentlich zu Razzien und Aktionen gegen Terroristen oder deren Unterstützer (ÖB 11.2019).
Nach Angaben der offiziellen Armeepublikation „El Djeich“ (andere Quellen sind nicht öffentlich zugänglich) wurden 2018 32 Terroristen getötet, 25 festgenommen, 132 ergaben sich, weiters wurden 170 „Terrorismusunterstützer“ festgenommen (MDN 1.2019; vgl. ÖB 12.2019). Dieselbe Quelle gibt für das Jahr 2019 an, dass 15 Terroristen getötet und 25 festgenommen wurden, 44 ergaben sich; weiters wurden 245 „Terrorismusunterstützer“ festgenommen (MDN 1.2020). Wie in den Vorjahren kam es auch 2019 zu bewaffneten Vorfällen zwischen Sicherheitskräften und Terroristen, bei denen inoffiziellen Angaben zufolge auch aufseiten der Armee Tote verzeichnet wurden, was jedoch nicht öffentlich gemacht wird (ÖB 11.2019).
Spezifische regionale Risiken
Von Terroranschlägen und Entführungen besonders betroffen ist die algerische Sahararegion, aber auch der Norden und Nordosten des Landes (v.a. Kabylei). Die Gefahr durch den Terrorismus, der sich in erster Linie gegen die staatlichen Sicherheitskräfte richtet, besteht fort (AA 5.5.2020). 2017 gab es (mindestens) vier Anschläge mit eindeutig islamistischem Hintergrund, und zwar in Blida, Constantine, Oued Djemaa (Wilaya Blida), Ferkane (Wilaya Tebessa) und Tiaret (ÖB 11.2019).
Vor Reisen in die Grenzgebiete zu Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Marokko sowie in die sonstigen Saharagebiete, in ländliche Gebiete, Bergregionen (insbesondere Kabylei) und Gebirgsausläufer (Nord-Westen von Algier und Wilaya de Batna) wird gewarnt (BMEIA 8.5.2020; vgl. AA 5.5.2020, FD 20.5.2020). Ausgenommen davon sind nur die Städte Algier, Annaba, Constantine, Tlemcen und Oran (BMEIA 8.5.2020). Im Rest des Landes besteht weiterhin hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 8.5.2020). Praktisch nicht mehr existent sind die früher häufigen Entführungen, besonders in der Region Kabylei von wohlhabenden Einheimischen mit kriminellem Hintergrund (Lösegeldforderung). In den südlichen Grenzregionen zu Niger und Mali und jenseits der Grenzen gehen terroristische Aktivitäten, Schmuggel und Drogenhandel ineinander über. Es wird angenommen, dass AQIM in Nordmali, aber auch andernorts vereinzelt mit der lokalen Bevölkerung für Schmuggel aller Art zusammenarbeitet (ÖB 11.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.5.2020): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/algeriensicherheit/219044, Zugriff 17.6.2020
- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.5.2020): Reiseinformationen Algerien, Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/algerien/, Zugriff 17.6.2020
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020
- FD - France Diplomatie (20.5.2020): Conseils aux Voyageurs - Algérie - Sécurité, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/algerie/, Zugriff 17.6.2020
- Guardian, the (13.12.2019): Thousands march in Algeria after controversial election result, https://www.theguardian.com/world/2019/dec/13/algeria-braced-for-protests-as-former-pm-wins-presidential-election, Zugriff 16.12.2019
- IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak – Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/, Zugriff 17.6.2020
- MDN - Ministère de la Défense Nationale – Algérie (1.2019): Bilan opérationnel 2018 - Résultats probants dans la lutte antiterroriste, in: El Djeich N°666 (Janvier 2019) S 19-20, https://www.mdn.dz/site_principal/sommaire/revue/images/EldjeichJan2019Fr.pdf, Zugriff 16.1.2020
- MDN - Ministère de la Défense Nationale – Algérie (1.2020): Lutte contre le terrorisme et le crime organisé - Bilan opérationnel 2019, in: El Djeich N°678 (Janvier 2020) S 75, https://www.mdn.dz/site_principal/sommaire/revue/images/EldjeichJan2020Fr.pdf, Zugriff 16.1.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien
- Standard, der (12.12.2019): Umstrittene Präsidentenwahl in Algerien, https://www.derstandard.at/story/2000112165637/umstrittener-urnengang-in-algerien?ref=article, Zugriff 16.12.2019
3. Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung am 26.6.2020
Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, beschränkt die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020). Der Präsident hat den Vorsitz im Obersten Justizrat, der für die Ernennung aller Richter sowie Staatsanwälte zuständig ist (USDOS 11.3.2020). Der Oberste Justizrat ist für die richterliche Disziplin und die Ernennung und Entlassung aller Richter zuständig (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020). Die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern wird in der Praxis nicht gänzlich gewährleistet (BS 29.4.2020; vgl. USDOS 11.3.2020), sie ist häufig äußerer Einflussnahme und Korruption ausgesetzt (USDOS 11.3.2020). Die Justizreform wird zudem nur äußerst schleppend umgesetzt. Algerische Richter sehen sich häufig einer außerordentlich hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt, was insbesondere in Revisions- und Berufungsphasen zu überlangen Verfahren führt (AA 25.6.2019). Praktische Entscheidungen über richterliche Kompetenzen werden vom Obersten Justizrat getroffen (BS 29.4.2020). Die Richter werden für eine Dauer von zehn Jahren ernannt und können u.a. im Fall von Rechtsbeugung abgelöst werden (AA 25.6.2019). Im Straf- und Zivilrecht entscheiden Justizministerium und der Präsident der Republik mittels weisungsabhängiger Beratungsgremien über das Fortkommen von Richtern und Staatsanwälten. Das Rechtswesen kann so unter Druck gesetzt werden, besonders in Fällen, in denen politische Entscheidungsträger betroffen sind. Es ist der Exekutive de facto nachgeordnet. Im Handelsrecht führt die Abhängigkeit von der Politik zur inkohärenten Anwendung der Anti-Korruptionsgesetzgebung, da auch hier die Justiz unter Druck gesetzt werden kann (GIZ 12.2016a).
Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Dies betrifft bisher insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit, die durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt werden. Rechtsquellen sind dabei sowohl das algerische Strafgesetzbuch als auch eine spezielle Anti-Terrorverordnung aus dem Jahre 1992. Für die Diffamierung staatlicher Organe und Institutionen durch Presseorgane bzw. Journalisten werden in der Regel Geldstrafen verhängt (AA 25.6.2019; vgl. GIZ 12.2016a).
Die Verfassung gewährleistet das Recht auf einen fairen Prozess (USDOS 11.3.2020), aber in der Praxis respektieren die Behörden nicht immer die rechtlichen Bestimmungen, welche die Rechte des Angeklagten wahren sollen (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 4.4.2018). Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung und sie haben das Recht auf einen Verteidiger, dieser wird, falls nötig, auf Staatskosten zur Verfügung gestellt. Die meisten Verhandlungen sind öffentlich. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Die Aussage von Frauen und Männern wiegt vor dem Gesetz gleich (USDOS 11.3.2020). Den Bürgerinnen und Bürgern fehlt nach wie vor das Vertrauen in die Justiz (AA 25.6.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/, Zugriff 29.5.2019
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
4. Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung am 18.3.2020
Die staatlichen Sicherheitskräfte lassen sich unterteilen in nationale Polizei, Gendarmerie, Armee und Zoll (GIZ 12.2016a). Die dem Innenministerium unterstehende nationale Polizei DGSN wurde in den 90er Jahren von ihrem damaligen Präsidenten, Ali Tounsi, stark ausgebaut und personell erweitert, und zwar von 100.000 auf 200.000 Personen, darunter zahlreiche Frauen (GIZ 12.2016a). Ihre Aufgaben liegen in der Gewährleistung der örtlichen Sicherheit (GIZ 12.2016a; vgl. USDOS 11.3.2020). Der Gendarmerie Nationale gehören ca. 130.000 Personen an, die die Sicherheit auf überregionaler (außerstädtischer) Ebene gewährleisten sollen (USDOS 11.3.2020). Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (GIZ 12.2016a).
Die Gendarmerie Locale wurde in den 90er Jahre als eine Art Bürgerwehr eingerichtet, um den Kampf gegen den Terrorismus in den ländlichen Gebieten lokal zielgerichteter führen zu können. Sie umfasst etwa 60.000 Personen. Die Armee ANP (Armée Nationale Populaire) hat seit der Unabhängigkeit eine dominante Stellung inne und besetzt in Staat und Gesellschaft Schlüsselpositionen. Sie zählt allein an Bodentruppen ca. 120.000 Personen und wurde und wird im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt. Die Armee verfügt über besondere Ressourcen, wie hochqualifizierte Militärkrankenhäuser und soziale Einrichtungen. Die Zollbehörden nehmen in einem außenhandelsorientierten Land wie Algerien eine wichtige Funktion wahr. Da in Algerien gewaltige Import- und Exportvolumina umgesetzt werden, ist die Anfälligkeit für Korruption hoch (GIZ 12.2016a).
Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 11.3.2020). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB 11.2019). Das Strafgesetz enthält Bestimmungen zur Untersuchung von Missbrauch und Korruption und die Regierung veröffentlicht Informationen bzgl. disziplinärer oder rechtlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/, Zugriff 29.5.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
5. Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung am 18.3.2020
Die Verfassung verbietet Folter und unmenschliche Behandlung (AA 25.6.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, ÖB 11.2019). Unmenschliche oder erniedrigende Strafen werden gesetzlich nicht angedroht. Das traditionelle islamische Strafrecht (Scharia) wird in Algerien nicht angewendet (AA 25.6.2019). Menschenrechtsorganisationen haben seit 2015 nicht mehr über Fälle berichtet, in denen Übergriffe gegen Personen in Gewahrsam bis hin zu Folter durch die Sicherheitsdienste beklagt werden (AA 25.6.2019). Menschenrechtsaktivisten berichten, dass die Polizei gelegentlich exzessive Gewalt gegen Verdächtige, einschließlich Protestierende, anwendet (USDOS 11.3.2020).
Das Strafmaß für Folter liegt zwischen 10 und 20 Jahren. Im Jahr 2019 hat das Justizministerium keine Zahlen zur Strafverfolgung gegen Beamte veröffentlicht. Menschenrechtsaktivisten gaben an, dass die Polizei manchmal übermäßige Gewalt gegen Verdächtige einschließlich Demonstranten anwendet (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
6. Korruption
Letzte Änderung am 26.6.2020
Gesetzlich sind zwar bis zu zehn Jahre Haft für behördliche Korruption vorgesehen, jedoch wird das Gesetz von der Regierung nicht effektiv durchgesetzt. Korruption bleibt ein Problem. Manchmal üben Beamte straflos korrupte Praktiken aus (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020). Das dem Justizministerium unterstellte Zentralbüro zur Bekämpfung der Korruption ist das hauptverantwortliche Regierungsorgan (GIZ 12.2016a). Korruption in der Regierung beruht hauptsächlich auf mangelnden transparenten Strukturen (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020). Auf dem Corruption Perceptions Index für 2019 liegt Algerien auf Platz 106 von 180 untersuchten Staaten (TI 23.1.2020).
Im Laufe des Jahres 2019 wurden Geschäftsleute und Spitzenpolitiker mit Verbindungen zum Bouteflika-Clan angeklagt (DF 14.12.2019). Algerische Gerichte verhängten in der Woche der Präsidentschaftswahl am 12.12.2019 schwere Gefängnisstrafen in hochkarätigen Korruptionsprozessen gegen 14 ehemalige hohe Beamte (Guardian 13.12.2019; vgl. DF 14.12.2019, Standard 12.12.2019). Diese Urteile werden von den Demonstranten als eine hochrangige Säuberung in einem Kampf zwischen immer noch mächtigen Regimeinsidern gesehen (Guardian 13.12.2019; vgl. DF 14.12.2019), während die Staatsspitze mit den öffentlichkeitswirksamen Verurteilungen demonstrieren will, dass sie den Kampf gegen die weitverbreitete Korruption ernst meint (Standard 12.12.2019).
Quellen:
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020
- DF - Deutschlandfunk (14.12.2019): Demonstranten halten die Wahlen für manipuliert, https://www.deutschlandfunk.de/protestfreitag-in-algerien-demonstranten-halten-die-wahlen.799.de.html?dram:article_id=465858, Zugriff 16.12.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/, Zugriff 29.5.2019
- Guardian, the (13.12.2019): Thousands march in Algeria after controversial election result, https://www.theguardian.com/world/2019/dec/13/algeria-braced-for-protests-as-former-pm-wins-presidential-election, Zugriff 16.12.2019
- Standard, der (12.12.2019): Umstrittene Präsidentenwahl in Algerien, https://www.derstandard.at/story/2000112165637/umstrittener-urnengang-in-algerien?ref=article, Zugriff 16.12.2019
- TI - Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 2019 – Full Data Set, https://files.transparency.org/content/download/2450/14822/file/2019_CPI_FULLDATA.zip, Zugriff 11.2.2020
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
7. Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung am 26.6.2020
Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar (AA 25.6.2019). Algerien ist den wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Laut Verfassung werden die Grundrechte gewährleistet. Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen haben seit Ende der 1990er Jahre abgenommen, bestehen jedoch grundsätzlich fort (AA 17.4.2019). Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020, AI 18.2.2020) und die Unabhängigkeit der Justiz ist mangelhaft. Weitere bedeutende Menschenrechtsprobleme sind übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, inklusive Foltervorwürfe (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020), sowie die Einschränkung der Möglichkeit der Bürger, ihre Regierung zu wählen. Weitverbreitete Korruption begleitet Berichte über eingeschränkte Transparenz bei der Regierungsführung. Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 11.3.2020).
Obwohl die Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet, schränkt die Regierung diese Rechte ein (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020, BS 29.4.2020). NGOs kritisieren diese Einschränkungen. Bürger können die Regierung nicht ungehindert kritisieren. Es drohen Belästigungen und Verhaftungen; Bürger sind somit bei der Äußerung von Kritik zurückhaltend (USDOS 11.3.2020). Alle Medienanbieter, auch privat, stehen unter Beobachtung (USDOS 11.3.2020).
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden Demonstrationen regelmäßig nicht genehmigt bzw. in Algier komplett verboten (AA 25.6.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020). Ergebnis ist, dass die Möglichkeiten politischer Tätigkeit weiterhin eng begrenzt sind. Oppositionelle politische Aktivisten beklagen, aufgrund von Anti-Terrorismus-Gesetzen und solchen zur Begrenzung der Versammlungsfreiheit oder Vergehen gegen „Würde des Staates und die Staatssicherheit“ festgenommen zu werden (ÖB 11.2019). Oppositionelle Gruppierungen haben zudem oft Schwierigkeiten, Genehmigungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten (AA 25.6.2019).
Algerien erlebte ab Februar 2019 die größten und nachhaltigsten Anti-Regierungsdemonstrationen seit seiner Unabhängigkeit 1962. Jeden Freitag überfluten Algerier die Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo. Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste, zerstreuten die Behörden friedliche Demonstrationen, hielten willkürlich Protestierende fest, blockierten von politischen und Menschenrechtsgruppen organisierte Treffen und inhaftierten Kritiker (HRW 14.1.2020; vgl. AI 18.2.2020). Die Sicherheitskräfte haben verschärfte Kontrollen an den Zufahrtsstraßen nach Algier eingerichtet, um die Teilnehmerzahlen in der Hauptstadt zu senken (AA 25.6.2019). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden die regelmäßigen Demonstrationen ab Ende März 2020 ausgesetzt (ARI 7.4.2020; vgl. IPB 12.6.2020). Im Zusammenhang mit dem gesundheitspolitischen Notstande intensivierte die Regierung ihr Vorgehen gegen Opposition und freie Presse (RLS 7.4.2020) und ab 17.3.2020 wurden die Einschränkungen der Versammlungsfreiheit weiter verschärft (IPB 12.6.2020).
Das Gesetz garantiert der Regierung weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung und Einflussnahme auf die täglichen Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Innenministerium muss der Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen zustimmen, bevor diese gesetzlich zugelassen werden (USDOS 11.3.2020).
Das im Jahr 2012 verabschiedete Gesetz über Vereinigungen erleichterte auch die Gründung von politischen Parteien (BS 29.4.2020), wofür wie bei anderen Vereinigungen eine Genehmigung des Innenministeriums nötig ist. Politische Parteien auf Basis von Religion, Ethnie, Geschlecht, Sprache oder Region sind verboten. Es gibt jedoch islamistisch ausgerichtete Parteien, v.a. jene der Grünen Allianz (USDOS 11.3.2020). Seit Verabschiedung des Parteigesetzes 2012 nahm die Anzahl der Parteien deutlich zu. Dies führte jedoch auch zu einer Zersplitterung der Opposition (BS 29.4.2020). Oppositionsparteien können sich grundsätzlich ungehindert betätigen, soweit sie zugelassen sind, und haben Zugang zu privaten und – in sehr viel geringerem Umfang – staatlichen Medien. Jedoch haben einzelne Parteien kritisiert, dass ihnen teils die Ausrichtung von Versammlungen erschwert wird und sie Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt sind (AA 25.6.2019).
Die CNDH als staatliche Menschenrechtsorganisation (Ombudsstelle) hat eine konsultative und beratende Rolle für die Regierung. Sie veröffentlicht jährlich Berichte zur Menschenrechtslage im Land (USDOS 11.3.2020). Zahlreiche Einzelfälle zeigen, dass die Funktion einer echten Ombudsstelle gegenüber der Verwaltung fehlt (ÖB 11.2019).
Verschiedene nationale Menschenrechtsgruppen operieren und können ihre Ergebnisse publizieren. Sie sind jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Einschränkungen durch die Regierung ausgesetzt. Gesetzlich ist es allen zivilen Organisationen vorgeschrieben, sich bei der Regierung zu registrieren. Dennoch operieren einige Organisationen ohne Registrierung und werden seitens der Regierung toleriert (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- AA - Auswärtiges Amt (17.4.2019): Algerien - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160, Zugriff 31.5.2019
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Algeria 2019, https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/algeria/report-algeria/, Zugriff 26.2.2020
- ARI - Arab Reform Initiative (7.4.2020): The Future of the Algerian Hirak Following the COVID-19 Pandemic, https://www.arab-reform.net/publication/the-future-of-the-algerian-hirak-following-the-covid-19-pandemic/, Zugriff 27.4.2020
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Algeria, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/algeria, Zugriff 15.1.2020
- IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak - Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/, Zugriff 17.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.
- RLS - Rosa-Luxemburg-Stiftung (7.4.2020): Zwischen Pandemie-Bekämpfung und politischer Repression, https://www.rosalux.de/news/id/41937/zwischen-pandemie-bekaempfung-und-politischer-repression?cHash=d0f52147ae9940a356cf04f0af11b4a9, Zugriff 17.6.2020
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
8. Haftbedingungen
Letzte Änderung am 18.3.2020
Die Haftbedingungen entsprechen im Allgemeinen internationalen Standards. Es gibt Berichte von Überbelegungen in einigen Gefängnissen. Eine Ombudsmannstelle für Beschwerden gibt es nicht, jedoch können Insassen unzensierte Beschwerden an die Gefängnisverwaltung, Ärzte oder ihre Rechtsvertreter richten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) besucht Inhaftierte in verschiedenen Gefängnissen. Vulnerable Häftlinge werden getrennt inhaftiert; Zivilschutz erstreckt sich auf alle Gefangenen (USDOS 11.3.2020). Der IKRK-Delegierte hält engen Kontakt mit algerischen Ministerien und Behörden und beurteilte die Zusammenarbeit mit der Regierung als grundsätzlich positiv (AA 25.6.2019). Es werden für Gefängnispersonal Schulungen zu Menschenrechtsstandards durchgeführt (USDOS 11.3.2020).
Die Bemühungen der algerischen Strafvollzugsbehörden, die Haftbedingungen zu verbessern, konnten bei mehreren Kooperationsprojekten von ausländischen Experten konstatiert werden (EU-Twinning-Projekt mit Frankreich und Italien, laufende Zusammenarbeit mit deutscher IRZ). Laut EU-Experte seien von den 144 Strafanstalten 80 jünger als zehn Jahre, die medizinische Ausstattung sei allgemein gut. Defizite seien noch bei Resozialisierungsmaßnahmen bzw. der Betreuung nach Entlassung aus der Haft festzustellen (AA 25.6.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
9. Todesstrafe
Letzte Änderung am 18.3.2020
Die Todesstrafe ist für zahlreiche Delikte vorgesehen und wird auch verhängt, doch gibt es in der Praxis ein Moratorium und seit 1993 werden offiziell keine Exekutionen mehr durchgeführt (GIZ 12.2016a; vgl. AI 18.2.2020, AA 25.6.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Algeria 2019, https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/algeria/report-algeria/, Zugriff 26.2.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/, Zugriff 3.6.2019
10. Religionsfreiheit
Letzte Änderung am 26.6.2020
Die Bevölkerung besteht zu 99% aus sunnitischen Moslems und zu weniger als 1% aus Christen, Juden und anderen (CIA 3.3.2020). Verschiedene inoffizielle Schätzungen geben die Anzahl der Christen in Algerien zwischen 20.000 und 200.000 an. Durch den Zuzug von Studenten und Migranten aus Subsahara-Afrika ist die Anzahl der Christen in den letzten Jahren gestiegen. Mit dem Vatikan unterhält Algerien seit 1972 über einen Nuntius diplomatische Beziehungen (AA 25.6.2019).
Die Verfassung gewährleistet Glaubensfreiheit. Gesetzliche Bestimmungen gestatten allen Individuen die Freiheit, ihre Religion auszuüben, solange die öffentliche Ordnung und gesetzliche Bestimmungen gewahrt bleiben (USDOS 10.6.2020). Die Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 25.6.2019), verbietet aber Diskriminierung aus religiösen Gründen (AA 25.6.2019). Auch in der Praxis ist die Religionsfreiheit gut etabliert. Christen können ihren Glauben frei ausüben (BS 29.4.2020). Muslime, die zum Christentum konvertieren bzw. den Islam oder islamische Würdenträger kritisieren, sind gesellschaftlichen und rechtlichen Restriktionen ausgesetzt (BS 29.4.2020; vgl. USDOS 10.6.2020). Die kollektive Religionsausübung muslimischer wie nichtmuslimischer Religionen ist einem Genehmigungsvorbehalt unterworfen. Religiöse Gemeinschaften müssen sich als „Vereine algerischen Rechts“ beim Innenministerium akkreditieren lassen, Zulassungen bzw. Neubauten von Moscheen und Kirchen vorab durch eine staatliche Kommission genehmigt werden, und Veranstaltungen religiöser Gemeinschaften fünf Tage vor Veranstaltungsbeginn dem örtlichen Wali angezeigt werden. Diese dürfen nur in dafür vorgesehenen und genehmigungspflichtigen Räumlichkeiten stattfinden. Zuwiderhandlungen sind mit Strafe bedroht (AA 25.6.2019). Gemäß Verfassung sind politische Parteien auf Grundlage der Religion verboten (USDOS 11.3.2020, 10.6.2020). Missionierungstätigkeit (an Muslimen durch Nicht-Muslime) ist gesetzlich verboten und unter Strafe gestellt (Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 25.6.2019, BS 29.4.2020), sowie Geldstrafe) (USDOS 10.6.2020).
Laut Angaben von Ahmadi-Führern waren zu Jahresende 2019 286 Verfahren gegen Gemeindemitglieder beim Obersten Gerichtshof anhängig. Gründe beinhalteten etwa das Betreiben einer nicht autorisierten Religionsgemeinschaft, illegales Spendensammeln, Beten außerhalb eines autorisierten Gebetsplatzes. Zu Jahresende 2019 gab es keine Berichte, dass Ahmadis aufgrund ihres Glaubens inhaftiert waren. Ahmadi-Vertreter berichten von Schwierigkeiten mit der Verwaltung und Belästigungen, da sie keine registrierte Vereinigung sind. Christliche Gruppen berichten von Schwierigkeiten bei administrativen Vorgängen mit den Behörden. Es gibt Berichte über gesellschaftlichen Missbrauch oder Diskriminierung basierend auf Religionszugehörigkeit, Glauben oder Religionsausübung, v.a. gegenüber Konvertiten. Das Gesetz versagt Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion konvertiert sind, ein Erbe zu erhalten (USDOS 10.6.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (3.3.2020): The World Factbook – Algeria, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ag.html, Zugriff 18.3.2020
- USDOS - U.S. Department of State (10.6.2020): 2019 Report on international Religious Freedom: Algeria, https://www.state.gov/reports/2019-report-on-international-religious-freedom/algeria/, Zugriff 18.6.2020
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
11. Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung am 26.6.2020
Algeriens ethnische Zusammensetzung ist eine Mischung aus Arabern und Berbern, wobei die große Mehrheit der Algerier berberischen Ursprungs ist. Nur eine Minderheit identifiziert sich selbst als Berber, etwa 15% (CIA 3.3.2020).
Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar. Eine rassisch diskriminierende Gesetzgebung existiert nicht; es liegen auch keine belastbaren Erkenntnisse über tatsächlich erfolgte Diskriminierungen vor (AA 25.6.2019).
Neben der mehrheitlich arabischen Bevölkerung leben in verschiedenen Regionen Berbervölker, unter denen sich besonders die Kabylen seit der Unabhängigkeit Algeriens für die Anerkennung ihrer Sprache (Tamazight) und ihrer Kultur einsetzen. Durch die Verfassungsreform von 2016 wurde Tamazight, nach dem Arabischen, zur Amtssprache erklärt (AA 25.6.2019).
Ethnische (Berber)Minderheiten, vor allem im Süden des Landes, führen diskriminierendes Verhalten der Sicherheitskräfte an. Mozabiten [Anm.: eine muslimische Minderheit] in der Wilaya Ghardaia beklagen, dass sie von Sicherheitskräften nicht ausreichend gegen Gewalt geschützt würden. Polizei und Gendarmerie seien parteiisch, außerdem mache sich bemerkbar, dass Mozabiten vom verpflichtenden Militärdienst praktisch befreit seien und keine Vertreter in Polizei und Gendarmerie entsendeten. Auch in der Kabylei mit einer starken regionalen Identität gibt es immer wieder Klagen über systematische Benachteiligungen und Repressionen (ÖB 11.2019).
Im Zuge von Protestbewegungen wurden im Herbst 2019 einige Personen zu Haft- und Geldstrafen für das öffentliche Mitführen der Fahne der Berberminderheit verurteilt. Das Tragen der Fahne ist gesetzlich nicht verboten, verurteilt wurden die Angeklagten daher für das "Untergraben der nationalen Integrität". Die Staats- und Armeeführung versucht mit dem gezielten Vorgehen gegen Berberaktivisten, die Protestbewegung zu spalten und Araber und Berber gegeneinander auszuspielen (Standard 13.11.2019; vgl. IPB 12.6.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- CIA - Central Intelligence Agency (3.3.2020): The World Factbook - Algeria - Peoples and Society, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ag.html, Zugriff 18.3.2020
- IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak - Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/, Zugriff 17.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.
- Standard, der (13.11.2019): Politisch motivierte Urteile gegen Berberaktivisten in Algerien, https://www.derstandard.at/story/2000111030569/politisch-motivierte-urteile-gegen-berberaktivisten-in-algerien, Zugriff 27.11.2019
12. Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung am 26.6.2020
Die Verfassung garantiert Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, diese Rechte werden jedoch von der Regierung in der Praxis eingeschränkt (USDOS 11.3.2020). Die meisten Bürger können relativ frei im In- und Ausland reisen (FH 4.3.2020). Die Regierung hält aus Gründen der Sicherheit Reiserestriktionen in die südlichen Bezirke El-Oued und Illizi, in der Nähe von Einrichtungen der Kohlenwasserstoffindustrie sowie der libyschen Grenze, aufrecht. Überlandreisen sind aufgrund von Terrorgefahr zwischen den südlichen Städten Tamanrasset, Djanet und Illizi eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).
Jungen wehrpflichtigen Männern, die ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet haben, wird die Ausreise ohne Sondergenehmigung verweigert (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Sondergenehmigungen erhalten Studenten und Personen in besonderen Familienkonstellationen. Personen, die jünger als 18 Jahre sind, ist es gemäß Familienrecht nicht gestattet, ohne die Erlaubnis einer Aufsichtsperson ins Ausland zu reisen (USDOS 11.3.2020). Verheiratete Frauen, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns nicht ins Ausland reisen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ehefrauen, die älter als 18 Jahre sind, sind Auslandsreisen auch ohne Erlaubnis des Ehemanns gestattet (USDOS 11.3.2020).
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden landesweit nächtliche Ausgangssperren verhängt, alle Grenzübertrittsstellen für den Personenverkehr geschlossen sowie der Inlandsflugverkehr eingestellt (USEMB 26.4.2020). Am 13.6.2020 wurde angekündigt, die nächtlichen Ausgangssperren in 19 Provinzen aufzuheben und in den übrigen 29 Provinzen, darunter der Hauptstadt Algier, verkürzt beizubehalten. Die wirtschaftlichen Aktivitäten und der innerstädtische öffentliche Personenverkehr sollen schrittweise wieder aufgenommen werden. Eine mögliche Wiedereröffnung der Grenzen soll im Juli 2020 entschieden werden (National 13.6.2020).
Quellen:
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2020, Zugriff 4.3.2020
- National, the (13.6.2020): Algeria eases lockdown but borders remain closed, https://www.thenational.ae/world/mena/algeria-eases-lockdown-but-borders-remain-closed-1.1033231, Zugriff 17.6.2020
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
- USEMB - U.S. Embassy in Algeria (26.4.2020): COVID-19 Information, https://dz.usembassy.gov/covid-19-information/, Zugriff 27.4.2020
13. Grundversorgung
Letzte Änderung am 26.6.2020
Nahezu die gesamten Staatseinkünfte des Landes stammen aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Rund 90 Prozent der Grundnahrungsmittel und fast die Gesamtheit der Pharmazeutika und Gebrauchsgüter werden importiert. Eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte oder auf Autarkie zielende Industrialisierung hat nicht stattgefunden. Die Staatseinnahmen – und damit die Fähigkeit zur Subventionierung von Grundbedürfnissen (Grundnahrungsmittel, Wohnungsbau, Infrastruktur) – sind seit 2014 aufgrund des sinkenden Öl- und Gaspreises drastisch zurückgegangen (RLS 17.12.2019; vgl. BS 29.4.2020).
Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Algerien ist eines der wenigen Länder, die in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht hat. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige