Entscheidungsdatum
24.03.2021Norm
AlVG §49Spruch
L503 2230903-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Mag. ENZLBERGER und Mag. SIGHARTNER über die Beschwerde von Dipl. Tech XXXX gegen Spruchpunkt A) des Bescheids des AMS Steyr vom 22.01.2020 zur Versicherungsnummer XXXX , nach ergangener Beschwerdevorentscheidung vom 30.03.2020, GZ: XXXX , zu Recht erkannt (Spruchteil A I.) bzw. beschlossen (Spruchteil A II.):
A.) I. Insoweit mit dem bekämpften Bescheid der Verlust der Notstandshilfe gemäß § 49 AlVG im Zeitraum vom 05.07.2019 bis 11.07.2019 sowie im Zeitraum vom 08.11.2019 bis 20.12.2019 ausgesprochen wird, wird der Beschwerde stattgegeben und der bekämpfte Bescheid in diesem Umfang ersatzlos aufgehoben.
II. Insoweit mit dem bekämpften Bescheid der Verlust der Notstandshilfe gemäß § 49 AlVG im Zeitraum vom 12.07.2019 bis zum 07.11.2019 ausgesprochen wird, wird der bekämpfte Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit in diesem Umfang gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das AMS Steyr zurückverwiesen.
B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Mit Bescheid vom 22.1.2020 sprach das AMS aus, dass die Beschwerdeführerin (im Folgenden kurz: „BF“) gemäß § 49 AlVG im Zeitraum vom 5.7.2019 bis zum 20.12.2019 keine Notstandshilfe erhalte (Spruchteil A). Die aufschiebende Wirkung einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde gemäß § 13 Abs 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchteil B).
Begründend führte das AMS zur Spruchteil A) aus, die BF habe den vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin am 5.7.2019 nicht eingehalten und sich erst wieder am 7.1.2020 bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle gemeldet.
2.1. Im Akt befindet sich unter anderem eine Gesprächsnotiz des AMS betreffend eine spontane Vorsprache der BF am 8.11.2019, bei der die BF insbesondere mehrere Krankenstandsbescheinigungen vorgelegt habe. Die BF habe auch angegeben, sich telefonisch bei der ServiceLine gemeldet, aber niemanden erreicht zu haben.
2.2. Im Akt befinden sich weiters folgende Krankenstandsbescheinigungen von Dr. G., Ärztin für Allgemeinmedizin:
- Arbeitsunfähigkeit von 5.7.2019 – (Ende nicht angeführt) [ausgestellt am 5.7.2019]
- Arbeitsunfähigkeit von 9.9.2019 – (Ende nicht angeführt) [ausgestellt am 10.9.2019]
- Arbeitsunfähigkeit von 5.11.2019 – (Ende nicht angeführt) [ausgestellt am 6.11.2019]
- Arbeitsunfähigkeit von 5.11.2019 – 6.1.2020 [ausgestellt am 4.12.2019]
- Arbeitsunfähigkeit von 12.2.2020 – (Ende offen) [ausgestellt am 12.2.2020]
2.3. Im Akt befindet sich weiters unter anderem ein Arztbrief von Dr. T., Fachärztin für Psychiatrie, an Dr. G. (die Hausärztin der BF) vom 2.12.2019 mit auszugsweise folgendem Inhalt:
„Überweisung erfolgte wegen rez. depressiver Störung - Erstkontakt am 02.12.2019
Anamnese: Frau S. kommt nach akuter Terminvereinbarung […]. Sie war im Sommer stationär in der Psychiatrie in Tschechien - Patientin selbst kann nicht angeben in welchem Land sie gewesen ist. Sie habe verschiedene Symptome gehabt: […] die starke Überzeugung, dass die Realität anders ist […] auch Bilder gesehen für 2-3 Tage. Fühlt sich anhaltend beobachtet und erlebt eine veränderte Realität. Es sei ihr sehr viel Geld gestohlen worden, es haben sich alle gegen sie verschworen. […] Am Vortag sei sie auch in der Beratungsstelle der p. gewesen, lehnt aber jeden Kontakt mit neuen Menschen ab. […] wird die Patientin sofort misstrauisch und glaubt, dass auch ich in das ganze System eingebunden sei!
St.psy.: […] die Stimmung depressiv-dysphorisch, Affekte ausschl. im neg. SKB, Gedankengang meist kohärent, inhaltlich gekennzeichnet durch Beobachtungs- und Verfolgungsideen, Realitätsverkennung, Wahngedanken, Antrieb im Normbereich, keine Suizidalität
Diagnosen: V.a. schizoaffektive Störung
[…] Ein dringender Wechsel zu einem Facharzt in S. wird mit ihr besprochen, da sie auch nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln hierher kommen kann […].“
2.4. Im Akt befindet sich weiters ein Aktenvermerk des AMS über ein mit der ÖGK am 26.2.2020 geführtes Telefonat, demzufolge das Verfahren zur Prüfung eines Anspruches auf Krankengeld zur Arbeitsunfähigkeit ab 5.7.2019 deshalb eingestellt worden sei, weil die BF der ÖGK trotz schriftlicher Aufforderung die für die Beurteilung erforderlichen Befunde nicht vorgelegt habe.
3. Mit Schreiben vom 17.2.2020 erhob die BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des AMS vom 22.1.2020. Darin führte sie aus, am 5.7.2019 hätte sie einen Kontrolltermin beim AMS gehabt. Da es ihr gesundheitlich so schlecht gegangen sei, habe sie diesen persönlichen Termin nicht wahrnehmen können. Des Weiteren habe sie am 5.7.2019 zweimal telefonisch versucht, ihre Betreuerin zu erreichen. Leider habe sie diese nicht erreichen können. Die BF habe aber jedenfalls der Hotline mitgeteilt, dass sie krank sei.
Die BF habe sich nachweislich von 5.7.2019 bis 6.1.2020 in Krankenstand befunden. Im Juli 2019 und im November 2019 habe sie sich persönlich beim AMS S. gemeldet und es sei ihr mitgeteilt worden, dass sie sich erst wieder melden soll, wenn sie gesund sei, was sie dann auch am 7.1.2020 gemacht habe. Zudem habe sie bereits am 8.11.2019 eine E-Mail an das AMS S. / Frau P, geschrieben, dass sie seit 5.7.2019 krank sei.
Den persönlichen Kontrolltermin habe die BF aufgrund ihrer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht wahrnehmen können; dazu werde sie noch eine Bestätigung vorlegen. Telefonisch habe sie sich jedenfalls bei der Hotline/lnfo krank gemeldet. Die Österreichische Gesundheitskasse habe ihr mitgeteilt, dass sie kein Krankengeld erhalte. Dies sei für sie nicht nachvollziehbar.
4. Am 26.2.2020 richtete das AMS ein Schreiben an die BF zur Wahrung des Parteiengehörs.
Darin führte das AMS aus, bei ihrer persönlichen Vorsprache am 17.05.2019 sei der BF ein Kontrollmeldetermin für 05.07.2019 vorgeschrieben worden. Sie habe den Kontrollmeldetermin am 05.07.2019 nicht eingehalten, sondern erst am 16.01.2020 persönlich beim AMS vorgesprochen.
Bei ihrer Vorsprache am 16.01.2020 habe die BF gegenüber dem AMS folgende niederschriftliche Erklärung abgegeben:
„Ich habe die Kontrollmeldung am 05.07.2019 nicht eingehalten, weil ich mich zu diesem Zeitpunkt bereits im Krankenstand befunden habe, es gab dann jedoch ein Problem mit der Gebietskrankenkasse - Arbeitsunfähigkeitsbestätigung habe ich heute mitabgegeben. Weil ich mich die ganze Zeit fast durchgängig im Krankenstand befunden habe, habe ich mich erst Anfang Jänner wiedergemeldet.“
Nach Wiedergabe des Beschwerdevorbringens führte das AMS zum Sachverhalt aus, die BF habe am 08.11.2019, also während ihres Krankenstandes, persönlich beim AMS vorgesprochen und erklärt, dass sie sich bei der Serviceline krankgemeldet, aber niemanden erreicht hätte. Sie hätte zwar Krankenstandsbescheinigungen vorgelegt, eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung für den 05.07.2019 hätte sich aber nicht darunter befunden.
Herr R. von ÖGK in S. habe dem AMS in einem Telefonat am 26.02.2020 mitgeteilt, dass das Verfahren zur Prüfung eines Anspruches auf Krankengeld zu ihrer Arbeitsunfähigkeit ab 05.07.2019 deshalb eingestellt worden sei, weil die BF der ÖGK trotz schriftlicher Aufforderung die für die Beurteilung erforderlichen Befunde nicht vorgelegt habe.
Am 20.01.2020 habe die BF dem AMS drei Arbeitsunfähigkeitsmeldungen vorgelegt. Da auf den Arbeitsunfähigkeitsmeldungen vom 05.07.2019 sowie vom 10.09.2019 beim Feld „Letzter Tag der Arbeitsunfähigkeit“ kein Datum vermerkt sei, ersuche das AMS die BF um Vorlage einer Bestätigung von Frau Dr. G. über den gesamten Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit ab 05.07.2019 bzw. ab 09.09.2019.
Aufgrund ihres Beschwerdeargumentes, dass sie am 05.07.2019 beim AMS angerufen und ihren Krankenstand bekannt gegeben habe, ersuche das AMS die BF um Vorlage eines Einzelgesprächsnachweises ihres Telefonanbieters für den Monat Juli 2019.
Die BF könne zu diesem Schreiben bis spätestens 13.03.2020 schriftlich Stellung nehmen.
5. Mit Schreiben vom 11.3.2020 gab die BF eine Stellungnahme ab. Darin führte sie aus, sie sei am 9.3.2020 bei Frau Dr. G. gewesen, um die Vorlage einer Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit ab 5.7.2019 bzw. ab. 9.9.2019 zu bekommen. Frau Dr. G. habe die BF darauf hingewiesen, dass sie nur die Einzelbestätigungen für die BF (siehe Kopie) habe und die BF sich für den gesamten Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit an die GKK wenden soll, was die BF auch gemacht habe.
Zur ihrer gesundheitlichen Situation führte die BF aus, sie sei seit Jahren (ca. 2014) bei Fr. Dr. T. (Psychiaterin in E.) in Behandlung (siehe Kopie Befund vom 5.2.2020) und sei begleitend auch bis Sommer 2019 in Psychotherapie bei Fr. M. in S. Im Juni 2019 habe sie mit Dr. T. vereinbart, ihre bisherigen Medikamente abzusetzen, da sie psychisch stabiler gewesen sei und Unterstützung einer neuen Psychotherapeutin, welche auch polnisch spreche, (Dr. K.), gehabt habe. Im Sommer 2019 sei die BF dann einige Zeit im Krankenhaus gewesen. Die BF bemühe sich auch jetzt wieder um Termine bei ihrer Psychotherapeutin. Weiters möchte sie darauf hinweisen, dass sie seit September 2019 immer wieder an starken Schmerzen in ihrer Hüfte leide (siehe Kopie Befund Dr. K.).
Schließlich wies die BF darauf hin, dass sie am 4.3.2020 bezüglich des Einzelgesprächsnachweises mit ihrem ehemaligen Telefonanbieter in Telefonkontakt gewesen sei, dort habe man ihr mitgeteilt, dass der Einzelverbindungsnachweis vom Juli 2019 nicht mehr abrufbar sei (siehe Kopie Email). Vielleicht wäre es im Rahmen der Tonbandaufzeichnungen der Hotline des AMS nachvollziehbar, dass die BF am 5.7.2019 ein Telefonat von ihrer damaligen Telefonnummer geführt hat.
6. Mit Aktenvermerk vom 27.3.2020 hielt das AMS ein mit Frau Dr. G. (der Hausärztin der BF) an diesem Tag geführtes Telefonat fest. Demzufolge habe Frau Dr. G. die BF ab 05.07.2019 bzw. ab 09.09.2019 krankgeschrieben. Wie lange diese Krankenstände dann tatsächlich dauerten, könne sie nicht beantworten, da die weitere Prüfung über die Dauer des Krankenstandes durch den Chefarzt erfolgt sei. Sie ersuche das AMS daher, sich an ÖGK zu wenden.
7. Mit Bescheid vom 30.3.2020 wies das AMS die Beschwerde der BF im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung ab.
Begründend führte das AMS zum Verfahrensgang aus, zur Sicherung ihres Leistungsanspruches habe das AMS der BF für den 05.07.2019 eine Kontrollmeldung vorgeschrieben. Diesen Termin habe das AMS im Schreiben vom 17.05.2019 festgehalten. Gleichzeitig sei die BF über die Rechtsfolgen aufgeklärt worden, falls sie die Kontrollmeldung nicht einhalte. Den Termin am 05.07.2019 habe die BF nicht wahrgenommen.
Nach Darstellung der niederschriftlichen Angaben der BF vom 16.1.2020, des Schreibens zur Wahrung des Parteiengehörs vom 26.2.2020 sowie der diesbezüglichen Stellungnahme der BF vom 11.3.2020 führte das AMS aus, die BF habe ihrer Beschwerde drei Arbeitsunfähigkeitsmeldungen beigelegt, wobei auf den Arbeitsunfähigkeitsmeldungen vom 05.07.2019 sowie vom 10.09.2019 beim Feld „Letzter Tag der Arbeitsunfähigkeit“ kein Datum vermerkt sei. Die Arbeitsunfähigkeitsmeldung vom 04.12.2019 bestätige eine Arbeitsunfähigkeit vom 05.11.2019 bis 06.01.2020. In weiterer Folge verwies das AMS auf die Stellungnahme von Dr. G. dem AMS gegenüber anlässlich des Telefonats vom 27.3.2020 sowie den Umstand, dass eine Abfrage beim Dachverband ergeben habe, dass die BF seit 16.8.2019 durch das Magistrat S. Sozialhilfe erhalte.
Im Rahmen der getroffenen Feststellungen führte das AMS aus, die BF habe den am 17.05.2019 für den 05.07.2019 vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin nicht eingehalten und erst am 08.11.2019 wieder persönlich beim AMS vorgesprochen.
Da die BF bei dieser Vorsprache (gemeint: vom 08.11.2019) eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung ab 05.11.2019 vorgelegt habe, habe das AMS die BF „über die erforderliche Vorsprache bzw. Wiedermeldung nach Ende ihrer Arbeitsunfähigkeit informiert“. Diese sei am 07.01.2020, also am Tag nach Ende der Arbeitsunfähigkeit, erfolgt.
Die ÖGK habe im Übrigen mangels Mitwirkung der BF entschieden, dass lediglich am 05.07.2019 eine Arbeitsunfähigkeit vorlag.
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das AMS wiederholend aus, die BF habe den für 05.07.2019 vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin nicht eingehalten und erst am 08.11.2019 wieder beim AMS vorgesprochen. Da die BF bei dieser Vorsprache eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung ab 05.11.2019 vorgelegt habe, habe das AMS die BF über die erforderliche Vorsprache bzw. Wiedermeldung nach Ende ihrer Arbeitsunfähigkeit informiert; dies sei am 07.01.2020 erfolgt, also am Tag nach Ende der Arbeitsunfähigkeit.
Die Entschuldigung des Terminversäumnisses könne nur aus triftigen Gründen erfolgen. Dabei müsse es sich um einen Grund handeln, der die BF tatsächlich gehindert hätte, den Termin einzuhalten oder der die Einhaltung des Termins für die BF unzumutbar gemacht hätte. Aufgrund der Auskunft der ÖGK stehe außer Streit, dass die BF am 05.07.2019 arbeitsunfähig war und daher am Tag des Kontrollmeldetermins ein triftiger Hinderungsgrund vorlag.
Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH sei auf der Grundlage des § 49 Abs 1 AlVG davon auszugehen, dass bis zur Festsetzung eines neuen Termins schon nach dem Gesetz die Pflicht zur wöchentlichen Meldung nach § 49 Abs 1 AlVG besteht (VwGH vom 19.09.2007, ZI. 2006/08/0272). Spätestens mit Ablauf der Kalenderwoche, die auf den versäumten Kontrolltermin vom 05.07.2019 gefolgt ist, habe daher auf Grund des § 49 Abs 1 erster Satz AlVG wiederum eine Meldepflicht für die BF bestanden.
Da die Wiedermeldung bzw. Geltendmachung des Fortbezuges jedoch nicht binnen einer Woche nach Wegfall des Hinderungsgrundes, sondern erst am 07.01.2020 erfolgt sei, erhalte die BF vom 05.07.2019 bis 20.12.2020 keine Notstandshilfe.
8. Mit Schreiben vom 6.5.2020 stellte die BF fristgerecht einen Vorlageantrag, in dem sie zunächst auf die Begründung ihrer Beschwerde verwies und ergänzend vorbrachte, sie habe sich bereits Ende Juli 2019 persönlich beim AMS gemeldet und vorgebracht, dass sie sich noch immer im Krankenstand befinde; die Dame am Schalter habe ihr mitgeteilt, dass sie sich erst wieder melden soll, wenn sie gesund sei. Nochmals bringe sie vor, dass sie sich im Zeitraum vom Juli 2019 bis November 2019 in seinem sehr schlechten Gesundheitszustand befunden habe; es sei ihr daher lange nicht möglich gewesen, sich zu melden und sei „immer ein Hinderungsgrund zur Wiedermeldung beim AMS“ vorgelegen. Erst am 8.11.2019, als es ihr gesundheitlich wieder ein wenig besser gegangen sei, habe sie sich persönlich beim AMS melden können.
9. Am 12.5.2020 legte das AMS den Akt dem BVwG vor.
10. Mit Beschluss vom 3.6.2020, Zl. L517 2230903-1/3E, behob das BVwG den Ausspruch über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung seitens des AMS im gegenständlich angefochtenen Bescheid ersatzlos.
11. Am 16.2.2021 teilte die ÖGK dem BVwG – da nunmehr beim Dachverband ein Krankengeldbezug durch die BF im Zeitraum vom 08.07.2019 bis 11.07.2019 aufscheint - auf Nachfragen mit, dass dieser Eintrag zutreffend ist. Die diesbezügliche Arbeitsunfähigkeit der BF sei von der ÖGK (nunmehr) anerkannt worden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Das AMS hat der BF – einer Bezieherin von Notstandshilfe – am 17.5.2019 einen Kontrollmeldetermin für den 5.7.2019 vorgeschrieben und sie über die entsprechenden Rechtsfolgen aufgeklärt.
Die BF ist zum Termin am 5.7.2019 nicht erschienen.
1.2. Vom 8.7.2019 bis zum 11.7.2019 bezog die BF (nachträglich) Krankengeld, wobei die diesbezügliche Arbeitsunfähigkeit mit 5.7.2019 (dem Tag des Kontrollmeldetermins) begann.
1.3. Am 8.11.2019 sprach die BF persönlich beim AMS vor und legte dabei insbesondere eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung ab 5.11.2019 vor, wobei die BF seitens des AMS darüber informiert wurde, dass sie nach Ende ihrer Arbeitsunfähigkeit beim AMS vorsprechen bzw. sich wieder melden müsse. Dem folgend sprach die BF dann wieder am 7.1.2020 – dem Tag nach Ende ihres Krankenstands – beim AMS vor.
1.4. Im gegenständlichen Verfahren verwies die BF mehrfach unter anderem auf ihren Gesundheitszustand, der sie an einer Kontrollmeldung gehindert hätte. Mit aktenkundigem Arztbrief vom 2.12.2019 von Dr. T., Fachärztin für Psychiatrie, wird der BF eine „schizoaffektive Störung“ attestiert, die insbesondere mit „Beobachtungs- und Verfolgungsideen, Realitätsverkennung, Wahngedanken“ einhergehe.
Ermittlungen oder Feststellungen dahingehend, ob die BF gesundheitlich in der Lage gewesen wäre, eine Kontrollmeldung vorzunehmen, wurden vom AMS nicht vorgenommen bzw. getroffen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes des AMS sowie durch eine ergänzende Abfrage beim Dachverband und die Einholung einer Auskunft bei der ÖGK durch das BVwG.
2.2. Dass der BF vom AMS am 17.5.2019 ein Kontrollmeldetermin für den 5.7.2019 vorgeschrieben worden war und die BF über die entsprechenden Rechtsfolgen aufgeklärt wurde, wurde vom AMS mehrfach betont und blieb seitens der BF unbestritten, sodass zur diesbezüglichen Feststellung zu gelangen war. Ebenso ist unstrittig, dass die BF zu diesem Termin nicht erschienen ist.
2.3. Dass die BF vom 8.7.2019 bis zum 11.7.2019 (nachträglich) Krankengeld bezog, wobei die diesbezügliche Arbeitsunfähigkeit mit 5.7.2019 (dem Tag des Kontrollmeldetermins) begann, folgt einerseits aus einer aktuellen Abfrage des BVwG beim Dachverband und andererseits einer ergänzend am 16.2.2021 eingeholten Auskunft der ÖGK, wonach dieser Eintrag zutreffend und die diesbezügliche Arbeitsunfähigkeit der BF von der ÖGK letztlich anerkannt worden sei.
2.4. Die getroffenen Feststellungen zur persönlichen Vorsprache der BF beim AMS am 8.11.2020 (wie auch nachfolgend am 7.1.2020) beruhen auf den diesbezüglichen, expliziten Ausführungen des AMS, insbesondere in der Beschwerdevorentscheidung, und werden diese Ausführungen auch von der BF wiederholt.
2.5. Die getroffenen Feststellungen zum Vorbringen der BF hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes beruhen auf ihren eigenen Eingaben (Stellungnahme, Beschwerde, Vorlageantrag) und insbesondere auf dem erwähnten Arztbrief vom 2.12.2019 von Dr. T., Fachärztin für Psychiatrie.
Dass das AMS keine Ermittlungen bzw. Feststellungen dahingehend durchgeführt bzw. getroffen hat, ob die BF gesundheitlich in der Lage gewesen wäre, eine Kontrollmeldung vorzunehmen, ergibt sich unmittelbar aus der Beschwerdevorentscheidung und dem Akteninhalt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde (Spruchteil I.) bzw. Zurückverweisung (Spruchteil II.)
3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 56 Abs 2 AlVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Das Vorschlagsrecht für die Bestellung der erforderlichen Anzahl fachkundiger Laienrichter und Ersatzrichter steht gemäß § 56 Abs 4 AlVG für den Kreis der Arbeitgeber der Wirtschaftskammer Österreich und für den Kreis der Arbeitnehmer der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte zu; die vorgeschlagenen Personen müssen über besondere fachliche Kenntnisse betreffend den Arbeitsmarkt und die Arbeitslosenversicherung verfügen.
Gegenständlich liegt somit die Zuständigkeit eines Senats vor.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gemäß § 28 Abs 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 28 VwGVG lautet auszugsweise:
[...]
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
[...]
3.2. Das AMS hat gegenständlich Beschwerdevorentscheidungen gemäß § 14 VwGVG erlassen und die BF hat fristgerecht einen Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG gestellt; gemäß § 15 Abs 1 VwGVG kann jede Partei binnen zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird. Anders als in § 64a AVG tritt mit der Vorlage der Beschwerde die Beschwerdevorentscheidung nicht außer Kraft; Beschwerdegegenstand im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht soll die Beschwerdevorentscheidung sein (EB zur RV 2009 dB XXIV.GP, S. 5).
3.3. Einschlägige Bestimmungen im AlVG:
§ 49 AlVG lautet:
§ 49. (1) Zur Sicherung des Anspruches auf den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe hat sich der Arbeitslose wöchentlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich zu melden. Je nach der Situation auf dem Arbeitsmarkt kann die regionale Geschäftsstelle die Einhaltung von Kontrollmeldungen gänzlich nachsehen, die Zahl der einzuhaltenden Kontrollmeldungen herabsetzen oder öftere Kontrollmeldungen vorschreiben. Die regionale Geschäftsstelle kann auch öftere Kontrollmeldungen vorschreiben, wenn der begründete Verdacht besteht, daß das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe nicht gebührt. Die näheren Bestimmungen über die Kontrollmeldungen trifft die Landesgeschäftsstelle. Die Landesgeschäftsstelle kann auch andere Stellen als Meldestellen bezeichnen.
(2) Ein Arbeitsloser, der trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Kontrollmeldung unterläßt, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, verliert vom Tage der versäumten Kontrollmeldung an bis zur Geltendmachung des Fortbezuges den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Liegen zwischen dem Tag der versäumten Kontrollmeldung und der Geltendmachung mehr als 62 Tage, so erhält er für den übersteigenden Zeitraum kein Arbeitslosengeld bzw. keine Notstandshilfe. Der Zeitraum des Anspruchsverlustes verkürzt sich um die Tage einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung, die er in diesem Zeitraum ausgeübt hat. Ist die Frage strittig, ob ein triftiger Grund für die Unterlassung der Kontrollmeldung vorliegt, so ist der Regionalbeirat anzuhören.
3.4. Im konkreten Fall bedeutet dies:
Zu A) I. Stattgabe der Beschwerde im Hinblick auf den Zeitraum vom 5.7.2019 bis 11.7.2019 sowie vom 8.11.2019 bis 20.12.2019 und ersatzlose Aufhebung des Bescheids in diesem Umfang
Konkret: Den Zeitraum 5.7.2019 bis 11.7.2019 betreffend:
Wie eine aktuell (Stand: 12.2.2021) durchgeführte Abfrage des BVwG beim Dachverband ergab, bezog die BF im Zeitraum vom 8.7.2019 bis einschließlich 11.7.2019 – somit ausgehend von der (auch aktenkundigen) Arbeitsunfähigkeitsmeldung vom 5.7.2019 – Krankengeld. Darüber hinaus teilte die ÖGK dem BVwG am 16.2.2021 auf Nachfragen mit, dass dieser Eintrag zutreffend sei; die diesbezügliche Arbeitsunfähigkeit der BF sei von der ÖGK letztlich (nachträglich) anerkannt worden. Somit kann der Argumentation der BF, aufgrund von Krankheit sei es ihr nicht möglich gewesen, den Kontrollmeldetermin beim AMS am 5.7.2019 zu absolvieren, nicht (mehr) entgegen getreten werden, und ist eine solche Verhinderung auch bis einschließlich 11.7.2019 anzunehmen (wobei ihr Anspruch während des Bezuges von Krankengeld ohnedies [„nachträglich“] ruhte). Ein Anspruchsverlust nach § 49 Abs 2 AlVG kommt für diesen Zeitraum folglich jedenfalls nicht in Betracht und ist der Beschwerde insofern spruchgemäß stattzugeben.
Konkret: Den Zeitraum 8.11.2019 bis 20.12.2019 betreffend
Entscheidungswesentlich für diesen Zeitraum ist, dass die BF – den vom AMS getroffenen Feststellungen zufolge, die auch mit einer entsprechenden Gesprächsnotiz des AMS belegt wurden – am 8.11.2019 persönlich beim AMS vorgesprochen und dabei insbesondere eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung ab 5.11.2019 vorgelegt hat, wobei die BF seitens des AMS darüber informiert wurde, dass sie nach Ende ihrer Arbeitsunfähigkeit beim AMS vorsprechen bzw. sich wieder melden müsse (so etwa das AMS explizit in der gegenständlichen Beschwerdevorentscheidung).
Das AMS argumentiert nun, dass die (der BF am 8.11.2019 aufgetragene, weitere) Vorsprache bzw. Wiedermeldung nach ihrem Krankenstand am 7.1.2020 – dem Tag nach Ende ihres Krankenstands (der 6.1.2020 war ein Feiertag, Anmerkung des BVwG) - erfolgt sei, sodass der Anspruchsverlust nach § 49 Abs 2 AlVG dem Grunde nach bis zum 6.1.2020 laufe (im konkreten Fall aufgrund des vorherigen Endes des Leistungsbezugs nur bis zum 20.12.2019).
Diese Argumentation ist unzutreffend:
Das AMS räumt, wie dargestellt, selbst ein, dass die BF bereits am 8.11.2019 persönlich vorgesprochen und insbesondere Unterlagen betreffend ihre Arbeitsunfähigkeit vorgelegt hatte, wobei sie seitens des AMS darauf verwiesen worden sei, sich nach Ende ihres Krankenstands ein weiteres Mal beim AMS zu melden. Entscheidungswesentlich ist nun, zu welchem Zeitpunkt die BF ihren Fortbezug im Sinne von § 49 Abs 2 erster Satz AlVG geltend gemacht hat. Dieser Zeitpunkt war – entgegen der implizit vertretenen Auffassung des AMS – der 8.11.2019 und nicht der 7.1.2020:
So steht außer Zweifel, dass die persönliche Vorsprache der BF beim AMS (samt Vorlage entsprechender Unterlagen) am 8.11.2019 als konkretes Anbringen in Zusammenhang mit einem Leistungsanspruch zu qualifizieren ist. Ein anderer Grund, weshalb die BF das AMS hätte aufsuchen sollen, ist nicht ersichtlich; vgl. in diesem Zusammenhang auch Sdoutz/Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz Praxiskommentar, Rz 829 zu § 49 AlVG, „Generell wird dann aus der (zwar nicht als förmliche Geltendmachung des Fortbezuges zu verstehenden) Vorsprache einer arbeitslos gemeldeten Partei bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice, die als konkretes Anbringen iZm einem Leistungsanspruch zu qualifizieren ist (zB Vorlage einer Krankenbestätigung, eines Pensionsantrages oder einer sonstigen für den Anspruch auf Zuerkennung von Geldleistungen erforderlichen Beweisurkunde, Aufnahme einer Niederschrift, Anfertigung eines Aktenvermerkes), die Verpflichtung des Arbeitsmarktservice resultieren, die Partei zu befragen, ob sie (wieder) Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung anstrebt, wenn diese Person zu diesem Zeitpunkt gem § 49 Abs 2 AlVG wegen Nichteinhaltung eines Kontrolltermins nicht im Leistungsbezug steht (vgl idS VwGH 23. 10. 2002, 2002/08/0041). Verschafft sich die Behörde nicht von sich aus durch entsprechende Fragestellung Klarheit, ist das (nicht formgerechte) Anbringen jedenfalls auch als auf den Fortbezug der Leistung gerichtetes Begehren zu qualifizieren […].“
Dass die BF mit ihrer Vorsprache beim AMS am 8.11.2019 bezweckte, Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen zu können, steht außer Zweifel, woran auch der Umstand nichts zu ändern vermag, dass zu diesem Zeitpunkt Arbeitsunfähigkeit vorlag. In diesem Zusammenhang ist auch nochmals auf das bereits erwähnte Erkenntnis des VwGH vom 23.10.2002, Zl. 2002/08/0041, zu verweisen, in dem der VwGH wie folgt ausführt: „[es] trifft […] die regionale Geschäftsstelle im Fall eines konkreten zu den Akten genommenen Anbringens der Partei, z.B. durch Aufnahme einer Niederschrift, Anfertigung eines Aktenvermerkes oder Vorlage einer für einen Anspruch auf Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung erforderlichen Beweisurkunde, wenn sie daran zweifelt, ob die Partei einen Antrag auf Zuerkennung von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung stellen möchte, die Verpflichtung, die Partei zu befragen, ob sie eine Inanspruchnahme derartiger Geldleistungen anstrebt, und ihr gegebenenfalls das erforderliche Antragsformular auszuhändigen. […] Kommt die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ihrer Verpflichtung zur Aushändigung eines Antragsformulars (gegebenenfalls nach Klärung der Absicht der Partei) in einer solchen Konstellation nicht nach, so bleibt der Partei dessen ungeachtet zunächst jedenfalls ein Anspruch auf diese Aushändigung gewahrt. Damit ist aber auch - bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen, insbesondere rechtzeitiger Abgabe des der Partei auszuhändigenden Antragsformulars - ein Leistungsanspruch für die Zeit ab der ersten Vorsprache weiterhin aufrecht.“
Umgelegt auf den vorliegenden Fall (Zeitraum vom 8.11.2019 bis 20.12.2019) bedeutet dies, dass die „Geltendmachung des Fortbezugs“ durch die BF im Sinne von § 49 Abs 2 AlVG (jedenfalls) mit 8.11.2019 erfolgt war. Ein Anspruchsverlust nach § 49 Abs 2 AlVG erweist sich daher im Zeitraum vom 8.11.2019 bis 20.12.2019 als unzulässig und ist der Beschwerde insoweit spruchgemäß stattzugeben.
Zu A) II. Behebung und Zurückverweisung hinsichtlich des Anspruchsverlusts im Zeitraum vom 12.7.2019 bis zum 7.11.2019:
Nach dem bisher Gesagten käme ein Anspruchsverlust nach § 49 Abs 2 AlVG im Zeitraum vom 12.7.2019 bis zum 7.11.2019 dem Grunde nach in Betracht.
Allerdings erweist sich der vom AMS diesbezüglich festgestellte Sachverhalt als qualifiziert mangelhaft, und zwar aus folgenden Gründen:
Die BF verwies im Verfahren stets sinngemäß darauf hin, ihr Gesundheitszustand im verfahrensgegenständlichen Zeitraum habe sie (generell) gehindert, eine Kontrollmeldung durchzuführen; vgl. z. B. die BF in ihrem Vorlageantrag: „Nochmals bringe ich vor, dass ich mich im Zeitraum von Juli 2019 bis November 2019 in einem sehr schlechten Gesundheitszustand befunden habe. Mir war es daher lange nicht möglich, mich wieder zu melden und lag immer ein Hinderungsgrund zur Wiedermeldung beim AMS vor“.
Das AMS hat sich mit diesem Vorbringen nicht weiter auseinandergesetzt, sondern nur darauf hingewiesen, dass – abgesehen vom 5.7.2019 – mangels Mitwirkung der BF seitens der ÖGK keine weiteren Zeiträume einer Arbeitsunfähigkeit der BF anerkannt worden seien.
Allerdings ist zu betonen, dass nicht nur das Vorbringen der BF darauf abzielt, sie sei gesundheitlich nicht in der Lage gewesen, eine Kontrollmeldung durchzuführen, sondern sind auch dem weiteren Akteninhalt diesbezüglich konkrete Anhaltspunkte zu entnehmen, vgl. diesbezüglich den Arztbrief von Dr. T., Fachärztin für Psychiatrie, vom 2.12.2019, in dem diese etwa folgende Symptome der BF schildert: „[…] die starke Überzeugung, dass die Realität anders ist […] auch Bilder gesehen für 2-3 Tage. Fühlt sich anhaltend beobachtet und erlebt eine veränderte Realität. Es sei ihr sehr viel Geld gestohlen worden, es haben sich alle gegen sie verschworen. […] Am Vortag sei sie auch in der Beratungsstelle der p. gewesen, lehnt aber jeden Kontakt mit neuen Menschen ab. […] wird die Patientin sofort misstrauisch und glaubt, dass auch ich in das ganze System eingebunden sei! […] St.psy.: […] die Stimmung depressiv-dysphorisch, Affekte ausschl. im neg. SKB, Gedankengang meist kohärent, inhaltlich gekennzeichnet durch Beobachtungs- und Verfolgungsideen, Realitätsverkennung, Wahngedanken, […] Diagnosen: V.a. schizoaffektive Störung […]“.
Vor diesem Hintergrund ist nämlich auf die ständige Rechtsprechung des VwGH zu verweisen, wonach die Behörde in derartigen Konstellationen Ermittlungen anzustellen hat, ob der eingeschränkte Geisteszustand das Kontrollmeldeversäumnis zu entschuldigen vermag:
„Ein eingeschränkter Geisteszustand kann zur Entschuldigung einer Kontrollmeldeversäumnis führen (vgl das hg Erkenntnis vom 9. August 2002, Zl 2002/08/0039). Die belangte Behörde hat zu der Frage, ob der Beschwerdeführer - wie von ihm behauptet - aufgrund seiner psychischen Erkrankung den Kontrollmeldetermin versäumt hat, keine weiteren Ermittlungen geführt, sondern sich lediglich darauf gestützt, dass das vom Beschwerdeführer vorgelegte Gutachten einen späteren Zeitraum betreffe. Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer behauptete Beeinträchtigung konnte die belangte Behörde auch alleine aus dem Umstand, dass im fraglichen Zeitraum keine Krankmeldung beim Krankenversicherungsträger erfolgt war, nicht ohne weiteres darauf schließen, dass der Beschwerdeführer an der Wahrnehmung seines Kontrollmeldetermins am 19. Juni 2008 nicht durch seine Erkrankung gehindert gewesen sei. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass eine arbeitslose Person, die keine entsprechende Krankmeldung bei der Gebietskrankenkasse abgegeben hat, aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, die Bedeutung eines Kontrollmeldetermins im Sinne des § 46 [gemeint wohl: § 49] AlVG zu verstehen bzw diesem nachzukommen.“ (VwGH vom 25.6.2013, Zl. 2012/08/0015)
„Eine arbeitslose Person, die - wie der Beschwerdeführer - aus triftigen Gründen iSd § 49 Abs. 2 AlVG an der Wahrnehmung eines Kontrolltermins iSd § 49 Abs. 1 zweiter Satz AlVG gehindert ist, muss sich, solange sie vom AMS keinen neuen Kontrolltermin erhalten hat, auf Grund der allgemeinen Verpflichtung des § 49 Abs. 1 erster Satz AlVG spätestens nach Verstreichen der auf den versäumten Termin bzw. auf den Wegfall des triftigen Grundes folgenden Woche aus eigenem bei der regionale Geschäftsstelle melden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl. 2006/08/0272). Sollte die Gesundheitsbeeinträchtigung, die den Beschwerdeführer an der Wahrnehmung eines Kontrolltermins hinderte, weggefallen sein, so hätte sich der Beschwerdeführer ab diesem Zeitpunkt bis zu seiner Wiedermeldung der Möglichkeit der Vermittlung einer Beschäftigung durch die regionale Geschäftsstelle entzogen und wäre daher insoweit nicht verfügbar gewesen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2012, Zl. 2010/08/0223). Die belangte Behörde hat dazu einerseits im Hinblick auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Feststellung getroffen, dass sich der Beschwerdeführer vom 6. bis zum 11. März 2013 im Krankenstand befunden habe und mit dem Ende des Krankenstandes auch der Hinderungsgrund weggefallen sei, andererseits aber auch festgestellt, der Beschwerdeführer habe unter Vorlage von ärztlichen Bescheinigungen dargelegt, nicht persönlich beim Arbeitsmarktservice erscheinen zu können. In Anbetracht dieser widersprüchlichen Begründung bleibt fraglich, ob der genannte Hinderungsgrund tatsächlich weggefallen ist. Die belangte Behörde wird diesbezüglich das Ermittlungsverfahren allenfalls zu ergänzen und nachvollziehbare Feststellungen zu treffen haben.“ (VwGH 23.9.2014, Zl. 2013/08/0230)
Hält man sich im konkreten Fall vor Augen, dass (neben einem entsprechenden Vorbringen der BF) ärztliche Unterlagen aktenkundig sind, die der BF eine „schizoaffektive Störung“ – konkret etwa mit „Beobachtungs- und Verfolgungsideen, Realitätsverkennung, Wahngedanken“ attestieren, so hätte dies der dargestellten Rechtsprechung des VwGH zufolge zu konkreten Ermittlungsschritten des AMS im Hinblick auf eine allfällige Entschuldigung des Kontrollversäumnisses führen müssen, und zwar unabhängig davon, ob sich die BF im Krankenstand befunden hat oder nicht.
Somit liegt dem BVwG im Hinblick auf die dargestellte, entscheidungswesentliche Frage kein brauchbarer, sondern ein qualifiziert mangelhafter Sachverhalt im Sinne des Erkenntnisses des VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 vor, sodass (im Hinblick auf den Zeitraum vom 12.7.2019 bis zum 7.11.2019) spruchgemäß mit einer Zurückverweisung im Sinne von § 28 Abs 3 VwGVG vorzugehen war. Das AMS wird sich im Folgeverfahren – allenfalls unter Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen – damit auseinanderzusetzen haben, ob das Kontrollversäumnis der BF aus medizinischen Gründen entschuldigt war.
Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich das AMS bei dieser Gelegenheit auch beweiswürdigend mit dem von der BF andeutungsweise in ihrer Beschwerde und etwas konkreter in ihrem Vorlageantrag erstatteten Vorbringen, sie habe sich bereits „Ende Juli 2019 persönlich beim AMS S. gemeldet“, mit der Dame am Schalter gesprochen und auf ihren Krankenstand verwiesen, wobei ihr auch bei dieser Vorsprache mitgeteilt worden sei, sie solle sich wieder melden, wenn sie gesund sei, wird auseinandersetzen müssen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, da die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die vorliegende Entscheidung beruht auf der ständigen Rechtsprechung des VwGH zum Vorliegen von „triftigen Gründen“ im Sinne von § 49 Abs 2 AlVG bzw. insbesondere auch zur „Geltendmachung des Fortbezugs“ nach einer (hier: durch Kontrollmeldeversäumnis bewirkten) Unterbrechung des Bezugs (siehe dazu insbesondere VwGH vom 23.10.2002, Zl. 2002/08/0041). Zudem liegt zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Verwaltungsgericht kassatorisch zu entscheiden vermag, eine klare (siehe insbesondere die Erkenntnisse des VwGH vom 10.09.2014, Zl. Ra 2014/08/0005 und vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) höchstgerichtliche Rechtsprechung vor.
Absehen von einer Beschwerdeverhandlung:
Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.
Gemäß § 24 Abs 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC] entgegenstehen.
Die Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung ist am Maßstab des Art 6 EMRK zu beurteilen. Dessen Garantien werden zum Teil absolut gewährleistet, zum Teil stehen sie unter einem ausdrücklichen (so etwa zur Öffentlichkeit einer Verhandlung) oder einem ungeschriebenen Vorbehalt verhältnismäßiger Beschränkungen (wie etwa das Recht auf Zugang zu Gericht). Dem entspricht es, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung für gerechtfertigt ansieht, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Döry / S, RN 37). Der Verfassungsgerichtshof hat im Hinblick auf Art 6 EMRK für Art 47 GRC festgestellt, dass eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten der Parteien im vorangegangenen Verwaltungsverfahren regelmäßig dann unterbleiben könne, wenn durch das Vorbringen vor der Gerichtsinstanz erkennbar werde, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lasse (vgl. VfGH 21.02.2014, B1446/2012; 27.06.2013, B823/2012; 14.03.2012, U466/11; VwGH 24.01.2013, 2012/21/0224; 23.01.2013, 2010/15/0196).
Im gegenständlichen Fall ergibt sich aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung des Sachverhalts zu erwarten ist. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt steht aufgrund der Aktenlage fest.
Schlagworte
Anspruchsverlust Arbeitsunfähigkeit Ermittlungspflicht Gesundheitszustand Kassation Kontrollmeldetermin Krankengeld mangelnde Sachverhaltsfeststellung Notstandshilfe psychische Erkrankung TeilstattgebungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L503.2230903.1.00Im RIS seit
21.05.2021Zuletzt aktualisiert am
21.05.2021