Entscheidungsdatum
25.03.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
G309 2234667-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER als Vorsitzenden, sowie den Richter MMag. Dr. René BRUCKNER und die fachkundige Laienrichterin Maria HIERZER als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark, vom 04.05.2020, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 17.08.2020, OB: XXXX , betreffend die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ nicht vorliegen, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegebenund die angefochtenen Bescheide behoben.
Die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass liegen befristet bis zum 31.12.2021 vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) brachte am 10.02.2020 beim Sozialministeriumservice (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) samt Beilagen ein, der gemäß Hinweis auf dem Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gilt.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt:
Im aufgrund der Aktenlage erstellten Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 08.04.2020 wurde unter Berücksichtigung relevanter Befunde einschließlich des jüngsten Befundes vom 04.03.2020 keine Funktionsbeeinträchtigung festgestellt, welche das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zulassen würde, und folgende „Gutachterliche Stellungnahme“ abgegeben:
„Es bestehen degenerative Wirbelsäulenveränderungen, wobei es cervikogen zu Schwindelattacken bei Wirbelsäulenfehlhaltung im Dezember 2019 kam. Eine TEP rechtes Hüftgelenk wurde im Jänner 2020 implantiert. Es besteht eine Hörminderung links, wobei eine Revisionsoperation im Dezember 2016 durchgeführt wurde, und (…) Krampfadern mit Schwellneigung. Wegen Fructoseintoleranz muss eine Kostbeschränkung eingehalten werden. Insgesamt besteht keine Änderung zum Vorgutachten.“
Im aufgrund der Aktenlage erstellten Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 03.05.2020 wurde unter „Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe)“ Folgendes festgehalten:
„Bestätigung Hausarzt Dr. (…) 20.04.2020. …“ leidet weiterhin unter starken Schmerzen im Gesäß rechts beim Ein- und Aussteigen eines KFZ, Schmerzen der Leiste bds. in Ruhe und bei Bewegung mit Ausstrahlung in beide Kniegelenke: Das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel ist derzeit nicht zumutbar.“
Unter Berücksichtigung vorliegender Befunde einschließlich der Bestätigung des Hausarztes der BF vom 20.04.2020 wurde auf die Frage, welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zulassen und warum, wie folgt geantwortet:
„Keine, der Gang ist ohne Hilfe und ohne Hilfsmittel möglich. Kurze Wegstrecken können aus eigener Kraft zurückgelegt werden. Es besteht keine Gangstörung im Sinne des Passverfahrens.“
Die ärztliche Sachverständige gab folgende „Gutachterliche Stellungnahme“ ab:
„Es besteht keine Änderung zum Vorgutachten. Die Einschränkung der Beweglichkeit der Wirbelsäule und des rechten Hüftgelenkes wurden berücksichtigt. Eine einfache analgetische Therapie mit NSAR wird durchgeführt. Es besteht eine Hörminderung links, Krampfadern mit Schwellneigung. Wegen einer Fructoseintoleranz ist eine Kostbeschränkung notwendig.“
3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 04.05.2020 wurde der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gem. §§ 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. 283/1990, idgF, abgewiesen.
Begründend wurde ausgeführt, im Ermittlungsverfahren sei ein Gutachten eingeholt worden, nach diesem Gutachten seien die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht gegeben. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien dem beiliegenden Gutachten, welches einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Die Ergebnisse des ärztlichen Sachverständigengutachtens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden.
Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke (300 bis 400 Meter) nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, auch unter Verwendung der zweckmäßigsten Behelfe, ohne Unterbrechung zurückgelegt werden könne oder wenn die Verwendung des erforderlichen Behelfs die Benützung des öffentlichen Transportmittels in hohem Maß erschwere. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauerhafte Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieses Verkehrsmittels angegebenen Bedingungen auswirke.
Da das ärztliche Begutachtungsverfahren ergeben habe, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen, sei der Antrag der BF abzuweisen.
4. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Die BF verwies in ihrer Beschwerde auf gesundheitliche Beschwerden, Schmerzen und starkes Hinken beim Gehen mit Krücken und beantragte eine Neubeurteilung ihrer Angelegenheit.
5. Folglich wurde von der belangten Behörde ein neuerliches medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt:
Im eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 16.08.2020 wurde nach Begutachtung der BF am 11.08.2020 unter Berücksichtigung relevanter Befunde einschließlich eines Berichts des Hausarztes der BF vom 19.05.2020 auf die Frage, welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zulassen und warum, wie folgt geantwortet:
„Keine, der Gang ist ohne Hilfsmittel und ohne fremde Hilfe möglich. Kurze Wegstrecken können aus eigener Kraft zurückgelegt werden. Das Ein- und Aussteigen in öffentlichen Verkehrsmitteln und das Anhalten an Haltegriffen ist zumutbar. Es besteht keine schwere Gangstörung im Sinne des Passverfahrens.“
Folgende „Gutachterliche Stellungnahme“ wurde abgegeben:
„Es besteht eine degenerative Wirbelsäulenerkrankung mit derzeit geringer Funktionseinschränkung. Zusätzlich besteht ein Zustand nach TEP im rechten Hüftgelenk ohne Beugedefizit mit geringer Schmerzhaftigkeit bei der Innenrotation.“
6. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.08.2020 wurde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung die Beschwerde der BF abgewiesen, mit der Begründung, dass vor dem Hintergrund des eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachtens vom 16.08.2020 die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen.
7. Mit E-Mail vom 28.08.2020 brachte die BF bei der belangten Behörde einen Vorlageantrag ein.
8. Am 02.09.2020 wurde dem BVwG die Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt vorgelegt.
9. Mit Schreiben des BVwG vom 25.09.2020, Zl. G304 2234667-1/2Z, wurde Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, ersucht, ein Sachverständigengutachten auf der Grundlage der Einschätzungsverordnung zu erstellen und dieses binnen sechs Wochen ab Begutachtung dieser Anordnung dem BVwG zu übermitteln.
10. Im eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 12.10.2020 wurde nach Begutachtung der BF am 12.10.2020 folgende „Stellungnahme“ abgegeben:
„Aufgrund der heutigen Untersuchung, wobei im Gegensatz zum Vorgutachten ein Zustand nach relativ frischer neuerlicher Hüftendoprothesenimplantation linksseitig (vor 7 Wochen) gegeben ist, muss festgehalten werden, dass eine ausreichende Wegstrecke sowie Niveauunterschiede als auch der sichere Transport nicht gewährleistet sind, auf Grund der frisch operierten linken Hüfte, wobei in ca. 2,5 Wochen eine Rehabilitation angetreten wird und normalerweise einige Verbesserung der Gesamtsituation mit sich bringen sollte. Bezugnehmend auf das Vorgutachten in welchem ein unauffälliger Gang ohne fremde Hilfe und Hilfsmittel, lediglich diskret rechts hinkend, objektiviert wird, ist eine maßgebliche Verschlimmerung aufgrund der rezenten Operation eingetreten, wobei auf Grund der Voruntersuchung öffentliche Verkehrsmittel als zumutbar anzunehmen waren. Aufgrund der medizinischen Erfahrungen sollte insgesamt eine Besserung der Gangfunktion binnen 1 Jahr nach Operation eintreten, sodass es sich nicht um einen Dauerzustand handelt, sondern spätestens in 12 Monaten ab Gutachtenerstellung eine Nachuntersuchung zur Reobjektivierung der Funktionseinschränkungen, was die Gangleistung anlangt, erfolgen sollte.
Bei der Beschwerdeführerin liegen
? aktuell direkte erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten kurz nach stattgehabter Operation vor
? keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor.
? keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder schwere anhaltende Erkrankungen des Immunsystems vor.
? keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubheit vor.
(…).“
11. Mit Verfügung des BVwG vom 19.10.2020, Zl. G304 2234667-1/4Z, der BF zugestellt am 16.11.2020, wurde den Verfahrensparteien das eingeholte Sachverständigengutachten vom 12.10.2020 übermittelt und ihnen zur Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen ab Zustellung dieser Verfügung dazu schriftlich Stellung zu nehmen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF ist im Besitz eines Behindertenpasses. Die BF leidet an einer stattgehabten Hüftendoprothesenimplantation beidseits, mit deutlicher Bewegungs- und Belastungsminderung. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Überwinden von Niveauunterschieden, sowie der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel sind der BF nicht möglich.
Im Ergebnis liegt eine erhebliche Einschränkung der Funktion der unteren Extremitäten vor. Eine Besserung des Leidenszustandes innerhalb eines Jahres ist möglich.
Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass der BF liegen befristet bis zum 31.12.2021 vor.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und des vorliegenden Gerichtsaktes.
2.2. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung des VwGH bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in einen Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, das die Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilt, sofern diese Frage nicht in einem unmittelbar zuvor durchgeführten Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz im Rahmen der ärztlichen Begutachtung ausreichend behandelt wurde oder die Unzumutbarkeit aufgrund der Art der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt (VwGH vom 20.03.2001, GZ 2000/11/0321).
Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).
Das seitens des erkennenden Gerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von MR XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 12.10.2020, ist schlüssig, nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen sowie zu deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Stellung genommen. Die getroffenen Einschätzungen basierend auf den im Rahmen persönlicher Untersuchung ausführlich erhobenen Befund entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.
Der Inhalt des medizinischen Sachverständigengutachtens wurde den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt und von diesen unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen. Das erstattete Gutachten wird der Entscheidung des erkennenden Gerichtes daher in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 des Bundesbehindertengesetzes genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des Bundesbehindertengesetzes anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
Für den Beschwerdefall kommt § 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG) zum Tragen, wonach das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden wegen (u.a.) der Ausstellung eines Behindertenpasses durch einen Senat entscheidet, an dem „eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter“ mitzuwirken hat. Daraus folgt, dass das BVwG im gegenständlichen Fall durch einen aus zwei Berufsrichter und einem nach der zitierten Bestimmung des BBG heranzuziehenden fachkundigen Laienrichter zusammengesetzten Senat zu entscheiden hat.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.2. Zu Spruchteil A): Stattgebung der Beschwerde:
3.2.1. Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
3.2.2. In den Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen wird hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z. 3 (vormals: § 1 Abs. 2 Z. 3) – soweit relevant – insbesondere Folgendes ausgeführt:
„Zu § 1 Abs. 2 Z. 3:
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Die Voraussetzung des vollendeten 36. Lebensmonats wurde deshalb gewählt, da im Durchschnitt auch ein nicht behindertes Kind vor dem vollendeten 3. Lebensjahr im Zusammenhang mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Wegstrecken nicht ohne Begleitung selbstständig gehen kann.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers / der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapiefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes /der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Gemäß § 42 Abs. 2 BBG (Bundesbehindertengesetz) ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderungen in den Voraussetzungen zu erwarten sind.
3.2.3. Im seitens des BVwG eingeholten, als schlüssig und nachvollziehbar erachteten Gutachten von Dr. XXXX vom 12.10.2020 wurde festgehalten, dass der BF aufgrund der direkten erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten bzw. der Gangfunktionseinschränkung der BF nach Hüftendoprothesenimplantation die Zurücklegung einer ausreichenden Wegstrecke, die Überwindung von Niveauunterschieden sowie ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht möglich ist.
Der Sachverständige fügte im Gutachten hinzu, dass „aufgrund der medizinischen Erfahrungen binnen 1 Jahr nach Operation insgesamt eine Besserung der Gangfunktion eintreten“ und „spätestens in 12 Monaten ab Gutachtenserstellung eine Nachuntersuchung zur Reobjektivierung der Funktionseinschränkungen, was die Gangleistung anlangt, erfolgen sollte“.
Da es sich bei der erheblichen Gangfunktions- bzw. Mobilitätseinschränkung der BF demnach um eine voraussichtlich länger als sechs Monate andauernde Funktionseinschränkung und damit laut Gesetzgeber zur StVO-Novelle um eine „dauerhafte“ Mobilitätseinschränkung handelt, die ihr die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich macht, liegen im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass der BF vor. Den Ausführungen des Sachverständigen folgend, sind Veränderungen im Gesundheitszustand zu erwarten, weshalb eine Befristung auszusprechen war.
3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art. 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) kann entnommen werden, dass er das Sozialrecht auf Grund seiner technischen Natur und der oftmaligen Notwendigkeit, Sachverständige beizuziehen, als gerade dazu geneigt ansieht, nicht in allen Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. Eriksson v. Sweden, EGMR 12.04.2012; Schuler-Zgraggen v. Switzerland, EGMR 24.06.1993). Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt und ist durch seine „technische“ Natur, nämlich durch medizinisches Fachwissen, gekennzeichnet. Da der Sachverhalt auch aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren der BF geklärt erscheint, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen, zudem auch keine der Verfahrensparteien eine mündliche Verhandlung beantragten.
3.4. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.
Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Befristung Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G309.2234667.1.00Im RIS seit
21.05.2021Zuletzt aktualisiert am
21.05.2021