Entscheidungsdatum
29.04.2021Norm
ASVG §67 Abs10Spruch
I413 2215501-1/28E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die MÄHR Rechtsanwalt GmbH, gegen den Bescheid der Vorarlberger Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle Vorarlberg) vom 06.12.2016, Zl. 19-2015-BE-VER10-0003Z, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.05.2020 und 10.07.2020 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als es im angefochtenen Bescheid zu lauten hat:
„Herr XXXX , geb. XXXX , wohnhaft in XXXX XXXX , XXXX , schuldet als ehemaliger Geschäftsführer von Beitragskontoinhaber(in) XXXX XXXX gesellschaft mbH, XXXX , XXXX , der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle Vorarlberg, gemäß § 67 Abs 10 ASVG iVm § 83 ASVG die zu entrichten gewesenen Beiträge s.Nbg. aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Juni 2014 bis November 2014 von
€ 2.950,86
zzgl. Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das sind ab 27.05.2020 3,38 % p.a. aus € 2.950,86.
Herr XXXX ist verpflichtet, diesen Betrag binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen an die Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle Vorarlberg, zu bezahlen.“
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Schreiben vom 09.09.2016 teilte die Vorarlberger Gebietskrankenkasse (in Folge: belangte Behörde) dem Beschwerdeführer mit, dass auf dem Beitragskonto der XXXX gesellschaft mbH (in Folge auch: Primärschuldnerin) Beiträge aus dem Zeitraum Juni 2014 bis November 2014 aushaftend seien und der Beschwerdeführer als Vertreter der Primärschuldnerin in diesem Zeitraum die erwähnten Rückstände zu begleichen bzw. allenfalls darzulegen habe, warum ihn keine Haftung treffe. Dieses Schreiben wurde am 12.10.2016 mit dem Vermerk „nicht abgeholt“ an die belangte Behörde retourniert.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 06.12.2016, Zl. 19-2015-BE-VER10-0003Z, stellte die belangte Behörde zusammengefasst fest, dass der Beschwerdeführer Geschäftsführer der XXXX gesellschaft mbH gewesen sei und über diese Firma das Insolvenzverfahren eröffnet und wieder aufgehoben worden sei. Die bei der XXXX gesellschaft mbH für den Zeitraum 06/2014 bis 11/2014 ausständigen Sozialversicherungsbeiträge seien daher uneinbringlich. Mit Beitragsnachverrechnung vom 22.10.2015 seien die ausständigen Beträge auf Grundlage der Anträge der Arbeitnehmer auf Insolvenzentgelt nachverrechnet worden. Eine Meldeerstattung sei nicht erfolgt, weshalb der Beschwerdeführer als zur Vertretung befugte Person zur Haftung heranzuziehen sei.
3. Der Beschwerdeführer erhob mit undatiertem Schreiben, bei der belangten Behörde eingelangt am 27.04.2017, fristgerecht „Einspruch“ gegen diesen Bescheid und führte darin zusammengefasst aus, zunächst überhaupt in Zweifel zu ziehen, dass überhaupt noch Beiträge fällig geworden seien. Der betreffende (einzige) Angestellte, Herr XXXX , sei bereits im September 2014 ausgeschieden. Außerdem habe der Beschwerdeführer die Geschäftsführung aus gesundheitlichen Gründen praktisch nicht ausgeübt. Die Geschäftsführung sei durch XXXX , die Buchhaltung durch ein Buchhaltungsbüro erfolgt.
4. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht den Bescheid samt zugehörigem Verwaltungsakt am 05.03.2019 vor.
5. Am 17.04.2019 erstattete der Beschwerdeführer durch seine damalige Rechtsvertretung eine schriftliche Stellungnahme und führte darin im Wesentlichen erneut aus, dass kein Verstoß gegen Meldepflichten vorliegen würde. Der ausgetretene Arbeitnehmer habe erst nachträglich und unzulässiger Weise Urlaubsersatzleistungen verrechnet, weshalb diese für die Beurteilung der Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG nicht wesentlich seien. Im Übrigen sei der Beschwerdeführer zwischen März 2014 und Juli 2014 in stationärem Krankenhausaufenthalt gewesen.
6. Mit Eingabe vom 07.05.2019 gab der Beschwerdeführer die Bevollmächtigung seiner nunmehrigen Rechtsvertretung bekannt.
7. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.09.2019 wurde das Verfahren der Gerichtsabteilung I413 neu zugewiesen.
8. Am 27.05.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines Rechtsvertreters sowie die Zeugen DI XXXX und XXXX einvernommen wurden.
9. Mit schriftlicher Stellungnahme vom 24.06.2020 übermittelte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht eine Übersicht sämtlicher Positionen der aushaftenden Sozialversicherungsbeiträge im Zeitraum 06/2014 bis 11/2014.
10. Am 10.07.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine weitere mündliche Verhandlung durch, in welcher die Zeugen XXXX , XXXX , Mag. XXXX und XXXX in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seines Rechtsvertreters einvernommen wurden.
11. Mit Eingabe vom 16.07.2020 legte der Beschwerdeführer ein Konvolut an Unterlagen im Zusammenhang mit der Unternehmensstruktur der Primärschuldnerin vor.
12. Am 21.07.2020 legte der Zeuge DI XXXX dem Bundesverwaltungsgericht ein Konvolut an Unterlagen zum Nachweis des Umfangs seiner Tätigkeit für die Primärschuldnerin vor.
13. Zum gewährten Parteiengehör äußerte sich die belangte Behörde mit Stellungnahme vom 29.07.2020 und führte darin im Wesentlichen aus, dass sich aus ihrer Sicht aus den vorgelegten Unterlagen kein Haftungsausschluss ergebe.
14. Diese Stellungnahme brachte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer und seiner Rechtsvertretung mit Schreiben vom 15.09.2020 zu Kenntnis. Der Beschwerdeführer gab keine Stellungnahme ab.
15. Am 15.10.2020 übermittelte das Landesgericht Feldkirch dem Bundesverwaltungsgericht den Insolvenzakt betreffend die Primärschuldnerin.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der in Punkt I. dargestellte Sachverhalt wird festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer war von 10.01.2014 bis 19.11.2014 selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der zu FN XXXX im Firmenbuch eingetragenen Gesellschaft XXXX XXXX gesellschaft mbH. Am 22.04.2016 wurde die Gesellschaft aus dem Firmenbuch gelöscht.
Mit Schreiben vom 14.11.2014, zur Post gegeben am 15.11.2014, teilte der Beschwerdeführer den Gesellschaftern die Niederlegung der Geschäftsführung mit. Die Löschung seiner Funktion aus dem Firmenbuch beantragte er am 19.11.2014 und erfolgte die Löschung am 17.01.2015.
Über das Vermögen der XXXX XXXX gesellschaft mbH wurde mit Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 31.07.2015, 14 S 19/15d, das Insolvenzverfahren eröffnet und am 28.01.2016 mangels kostendeckenden Vermögens aufgehoben.
Der einzige Dienstnehmer der XXXX XXXX gesellschaft mbH, XXXX , war von 01.07.2011 bis 30.09.2014 bei der Primärschuldnerin beschäftigt. Im Zuge des Insolvenzverfahrens der XXXX mbH machte er Entgeltforderungen in Höhe von EUR 31.112,00 für die Zeiträume 01.05.2014 bis 18.11.2014 geltend, welche vom Insolvenzverwalter zur Gänze anerkannt wurde. Hinweise darauf, dass DI XXXX zu Unrecht überhöhte Beträge geltend gemacht hat, haben sich im Verfahren nicht ergeben.
Hinsichtlich der Zeiträume 06/2014 bis 11/2014 bestehen aufgrund dieser Gehaltsbestandteile Forderungen der Österreichischen Gesundheitskasse für Sozialversicherungsbeiträge, welche bei der Primärschuldnerin nicht mehr einbringlich sind. Der Rückstand daraus beträgt per 27.05.2020 EUR 2.950,86.
Die Sozialversicherungsbeiträge der XXXX XXXX gesellschaft mbH im Beitragszeitraum 06/2014 bis 11/2014 in Höhe von EUR 2.950,86 wurden nicht ordnungsgemäß abgerechnet.
Die Beitragsrückstände sind in dem Zeitraum entstanden, in dem der Beschwerdeführer Geschäftsführer der Primärschuldnerin war. Im Zeitpunkt des Entstehens der Rückstände war der Beschwerdeführer für die rechtzeitige und ordnungsgemäße Entrichtung der Beiträge verantwortlich. Er bediente sich zur Erfüllung dieser Verantwortung eines Steuerberaters, ohne aber seine Meldepflichten auf diesen übertragen zu haben.
Im März 2014 erkrankte der Beschwerdeführer an einer Hepatitis-Infektion. Er war zur Behandlung derselben von 29.03.2014 bis 08.04.2014 in stationärer Krankenbehandlung und wurde anschließend in häusliche Pflege entlassen. In den darauffolgenden Monaten war er trotz seiner Erkrankung beruflich tätig und somit - wenn auch in eingeschränktem Ausmaß - in der Lage, seinen Pflichten im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Geschäftsführer nachzukommen.
2. Beweiswürdigung:
Der oben dargelegte Verfahrensgang und der maßgebliche Sachverhalt ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes, insbesondere dem angefochtenen Bescheid, dem Beschwerdeschriftsatz und den schriftlichen Stellungnahmen der belangten Behörde und des Beschwerdeführers sowie aus der Befragung des Beschwerdeführers und der Zeugen DI XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , Mag. XXXX und XXXX im Rahmen der mündlichen Verhandlungen am 27.05.2020 und am 10.07.2020. Ergänzend wurde der Insolvenzakt des Landesgerichts Feldkirch, 14 S 19/15d, betreffend die XXXX XXXX gesellschaft mbH eingeholt.
Die Feststellungen zur XXXX XXXX gesellschaft mbH basieren auf dem im Verwaltungsakt einliegenden Firmenbuchauszug. Hieraus geht auch unzweifelhaft hervor, dass der Beschwerdeführer vom 10.01.2014 bis zur Löschung der Funktion am 17.01.2015 als deren Geschäftsführer eingetragen war und diese Löschung am 19.11.2014 beantragt wurde.
Dass der Beschwerdeführer bis 19.11.2014 Geschäftsführer der Primärschuldnerin war, ergibt sich aus dem Umstand, dass er an diesem Tag die Löschung aus dem Firmenbuch beantragte und deckt sich insoweit auch mit seiner Bekanntgabe der Niederlegung seiner Funktion an die Gesellschafter, welche am 15.11.2014 (Samstag) in Deutschland zur Post gegeben wurde und somit unter Berücksichtigung des internationalen Postlaufs wohl nicht eher bei den Gesellschaftern eingelangt ist, auch wenn diesbezüglich kein genaues Datum feststeht.
Dass der Beschwerdeführer den Gesellschaftern die Niederlegung der Geschäftsführung mit Schreiben vom 14.11.2014, zur Post gegeben am 15.11.2014, mitgeteilt hat, geht aus dem als Beilage zur schriftlichen Stellungnahme vom 16.04.2019 vorgelegten Schreiben und dem entsprechenden Beleg der Deutschen Post hervor.
Die Feststellungen zum Insolvenzverfahren der Primärschuldnerin gründen auf dem unbestrittenen Inhalt des vorliegenden Insolvenzaktes des Landesgerichtes Feldkirch zu 14 S 19/15d. Daraus sind auch die anerkannte Forderung des DI XXXX sowie die Dauer seines Dienstverhältnisses ersichtlich.
Der Beschwerdeführer bestritt im Laufe des Verfahrens mehrfach, dass dem DI XXXX die im gegenständlichen Fall haftungsbegründenden Gehaltsbestandteile gebühren würden. Dem ist aus folgenden Gründen nicht zu folgen: So ist zunächst darauf zu verweisen, dass die entsprechenden Forderungen im Insolvenzverfahren in vollem Umfang anerkannt wurden und dagegen kein Einwand erhoben wurde, weshalb schon aus diesem Grund vom korrekten Bestehen der Forderungen auszugehen ist. Auch war DI XXXX , wie sich aus dem vorgelegten Dienstvertrag und seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 27.05.2020 ergibt, bereits in den drei Jahren vor dem haftungsbegründenden Zeitraum selbst für seine Gehaltsabrechnungen verantwortlich und wurde kein Vorbringen hinsichtlich etwaiger Unregelmäßigkeiten in diesem langen Zeitraum erstattet. Insofern der Beschwerdeführer in seiner Urkundenvorlage vom 16.07.2020 ein Konvolut an Lohnabrechnungen vorgelegt hat, handelt es sich bei diesen um Zeiträume im Jahr 2013, sohin weit vor dem haftungsrelevanten Zeitraum 06/2014 bis 11/2014, weshalb die Bedeutung dieser Unterlagen für den gegenständlichen Fall nicht erkennbar ist. Schließlich gab der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 27.05.2020 auch selbst an, dass er eigentlich keine eigenen Wahrnehmungen zu den Lohnabrechnungen des DI XXXX habe (Protokoll, S. 6). Außerdem würde „was er [ XXXX Anm.] hinschreibt“ zählen (Protokoll, S. 9) und habe der Beschwerdeführer auch keine Möglichkeit, dies zu kontrollieren. Somit wurde im gesamten Verfahren kein substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattet, weshalb die Forderungen des DI XXXX zu Unrecht bestehen würden, weshalb das Bundesverwaltungsgericht nach umfassender Würdigung sämtlicher Beweismittel zu dem Schluss kommt, dass die Gehaltsforderungen des DI XXXX im Zeitraum 06/2014 bis 11/2014 zu Recht bestanden.
Die Forderungen der Österreichischen Gesundheitskasse gegenüber der Primärschuldnerin sowie deren Höhe ergeben sich aus dem am 27.05.2020 vorgelegten Rückstandsausweis.
Dass diese bei der Primärschuldnerin nicht mehr einbringlich sind, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass das Insolvenzverfahren am 28.01.2016 mangels kostendeckenden Vermögens aufgehoben wurde. Dass die Sozialversicherungsbeiträge nicht ordnungsgemäß abgerechnet wurden ist bereits durch den Umstand, dass sie im Zuge der Beitragsprüfung nachverrechnet werden mussten, belegt.
Dass der Beschwerdeführer für die rechtzeitige und ordnungsgemäße Entrichtung der Beiträge verantwortlich war ergibt sich aus seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Primärschuldnerin. Dass er sich zur Entrichtung der Beiträge eines Steuerberaters bedient hat, ergibt sich aus dem glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers; eine Übertragung der Meldepflichten auf den Steuerberater oder den Arbeitnehmer DI XXXX konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht darlegen. Vielmehr erklärte er in der mündlichen Verhandlung am 27.05.2020 ausdrücklich, keine formelle Delegation der diesbezüglichen Aufgaben vorgenommen zu haben (Protokoll, S. 5).
Die Erkrankung des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinem diesbezüglich glaubhaften Vorbringen. Dass er von 29.03.2014 bis 08.04.2014 in stationärer Krankenbehandlung war, ist durch die am 27.05.2020 vorgelegte Quittung des Landesklinikums LANDSHUT (Beilage ./A) belegt. Dass der Beschwerdeführer in den darauffolgenden Monaten trotz seiner Erkrankung in der Lage war, grundlegende berufliche Verpflichtungen wahrzunehmen, folgt den glaubhaften Angaben seiner Lebensgefährtin XXXX in der mündlichen Verhandlung am 27.05.2020, wonach der Beschwerdeführer „das Nötigste schon von zu Hause aus gemacht“ habe (Protokoll, S. 17). Dass es dem Beschwerdeführer während der Zeit seiner Erkrankung nicht möglich gewesen wäre, seine Funktion zurückzulegen, wurde nicht vorgebracht.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Gemäß § 67 Abs 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.
Gemäß § 58 Abs 5 ASVG haben die Vertreter juristischer Personen, die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen und die Vermögensverwalter (§ 80 BAO) alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Der Beschwerdeführer war, wie sich aus dem Auszug aus dem Firmenbuch ergibt, im verfahrensgegenständlichen Zeitraum von Juni 2014 bis November 2014 selbständig vertretungsbefugter, handelsrechtlicher Geschäftsführer und kann somit grundsätzlich zu einer Haftung von aushaftenden Sozialversicherungsbeiträgen aufgrund von Meldepflichtverletzungen in diesem Zeitraum herangezogen werden.
Voraussetzung für die Haftung eines Vertreters nach § 67 Abs 10 ASVG ist die objektive, gänzliche oder zumindest teilweise Uneinbringlichkeit der betreffenden Beiträge beim Primärschuldner (vgl. VwGH 20.06.2018, Ra 2018/08/0039). Weitere Voraussetzungen für die Haftung gemäß § 67 Abs 10 ASVG sind auch deren ziffernmäßige Bestimmtheit der Höhe nach, schuldhafte und rechtswidrige Verletzungen der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten durch den Vertreter und die Kausalität der schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters für die Uneinbringlichkeit (vgl. VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).
Im gegenständlichen Fall sind die Voraussetzungen einer Haftung gem. § 67 Abs 10 ASVG erfüllt:
Die Beiträge sind bei der Primärschuldnerin im vorliegenden Fall nicht einbringlich. Dies ist im Hinblick auf die am 28.01.2016 verfügte Aufhebung des Insolvenzverfahrens und die daran anschließende Löschung der Primärschuldnerin aus dem Firmenbuch zu bejahen und somit zutreffend von der belangten Behörde festgestellt worden sowie überdies unstrittig.
Weitere Voraussetzung für die Haftung gemäß § 67 Abs 10 ASVG ist neben der Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden bei der Beitragsschuldnerin auch deren ziffernmäßige Bestimmtheit der Höhe nach und die Kausalität der schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters für die Uneinbringlichkeit.
Die Beitragsschuld beläuft sich im konkreten Fall auf EUR 2.950,86 zzgl. Zinsen und ist somit ziffernmäßig der Höhe nach von der belangten Behörde bestimmt worden.
Ferner ist zu prüfen, ob die Nichtmeldung der Sozialversicherungsbeiträge rechtswidrig war bzw ob der Beschwerdeführer als Vertreter seiner gesetzlichen Verpflichtung, nämlich für die rechtzeitige Meldung zu sorgen, rechtswidrig nicht nachgekommen ist. Diese Frage ist ebenfalls zu bejahen:
Der Beschwerdeführer war als Geschäftsführer der Primärschuldnerin zur Meldung an die belangte Behörde verpflichtet (§ 58 Abs 5 ASVG), er erstattete eine solche aber nicht. Den Beschwerdeführer trifft in diesem Zusammenhang die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung seiner Verpflichtungen unmöglich war, widrigenfalls eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden kann (VwGH 25.03.2019, Ra 2019/08/0059 ua).
Der Beschwerdeführer bringt im konkreten Fall vor, dass lediglich sein Arbeitnehmer XXXX im Zusammenspiel mit der Buchhalterin für die Abfuhr der Sozialversicherungsbeiträge verantwortlich gewesen seien. In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass bloße Varianten der Zeichnungsbefugnis (einzel oder kollektiv) keine Ressortverteilung (vgl. VwGH 93/08/0096, ZfVB 1995/212: Ausschluss von der Zeichnungsbefugnis im Innenverhältnis) sind, ebenso wenig bloß faktische ad hoc Abmachungen oder Arbeitsteilungen zwischen grundsätzlich kollegial zuständigen Vertretern: formlose, eher einer Delegation entsprechende Vereinbarungen entbinden nicht von der gemeinsamen Wahrnehmung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten bzw von der regelmäßigen wechselseitigen Überwachung trotz Arbeitsteilung (Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 67 ASVG [Stand 1.12.2020, rdb.at] Rz 102).
Auch das Vorbringen, sich für die Abfuhr der Sozialversicherungsbeträge einer Steuerberatungskanzlei bedient zu haben, entbindet den Beschwerdeführer nicht von der Haftung gemäß § 67 Abs 10 ASVG. So befreit die Beauftragung eines steuerlichen Vertreters den Vertreter nicht (VwGH 85/15/0069), und zwar schon deshalb, weil ihm das Verschulden seines Vertreters zuzurechnen ist (Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 67 ASVG [Stand 1.12.2020, rdb.at] Rz 128). Der Vertreter hat die Verpflichtung, sich die für seine Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen. Bestehen Zweifel an der Versicherungspflicht, so ist der Vertreter nur dann entschuldigt, wenn er die ihm zumutbaren Schritte unternommen hat, sich in der Frage der Meldepflicht des Beschäftigungsverhältnisses sachkundig zu machen und die Unterlassung der Meldung auf das Ergebnis dieser Bemühungen ursächlich zurückzuführen ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sich der Dienstgeber auf eine ihm mitgeteilte Verwaltungspraxis der belangten Behörde, auf ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung oder auf sonstige verlässliche Auskünfte sachkundiger Personen oder Institutionen zu stützen vermag (VwGH 90/08/0060, ZfVB 1991/2174 = ecolex 1991, 362; VwGH 96/08/0205, ZfVB 1997/1757 = SVSlg 42.167 = SVSlg 45.015).
Selbst wenn der Beschwerdeführer seine Verantwortung im Zusammenhang mit seinen sozialversicherungsrechtlichen Pflichten delegiert hätte, wäre ihm doch zur Last zu legen, dass er keine entsprechenden Überwachungsmaßnahmen getroffen hat. Auch entbindet ihn die behauptete Unkenntnis von noch bestehenden Entgeltansprüchen nicht von einer Haftung. Dass der Beschwerdeführer geeignete Schritte unternommen hat, sich über allenfalls noch bestehende Ansprüche des DI XXXX - sowie daraus allenfalls abgeleitete Beitragspflichten - sachkundig zu machen, wurde nicht vorgebracht.
Insoweit der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vorbrachte, dass er eher mit der fachlichen Seite des Geschäftes betraut war und ihm alle Verwaltungsagenden abgenommen werden sollten (Protokoll vom 27.05.2020, S. 8), so ist dies zwar glaubhaft, entbindet den Beschwerdeführer jedoch nicht von seiner Haftung. Der Beschwerdeführer als Geschäftsführer hätte sich die nötige Sachkenntnis zu verschaffen sowie geeignete Überwachungsmaßnahmen zur Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen der Primärschuldnerin zu setzen gehabt. Auch die Krankheit des Beschwerdeführers befreit ihn nicht von der Haftung, da er in der Lage gewesen wäre, die Geschäftsführung zurückzulegen.
Da dem Beschwerdeführer leichte Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist und somit alle Voraussetzungen für die Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG gegeben sind, haftet der Beschwerdeführer dem Grunde nach für die aus dem Titel der schuldhaften Meldepflichtverletzung vorgeschriebenen Beiträge.
Der Höhe nach ist diese Haftung auch gegeben, wenn auch nicht in der im angefochtenen Bescheid vorgeschriebenen Höhe. Sie war aufgrund der nunmehr - erst im Beschwerdeverfahren vorgelegten Neuberechnung - auf den Betrag von EUR 2.950,86 per 27.05.2020 zu korrigieren.
Die Vorschreibung von Verzugszinsen ergibt sich aus § 59 Abs 1 ASVG. Ihre Grundlage war auf den herabgesetzten Betrag zu berichtigen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Beitragsschuld Fahrlässigkeit Geschäftsführer Haftung Meldepflicht Pflichtverletzung UneinbringlichkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I413.2215501.1.00Im RIS seit
03.02.2022Zuletzt aktualisiert am
03.02.2022