RS Vfgh 2021/5/5 UA1/2021-39

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Veröffentlicht am 05.05.2021
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG Art53 Abs3
B-VG Art126a
B-VG Art138b Abs1 Z4
B-VG Art146
VO-UA §27, §53
ZPO §228
VfGG §7 Abs1, §20 Abs4, §36d, §56c, §56d, §56e, §56f

Leitsatz

Antrag des VfGH an den Bundespräsidenten auf Exekution des rechtskräftigen und vollstreckbaren VfGH-Erkenntnisses vom 03.03.2021, UA 1/2021-13 betreffend die Verpflichtung des Bundesministers für Finanzen zur Vorlage von E-Mails sowie lokal oder serverseitig gespeicherter Dateien von Bediensteten des Finanzministeriums an den Ibiza-Untersuchungsausschuss; Verpflichtung des informationspflichtigen Organs zur Herausgabe näher bezeichneter Akten und Unterlagen ist als zwangsweise vollstreckbares "Leistungserkenntnis" einer Exekution zugänglich; keine Möglichkeit der Eingrenzung der elektronischen Suche im Exekutionsverfahren, die auf das Selektieren anderer als rein privater oder bereits vorgelegter Dateien abstellt

Rechtssatz

Erläuterung des Beschlusses:

Art146 B-VG geht von einem engen Exekutionsbegriff im technischen Sinn aus, was bedeutet, dass die Zwangsvollstreckung erst nach Schaffung eines eigenen Vollstreckungstitels (konkret der Entscheidung des VfGH) einsetzen kann und auf die im Exekutionstitel enthaltenen vollstreckbaren Anordnungen beschränkt ist. Nach Art146 Abs2 B-VG sind daher nur solche Aussprüche einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung einer Exekution zugänglich, die eine zwangsweise vollstreckbare Leistungsverpflichtung enthalten. Eine Exekution von Entscheidungen feststellenden oder rechtsgestaltenden Inhaltes ist bereits begrifflich ausgeschlossen.

Es besteht kein Zweifel daran, dass mangels Nennung in Art146 Abs1 B-VG auch Entscheidungen nach Art138b Abs1 Z4 B-VG unter die "übrigen Erkenntnisse des VfGH" iSd Art146 Abs2 erster Satz B-VG fallen, deren Exekution dem Bundespräsidenten obliegt.

§56f VfGG, der das Verfahren gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG näher regelt, enthält zwar keine ausdrücklichen Anordnungen hinsichtlich der Rechtswirkungen einer meritorischen Entscheidung des VfGH. Aus einer systematischen Interpretation der in den §§56c ff VfGG enthaltenen Bestimmungen über Verfahren nach Art138b B-VG ergibt sich jedoch, dass der Gesetzgeber die Rechtswirkungen bloß feststellender Erkenntnisse explizit geregelt hat, während er dies ua im Fall des §56f VfGG für nicht notwendig erachtet hat, weil stattgebende Erkenntnisse gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG ohnedies zu einer Leistung verpflichten (Zur-Verfügung-Stellen von Informationen an einen Untersuchungsausschuss; "Vorlage von Beweismitteln" [§27 VO-UA]). In Entscheidungen über Verfahren gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG wird vom VfGH bei Stattgaben seit seiner ersten Entscheidung VfSlg 19973/2015 ein Leistungsausspruch getroffen.

Seit dem Inkrafttreten der Novellen BGBl 508 und 510/1993 sieht Art126a B-VG vor, dass "[a]lle Rechtsträger [...] verpflichtet [sind], entsprechend der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes eine Überprüfung durch den Rechnungshof zu ermöglichen", und gemäß §36d VfGG ist in einem Erkenntnis, mit dem festgestellt wird, dass der Rechnungshof zur Überprüfung der Gebarung eines Rechtsträgers zuständig ist, "auch auszusprechen, dass der Rechtsträger schuldig ist, die Gebarungsüberprüfung bei sonstiger Exekution zu ermöglichen". Seither besteht an der Exekutierbarkeit solcher Entscheidungen des VfGH kein Zweifel mehr.

Die Rechtslage bei Verfahren gemäß Art126a B-VG ist jedoch nicht mit jener bei Verfahren nach Art138b Abs1 Z4 B-VG vergleichbar. Dies hat auch Auswirkungen auf die Sprüche bei den beiden Verfahrensarten, die jeweils unterschiedlich formuliert sind: Werden in stattgebenden Erkenntnissen gemäß Art126a B-VG Formulierungen wie "Der Rechnungshof ist befugt, [...]" oder "Dem Antrag auf Feststellung, dass [...], wird stattgegeben" verwendet so sprach der VfGH in Sachentscheidungen in Verfahren nach Art138b Abs1 Z4 B-VG von Anfang an Verpflichtungen zur Vorlage von Akten und Unterlagen aus.

Diese Unterschiede in der Formulierung der stattgebenden Sprüche in Verfahren nach Art126a B-VG einerseits und nach Art138b Abs1 Z4 B-VG andererseits haben zur Folge, dass sich - entgegen der Ansicht des Bundesministers für Finanzen - jedenfalls für Letztere die Annahme eines Feststellungsurteiles iSd §228 ZPO verbietet. Auch die Annahme, die eine Verpflichtung aussprechenden Erkenntnisse in Verfahren nach Art138b Abs1 Z4 B-VG hätten lediglich rechtsgestaltenden Charakter, sodass sie - wie zB die Aufhebung einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes in einem Verfahren nach Art144 B-VG - nicht exekutionsfähig seien, trifft nicht zu, weil über die rechtsgestaltende Verfügung hinaus der Befehl enthalten ist, dass ein näher bezeichnetes Organ bestimmte Akten und Unterlagen an einen Untersuchungsausschuss vorlegen muss, sodass ein einer Exekution zugängliches "Leistungserkenntnis" vorliegt.

Auf die Verwendung der Floskel "bei sonstiger Exekution" im Spruch kommt es für die Frage der Vollstreckbarkeit einer Entscheidung ebenso wenig an wie auf die Existenz einer gesetzlichen Bestimmung, die zur Verwendung dieser Wortfolge verpflichtet; so enthält zB auch die exekutierbare Verpflichtung zur Kundmachung der Aufhebung eines Gesetzes oder einer Verordnung in einem Gesetzblatt - im Unterschied zum Kostenzuspruch - keine solche Formulierung, sondern nur den Ausspruch, dass zB der Bundeskanzler zur Kundmachung im Bundesgesetzblatt verpflichtet ist.

Die Formulierung einer Verpflichtung des informationspflichtigen Organs zur Herausgabe konkret oder zumindest näher bezeichneter Akten und Unterlagen ist im Übrigen auch geeignet, das Kriterium der zwangsweise vollstreckbaren Leistungsverpflichtung zu erfüllen und ist daher einer Exekution gemäß Art146 Abs2 B-VG ihrem Wesen nach zugänglich.

Zum Umfang der vorzulegenden Akten und Unterlagen:

Im vorliegenden Verfahren hat der VfGH vom Bundesminister für Finanzen im Rahmen eines Vorverfahrens die in Rede stehenden Unterlagen angefordert. Der Bundesminister hat dem VfGH mit zwei Schriftsätzen insgesamt 15.090 E-Mails (darin enthalten 7.287 E-Mails, die dem Untersuchungsausschuss bereits vorgelegt worden sind, sowie weitere 7.803 E-Mails) auf zwei Datenträgern übermittelt. Es wurde darauf hingewiesen, dass von den betroffenen Bediensteten des Bundesministeriums als private E-Mails betrachtete Unterlagen dem VfGH nicht vorgelegt worden sind.

Spruchpunkt I. des E v 03.03.2021, UA 1/2021 umfasst jedenfalls die erwähnten 7.803 E-Mails, kann aber auch sonstige Akten und Unterlagen erfassen, sollte der Bundesminister für Finanzen dem VfGH im Vorverfahren nicht alle angeforderten Akten und Unterlagen vorgelegt haben. Da sich auf den Datenträgern, die dem VfGH übergeben wurden - wie erwähnt - auch 7.287 E-Mails befinden, die dem Untersuchungsausschuss bereits vorgelegt worden sind und der VfGH ua diesbezüglich den Antrag zurückgewiesen hat, wird vom Herausgabeanspruch nicht die Gesamtheit aller Daten umfasst, die sich auf diesen Datenträgern befinden. Eine Eingrenzung bzw Durchführung einer Strukturierung einer (elektronischen) Suche im Rahmen des Exekutionsverfahrens, die auf das Selektieren anderer als rein privater oder bereits vorgelegter Dateien (vgl Spruchpunkt II. des E v 03.03.2021, UA 1/2021) abstellt, wie dies vom Bundesminister für Finanzen vorgeschlagen wird, kommt allerdings nicht (mehr) in Betracht.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Untersuchungsausschuss, VfGH / Exekution, Auslegung systematische, Bundespräsident, Bundesminister, Nationalrat, email

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:UA1.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.05.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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