TE Vfgh Beschluss 2021/5/10 UA5/2021

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Veröffentlicht am 10.05.2021
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG Art53
B-VG Art138 Abs1 Z4
GOG-NR §108
VO-UA §24, §25, §27
VfGG §7 Abs1, §56f

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags von Mitgliedern des Ibiza-Untersuchungsausschusses auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit betreffend die – nicht hinreichend bestimmte – Aufforderung an den Bundeskanzler zur Vorlage von Mobiltelefonnachrichten bestimmter Personen; keine Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof der nicht eindeutigen Aufforderung (Gesetzesbestimmung, Datum) zur Beweismittelvorlage; keine Interpretation der – den Prozessgegenstand des Verfassungsgerichtshofes bildenden – Aufforderung

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit ihrem auf Art138b Abs1 Z4 B-VG gestützten Antrag begehren die Einschreiter,

"der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, dass der Bundeskanzler verpflichtet ist, dem Ibiza-Untersuchungsausschuss unverzüglich die vollständigen SMS, Whatsapp-, iMessage-, Telegram- oder Signal-Nachrichten seines auf die ÖVP Bundespartei angemeldeten Mobiltelefons vorzulegen, sofern eine oder mehrere der folgenden Personen an der Kommunikation teilnahmen:

-      G[.] B[.],

-      S[.] S[.],

-      A[.] M[.],

-      H[.]-C[.] S[.],

-      G[.] S[.]-Q[.],

-      A[.] M[.]-P[.],

-      H[.] N[.],

-      J[.] P[.],

-      W[.] R[.],

-      B[.] G[.]-K[.],

-      H[.] L[.],

-      C[.] P[.],

-      C[.]-W[.] N[.],

-      A[.] H[.],

-      T[.] S[.]."

II. Rechtslage

1. Art53 und Art138b Abs1 Z4 B-VG, BGBI. 1/1930, idF BGBl I 101/2014 lauten:

"Artikel 53. (1) Der Nationalrat kann durch Beschluss Untersuchungsausschüsse einsetzen. Darüber hinaus ist auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder ein Untersuchungsausschuss einzusetzen.

(2) Gegenstand der Untersuchung ist ein bestimmter abgeschlossener Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes. Das schließt alle Tätigkeiten von Organen des Bundes, durch die der Bund, unabhängig von der Höhe der Beteiligung, wirtschaftliche Beteiligungs- und Aufsichtsrechte wahrnimmt, ein. Eine Überprüfung der Rechtsprechung ist ausgeschlossen.

(3) Alle Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper haben einem Untersuchungsausschuss auf Verlangen im Umfang des Gegenstandes der Untersuchung ihre Akten und Unterlagen vorzulegen und dem Ersuchen eines Untersuchungs-ausschusses um Beweiserhebungen im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Untersuchung Folge zu leisten. Dies gilt nicht für die Vorlage von Akten und Unterlagen, deren Bekanntwerden Quellen im Sinne des Art52a Abs2 gefährden würde.

(4) Die Verpflichtung gemäß Abs3 besteht nicht, soweit die rechtmäßige Willensbildung der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder oder ihre unmittelbare Vorbereitung beeinträchtigt wird.

(5) Nähere Bestimmungen trifft das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates. In diesem können eine Mitwirkung der Mitglieder der Volks-anwaltschaft sowie besondere Bestimmungen über die Vertretung des Vorsitzenden und die Vorsitzführung vorgesehen werden. Es hat auch vorzusehen, in welchem Umfang der Untersuchungsausschuss Zwangsmaßnahmen beschließen und um deren Anordnung oder Durchführung ersuchen kann."

"Artikel 138b. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über

[...]

4. Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates, einem Viertel seiner Mitglieder und informationspflichtigen Organen über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, auf Antrag des Untersuchungsausschusses, eines Viertels seiner Mitglieder oder des informationspflichtigen Organs;

[…]"

2. §56f Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (in der Folge: VfGG), BGBl. 85, idF BGBl. I 101/2014 lautet:

"d) Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates, einem Viertel seiner Mitglieder und informationspflichtigen Organen über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen

§56f. (1) Ein Antrag auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates, einem Viertel der Mitglieder dieses Untersuchungsausschusses und informationspflichtigen Organen über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, ist nicht mehr zulässig, wenn seit dem Ablauf der Frist gemäß §27 Abs4 der Anlage 1 zum Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates: 'Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse' zwei Wochen vergangen sind.

(2) Bis zur Verkündung bzw Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes dürfen nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.

(3) Der Verfassungsgerichtshof entscheidet auf Grund der Aktenlage ohne unnötigen Aufschub, tunlichst aber binnen vier Wochen, nachdem der Antrag vollständig eingebracht wurde."

3. §106 des Bundesgesetzes vom 4. Juli 1975 über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975 – in der Folge: GOG-NR), BGBl 410, idF BGBl I 99/2014 lautet:

"§106. Verlangen eines Drittels der Mitglieder des Immunitätsausschusses auf Einholung einer Entscheidung des Nationalrates im Sinne des §10 Abs3, Verlangen auf Einberufung einer außerordentlichen Tagung gemäß §46 Abs2, Verlangen auf Durchführung einer Volksabstimmung gemäß §§84 Abs1 oder 85 sowie Anträge und Anfechtungen in Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nach den Bestimmungen dieser Geschäftsordnung sind schriftlich mit den eigenhändigen Unterschriften der Abgeordneten an den Präsidenten zur weiteren verfassungsmäßigen Behandlung zu richten."

4. §24, §25 und §27 der Anlage 1 zum GOG-NR (Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse – VO-UA), BGBl 410/1975, idF BGBl I 99/2014 lauten:

"Grundsätzlicher Beweisbeschluss

§24. (1) Der grundsätzliche Beweisbeschluss verpflichtet Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper zur vollständigen Vorlage von Akten und Unterlagen im Um-fang des Untersuchungsgegenstands. Sie können zugleich um Beweiserhebungen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand ersucht werden. Dies gilt nicht für die Vorlage von Akten und Unterlagen sowie Erhebungen, deren Bekanntwerden Quellen im Sinne des Art52a Abs2 B-VG gefährden würde.

(2) Die Verpflichtung gemäß Abs1 besteht nicht, soweit die rechtmäßige Willensbildung der Bundesregierung und ihrer einzelnen Mitglieder oder ihre unmittelbare Vorbereitung beeinträchtigt wird.

(3) Der grundsätzliche Beweisbeschluss ist nach Beweisthemen zu gliedern und zu begründen. Die vom Untersuchungsgegenstand betroffenen Organe sind genau zu bezeichnen. Die Setzung einer angemessenen Frist ist zulässig. Der Geschäftsordnungsausschuss kann Anforderungen an die Art der Vorlage beschließen. Sofern sich ein solcher Beschluss auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden bezieht, ist nach Maßgabe von §58 vorzugehen.

(4) Im Fall eines aufgrund eines Verlangens gemäß §1 Abs2 eingesetzten Untersuchungsausschusses kann die Einsetzungsminderheit nach Einsetzung des Untersuchungsausschusses den Verfassungsgerichtshof gemäß Art138b Abs1 Z2 B-VG zur Feststellung über den hinreichenden Umfang des grundsätzlichen Beweisbeschlusses anrufen. Gleiches gilt hinsichtlich einer Ergänzung des grundsätzlichen Beweisbeschlusses gemäß Abs5.

(5) Stellt der Verfassungsgerichtshof gemäß §56d VfGG fest, dass der Umfang des grundsätzlichen Beweisbeschlusses nicht hinreichend ist, hat der Geschäftsordnungsausschuss binnen zwei Wochen eine Ergänzung zu beschließen. Der Beschluss ist gemäß §39 GOG bekannt zu geben.

(6) Im Fall einer Anrufung des Verfassungsgerichtshofs zur Feststellung des nicht hinreichenden Umfangs der Ergänzung des grundsätzlichen Beweisbeschlusses gemäß Abs5 wird diese in dem vom Verfassungsgerichtshof gemäß §56d Abs7 VfGG festgestellten erweiterten Umfang wirksam. Der grundsätzliche Beweisbeschluss samt Ergänzung ist gemäß §39 GOG bekannt zu geben."

"Ergänzende Beweisanforderungen

§25. (1) Der Untersuchungsausschuss kann aufgrund eines schriftlichen Antrags eines Mitglieds ergänzende Beweisanforderungen beschließen.

(2) Ein Viertel seiner Mitglieder kann ergänzende Beweisanforderungen verlangen. Das Verlangen wird wirksam, wenn die Mehrheit der Mitglieder in dieser Sitzung nicht den sachlichen Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand mit Beschluss bestreitet.

(3) Eine ergänzende Beweisanforderung hat ein Organ gemäß §24 Abs1 und 2 im Umfang des Untersuchungsgegenstands zur Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen zu verpflichten oder um Erhebungen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand zu ersuchen. Die Beweisanforderung ist zu begrün-den. Die Setzung einer angemessenen Frist ist zulässig. Der Untersuchungsaus-schuss kann Anforderungen an die Art der Vorlage beschließen. Sofern sich ein solcher Beschluss auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden bezieht, ist nach Maßgabe von §58 vorzugehen.

(4) Bestreitet die Mehrheit der Mitglieder des Untersuchungsausschusses den sachlichen Zusammenhang eines Verlangens gemäß Abs2 mit dem Untersuchungsgegenstand, kann das verlangende Viertel der Mitglieder den Verfassungsgerichtshof gemäß Art138b Abs1 Z3 B-VG zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses gemäß Abs2 anrufen. Mit der Feststellung des Verfassungsgerichtshofes über die Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses wird das Verlangen gemäß Abs2 wirksam."

"Vorlage von Beweismitteln

§27. (1) Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper haben Beweisbeschlüssen gemäß §24 und ergänzenden Beweisanforderungen gemäß §25 unverzüglich zu entsprechen. Im Fall einer Anrufung des Verfassungsgerichtshofes gemäß §24 Abs4 hat die Übermittlung von Akten und Unterlagen jedoch erst mit Unterrichtung gemäß §26 Abs2 über die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zu erfolgen.

(2) Akten und Unterlagen, die sich auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden beziehen, sind vom Bundesminister für Justiz vorzulegen.

(3) Wird einem Beweisbeschluss oder einer ergänzenden Beweisanforderung nicht oder nur teilweise entsprochen, ist der Untersuchungsausschuss über die Gründe der eingeschränkten Vorlage schriftlich zu unterrichten.

(4) Kommt ein informationspflichtiges Organ nach Auffassung des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder der Verpflichtung gemäß Abs1 oder Abs3 nicht oder ungenügend nach, kann der Ausschuss oder ein Viertel seiner Mitglieder das betreffende Organ auffordern, innerhalb einer Frist von zwei Wochen diesen Verpflichtungen nachzukommen. Die Aufforderung ist schriftlich zu begründen.

(5) Der Verfassungsgerichtshof entscheidet gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG über die Rechtmäßigkeit der teilweisen oder gänzlichen Ablehnung der Vorlage oder der Beweiserhebung, wenn ihn das aufgeforderte Organ oder ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses nach Ablauf der Frist gemäß Abs4 anruft oder der Ausschuss eine Anrufung aufgrund eines schriftlichen Antrags nach Ablauf der Frist gemäß Abs4 beschließt.

(6) Werden klassifizierte Akten oder Unterlagen vorgelegt, ist der Untersuchungsausschuss über den Zeitpunkt und die Gründe der Klassifizierung schriftlich zu unterrichten."

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. 54 Mitglieder des Nationalrates haben am 11. Dezember 2019 ein – zur Gänze zulässiges (vgl VfGH 3.3.2020, UA1/2020) – Verlangen auf Einsetzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses mit folgendem Untersuchungsgegenstand im Nationalrat eingebracht und dieses wie folgt begründet (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"Untersuchungsgegenstand

Untersuchungsgegenstand ist die mutmaßliche politische Absprache über das Gewähren ungebührlicher Vorteile im Bereich der Vollziehung des Bundes durch Mitglieder der Bundesregierung oder Staatssekretäre und diesen jeweils unterstellte leitende Bedienstete an natürliche oder juristische Personen, die politische Parteien direkt oder indirekt begünstigten, im Zuge der

a) Vollziehung der §§12a, 14 bis 16, 18 bis 24a, 30, 31, 31b Abs1 und 6 bis 9, sowie 57 bis 59 Glücksspielgesetz idjgF;

b) Einflussnahme auf die Casinos Austria AG, ihre direkten oder indirekten EigentümerInnen sowie ihre Tochterunternehmen und jeweiligen OrganwalterInnen;

c) Vorbereitung von Gesetzgebungsverfahren auf Grundlage der Art10 Abs1 Z1, 4-6 und 8-12, Art11 Abs1 Z3 und 7, Art12 Abs1 Z1 und 5 sowie Art14b Abs1 B-VG idjgF;

d) Vollziehung der §121a BAO sowie Art1 §49a FinStrG idjgF in Bezug auf die in litb genannten Personen;

e) Umstrukturierung der Finanzaufsicht (BMF, Österreichische Nationalbank und Finanzmarktaufsicht) sowie der ÖBIB zur ÖBAG einschließlich der Bestellung der jeweiligen Organe;

f) Bestellung von Organen (einschließlich Vorstände, Aufsichtsräte und Geschäftsführungen) von Unternehmungen, an denen der Bund mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist;

g) straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen in Folge des Ibiza-Videos und gegen die Casinos Austria AG, ihre direkten und indirekten EigentümerInnen sowie Tochterunternehmen und jeweiligen OrganwalterInnen

einschließlich von Vorbereitungs- und Verdunkelungshandlungen im Zeitraum von 18. Dezember 2017 bis 10. Dezember 2019

Beweisthemen und inhaltliche Gliederung des Untersuchungsgegenstands

1. Managementscheidungen bei der Casinos Austria AG

Aufklärung über die Strategie, die Beweggründe und die Verfahren zur Besetzung von Funktionen in der Casinos Austria AG und ihren Tochterunternehmen sowie die Kommunikation zwischen den Eigentümern der CASAG bzw Mitgliedern der Gesellschaftsgremien sowie Amtsträgern. Dazu zählt die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen, die Willensbildung sowie die Überprüfung der jeweiligen persönlichen Eignung bei der Bestellung der GeschäftsleiterInnen (insbesondere Peter Sidlo) sowie des Aufsichtsrates der CASAG, die Wahrnehmung der Eigentümerinteressen der Republik sowie die in Folge des Bekanntwerdens der Ermittlungen der WKStA getroffenen Maßnahmen.

2. Reform und Vollziehung bestimmter Teile des Glücksspielgesetzes

Aufklärung über die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt, die Vorgangsweise und die politische Einflussnahme auf die Vollziehung des Glücksspielgesetzes sowie die Vorbereitung möglicher Gesetze im Glücksspielbereich einschließlich der Bemühungen von Dritten um bestimmte Handlungen seitens der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder ('Hintergrunddeals').

3. Begünstigung von Dritten

Aufklärung über die Einflussnahme von politischen FunktionsträgerInnen, leitenden Bediensteten sowie deren jeweiligen Büros auf die Vollziehung von Angelegenheiten betreffend Personen, die direkt oder indirekt Parteien oder WahlwerberInnen begünstigten einschließlich diese betreffende behördliche Ermittlungen sowie der Umgang mit Ansuchen um privilegierte Behandlung durch diesen Personenkreis.

4. Neustrukturierung der Finanzaufsicht

Aufklärung über die Strategie, die Beweggründe und die Verfahren in Zusammenhang mit der Reform der Finanzaufsicht, insbesondere den Kompetenzverschiebungen zwischen BMF, FMA und OeNB und die Neubesetzung der jeweiligen Organe. Dazu zählt auch die (versuchte) Einflussnahme Dritter auf die Reformüberlegungen.

5. Ermittlungen in der Ibiza-Affäre

Aufklärung über die politische Einflussnahme auf den Zeitablauf, die Vorgangs-weise, Kommunikation und Strategie der behördlichen Ermittlungen in Folge des Bekanntwerdens des Ibiza-Videos einschließlich der Tätigkeiten und Zusammensetzung der SOKO Ibiza.

6. Beteiligungsmanagement des Bundes

Aufklärung über die Einflussnahme der Bundesregierung auf die ÖBIB bzw ÖBAG, die Hintergründe, Strategien und Motive der Umstrukturierung der ÖBIB zur ÖBAG und die verwaltungsseitige Vorbereitung der entsprechenden Gesetzesnovellen sowie Aufklärung über das Funktionieren des Beteiligungsmanagements des Bundes.

7. Personalpolitik in staatsnahen Unternehmen

Aufklärung über die Beeinflussung von Personalentscheidungen in Unternehmen, an denen der Bund direkt oder indirekt beteiligt ist, einschließlich der Bestellung von Thomas Schmid zum Vorstand der ÖBAG, sowie von Mitgliedern von Aufsichtsräten als mögliche Gegenleistung oder Belohnung für die direkte oder indirekte Begünstigung politischer Parteien oder WahlwerberInnen.

8. Verdacht des Gesetzeskaufs

Aufklärung über die Einräumung von Einflussnahmemöglichkeiten an Dritte auf das Gesetzgebungsverfahren – sofern es der Vollziehung zuzurechnen ist - einschließlich Regierungsakten, als Folge der Begünstigung bestimmter politischer Parteien oder WahlwerberInnen.

[…]

Begründung

'Die Novomatic zahlt alle' – Es ist dieser Satz, gesprochen vom damaligen FPÖ-Parteichef Heinz Christian Strache im Ibiza-Video, der im Zentrum des Untersuchungsgegenstands steht. Der Verdacht steht im Raum, dass damals in der Theorie formuliert wurde, was später, als die FPÖ in die Regierung kam, gemeinsam mit der ÖVP umgesetzt werden sollte. Gegenwärtig ermittelt nach dem Ende einer türkis-blauen Regierung die Staatsanwaltschaft – wegen des Verdachtes von Korruption, Untreue und Amtsmissbrauch.

Die Verdachtslage erhärtete sich bei der Bestellung des FPÖ-Bezirksrates Peter Sidlo zum Finanzvorstand der Casinos Austria AG. Laut Medienberichten und veröffentlichten Chatprotokollen steht der Verdacht im Raum, dass der Novomatic gegen Geld (Spende an FPÖ-Mandatar) und Postenvergabe (Einsatz für Sidlo) bessere gesetzliche Rahmenbedingungen (Casinokonzessionen) in Aussicht gestellt wurden – hier besteht also der Verdacht des Gesetzeskaufs.

Die Causa Casinos könnte aber nur die Spitze des Eisbergs sein. Der nun verlangte Untersuchungsausschuss hat zum Ziel, die politische Verantwortung der türkis-blauen Bundesregierung zu klären. Vor allem muss im Sinne demokratischer Kontrolle geklärt werden, ob neben den bislang bekannten Fällen noch weitere Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Maßnahmen der türkis-blauen Bundesregierung nur deswegen getroffen wurden, weil illegale Geldflüsse und/oder Postenvergaben versprochen wurden.

Zum Untersuchungsgegenstand im Besonderen:

Zum bestimmten, abgeschlossenen Vorgang:

Ziel eines Untersuchungsausschusses ist es, komplexe und umfassende Sachverhalte aufzuklären[…]. Der hier zu untersuchende Vorgang besteht in seinem Kern aus der politischen Absprache über eine ungebührliche Bevorteilung von Dritten in ausgewählten Bereichen der Vollziehung des Bundes. Eine solche Absprache zur Bevorteilung erfolgt auf Grund einer bestimmten politischen Motivlage, ohne deren Kenntnis gewisse Sachverhalte nicht hinreichend erklärt oder überhaupt als Bestandteil eines inhaltlichen Komplexes erkannt werden können. Erst durch die Offenlegung der Motivlage – im konkreten Fall das Erbringen einer Gegenleistung für die vorausgegangene Begünstigung politischer Parteien - erhalten diese Vollziehungshandlungen ihren größeren Sinn und werden als Teile eines gemeinsamen Vorgangs erkennbar. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Existenz einer solchen Motivlage nicht freiwillig offenbart wird, sondern im Gegenteil erst durch entsprechende Untersuchungen aufgeklärt werden muss.

Zu diesem Zweck ist der Untersuchungsgegenstand zunächst mit dem Verdacht der politischen Absprache zum Zweck der ungebührlichen Vorteilsgewährung bestimmt und wird sodann auf Grund der bestehenden Informationen auf einzelne Vollziehungsbereiche eingegrenzt. Diese in den lita bis g genannten Bereiche geben die zum Zeitpunkt der Einbringung des gegenständlichen Verlangens öffentlich bekannten Verdachtsmomente wieder. Das Verlangen umschreibt so jene Bereiche der Vollziehung, in denen sich die abgesprochene Vorteilsgewährung manifestiert haben soll. Es handelt sich dabei um Angelegenheiten, die in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sind (insb. Art10 Abs1 Z1 B-VG) bzw Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes darstellen.

Politische Absprache erfasst die Kommunikation und die Abstimmung von Hand-lungen von Mitgliedern der Bundesregierung, ihren Büros und unterstellten Bediensteten mit dem Ziel, ein gewisses Ergebnis zu erzielen. Die Feststellung der tatsächlichen Existenz der Absprache zur ungebührlichen Vorteilsgewährung ist Teil der Untersuchung und obliegt daher ausschließlich dem Untersuchungsausschuss selbst. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Ergründung der Motivlage im Bereich der Aufklärung über die politische Verantwortung zu verorten ist. Im Zuge der Vorlage von Beweismitteln ist von den vorlagepflichtigen Organen somit in Einklang mit der Judikatur des VfGH lediglich zu prüfen, ob Akten und Unterlagen eine abstrakte Relevanz für den Untersuchungsgegenstand haben könnten.

Die Wendung 'ungebührliche Vorteile' stellt einen Überbegriff für verschiedene Formen der Privilegierung dar. Der für die Untersuchung relevante Bereich kann sich daher von der Übernahme bestimmter Inhalte in der Vorbereitung der Gesetzgebung, der Auswahl bestimmter Personen für Funktionen, dem Verzögern oder Beschleunigen gewisser Verfahren bis zur Weitergabe von Informationen aus Strafverfahren erstrecken. Entscheidend ist die Eignung, bestimmte natürliche oder juristische Personen im Vergleich mit anderen zu privilegieren. Tatsächliche Unsachlichkeit der unterschiedlichen Behandlung oder Rechtswidrigkeit ist nicht erforderlich, um vom Untersuchungsgegenstand erfasst zu sein.

Entscheidende Akteure sind auf Seite der Verwaltung die Mitglieder der Bundesregierung sowie Staatssekretäre in der Zeit der Regierung Kurz sowie deren KabinettsmitarbeiterInnen und Generalsekretäre. Hier gilt es zu klären, ob sie zusammengewirkt haben, um ein gewisses, Dritte begünstigendes Ergebnis zu erzielen.

Auf Grund der bisherigen Berichterstattung kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass diesen unterstellte leitende Bedienstete bei der Vorteilsgewährung eine wesentliche Rolle einnahmen. Ihnen muss zumindest eine gewisse lngerenz auf das Verwaltungshandeln zukommen, da sonst jedenfalls eine abstrakte Eignung fehlt, um zum untersuchenden Vorgang beizutragen. Leitende Bedienstete werden daher ausdrücklich miteinbezogen. Nicht-leitende Bedienstete sind vom jeweils zuständigen Organ nichtsdestotrotz im Rahmen der Beweisanforderung aufzufordern, ihre Akten und Unterlagen vorzulegen (siehe dazu VfgH UA1/2018 und UA3/2018).

Akteure auf dritter Seite sind natürliche oder juristische Personen, die eine politische Partei oder WahlwerberInnen direkt oder indirekt begünstigten. Sie sind mögliche Nutznießer einer Privilegierung. In der Regel wird in diesem Zusammenhang eine wirtschaftliche Betrachtungsweise der Situation erforderlich sein. In der Zielgerichtetheit der Vorteilszuwendung liegt die Abgrenzung zu normalem politischem Handeln.

Die zeitliche Abgrenzung erfolgt mit der Angelobung der Regierung Kurz am 18. Dezember 2017 und endet mit 10.12.2019. Das ist jener Tag, an dem eine außerordentliche Hauptversammlung der CASAG zur Abberufung von Peter Sidlo anberaumt war und der Verkauf der CASAG-Anteile der Novomatic an die Sazka Gruppe bekannt gegeben wurde. Der Vorgang ist somit abgeschlossen.

Vom Untersuchungsgegenstand erfasst sind auch Vorbereitungs- sowie Verdunkelungshandlungen. Die Festlegung einer fortlaufenden Beweisvorlagepflicht im grundsätzlichen Beweisbeschluss wird in diesem Zusammenhang vorgeschlagen.

Zu lita:

Diese Formulierung schafft die Grundlage für die Aufklärung zu den Beweisthemen 1 und 2.

Die Vollziehung der genannten Bestimmungen des Glücksspielgesetzes umfasst insbesondere die Wahrnehmung der Aufsicht durch den Bundesminister für Finanzen in Hinblick auf die Vergabe von Konzessionen, die Beteiligungsverhältnisse und die fachlichen Anforderungen an Geschäftsleiter und Aufsichtsräte sowie die abgabenrechtlichen Bestimmungen. Es sind in der Aufzählung all jene Bestimmungen genannt, die in Zusammenhang mit der Berichterstattung zu den Ermittlungen der WKStA genannt sind. Nicht umfasst ist unter anderem die Vollziehung der Strafbestimmungen, da bezirksverwaltungsbehördliche Kontrollen nach dem Glücksspielgesetz von vornherein dem Austauschverhältnis unzugänglich sind, das dem Untersuchungsgegenstand zu Grunde liegt. Die (versuchte) Beeinflussung des Bundesministers für Finanzen wäre wiederum über den Verweis auf §19 leg cit sehr wohl erfasst.

Zu litb:

Mit politischer Einflussnahme auf die CASAG sowie die in wirtschaftlicher Beziehung zu ihr stehenden Unternehmen ist in einem weiteren Sinne die Verwaltung des Glücksspielsektors zu verstehen, einschließlich der Kommunikation von Organen des Bundes mit am Glücksspielsektor Interessierten und umgekehrt sowie das Beteiligungsmanagement des Bundes in diesem Bereich.

Unter direkte oder indirekte EigentümerInnen sind sowohl natürliche als auch juristische Personen zu verstehen, die im Untersuchungszeitraum entweder direkt Anteile an der CASAG hielten oder dies über zwischengeschaltete Personen – selbst wenn über mehrere Ebenen - taten (Mutter-Tochter- und Schachtel-Konstruktionen). Also auch jene Personen, die EigentümerInnen der EigentümerInnen usw waren. Tochterunternehmen sind jene der CASAG, also insbesondere die Casinos Austria International und die Österreichischen Lotterien, aber auch die Medial Beteiligungs-Gesellschaft m.b.H. ('MEDIAL'). OrganwalterInnen sind alle Vorstände, Aufsichtsräte, GeschäftsführerInnen, usw, je nach Rechtsform, über die Dauer des Untersuchungszeitraumes. Die Eigenschaft als EigentümerIn oder OrganwalterIn zu einem beliebigen Zeitpunkt während des Untersuchungszeitraumes genügt.

Zu litc:

Diese Formulierung dient als Grundlage für die Aufklärung über den Vorwurf des Gesetzeskaufs. Zur Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens zählt insbesondere die ressortinterne legistische Vorbereitung von der entsprechenden Kommunikation zwischen BundesministerIn, dem Kabinett bzw Generalsekretär und der zuständigen Abteilung bis hin zum Ministerialentwurf, die Kommunikation innerhalb der Bundesregierung und zwischen unterschiedlichen Ressorts sowie mit Dritten zum jeweiligen Gesetzesvorhaben, die Einholung von externer Expertise und die weitere Begleitung des Gesetzgebungsverfahrens.

Es sind nur jene Gesetzgebungsverfahren erfasst, die unter die angegebenen Kompetenztatbestände fallen. Es handelt sich um jene Gesetzgebungskompetenzen, bei denen auf Grund der bisherigen Berichterstattung bzw auf Grund der mit dem jeweiligen Regelungsbereich zwangsläufig verbundenen wirtschaftlichen Interessen das Bestehen des im Untersuchungsgegenstand beschriebenen Austauschverhältnisses denkmöglich ist. Ausgenommen sind demgegenüber alle sicherheitspolitischen Gesetzgebungskompetenzen, das Bildungswesen, das Dienstrecht sowie auswärtige Angelegenheiten.

Von den 117 Regierungsvorlagen der XXVI.GP sind daher geschätzt 60% vom Untersuchungsgegenstand umfasst. Sehr wohl umfasst sind ReferentInnen- und Ministerialentwürfe, selbst wenn diese schlussendlich niemals der Bundesregierung zur Beschlussfassung vorgelegt wurden.

Zu litd:

Die genannten Bestimmungen der BAO bzw des FinStrG regeln die Meldung von Schenkungen ab gewissen Wertgrenzen an das zuständige Finanzamt bzw die Sanktionen bei Verstößen gegen diese Meldepflicht. Schenkungen an Personen in oder im Umfeld von politischen Parteien bilden eine mögliche Umgehung der gesetzlichen Spendenverbote bzw vorgeschriebenen Transparenzbestimmungen. Auf Grund der Verdachtsmomente in Hinblick auf in Angelegenheiten des Glücksspiels involvierte Personen soll die Vollziehung der Schenkungsmeldungen für diesen beschränkten Personenkreis Teil der Untersuchung sein.

Zu lite:

Ab ihrer Angelobung bereitete die türkis-blaue Bundesregierung eine Reform der Finanzaufsicht vor. Dabei sollte es zu Kompetenzverschiebungen zwischen der Finanzmarktaufsicht, dem BMF und der Oesterreichischen Nationalbank kommen. Außerdem wurden die Organe der Oesterreichischen Nationalbank und der FMA neu bestellt. Der medialen Berichterstattung war in diesem Zeitraum zu entnehmen, dass zwischen den Regierungsparteien Vereinbarungen getroffen wurden, die jenen bei der Casinos Austria AG stark ähneln. Daher wird dieser Bereich ausdrücklich in den Untersuchungsgegenstand einbezogen und als Beweisthema 4 geführt. Umfasst sind alle Vorarbeiten, Verfahren und Entscheidungen für die Reform der Finanzaufsicht sowie für die Bestellung der Organe.

Zu litf:

Der Bund ist neben der Casinos Austria AG an einer Vielzahl von Unternehmungen direkt oder indirekt beteiligt. Mehrere Personalentscheidungen der türkis-blauen Bundesregierung erweckten den Eindruck, dass diese als Gegenleistung für die Begünstigung politischer Parteien erfolgten. Die Formulierung beschränkt sich absichtlich nicht auf die tatsächliche Ausübung der Eigentümerrechte, sondern umfasst auch informelles Vorgehen von Organen des Bundes, insbesondere dort, wo keine direkte Beteiligung des Bundes besteht. Die Einflussnahme von Organen des Bundes auf die ÖBAG ist in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse. Von der Formulierung nicht erfasst sind Anstalten, Stiftungen und Fonds des Bundes.

Zu litg:

Ziel der Untersuchungen zu diesem Beweisthema ist es, festzustellen, ob die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft oder anderer Behörden in solchen Verfahren von politischer Seite beeinflusst wurden, um etwa die politische Absprache der ungebührlichen Begünstigung zu verdunkeln.

Diese Formulierung umfasst zwei Fälle: einerseits all jene straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen, einschließlich verwaltungsstrafrechtlicher Ermittlungen, die egal aus welchem Grund (von Amts wegen, auf Grund von Anzeigen oder Privatanklagen) in Folge des Ibiza-Videos geführt werden, unabhängig davon, ob diese bereits eingestellt oder auf andere Art erledigt wurden oder nicht. Exemplarisch zu nennen sind die Verfahren gegen Hartwig Löger, Heinz-Christian Strache, Markus Tschank, Johann Gudenus sowie die 'Drahtzieher' des Ibiza-Videos. Andererseits sind Fälle von Ermittlungen umfasst, die gegen die Casinos Austria und deren direkte oder indirekte EigentümerInnen (insbesondere Medial, ÖBAG, Novomatic) sowie OrganwalterInnen geführt werden. Entscheidender Zeitrahmen für die Eigenschaft als EigentümerIn oder OrganwalterIn ist jeder beliebige Zeitpunkt innerhalb des Untersuchungszeitraums. Somit sind auch die EigentümerInnen der EigentümerInnen sowie die OrganwalterInnen der Eigentümergesellschaften und so weiter sowie Personen umfasst, die zwar am 18.12.2017 EigentümerIn oder OrganwalterIn waren, jedoch nicht mehr am 10.12.2019. Nur durch die Kenntnis dieser Verfahren kann die Aufklärung darüber gelingen, ob es politische Einflussnahmeversuche gab."

1.2. In dem vom Geschäftsordnungsausschuss des Nationalrates am 22. Jänner 2020 gefassten und dem Bundeskanzler am 24. Jänner 2020 zugestellten grundsätzlichen Beweisbeschluss werden ua die Mitglieder der Bundesregierung (und damit auch der Bundeskanzler) als zur vollständigen Vorlage von Akten und Unterlagen im Umfang des (damals eingeschränkten) Untersuchungsgegenstandes "grundsätzlich" binnen vier Wochen verpflichtet genannt.

1.3. Infolge des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 2020, UA1/2020, fasste der Geschäftsordnungsausschuss des Nationalrates am 9. März 2020 einen ergänzenden grundsätzlichen Beweisbeschluss, der dem Bundeskanzler am 17. März 2020 zugestellt wurde und ihn (wiederum als Mitglied der Bundesregierung) als zur vollständigen Vorlage von Akten und Unterlagen im Umfang des (nunmehr dem Einsetzungsverlangen uneingeschränkt entsprechenden) Untersuchungsgegenstandes "grundsätzlich" binnen vier Wochen verpflichtet nennt.

1.4. Der Bundeskanzler hat dem Ibiza-Untersuchungsausschuss auf Grund des grundsätzlichen und des ergänzenden grundsätzlichen Beweisbeschlusses wiederholt Akten und Unterlagen vorgelegt.

1.5. Mit Verlangen vom 4. März 2021 wurde der Bundeskanzler gemäß §25 Abs2 VO-UA aufgefordert (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen),

"dem Ibiza-Untersuchungsausschuss die vollständigen SMS, Whatsapp, iMessage, Telegram oder Signal-Nachrichten seines auf die ÖVP Bundespartei angemeldeten Mobiltelefons zu übermitteln.

Die Definition von Akten und Unterlagen sowie die sonstigen Anforderungen des ergänzenden grundsätzlichen Beweisbeschlusses des Geschäftsordnungsausschusses des Nationalrates vom 9.3.2020 (vgl 4/KOMM XXVII.GP) sind anzuwenden. Die Vorlagefrist beträgt eine Woche.

Begründung

Der Ibiza-Untersuchungsausschuss kann sein Ziel, Aufklärung zu politischen Zwecken, nur erreichen, wenn er über eine umfassende Informationsgrundlage verfügt. Das B-VG räumt dem Untersuchungsausschuss daher ein die Legislative einseitig begünstigendes Recht zur Selbstinformation ein.

Auf Grund der Aussagen der Auskunftsperson W[.] verfügt der Bundskanzler nur formal über ein Mobiltelefon des Bundeskanzleramts. Tatsächlich führt er alle Korrespondenz über ein auf die ÖVP Bundespartei angemeldetes Mobiltelefon. Dieses enthält somit dienstliche Korrespondenz, die der Vorlagepflicht an den Ibiza-Untersuchungsausschuss unterliegt.

Auf Grund des Erkenntnisses des VfGH UA1/2021 ist klargestellt, dass im Einzelnen darzulegen ist, warum einzelne Korrespondenz nicht dem Untersuchungsgegenstand unterliegt."

1.6. In der 38. Sitzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses am 10. März 2021 wurde der Bundeskanzler gemäß §27 Abs4 VO-UA ua aufgefordert (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen),

"binnen zwei Wochen seiner Verpflichtung zur Vorlage folgender Akten und Unterlagen nachzukommen:

[…]

6)  Korrespondenz mittels SMS, WhatsApp, Telegram, Signal, iMessage und dergleichen, von Mitgliedern der Bundesregierung mit deren KabinettsmitarbeiterInnen bzw von KabinettsmitarbeiterInnen mit Bediensteten des Bundeskanzleramts aus dem Untersuchungszeitraum, unabhängig davon ob diese direkt empfangen, weitergeleitet oder an diese gesendet wurden;

[…]

Erfasst sind jeweils auch lokale oder serverseitige Sicherungen, Backups, automatische Redundanzen auf Mailservern, Time Capsules und vergleichbare technische Vorkehrungen zur Verhinderung von Datenverlusten. Ebenfalls erfasst sind Akten und Unterlagen, die auf privaten Geräten gespeichert, verarbeitet oder verwendet wurden, einschließlich elektronischer Kommunikation auf solchen Geräten sowie private Speichermöglichkeiten wie Cloud-Lösungen, sofern es sich nicht ausschließlich um private Dateien und Kommunikation ohne jeglichen Bezug zu Vollziehungshandlungen handelt. Die Vorlage vollständiger E-Mailpostfächer umfasst auch die in diesen E-Mailprofilen gespeicherten Kalendereinträge, Attachements und Kontakte.

Begründung

[…]

Zu 6:

Elektronischer Kommunikation jenseits von E-Mail, sondern mittels Messenger-Diensten, kommt zunehmende Bedeutung im modernen Alltag zu. Nachdem die Vorlagepflicht für E-Mails weitgehend unbestritten ist, wurden Nachrichten über Messenger-Dienste bislang nicht in die Übermittlung aufgenommen. Es besteht jedoch kein Unterschied, ob Nachrichten per E-Mail oder per Messenger-Diensten übermittelt werden. Dies gilt auch unabhängig von der konkreten Anwendung (WhatsApp, SMS, Signal, Telegram, iMessage, etc.). Es gilt auch unabhängig davon, ob diese Kommunikation mittels privaten oder dienstlichen Mobiltelefon geführt wird, da lediglich der Inhalt der jeweiligen Nachrichten für die Qualifikation als privat oder dienstlich entscheidend ist.

Auch hier ist es auf Grund weit verbreiteter Löschungen erforderlich, auch auf die Empfängerseite der Nachrichten zuzugreifen und daher alle Bediensteten des BKA zur Vorlage solcher Nachrichten an den Untersuchungsausschuss zu verpflichten.

[…]"

1.7. Mit Schreiben vom 15. März 2021 hat der Bundeskanzler ausgeführt, er habe dem Ibiza-Untersuchungsausschuss bereits als Auskunftsperson am 16. Juli 2020 mitgeteilt, dass er über keine elektronischen Nachrichten auf seinem Mobiltelefon aus dem Untersuchungszeitraum mehr verfüge. Dazu zitierte er folgende Passage aus dem Protokoll (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Ich meine SMS, Whatsapp und Ähnliches zwischen Ihnen und Strache politischer Natur, Regierungsnatur, natürlich nicht privater Natur.

Sebastian Kurz: Die kann ich nicht offenlegen, weil ich nicht im Besitz dieser Nachrichten bin, weil ich meine Nachrichten am Handy regelmäßig lösche beziehungsweise sie regelmäßig von meiner Büroleiterin gelöscht werden."

1.8. In der 40. Sitzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses am 16. März 2021 wurde der Bundeskanzler gemäß §27 Abs4 VO-UA aufgefordert (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen),

"binnen zwei Wochen seiner Verpflichtung zur Vorlage des vollständigen SMS, Whatsapp, iMessage, Telegram oder Signal-Nachrichten seines auf die ÖVP Bundespartei angemeldeten Mobiltelefons nachzukommen, sofern diese nicht bereits von der Aufforderung gemäß §27 Abs4 VO-UA vom 4. März 2021 erfasst sind.

Begründung

Der Bundeskanzler wurde mit dem grundsätzlichen Beweisbeschluss sowie dem ergänzenden grundsätzlichen Beweisbeschluss zur vollständigen Vorlage aller Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes verpflichtet.

Der Bundeskanzler wurde außerdem durch ergänzende Beweisanforderungen zur Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen verpflichtet und zwar insbesondere in der 37. Sitzung am 4. März 2021.

In derselben Sitzung wurde der Bundeskanzler gemäß §27 Abs4 VO-UA aufgefordert, seiner Verpflichtung zur Vorlage von Akten und Unterlagen binnen zwei Wochen nachzukommen. Von dieser Aufforderung umfasst sind auch Korrespondenzen mittels Mobiltelefon. Eine faktische Unmöglichkeit ändert nichts an der rechtlichen Verpflichtung zur Vorlage (vgl VfGH 3.3.2021, UA1/2021) bzw zur Einhaltung der Behauptungs- und Begründungspflicht.

Bislang nicht vollständig von einer Aufforderung gemäß §27 Abs4 VO-UA erfasst sind die vollständigen SMS, Whatsapp, iMessage, Telegram oder Signal-Nachrichten seines auf die ÖVP Bundespartei angemeldeten Mobiltelefons des Bundeskanzlers. Erfasst sind diese bislang nur in Hinblick auf die Korrespondenz mit KabinettsmitarbeiterInnen (vgl Pkt 6 der Aufforderung gemäß §27 Abs4 VO-UA vom 4. März 2021). Nunmehr wird diese Aufforderung auf den gesamten Bestand ausgeweitet.

Der Bundeskanzler teilte mit Schreiben vom 16. März 2021 unter Verweis auf seine Befragung als Auskunftsperson im Ibiza-Untersuchungsausschuss mit, dass er seine SMS und Whatsapp regelmäßig lösche. Aus dem Schreiben geht außerdem hervor, dass die Kommunikation über das auf die ÖVP angemeldete Mobiltelefon sehr wohl der Vorlagepflicht an den Untersuchungsausschuss unterliegen kann.

Bei der Argumentation des Bundeskanzlers liegt jedoch ein Irrtum vor: was der Organwalter Sebastian Kurz im Ibiza-Untersuchungsausschuss bekannt gibt, muss sich nicht mit jenem Wissensstand decken, der dem Bundeskanzler als Oragn zur Verfügung steht. Insbesondere ist das Organ im Gegensatz zum Organwalter verpflichtet, seiner Behauptungs- und Begründungspflicht (vgl VfGH 3.3.2021, UA1/2021) im Einzelnen und substantiiert nachzukommen. Eine faktische Unmöglichkeit ändert nichts an dieser rechtlichen Verpflichtung. Vielmehr wäre gegenüber dem Untersuchungsausschuss darzulegen, dass die Löschung von untersuchungsrelevanten Akten und Unterlagen nicht mehr erfolgte, sobald der Bundeskanzler auf Grund von Beweisbeschlüssen oder Beweisanforderungen zur Vorlage solcher Akten und Unterlagen an den Untersuchungsausschuss verpflichtet wurde.

Somit hat der Bundeskanzler in seinem Schreiben weder einen rechtlich anerkannten Grund für die Verweigerung der Vorlage von Akten und Unterlagen an den Untersuchungsausschuss behauptet, noch diese Verweigerung überhaupt begründet.

Der Bundeskanzler ist zur vollständigen Vorlage aller vom Untersuchungsausschuss als relevant betrachteten Akten und Unterlagen verpflichtet. Er hat die tatsächliche Relevanz dieser Akten und Unterlagen zunächst selbst zu überprüfen, wobei es genügt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Akten und Unterlagen für die Untersuchung relevant sein könnten (abstrakte Relevanz).

Den Bundeskanzler trifft gegenüber dem Untersuchungsausschuss eine Behauptungs- und Begründungspflicht (vgl VfGH 2.12.2020, UA3/2020). Die pauschale Behauptung, es seien keine Akten und Unterlagen vorhanden oder diese wären nicht vom Untersuchungsgegenstand umfasst, genügt nicht. Die Verweigerung der Vorlage ist im Einzelnen auf einen verfassungsrechtlich anerkannten Grund zu stützen (Behauptungspflicht) und im Einzelnen zu begründen (Begründungspflicht). Nur dadurch wird es dem Untersuchungsausschuss ermöglicht, die Argumentation des Bundeskanzlers zu überprüfen und gegebenenfalls zu bestreiten (vgl VfGH 3.3.2021, UA1/2021 mwN).

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass auf Grund der Rechtsprechung des OGH die Nicht-Vorlage von Akten und Unterlagen an einen Untersuchungsausschuss den Nationalrat in seinem konkreten Recht auf richtige und vollständige Information sowie Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit gesetzter Behördenakte zu schädigen vermag."

1.9. Mit Schreiben vom 31. März 2021 hat der Bundeskanzler mitgeteilt, er könne dieser Aufforderung aus folgenden Gründen nicht Folge leisten:

Es handle sich um ein Mobiltelefon in Privatbesitz, wie die Aufforderung selbst anführe. Über Gegenstände im Privateigentum habe das Bundeskanzleramt keine Verfügungsgewalt. Inwiefern der Wissensstand des Organs Bundeskanzler bzw des Bundeskanzleramts als dessen Dienststelle über Inhalte eines privaten Mobiltelefons größer sein solle als jener der Person des Organwalters, dessen eindeutige Aussage vor dem Untersuchungsausschuss wortgetreu wiedergegeben worden sei, erhelle vor diesem Hintergrund nicht.

Schließlich komme die Aufforderung der gesetzlichen Begründungspflicht im Rahmen des Untersuchungsausschusses nicht nach, die von der einschlägigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes gefordert werde (VfGH 3.3.2021, UA1/2021). Das Verlangen enthalte lediglich die Behauptung des Vorhandenseins nicht näher bezeichneter Nachrichten, begründe diese Behauptung aber nicht. Damit sei die Aufforderung jedoch mangelhaft, weil ihr eine inhaltliche Begründung fehle, die §27 Abs4 VO-UA fordere.

2. Die Einschreiter begründen ihren auf Art138b Abs1 Z4 B-VG gestützten Antrag zur Zulässigkeit wie folgt:

2.1. Soweit der Bundeskanzler in seinem Schreiben vom 31. März 2021 vorbringe, die Aufforderung gemäß §27 Abs4 VO-UA sei mangelhaft begründet, behaupte er im Ergebnis, dass keine gültige solche Aufforderung vorliege, die jedoch eine zwingende Voraussetzung für einen Antrag gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG bilde.

§27 Abs4 VO-UA bestimme, dass eine solche Aufforderung schriftlich begründet sein müsse. Zweck dieser Bestimmung sei es, dem Verfassungsgerichtshof durch möglichst weitreichende, vorangehende Klärung des Sachverhalts eine Entscheidung auf Grund der Aktenlage ohne unnötigen Aufschub, tunlichst binnen vier Wochen, zu ermöglichen (vgl AB 439 BIgNR 25. GP).

Die Aufforderung gemäß §27 Abs4 VO-UA vom 16. März 2021 sei offenkundig schriftlich begründet und umschreibe jene Verpflichtung näher, der der Bundeskanzler nach Auffassung eines Viertels der Mitglieder des Untersuchungsausschusses nicht nachgekommen sei. Der vom Bundeskanzler behauptete Mangel liege nicht vor.

Bis zum Ablauf der (Nach-)Frist des §27 Abs4 VO-UA seien dem Untersuchungsausschuss vom Bundeskanzler keine Akten und Unterlagen übermittelt worden, die von der Aufforderung vom 16. März 2021 erfasst seien. Vielmehr habe der Bundeskanzler mit Schreiben vom 31. März 2021 die Vorlage von Akten und Unterlagen schriftlich abgelehnt.

Die Meinungsverschiedenheit, zu deren Klärung der Verfassungsgerichtshof angerufen werden könne, sei mit Ablauf der (Nach-)Frist des §27 Abs4 VO-UA in vollem Umfang der Aufforderung vom 16. März 2021 entstanden.

Der vorliegende Antrag konkretisiere den Prozessgegenstand des Verfassungsgerichtshofes, in dem er die Meinungsverschiedenheit auf Korrespondenzen unter Beteiligung bestimmter Personen einschränke. Es sei jedenfalls keine Korrespondenz vom vorliegenden Antrag erfasst, die bereits Gegenstand der Aufforderung gemäß §27 Abs4 VO-UA vom 10. März 2021 gewesen sei.

2.2. Die antragstellenden Abgeordneten seien Mitglieder des Ibiza-Untersuchungsausschusses und würden gemeinsam mehr als ein Viertel seiner 13 Mitglieder verkörpern. Der Antrag werde mit 14. April 2021 und somit nach Ablauf der zweiwöchigen (Nach-)Frist des §27 Abs4 VO-UA am 31. März 2021 gestellt. Die zweiwöchige Frist des §56f Abs1 VfGG habe somit am 1. April 2021 zu laufen begonnen und ende mit 15. April 2021. Sie sei zum 14. April 2021 noch nicht abgelaufen.

2.3. Die Einhaltung der Bestimmung des §106 GOG-NR bilde keine Prozessvoraussetzung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (vgl VfGH 3.3.2021, UA1/2021 mwN; vgl auch VfSlg 16.752/2002 zu einem Verfahren nach [nunmehr] Art140 Abs1 Z2 B-VG).

3. Der Bundeskanzler hat eine Äußerung erstattet, in der er primär die Zurückweisung des Antrages beantragt:

Als Vorbemerkung weist er darauf hin, dass auf seinem Mobiltelefon keine Nachrichten im Sinne des Antrages aus dem Untersuchungszeitraum vorhanden seien; diese würden auch nach dem Untersuchungszeitraum regelmäßig gelöscht.

3.1. Mangelhafte Begründung der Aufforderung:

Der Bundeskanzler habe den Antragstellern auf das Verlangen vom 4. März 2021 mitgeteilt, dass keine Nachrichten mehr vorhanden seien. Weitere Nachforschungen und Übermittlungen seien daher faktisch unmöglich. Ungeachtet dieser Information sei die – faktisch unmögliche – Vorlage erneut gefordert worden.

Der Begründungsmangel der Aufforderung liege somit nicht in der Nichterfüllung von Formalkriterien – wie dies impliziert werde – sondern darin, dass die Aufforderung die Mitteilung faktischer Unmöglichkeit ignoriere und keine Begründungselemente enthalte, die gegen die Beachtlichkeit dieses Umstandes sprächen.

Das Eilverfahren nach §56f VfGG könne seinen Zweck der raschen Abklärung bestehender Meinungsverschiedenheiten nur dann erfüllen, wenn eine solche überhaupt bestehe. Dazu gehöre, dass sich die beiden Verfahrensparteien über einen in diesem Verfahren justiziablen Umstand uneins seien, etwa indem eine Vorlagepflicht für konkret bestehende und bekannte Unterlagen bestritten werde. Im konkreten Fall gebe es keine derartige Meinungsverschiedenheit; vielmehr stelle das Antragsvorbringen die eindeutigen Aussagen und Ausführungen des Bundeskanzlers und der Auskunftsperson W. ohne Angabe von Gründen in Frage, erkläre aber nicht, weshalb diesen Ausführungen kein Glauben geschenkt werde. Damit liege aber eine Frage faktischer Unmöglichkeit vor, die keine Meinungsverschiedenheit iSd Art138b Abs1 Z4 B-VG bzw des §56f VfGG eröffne. Die Abklärung faktischer Unmöglichkeit sei gerade kein Gegenstand des Aktenverfahrens gemäß §56f VfGG; der Antrag sei sohin schon aus diesem Grund unzulässig.

3.2. Zum überschießenden Begehren des Antrages:

Der Antrag gehe über den Untersuchungsgegenstand hinaus, weil er alle Nachrichten von und mit bestimmten Personen fordere, dies aber nicht auf den Untersuchungsgegenstand einschränke. Die Vorlageverpflichtung könne aber nur im Rahmen abstrakter Relevanz bezogen auf den Untersuchungsgegenstand greifen (arg.: "im Rahmen"; §22 Abs1 VO-UA). Das Gesetz sei hier ebenso eindeutig wie die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zuletzt VfGH 3.3.2021, UA1/2021), zumal dieser sich an den Antragsumfang gebunden erachte.

Dieser Befund werde dadurch verstärkt, dass auf privaten Telefonen geradezu davon auszugehen sei, dass sich darauf auch private Kommunikation befinde. Das Vorlageverlangen ohne Unterschied der beteiligten Personen und ohne Rücksicht auf den Untersuchungsgegenstand gehe auch aus diesem Grund über das rechtlich Zulässige hinaus.

IV. Erwägungen

1. Gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates, einem Viertel seiner Mitglieder und informationspflichtigen Organen über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, auf Antrag des Untersuchungsausschusses, eines Viertels seiner Mitglieder oder des informationspflichtigen Organs.

2. Nach Art53 Abs3 erster Satz B-VG haben ua alle Organe des Bundes einem Untersuchungsausschuss auf Verlangen im Umfang des Gegenstandes der Untersuchung ua ihre Akten und Unterlagen vorzulegen. Gemäß §27 Abs1 erster Satz und Abs3 VO-UA haben ua Organe des Bundes Beweisbeschlüssen iSd §24 leg cit und ergänzenden Beweisanforderungen iSd §25 leg cit unverzüglich zu entsprechen, andernfalls ist der Untersuchungsausschuss über die Gründe der eingeschränkten Vorlage schriftlich zu unterrichten. Kommt ein informationspflichtiges Organ nach Auffassung des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder der Verpflichtung gemäß §27 Abs1 oder 3 VO-UA nicht oder ungenügend nach, kann der Ausschuss oder ein Viertel seiner Mitglieder das betreffende Organ gemäß §27 Abs4 leg cit (schriftlich begründet) auffordern, innerhalb einer Frist von zwei Wochen diesen Verpflichtungen nachzukommen. Nach §27 Abs5 leg cit entscheidet der Verfassungsgerichtshof gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG über die Rechtmäßigkeit der teilweisen oder gänzlichen Ablehnung der Vorlage oder der Beweiserhebung, wenn ihn das aufgeforderte Organ oder ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses nach Ablauf der Frist des §27 Abs4 VO-UA anruft oder der Ausschuss eine Anrufung auf Grund eines schriftlichen Antrages nach Ablauf der Frist des §27 Abs4 leg cit beschließt. Ein solcher Antrag ist nach §56f Abs1 VfGG nicht mehr zulässig, wenn seit dem Ablauf der Frist gemäß §27 Abs4 VO-UA zwei Wochen vergangen sind. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet nach §56f Abs3 VfGG auf Grund der Aktenlage ohne unnötigen Aufschub, tunlichst binnen vier Wochen, nachdem der Antrag vollständig eingebracht wurde.

3. In der 40. Sitzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses am 16. März 2021 wurde der Bundeskanzler gemäß §27 Abs4 VO-UA (näher begründet) aufgefordert, binnen zwei Wochen näher bezeichnete Akten und Unterlagen vorzulegen. Diese Aufforderung wurde dem Bundeskanzler am Folgetag zugestellt, sodass die zweiwöchige (Nach-)Frist des §27 Abs4 VO-UA am 31. März 2021 geendet hat.

4. Nach Ablauf der zweiwöchigen (Nach-)Frist des §27 Abs4 VO-UA können binnen zwei Wochen von allen dazu Berechtigten Anträge an den Verfassungsgerichtshof gestellt werden (vgl §27 Abs5 leg cit und §56f Abs1 VfGG). Der nicht im Wege des Präsidenten des Nationalrats gemäß §106 GOG-NR am 14. April 2021 eingebrachte, auf Art138b Abs1 Z4 B-VG gestützte Antrag von fünf Mitgliedern des aus 13 Mitgliedern bestehenden Ibiza-Untersuchungsausschusses erweist sich somit als rechtzeitig und als von einer ausreichenden Anzahl von Mitgliedern dieses Untersuchungsausschusses gestellt. Die Einhaltung der Bestimmung des §106 GOG-NR bildet keine Prozessvoraussetzung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH 3.3.2021, UA1/2021 mwN).

5. Der Begriff der Meinungsverschiedenheit wird für Verfahren nach Art138b Abs1 Z4 B-VG – anders als für jene nach Art126a B-VG (vgl §36a Abs1 VfGG) – nicht definiert. Das Konzept des (Verfassungs-)Gesetzgebers, das Art53 Abs3 und Art138b Abs1 Z4 B-VG zugrunde liegt und das in §27 VO-UA sowie in §56f VfGG näher ausgestaltet wird, lässt jedoch deutlich erkennen, dass der Verfassungsgerichtshof auf Antrag über Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates, einem Viertel seiner Mitglieder und informationspflichtigen Organen über die Verpflichtung erkennt, dem Untersuchungsausschuss Informationen vorzulegen, im konkreten Fall näher bezeichnete Nachrichte

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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