Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §56Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Y F, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das am 3. November 2020 mündlich verkündete und mit 16. November 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, G302 2230057-9/9E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein chinesischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise am 12. September 2005 einen Asylantrag. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 24. Mai 2007 ab, erklärte (insbesondere) die Abschiebung des Revisionswerbers in die Volksrepublik China für zulässig und verfügte seine Ausweisung. Die dagegen erhobene Berufung, die dann als Beschwerde zu behandeln war, wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 9. November 2010 abgewiesen.
2 Der Revisionswerber verblieb in Österreich und wurde am 19. Dezember 2019 bei der Ausübung einer unerlaubten Beschäftigung in einem Restaurant betreten, wobei er den für eine andere Person ausgestellten Aufenthaltstitel vorwies. Er wurde festgenommen und es wurde über ihn mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 20. Dezember 2019 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.
3 Im Zuge des danach eingeleiteten Verfahrens zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes („Heimreisezertifikat“) wurde der Revisionswerber am 14. Jänner 2020 der chinesischen Botschaft in Wien vorgeführt, von deren Seite Mitte September 2020 erklärt wurde, dass der Revisionswerber nicht habe identifiziert werden können. Hierauf wurde der Revisionswerber am 28. September 2020 neuerlich zu seinen Personaldaten befragt und er füllte ein entsprechendes Formular zur Erlangung eines Heimreisezertifikates („Fragebogen zur Identifizierung der Bürgerschaft der Volksrepublik China“) aus. Hierauf leitete das BFA neuerlich ein Verfahren zur Erlangung eines solchen Dokumentes ein.
4 Mit dem in der mündlichen Verhandlung am 30. September 2020 verkündeten und sodann mit 16. Oktober 2020 gekürzt ausgefertigten Erkenntnis (im Folgenden auch nur: „Vorerkenntnis“) stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Rahmen der nach § 22a Abs. 4 BFA-VG vorzunehmenden periodischen Schubhaftprüfung betreffend den weiterhin angehaltenen Revisionswerber fest, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht verhältnismäßig sei. Diese Einschätzung begründete das BVwG wie folgt:
„Der BF [= Revisionswerber] ist seit 20.12.2019 in Schubhaft. Mit der zeitnahen Ausstellung eines Heimreisedokuments ist nicht zu rechnen, weil die chinesischen Behörden am 23.09.2020 erklärten, dass der BF nicht als chinesischer Staatsangehöriger identifiziert werden konnte. Entscheidungswesentliche Änderungen seither sind nicht eingetreten, zumal der BF im Wesentlichen konsistente Angaben zu seiner Identität gemacht hat.
Die Schubhaft kann ihren Zweck nur dann erfüllen, wenn das zu sichernde Verfahren in eine Abschiebung münden kann (VwGH 27.04.2020, Ra 2020/21/0116). Dafür ist es nicht erforderlich, dass die Effektuierung der Abschiebung als gewiss feststeht, sie muss sich aber nach Lage des Falles mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als möglich darstellen (VwGH 11.05.2017, Ra 2016/21/0369). Da derzeit keine Flüge nach China stattfinden und nicht absehbar ist, wann der Flugverkehr wieder aufgenommen wird, ist die Fortsetzung der Schubhaft vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung in Zusammenschau mit der Ablehnung der Ausstellung eines HRZ nicht mehr verhältnismäßig.
Außerdem verliert eine Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) ihre Wirksamkeit, wenn sich die Beurteilungsgrundlage im Hinblick auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK (nunmehr iVm § 9 Abs. 2 BFA-VG) maßgeblich zu Gunsten des Fremden geändert haben. Dies ist hier aufgrund des weit über zehnjährigen Aufenthalts des BF und der dadurch gelockerten Bindungen zu seinem Herkunftsstaat, seiner strafgerichtlichen Unbescholtenheit und der langjährigen Beziehung zu einer in Österreich lebenden und hier erwerbstätigen Frau trotz der Verstöße des BF gegen die öffentliche Ordnung (Beschäftigung ohne Aufenthaltstitel und arbeitsmarktrechtliche Bewilligung, Verstöße gegen das MeldeG) anzunehmen, zumal die Ausweisung im November 2010 erlassen wurde, sodass die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung auch wegen des Fehlens eines durchsetzbaren Titels für die Außerlandesbringung nicht weiter fortgesetzt werden kann (vgl. VwGH 29.06.2017, Ro 2016/21/0007).“
5 Der hierauf am 30. September 2020 enthaftete Revisionswerber wurde am 21. Oktober 2020 bei der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels ohne gültigen Fahrausweis betreten, anschließend festgenommen und es wurde über ihn noch am selben Tag nach seiner Vernehmung mit Mandatsbescheid des BFA neuerlich gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung verhängt. Das BFA erwähnte in diesem Bescheid zwar im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung das zitierte Vorerkenntnis des BVwG, ging darauf jedoch in der weiteren Begründung nicht mehr ein. Es stellte in diesem Zusammenhang lediglich fest, Anfang Oktober 2020 habe bei den „chinesischen Behörden in Wien ein Wechsel“ stattgefunden und laut Mitteilung einer bestimmten Abteilung des BFA bestünden nun „neue (technische) Möglichkeiten“, um Ersatzreisedokumente erlangen zu können. Darauf kam das BFA, das sich auch mit der Frage von möglichen Flugverbindungen nach China nicht befasste, im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nicht mehr zurück. Dort wurde auch ohne Weiteres davon ausgegangen, dass gegen den Revisionswerber seit November 2010 eine rechtskräftige Ausweisung bestehe, der er „bis dato“ beharrlich nicht entsprochen habe.
6 Die gegen diesen Bescheid und gegen die darauf gegründete Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem in der mündlichen Verhandlung am 3. November 2020 verkündeten und über fristgerechten Antrag mit 16. November 2020 schriftlich ausgefertigten, vorliegend angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Unter einem stellte das BVwG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Des Weiteren verpflichtete es den Revisionswerber unter Abweisung seines Aufwandersatzantrags zum Kostenersatz an den Bund (Spruchpunkte A.III. und A.IV.). Schließlich sprach das BVwG noch aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
7 In der rechtlichen Beurteilung vertrat das BVwG den Standpunkt, das BFA sei zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Ausweisung des Revisionswerbers nach China ein durchsetzbarer Titel für die Außerlandesbringung bestehe. Die mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom „07.01.2013“ ausgesprochene Ausweisung sei formell noch aufrecht und habe auch ihre Wirksamkeit nicht verloren. Sie gelte gemäß § 75 Abs. 23 AsylG 2005 als Rückkehrentscheidung, die gemäß § 12a Abs. 6 AsylG 2005 achtzehn Monate ab der Ausreise des Fremden - der Revisionswerber habe das Bundesgebiet zwischenzeitlich nicht verlassen - aufrecht bleibe. „Aus den Feststellungen“ folge ferner, dass die nach Art. 8 EMRK (nunmehr iVm § 9 Abs. 2 BFA-VG) wesentlichen Beurteilungsgrundlagen keine maßgebliche Veränderung erfahren hätten, sodass auch die Wirksamkeit der als Rückkehrentscheidung geltenden Ausweisung weiterhin bestehe.
Im vorliegenden Fall habe sich auch nicht ergeben, dass - zumindest in diesem Stadium - einerseits eine Identifizierung des Revisionswerbers und die Ausstellung eines Heimreisezertifikates völlig unwahrscheinlich und andererseits die Durchführung einer Abschiebung in den Herkunftsstaat tatsächlich unmöglich wären. Dabei bezog sich das BVwG auf die den Ausführungen des Vertreters des BFA in der mündlichen Verhandlung folgenden Feststellungen, wonach das im Oktober 2020 wiederum eingeleitete Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats von Seiten des BFA „intensiv betrieben“ werde; zuletzt sei am 3. November 2020 urgiert worden. Im Oktober 2020 habe ein Wechsel des Personals in der chinesischen Vertretungsbehörde stattgefunden und die neue Konsulin zeige sich sehr kooperationsbereit. Nunmehr bestehe über „Skype Business“ mit einer direkten Leitung Wien - Peking die Möglichkeit, Einvernahmen und Überprüfungen in Echtzeit durchzuführen. Das BFA rechne aufgrund der nunmehr guten Zusammenarbeit mit der chinesischen Vertretungsbehörde mit der baldigen Ausstellung eines Heimreisezertifikates. Eine begleitete Abschiebung des Revisionswerbers in sein Herkunftsland könne somit „in etwa im Februar 2021“ stattfinden, zumal „aufgrund der Ankündigung der Regierung“, die durch Covid-19 bedingten Beschränkungen neuerlich zu lockern, eine baldige Wiederaufnahme der Flüge nach China abzusehen sei. Sobald die „Situation mit Covid-19 zu Ende“ sei, könne der Revisionswerber nach Erhalt eines Heimreisezertifikates im Wege eines Charterfluges in seinen Heimatstaat abgeschoben werden. Einer Abschiebung innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer stehe somit aus aktueller Sicht kein Hindernis entgegen.
Schließlich erachtete das BVwG, das aufgrund des bisherigen Verhaltens des Revisionswerbers vom Vorliegen von „massiver Fluchtgefahr“ ausging, „die Anordnung der seit 21. Oktober 2020 andauernden Schubhaft“ auch als verhältnismäßig.
Zur Begründung des nach § 22a Abs. 3 BFA-VG getroffenen Fortsetzungsausspruches verwies das BVwG im Wesentlichen auf diese Erwägungen.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:
9 Die Revision ist - wie die weiteren Ausführungen zeigen - entgegen dem diesbezüglichen, jedoch gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig; sie ist auch berechtigt.
10 Das Erkenntnis des BVwG vom 30. September 2020 enthielt den Ausspruch, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft nicht vorlägen. Da die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft sich von jenen für die Verhängung der Schubhaft grundsätzlich nicht unterscheiden, ist die Schubhaftbehörde an einen solchen Ausspruch insoweit gebunden, als sie ohne maßgebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage keinen neuen Schubhaftbescheid erlassen darf (vgl. in diesem Sinn schon VwGH 19.3.2013, 2011/21/0246, Punkt 3. der Entscheidungsgründe, u.a. mit dem Hinweis auf VwGH 15.12.2011, 2010/21/0292, Punkt 2. der Entscheidungsgründe). Eine solche Bindung besteht - wie sich ebenfalls aus den zitierten Entscheidungen ergibt - auch für das BVwG im Rahmen eines Verfahrens über eine gegen den neuen Schubhaftbescheid erhobene Beschwerde in Bezug auf den von ihm nach § 22a Abs. 3 BFA-VG zu treffenden Fortsetzungsausspruch.
11 Die dargestellte Bindungswirkung verkannte das BFA offenbar, weil es sich im Schubhaftbescheid vom 21. Oktober 2020 überhaupt nicht mit der Frage auseinandersetzte, ob seit der Verkündung des erwähnten Vorerkenntnisses eine maßgebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist. Die bloße allgemeine Bezugnahme auf einen (personellen) Wechsel bei der chinesischen Vertretungsbehörde in Wien und auf nicht näher beschriebene neue (technische) Möglichkeiten, ohne hieraus nachvollziehbar fallbezogene Konsequenzen zu ziehen, reichte dafür jedenfalls nicht. Schon deshalb hätte das BVwG aber die Beschwerde gegen diesen Bescheid und die darauf gegründete Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft nicht mit Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses abweisen dürfen.
12 Nun könnte zwar betreffend den Ausspruch des BVwG über die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft mit Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses aufgrund der nunmehrigen Ermittlungen des BVwG durch Befragung des Vertreters des BFA in der mündlichen Verhandlung und die darauf gegründeten ergänzenden Feststellungen in Bezug auf die Möglichkeit, für den Revisionswerber doch ein Heimreisezertifikat zu erlangen, von einem maßgeblich geänderten Sachverhalt ausgegangen werden. Allerdings hatte das BVwG schon im Vorerkenntnis darauf verwiesen, dass der Revisionswerber „im Wesentlichen konsistente Angaben zu seiner Identität“ gemacht habe, was durch den Inhalt der Niederschrift vom 28. September 2020 bestätigt wird. Danach bestritt er nämlich den Vorhalt, bisher falsche Identitätsangaben erstattet zu haben, und blieb bei seinen bisherigen diesbezüglichen Daten. Angesichts dessen wäre vom BVwG somit auch darzulegen gewesen, weshalb die geänderten Umstände in der Vorgangsweise der chinesischen Vertretungsbehörde, die ja schon im Jänner 2020 eine persönliche Anhörung des Revisionswerbers vorgenommen hatte, auch bei gleichgebliebenen Identitätsangaben nunmehr zu einer Identifizierung des Revisionswerbers und zu einer zeitnahen Ausstellung eines Heimreisezertifikates führen werde (siehe zu den diesbezüglichen Begründungserfordernissen unter Bezugnahme auf VwGH 26.11.2020, Ra 2020/21/0070, Rn. 13, des Näheren VwGH 12.1.2021, Ra 2020/21/0378, Rn. 20).
13 Außerdem war das BVwG im Vorerkenntnis vom 30. September 2020 davon ausgegangen, es fänden derzeit keine Flüge nach China statt und es sei nicht absehbar, wann der Flugverkehr wieder aufgenommen werde. Die nur knapp fünf Wochen später getroffene gegenteilige Annahme gründete das BVwG im angefochtenen Erkenntnis im Wesentlichen nur auf eine nicht näher konkretisierte „Ankündigung der Regierung“, wobei offenbar die österreichische Regierung gemeint war, und es wurde dazu in der Beweiswürdigung auf nicht näher genannte „übereinstimmende Medienberichte“ verwiesen. Das genügt fallbezogen nicht, um eine gegenüber dem Vorerkenntnis veränderte Situation in Bezug auf zeitnah mögliche Flugabschiebungen von Österreich nach China, von denen das BVwG im angefochtenen Erkenntnis ausging, nachvollziehbar darzutun.
14 Dazu kommt noch Folgendes:
Das BVwG bezog sich im Vorerkenntnis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) ihre Wirksamkeit verliert, wenn sich die Beurteilungsgrundlagen im Hinblick auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK (nunmehr iVm § 9 Abs. 2 BFA-VG) maßgeblich zu Gunsten des Fremden geändert haben. Gegebenenfalls erwiese sich eine Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung wegen des Fehlens eines durchsetzbaren Titels für die Außerlandesbringung als rechtswidrig, wobei die Gegenstandslosigkeit des ursprünglich ergangenen Ausreisebefehls auf der Hand liegen müsse, damit diese Frage schon im Rahmen eines Schubhaftbeschwerdeverfahrens einer näheren Untersuchung zu unterziehen sei (vgl. VwGH 29.6.2017, Ro 2016/21/0007, Rn. 10, mwN). Davon ist das BVwG im Vorerkenntnis erkennbar ausgegangen und es kam mit näherer, oben in Rn. 4 wiedergegebener Begründung zum Ergebnis, die gegen den Revisionswerber im November 2010 erlassene Ausweisung habe ihre Wirksamkeit verloren.
15 Vor diesem Hintergrund hätte es im angefochtenen Erkenntnis auch einer eingehenden Begründung bedurft, weshalb das BVwG erst kurze Zeit später zum gegenteiligen Ergebnis kommt und nunmehr meint, die im November 2010 erlassene Ausweisung gegen den jetzt mehr als fünfzehn Jahre in Österreich aufhältigen, strafrechtlich unbescholtenen und (nach den Annahmen im Vorerkenntnis) langjährig in einer Beziehung mit einer erwerbstätigen Österreicherin lebenden Revisionswerber sei unter dem Gesichtspunkt des § 9 BFA-VG noch verhältnismäßig. Dem wird die diesbezügliche, aus einem bloßen Verweis auf getroffene Feststellungen bestehende Begründung, ohne insoweit eine Subsumtion unter die Kriterien des § 9 BFA-VG vorzunehmen, nicht gerecht.
16 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass bei der Frage der höchstzulässigen Schubhaftdauer, aber auch bei der Frage der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft deren bisherige Dauer im Zeitraum vom 20. Dezember 2019 bis zum 30. September 2020 miteinzubeziehen gewesen wäre. Aus § 80 Abs. 4 FPG lässt sich nämlich ableiten, dass zur Ermittlung der Höchstdauer „wegen desselben Sachverhalts“ verhängte Schubhaften zusammen zu rechnen sind (vgl. neuerlich VwGH 12.1.2021, Ra 2020/21/0378, nunmehr Rn. 21, mwN). Das ließ das BVwG unberücksichtigt, indem es in Bezug auf die genannten Fragen erkennbar von einer maßgeblichen Schubhaftdauer erst seit 21. Oktober 2020 ausging.
17 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen der aufgezeigten - zumindest teilweise auf einer unrichtigen rechtlicher Beurteilung beruhenden - Begründungsmängel, die der Sache nach auch in der Revision geltend gemacht werden, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
18 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 8. April 2021
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210005.L01Im RIS seit
17.05.2021Zuletzt aktualisiert am
17.05.2021