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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §45 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofrätinnen Mag. Schindler und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des XY, vertreten durch Dr. Manfred Fuchsbichler, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Traunaustraße 23/8/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2020, W232 2191431-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Ukraine und Angehöriger der Volksgruppe der Jesiden, stellte am 13. Oktober 2015 gemeinsam mit seiner Ehefrau und vier gemeinsamen Kindern einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, in der Ukraine herrschten Kämpfe zwischen der russischen und der ukrainischen Armee, wodurch die Familie nicht mehr sicher gewesen sei. Die ukrainische Armee habe sie aufgefordert, den Herkunftsort zu verlassen.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 1. März 2018 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Ukraine zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Betreffend die anderen Familienmitglieder ergingen gleichlautende Entscheidungen.
3 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 24. November 2020, E 3702/2020-5, die Behandlung derselben ablehnte und sie aufgrund des nachträglichen Antrags mit Beschluss vom 5. Jänner 2021, E 3702/2020-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, das BVwG habe es unterlassen, ausreichende und aktuelle Feststellungen zur Lage der Volksgruppe der Jesiden mit kaukasischer Abstammung in der Ukraine zu treffen. Ausgehend von den Länderfeststellungen ergäben sich Zweifel an einem zureichenden staatlichen Schutz von Minderheiten. Der Revisionswerber wendet sich weiters gegen die Beweiswürdigung des BVwG. Dieses sei insbesondere von der Rechtsprechung der Höchstgerichte abgewichen, wonach allfällige Widersprüche zwischen den Angaben in der Erstbefragung und den späteren Angaben unbeachtlich seien. Das BVwG habe zudem den hinreichend begründeten Antrag des Revisionswerbers auf Durchführung einer Anfrage an die Staatendokumentation ignoriert. Überdies beanstandet der Revisionswerber die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK.
9 Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs-, Begründungs- und Feststellungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0149, mwN). Eine solche Relevanzdarlegung ist der Zulässigkeitsbegründung mit ihrem pauschalen Vorbringen nicht zu entnehmen.
10 Soweit im Zulässigkeitsvorbringen die Nichtbeachtung des Beweisantrages auf Durchführung einer Anfrage an die Staatendokumentation gerügt wird, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dann kein Verfahrensmangel vorliegt, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist. Beweisanträge dürfen weiters dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt aber der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 5.11.2020, Ra 2020/14/0465, mwN).
11 Eine derart krasse Fehlbeurteilung ist im vorliegenden Fall nicht zu sehen. Das BVwG ist auf Grundlage der vorliegenden Länderberichte zum Ergebnis gelangt, dass dem Revisionswerber aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Jesiden mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine asylrelevante Verfolgung im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes drohe (vgl. dazu VwGH 24.6.2019, Ra 2019/20/0101, mwN). Dem vermag die Revision nicht substantiiert entgegen zu treten, insbesondere wird nicht dargetan, welche, über die vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen hinausgehenden oder davon abweichenden Sachverhaltselemente von der beantragten Anfrage an die Staatendokumentation konkret zu erwarten und warum diese geeignet gewesen wären, zu einem für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis kommen zu können.
12 Soweit sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung gegen die Beweiswürdigung des BVwG wendet, ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 13.10.2020, Ra 2020/14/0411, mwN).
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 20.11.2020, Ra 2020/20/0120, mwN). Im vorliegenden Fall stützte sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung aber nicht bloß auf Widersprüche zwischen Erstbefragung und der Einvernahme des Revisionswerbers, sondern darüber hinaus auch auf näher dargestellte Ungereimtheiten und Widersprüche zwischen den Aussagen des Revisionswerbers und der anderen Familienmitglieder. Der Revisionswerber, der den Erwägungen des BVwG nichts Konkretes entgegensetzt, zeigt mit seinem bloß pauschal gehaltenen Vorbringen nicht auf, dass die beweiswürdigenden Überlegungen des Verwaltungsgerichts mit einer vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmenden Mangelhaftigkeit behaftet wären.
14 Soweit sich der Revisionswerber gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, dass unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 14.12.2020, Ra 2020/20/0408 bis 0411, mwN). Eine diesbezüglich vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung wird vom Revisionswerber nicht aufgezeigt.
15 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 14. April 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140051.L00Im RIS seit
20.05.2021Zuletzt aktualisiert am
26.05.2021