TE Vwgh Beschluss 2021/4/16 Ra 2020/21/0462

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Veröffentlicht am 16.04.2021
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E2D Assoziierung Türkei
E2D E02401013
E2D E05204000
E2D E11401020
E3L E02100000
E3L E05100000
E3L E19100000
E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

ARB1/80
AVG §66 Abs4
B-VG Art133 Abs4
EURallg
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §52 Abs8
FrPolG 2005 §53
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §66
FrPolG 2005 §67
FrPolG 2005 §67 Abs1
FrPolG 2005 §67 Abs2
FrPolG 2005 §70 Abs1
FrPolG 2005 §70 Abs3
NAG 2005 §54
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwRallg
32004L0038 Unionsbürger-RL Art15
32008L0115 Rückführungs-RL
62018CJ0094 Chenchooliah VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. Oktober 2020, G311 2235323-1/2E, betreffend Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und Einreiseverbot (mitbeteiligte Partei: A R, vor dem Verwaltungsgericht vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alser Straße 20), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 28. August 2020 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aus, dass dem Mitbeteiligten, einem Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, (von Amts wegen) kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt werde. Es erließ gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei, und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt. Schließlich erließ das BFA gegenüber dem Mitbeteiligten gemäß § 53 Abs. 1 und 2 Z 8 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot.

2        Begründend führte das BFA aus, der Mitbeteiligte, der am 26. April 2016 seinen Hauptwohnsitz in Österreich begründet habe, habe am 20. August 2018 eine (noch aufrechte) Ehe mit einer ungarischen Staatsangehörigen geschlossen, die am 12. Oktober 2018 nach Österreich gezogen sei und dadurch ihr unionsrechtliches Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen habe. Unter Berufung auf diese Ehe habe der Mitbeteiligte am 12. Oktober 2018 einen (bislang unerledigten) Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte (als Angehöriger dieser EWR-Bürgerin) gestellt. Die Ehefrau sei bis zum 14. Oktober 2019 im Bundesgebiet polizeilich gemeldet gewesen und danach „nachhaltig“ ins Ausland (nach Serbien) verzogen.

Durch den Wegzug der Ehegattin habe der Mitbeteiligte seine Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG verloren, weshalb eine Rückkehrentscheidung und, weil die genannte Ehe nur zwecks Erlangung eines Aufenthaltsrechts des Mitbeteiligten in Österreich geschlossen worden sei, ein auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot zu erlassen seien.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. Oktober 2020 behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) über Beschwerde des Mitbeteiligten den genannten Bescheid des BFA vom 28. August 2020. Das BVwG sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend stellte das BVwG (ergänzend zu den in Rn. 2 wiedergegebenen Ausführungen des BFA) fest, dass der Mitbeteiligte und seine Ehefrau (nach wie vor) voneinander getrennt seien; eine Scheidung sei (lediglich) beabsichtigt. Der Mitbeteiligte sei am 22. September 2020 freiwillig und selbständig aus dem Bundesgebiet nach Bosnien und Herzegowina ausgereist.

Dem Mitbeteiligten sei, so folgerte das BVwG, zumindest im Zeitraum vom 12. Oktober 2018 bis zum 14. Oktober 2019 die Eigenschaft eines begünstigten Drittstaatsangehörigen zugekommen. Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht seiner Ehefrau habe seit ihrem Wegzug jedoch nicht mehr weiterbestanden, was auch sein - davon abgeleitetes - Aufenthaltsrecht zum Erlöschen gebracht habe. Im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides des BFA vom 28. August 2020 sei er somit nicht mehr begünstigter Drittstaatsangehöriger gewesen. Unabhängig davon wäre jedoch die Frage der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung weiterhin anhand der §§ 66 und 67 FPG zu prüfen gewesen. Der dennoch eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot auf der Grundlage der §§ 52 und 53 FPG erlassende Bescheid des BFA erweise sich somit als rechtswidrig und sei aufzuheben.

5        Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Amtsrevision des BFA ist unzulässig.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8        Insoweit ist vorauszuschicken, dass die vom BVwG - im Gegensatz zum BFA in der Amtsrevision - vertretene Ansicht, selbst nach dem Ende der Rechtsstellung des Mitbeteiligten als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG seien für ihn die §§ 66 und 67 FPG (nicht hingegen - wie vom BFA in seinem Bescheid vom 28. August 2020 vertreten - die §§ 52 und 53 FPG) maßgeblich, auch in Fällen, in denen noch keine Aufenthaltskarte nach § 54 NAG zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes ausgestellt worden war, der Rechtslage entspricht.

9        Die Bestimmung des § 66 FPG dient nämlich (jedenfalls zum Teil) der Umsetzung von Art. 15 der Freizügigkeitsrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG), der auf eine Konstellation wie die vorliegende anzuwenden ist (vgl. dazu EuGH 10.9.2019, Nalini Chenchooliah, C-94/18, Rn. 89).

Die Maßgeblichkeit der §§ 66 und 67 FPG gilt auch in Fällen des - vom BVwG dahingestellt gelassenen - Bestehens einer Aufenthaltsehe (vgl. VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, Rn. 9).

10       Das BFA vertritt in der Amtsrevision jedoch zudem die Ansicht, das BVwG hätte im Verfahren über die Beschwerde des Mitbeteiligten die Erlassung einer Ausweisung nach § 66 FPG oder eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG prüfen müssen, falls die Erlassung der erstinstanzlich ergangenen Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes nicht dem Gesetz entsprächen.

11       Eine derartige Vorgangsweise des BVwG stünde jedoch in Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben:

12       „Sache“ eines vor einem Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG zu erledigenden Bescheidbeschwerdeverfahrens ist nämlich nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs des Bescheides der vor ihm belangten Behörde gebildet hat. Diese von der Verwaltungsbehörde entschiedene Angelegenheit bildet den äußersten Rahmen für die Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtes (vgl. etwa VwGH 27.11.2020, Ra 2020/16/0151, Rn. 19, sowie Leeb in Hengstschläger/Leeb [2017], § 28 VwGVG, Rz. 36 und 37, mwN aus der Lehre und der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

13       Die im vorliegenden Fall vom BFA erlassenen Maßnahmen verpflichten den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in seinen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat (Rückkehrentscheidung; siehe § 52 Abs. 8 FPG) und enthalten die normative Anordnung, für den festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten (das sind jene Staaten, für die die Richtlinie 2008/115/EG gilt; siehe das Erkenntnis VwGH 22.5.2013, 2013/18/0021) einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten (Einreiseverbot; siehe § 53 Abs. 1 FPG).

14       Ein Aufenthaltsverbot ist dagegen jene aufenthaltsbeendende Maßnahme, die gegen (auch ehemalige) EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige in Betracht kommt und verpflichtet „nur“ zum Verlassen und für den festgesetzten Zeitraum zum Verbleib außerhalb des Bundesgebietes. Angesichts des demnach unterschiedlichen normativen Gehalts der erwähnten Maßnahmen, die zudem an unterschiedliche Voraussetzungen anknüpfen, sind sie nicht „austauschbar“; damit kommt aber die von der Amtsrevision offenbar angedachte Transformation einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot in ein Aufenthaltsverbot (oder auch eine Ausweisung) nicht in Betracht (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151, Rn. 12; siehe auch VwGH 4.4.2019, Ra 2019/21/0009, Rn. 28).

15       Es bestanden zwar Fälle, in denen die soeben erörterte Frage der Überschreitung des Gegenstandes des Beschwerdeverfahrens vom Verwaltungsgerichtshof nicht aufgegriffen werden musste (vgl. neuerlich VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349).

Auch kann der Umstand, dass gegenüber einem Fremden anstelle von Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot ein Aufenthaltsverbot verhängt wurde, ihn für sich betrachtet regelmäßig nicht in Rechten verletzen, weil die mit dem Aufenthaltsverbot einhergehende Ausreiseverpflichtung einen weiteren Spielraum lässt, als ihn Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot bieten würden (vgl. etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0248, Rn. 11, mwN).

16       Daraus ist für die Revision aber nichts gewonnen.

Denn der Umstand, dass keine Rechtsverletzung vorliegt, bedeutet nur, dass die Wahl der - falschen - aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof führt, ändert aber nichts am - nicht nur auf ein reines „Mehr - Weniger - Verhältnis“ zu reduzierenden - unterschiedlichen normativen Gehalt von Rückkehrentscheidung bzw. Einreiseverbot einerseits und Ausweisung bzw. Aufenthaltsverbot andererseits, sodass nicht von „Sachidentität“ ausgegangen werden kann.

17       Insgesamt wird somit in der Amtsrevision keine Rechtsfrage aufgezeigt, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen war.

Wien, am 16. April 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62018CJ0094 Chenchooliah VORAB

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210462.L00

Im RIS seit

20.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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