TE Vwgh Beschluss 2021/4/20 Ra 2021/19/0108

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Veröffentlicht am 20.04.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des M I in R, vertreten durch MMag.a Marion Battisti, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Februar 2021, W122 2209171-1/16E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 11. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, dass die iranische Polizei das Haus seiner Familie gestürmt habe, weil er zum Christentum konvertiert sei. Er sei in Österreich getauft worden und in einer evangelischen Kirchengemeinde aktiv.

2        Mit Bescheid vom 2. Oktober 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - aus, dass das Vorbringen des Revisionswerbers zu der ihm drohenden Verfolgung auf Grund des behaupteten Glaubenswechsels nicht glaubhaft sei. Zudem sei von einer Scheinkonversion des Revisionswerbers auszugehen.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6        Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe die Beweiswürdigung hinsichtlich des aus innerer Überzeugung vollzogenen Glaubenswechsels völlig einseitig zu Lasten des Revisionswerbers und in unvertretbarer Weise vorgenommen. Das BVwG habe eine weit überzogene Erwartungshaltung an die theologisch vergleichende und detaillierte Auseinandersetzung des Revisionswerbers mit den verschiedenen Glaubensrichtungen angelegt.

7        Als Rechtsinstanz ist der Verwaltungsgerichtshof zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 3.3.2021, Ra 2021/19/0023, mwN).

Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 22.9.2020, Ra 2020/19/0289, mwN).

Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. VwGH 13.7.2020, Ra 2020/19/0227, mwN).

8        Das BVwG gab dem Revisionswerber im Rahmen einer mündlichen Verhandlung ausführlich Gelegenheit, sich zu seinem Fluchtvorbringen und dem behaupteten Glaubenswechsel zu äußern und vernahm zudem mehrere Zeugen ein. Im Ergebnis ging es trotz seiner aktiven Teilnahme am Kirchenleben vom Vorliegen einer Scheinkonversion des Revisionswerbers aus. Beweiswürdigend stützte es sich dabei auf die oberflächlichen und vagen Angaben des zum Christentum befragten Revisionswerbers. Aus dem Aussageverhalten des Revisionswerbers habe sich darüber hinaus ergeben, dass dieser den Besuch des Gottesdienstes als Pflicht ansehe, der er nach eigenen Angaben nun schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr nachgekommen sei sowie dass er keinen ausgeprägten Missionierungsgedanken aufweise. Auch die einvernommenen Zeugen hätten nicht plausibel darlegen können, dass der Revisionswerber aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert wäre.

9        Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass das BVwG bei seiner Beurteilung von den oben dargestellten Leitlinien abgewichen wäre oder die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte.

10       Soweit sich die Revision gegen die im Rahmen der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, wonach die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden hat. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden. Das persönliche Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 3.3.2021, Ra 2021/19/0023, mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 2.3.2021, Ra 2021/19/0043, mwN).

11       Im vorliegenden Fall würdigte das BVwG im Rahmen seiner Interessenabwägung alle entscheidungswesentlichen Umstände und kam unter besonderer Berücksichtigung des hohen öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers überwiegen würden.

Dass die Interessenabwägung an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leide, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

12       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 20. April 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190108.L00

Im RIS seit

17.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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