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E2A Assoziierung TürkeiNorm
ARB1/80 Art13Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant und den Hofrat Dr. Sulzbacher als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des B D, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 15. Oktober 2020, LVwG-M-7/001-2019, betreffend Zurückweisung nach § 41 FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Niederösterreich), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, wurde 1998 in Österreich geboren und verfügte zuletzt über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“. Im Dezember 2017 reiste er zu Studienzwecken in die Türkei aus. Beim Versuch, am 9. Jänner 2019 zwecks Besuch seiner Familie wieder in Österreich einzureisen, wurde er am Flughaften Wien-Schwechat gemäß § 41 FPG zurückgewiesen, weil sein Aufenthaltstitel gemäß § 20 Abs. 4 NAG ungültig geworden sei. Am folgenden Tag kehrte er nach einer (gemäß § 42 Abs. 1 FPG angeordneten) Übernachtung in der Transitzone in die Türkei zurück.
2 Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2019 erhob der Revisionswerber eine Maßnahmenbeschwerde gemäß Art. 132 Abs. 2 B-VG gegen die „Verweigerung der Einreise nach Österreich“, den „erzwungenen Aufenthalt im Transitraum des Flughafens Schwechat“ und die „erzwungene Wiederausreise in die Türkei“. Er brachte vor, dass er als türkischer Staatsangehöriger in den Anwendungsbereich des Assoziationsrechts zwischen der Europäischen Union und der Türkei falle und ihn insbesondere die Stillhalteklausel nach Art. 13 des Assoziationsratsbeschlusses (ARB) Nr. 1/80 schütze. § 20 Abs. 4 NAG habe als neue Zugangsschranke nicht angewendet werden dürfen. Die Stillhalteklausel gelte nicht nur für türkische Wanderarbeitnehmer, sondern auch für türkische Staatsangehörige, die noch keine Rechte in Bezug auf Beschäftigung erworben hätten.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und verpflichtete den Revisionswerber zum Aufwandersatz an den Bund.
4 Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte sodann aus, dass der Revisionswerber „länger als 24 Monate“ durchgehend außerhalb des EWR-Gebietes aufhältig gewesen sei. Auch wenn § 20 Abs. 4 NAG auf türkische Staatsangehörige mit Erwerbsabsicht nicht anzuwenden sei, sei eine Besserstellung gegenüber Unionsbürgern zu vermeiden und daher § 10 Abs. 3 Z 5 NAG analog anzuwenden, „welcher von einem Verlust der Rechtsstellung bei mehr als zweijähriger aufeinanderfolgender Abwesenheit vom Bundesgebiet ausgeht, dieser Fall gegenständlich hier vorliegt“. Daher sei beim Revisionswerber, der zum Zeitpunkt der versuchten Einreise noch in Studienausbildung gestanden sei, von seinem in Österreich lebenden Vater finanziell unterstützt werde und sich „länger als 24 Monate“ durchgehend außerhalb des EWR-Raumes aufgehalten habe, der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ ex lege „erloschen bzw. gegenstandslos geworden“. Sohin sei er mangels Erfüllung der Einreisevoraussetzungen und wegen Nichtvorliegens eines Grundes für eine Visumerteilung an der Grenze zurückzuweisen gewesen.
5 Daran schließt ein zweiter Begründungsduktus an, der anders als der soeben wiedergegebene davon ausgeht, dass § 20 Abs. 4 NAG auf den Revisionswerber anwendbar sei, weil er zum Zeitpunkt der versuchten Einreise am 9. Jänner 2019 keine Erwerbsabsicht gehabt habe. Der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ sei gemäß § 20 Abs. 4 NAG erloschen, weil keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe für die längere Abwesenheit vorgelegen bzw. der Behörde mitgeteilt worden seien. Daraus folgerte das Landesverwaltungsgericht abermals, dass der Revisionswerber mangels Erfüllung der Einreisevoraussetzungen und wegen Nichtvorliegens eines Grundes für eine Visumerteilung an der Grenze zurückzuweisen gewesen sei. Die gegenständlich bekämpfte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erweise sich daher als rechtskonform.
6 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Landesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG „nicht zur Behandlung eignen“, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
9 Insoweit macht der Revisionswerber nur mit dem Hinweis auf eine zukünftig beabsichtigte Erwerbstätigkeit geltend, dass das Landesverwaltungsgericht zu Unrecht von der Unanwendbarkeit der Stillhalteklausel in seinem Fall ausgegangen sei. Es sei klar, dass ein türkischer Staatsangehöriger, der sich in Ausbildung bzw. im Studium befinde, letztlich nach Abschluss seiner schulischen Ausbildung bzw. Berufsausbildung arbeiten werde. Die Absicht, in Österreich letztlich einer „Erwerbsbeschäftigung“ nachzugehen, sei daher auch in seinem Fall erfüllt, sodass die Stillhalteklausel zu beachten gewesen wäre.
10 Richtig ist zwar, dass die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 (ebenso wie jene des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls für den Fall der beabsichtigten Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit) auch türkischen Staatsangehörigen zugutekommt, die nicht bereits (legal) in den Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates integriert sind, also die Voraussetzungen gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht erfüllen (vgl. etwa das vom Revisionswerber ins Treffen geführte Erkenntnis VwGH 13.12.2011, 2008/22/0180); allerdings muss die Absicht zu einer solchen Integration in den Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaates bestehen (vgl. etwa VwGH 18.4.2018, Ra 2018/22/0004, Rn. 10, mwN). Eine derartige Absicht war beim Revisionswerber, der in der Türkei in Ausbildung stand und nach seinen eigenen Angaben nur zu Besuchszwecken nach Österreich einreisen wollte, aktuell nicht vorhanden. Auf allfällige zukünftige Pläne, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, kommt es nicht an (vgl. in diesem Sinn nochmals VwGH 18.4.2018, Ra 2018/22/0004, Rn. 11).
11 Das Landesverwaltungsgericht ist daher - in der zweiten Begründungsalternative des angefochtenen Erkenntnisses - letztlich richtig davon ausgegangen, dass dem Revisionswerber die Stillhalteklausel nicht zugutekam und der ihm ausgestellte Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ wegen seiner unstrittig länger als ein Jahr dauernden Abwesenheit vom EWR-Raum nach § 20 Abs. 4 NAG erloschen ist. Auf die - dieser im Ergebnis zutreffenden Begründung vorangestellten - Ausführungen, denen zufolge das Landesverwaltungsgericht eine Anwendbarkeit der Stillhalteklausel bejahte und das Erlöschen des Aufenthaltstitels daher nicht auf § 20 Abs. 4 NAG, sondern auf § 10 Abs. 3 Z 5 NAG stützte, wobei es aktenwidrig und im Widerspruch zu seinen eigenen Feststellungen betreffend die Ausreise im Dezember 2017 eine Abwesenheit des Revisionswerbers von mehr als zwei Jahren unterstellte, ist es nicht angekommen.
12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 20. April 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210505.L00Im RIS seit
19.05.2021Zuletzt aktualisiert am
01.06.2021