TE Vwgh Erkenntnis 2021/4/20 Ra 2020/21/0391

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Veröffentlicht am 20.04.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §38
AVG §71 Abs2
FrPolG 2005 §67
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
ZustG §13 Abs1
ZustG §2 Z4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant und den Hofrat Dr. Sulzbacher als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des M K, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 2020, G307 2232675-1/2E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Gegen den Revisionswerber, einen Staatsangehörigen von Serbien sowie Bosnien und Herzegowina, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14. Mai 2018 ein auf vier Jahre befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG verhängt. Dagegen erhob der Revisionswerber mit Schriftsatz vom 20. Mai 2020 Beschwerde und stellte gleichzeitig in eventu einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

2        Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde brachte er vor, dass er, wie auch in seinem Pass ersichtlich sei, am 9. Mai 2018 aus Österreich ausgereist sei. Seine Wohnung habe er vor der Ausreise „zurückgestellt“, und er sei nie wieder in diese Wohnung zurückgekehrt. Eine Verständigung über die Hinterlegung habe er daher nicht erhalten können. Erst am 15. Mai 2020 habe er vom Aufenthaltsverbot erfahren, als er von der Polizei aufgesucht und in Schubhaft genommen worden sei. Für den Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht eine wirksame Zustellung durch Hinterlegung am 22. Mai 2018 annehmen sollte, stelle er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil er durch seine dauernde und endgültige Abwesenheit von seiner früheren Wohnung gehindert gewesen sei, rechtzeitig von der Zustellung Kenntnis zu erlangen.

3        Das BFA wies den Wiedereinsetzungsantrag mit Bescheid vom 15. Juni 2020 ab. Es führte aus, dass der Bescheid vom 14. Mai 2018 an die Meldeadresse des Revisionswerbers „expediert“ und nach einem Zustellversuch und Hinterlegung am 22. Mai 2018 schließlich am 13. Juni 2018 als „nicht behoben“ an das BFA retourniert worden sei. Die Zustellung sei ordnungsgemäß erfolgt, weil der Revisionswerber mit seiner behördlichen Meldung (von 22. September 2017 bis 4. September 2018) eine Abgabestelle bekannt gegeben habe. Der Revisionswerber besitze neben dem serbischen Reisepass, den er in Kopie der Beschwerde und dem Wiedereinsetzungsantrag beigelegt habe, auch einen bosnischen Reisepass. Laut diesem Pass sei er (nach der im serbischen Pass vermerkten Ausreise am 9. Mai 2018) bereits am 13. Mai 2018 wieder in Österreich eingereist und habe sich sodann mindestens zwei Monate durchgehend im Bundesgebiet aufgehalten. Den zahlreichen Stempelungen in seinem Reisepass sei zu entnehmen, dass er ständig zwischen Österreich und seiner Heimat pendle. Seine Abgabestelle habe er „grob fahrlässig betreut“. Er habe weder seine Ausreise aus dem Bundesgebiet nachgewiesen noch sich behördlich abgemeldet. Damit habe er die Behörden über eine aufrechte Abgabestelle im Glauben gelassen und es unterlassen, eine geregelte Zustellmöglichkeit während seiner Abwesenheit abzuklären. Die Situation sei alleine in seinem Verschulden gelegen. In seinem Wiedereinsetzungsantrag habe er zwar ausgeführt, die Wohnung schon vor der Ausreise am 9. Mai 2018 zurückgestellt zu haben, doch habe er bis zum 4. September 2018 über eine behördliche Meldung an dieser Adresse verfügt. Zudem habe er diese Adresse bei seiner Eheschließung am 9. Mai 2020 als Wohnanschrift angegeben. Erst im Nachhinein - mit Sicherstellung des bosnischen Reisepasses und Vorlage der Kopien des serbischen Reisepasses - sei für die Behörden nachvollziehbar gewesen, wann er tatsächlich das Bundesgebiet verlassen habe und neu eingereist sei. Ausgehend von einer Rückkehr nach Österreich bereits am 13. Mai 2018 habe sich der Revisionswerber während des gesamten „Zustellablaufs“ in Österreich befunden. Selbst wenn dem nicht so gewesen wäre, habe er „den Ablauf einer geregelten Zustellmöglichkeit während [seiner] Abwesenheit abzuklären“ und sei „eine Reise ohnehin im Vorhinein zu planen“. Es handle sich um kein unvorhergesehenes bzw. unabwendbares Ereignis.

4        Mit Beschwerdevorentscheidung vom 15. Juni 2020 wies das BFA die Beschwerde gegen den Bescheid vom 14. Mai 2018 als verspätet zurück.

5        Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag.

6        Mit dem angefochtenen Beschluss vom 11. August 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht in Bestätigung der Beschwerdevorentscheidung die Beschwerde als verspätet zurück.

7        Die gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages (laut Faxbestätigung rechtzeitig) erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach der Aktenlage an das BFA zurückgeleitet, weil das Bundesverwaltungsgericht der Ansicht war, eine Behandlung der Beschwerde sei ihm „verwehrt“ gewesen (da sie beim Bundesverwaltungsgericht erst nach Erlassung des angefochtenen Beschlusses eingelangt sei).

8        In der Begründung des angefochtenen Beschlusses ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Bescheid des BFA betreffend die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags unbekämpft in Rechtskraft erwachsen sei. Mit diesem Bescheid sei die „erfolgte Zustellung“ des Bescheides vom 14. Mai 2018 festgestellt worden. Der Lauf der vierwöchigen Beschwerdefrist habe sohin am „24. Mai 2018“ begonnen und mit Ablauf des 21. Juni 2018 geendet. Die erst am 20. Mai 2020 eingebrachte Beschwerde sei somit verspätet.

9        Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Über die gegen diesen Beschluss erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10       Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG insbesondere vor, dass das Bundesverwaltungsgericht zu der Frage, ob die Abgabestelle des Revisionswerbers zum Zeitpunkt der Hinterlegung des Bescheides vom 14. Mai 2018 noch aufrecht gewesen sei, keine Ermittlungen vorgenommen habe.

11       Diese Rüge trifft zu, weshalb sich die Revision als zulässig und berechtigt erweist.

12       Gemäß § 2 Z 4 ZustG stellt (u.a.) die Wohnung eine Abgabestelle dar, an der ein Dokument gemäß § 13 Abs. 1 ZustG dem Empfänger zugestellt werden darf. Unter einer Wohnung im genannten Sinn ist jede Räumlichkeit zu verstehen, die der Empfänger tatsächlich benützt, wo er also tatsächlich wohnt. Der dazu erforderliche regelmäßige Aufenthalt des Empfängers ist dabei nach objektiven Gesichtspunkten ex post und ohne Rücksicht darauf zu beurteilen, wie sich die Verhältnisse dem Zustellorgan seinerzeit subjektiv geboten haben sowie ohne Rücksicht auf die Absichten des Empfängers. Die Eigenschaft eines Ortes als Abgabestelle geht (erst) verloren, wenn die Nahebeziehung des Empfängers zu ihm auf Dauer oder doch für einen so langen Zeitraum erlischt, dass nach den Gepflogenheiten des Lebens das Warten auf eine Rückkehr in angemessener Zeit nicht zumutbar ist (vgl. etwa VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0064, Rn. 10, mwN).

13       Die (versuchte) Zustellung des Bescheides des BFA vom 14. Mai 2018 ist durch Hinterlegung an die Meldeadresse des Revisionswerbers erfolgt. Er brachte allerdings in der Beschwerde vor, dass er die Wohnung an dieser Adresse bei seiner Ausreise aus Österreich am 9. Mai 2018 endgültig aufgegeben hätte, und bekräftigte dies im Vorlageantrag. Mit diesem Vorbringen hat sich das Bundesverwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt, weil es davon ausgegangen ist, dass das BFA die wirksame Zustellung des Bescheides vom 14. Mai 2018 mit dem Bescheid betreffend die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages rechtskräftig festgestellt habe. Abgesehen davon, dass dieser Bescheid - was die Revision ebenfalls geltend macht - nicht in Rechtskraft erwachsen sein dürfte, weil nach der Aktenlage beim BFA rechtzeitig eine Beschwerde dagegen eingebracht wurde, ist die Frage der rechtswirksamen Zustellung im Wiedereinsetzungsverfahren nur eine Vorfrage (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 4.9.2013, 2013/08/0055, Punkt 1. der Entscheidungsgründe). Für die Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerde gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid vom 14. Mai 2018 wäre der Zeitpunkt der rechtswirksamen Zustellung dieses Bescheides vom Bundesverwaltungsgericht ohne Bindung an die Beurteilung des BFA im Wiedereinsetzungsverfahren eigenständig zu prüfen gewesen.

14       Da das Bundesverwaltungsgericht dies verkannte, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

15       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. April 2021

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210391.L00

Im RIS seit

19.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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