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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofrätinnen Mag. Schindler und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des XY, vertreten durch Rast & Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Februar 2021, W257 2181373-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 12. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit Bescheid vom 27. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das BVwG sei „willkürlich“ und „spontan“ von der Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers betreffend sein Vorbringen, wonach seine gesamte Familie nun in Pakistan lebe, ausgegangen und habe ohne nachvollziehbare Begründung angenommen, dass sich die Mutter des Revisionswerbers noch in Kabul aufhalte. Weiters habe das BVwG im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung die sechsjährige Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers, seine überragende und außergewöhnliche Integration - er besuche die Schule, pflege viele soziale Kontakte, spreche Deutsch auf Niveau B1, sei kranken- und unfallversichert, strafrechtlich unbescholten, verfüge über mehrere Empfehlungsschreiben und hole momentan seinen Pflichtschulabschluss nach - sowie sein im Bundesgebiet bestehendes Familienleben mit seinen Großeltern nicht ausreichend berücksichtigt. Es sei sohin keine Gesamtbetrachtung vorgenommen worden.
8 Soweit sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung gegen die Beweiswürdigung des BVwG wendet, ist dem zu erwidern, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 5.2.2021, Ra 2021/14/0012, mwN). Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa VwGH 30.3.2020, Ra 2020/14/0020, mwN).
9 Das BVwG setzte sich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung auseinander und kam mit nicht als unschlüssig anzusehenden Überlegungen zu dem Ergebnis, dass lediglich der Vater des Revisionswerbers mittlerweile in Pakistan lebe. Entgegen den Revisionsausführungen legte das BVwG seiner Entscheidung einen Aufenthalt der Mutter in Kabul nicht zugrunde, sondern traf zum aktuellen Aufenthaltsort der Mutter des Revisionswerbers und seiner Geschwister eine Negativfeststellung. Die Revision zeigt weder auf, dass das BVwG die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte, noch die ins Treffen geführten Feststellungen entscheidungswesentlich wären.
10 Soweit sich die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, dass die unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessensabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 5.2.2021, Ra 2021/14/0003, mwN).
11 Liegt - wie im vorliegenden Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, sodass es gerechtfertigt wäre, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären (vgl. VwGH 13.1.2021, Ra 2020/14/0571, mwN).
12 Das BVwG hat die in der Revision angesprochenen Umstände, darunter auch seinen zum Entscheidungszeitpunkt knapp über fünf Jahre bestehenden Aufenthalt im Bundesgebiet und sein Zusammenleben mit den Großeltern, in seine Interessenabwägung einbezogen. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 22.8.2019, Ra 2019/14/0346, mwN). Mit dem allgemein gehaltenen Vorbringen, der Revisionswerber sei für seinen Großvater „wie ein Sohn“ wird nicht dargetan, dass ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinn der zitierten Rechtsprechung bestünde. Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass die im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung des BVwG unvertretbar erfolgt wäre.
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 21. April 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140109.L00Im RIS seit
17.05.2021Zuletzt aktualisiert am
01.06.2021