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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Rechtssachen der Revisionen des 1. A B, 2. der C D und des 3. E F, alle vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/6, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Jänner 2021, 1. W226 2217509-1/14E, 2. W226 2212869-1/18E und 3. W226 2233025-1/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige der russischen Föderation. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind mittlerweile miteinander verheiratet und die Eltern des minderjährigen Drittrevisionswerbers. Der Erstrevisionswerber stellte am 5. Oktober 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), die Zweitrevisionswerberin stellte ihren - bereits vierten - derartigen Antrag am 16. Juli 2018. Für das gemeinsame Kind wurde der Antrag nach der im Inland erfolgten Geburt am 15. Mai 2020 gestellt. Der Erstrevisionswerber brachte vor, er sei zum Wehrdienst einberufen worden und würde als Deserteur verfolgt werden. Die Zweitrevisionswerberin brachte vor, weil eine Kuh ihrer Familie den Tod eines fremden Mädchens verursacht habe, drohe ihr Blutrache.
2 Mit den Bescheiden vom 15. März 2019, 19. Dezember 2018 und 8. Juni 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz jeweils vollinhaltlich ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebungen in die Russische Föderation zulässig seien. Die Frist für die freiwilligen Ausreisen legte die Behörde mit 14 Tagen für den Erst- und Drittrevisionswerber und zwei Wochen für die Zweitrevisionswerberin, jeweils ab Rechtskraft der jeweiligen Rückkehrscheidung, fest.
3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass Revisionen dagegen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig seien.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 In den Revisionen wird zur Zulässigkeit zunächst ausgeführt, die vorgebrachte Bedrohungssituation sei begründet und nachvollziehbar dargelegt worden und entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts noch immer gegeben. Übergriffe und Verfolgung seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorhersehbar. Die „Regelvermutung des § 5 AsylG 2005“ sei daher unanwendbar. Es sei zu keiner ausreichenden Prüfung der Gründe, die gegen die Rückkehr sprächen, gekommen. Das Bundesverwaltungsgericht habe auf Grund unrichtiger rechtlicher Beurteilung und erheblicher Ermittlungsfehler die dargelegte Bedrohungslage nicht erkannt. Es seien trotz diesbezüglichen Vorbringens keine konkreten Feststellungen zur („westlichen“) Lebensweise der Zweitrevisionswerberin getroffen worden. Es liege keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vor. Das Vorliegen eines „real risk“ sei beim Erstrevisionswerber trotz der vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht ausreichend geprüft worden. Auf Grund des unzureichend gewürdigten, hohen Grades der Integration hätten Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach den §§ 55 und 57 AsylG 2005 erteilt werden müssen.
8 Die Revisionen bekämpften damit zunächst die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes, das näher begründet zum Ergebnis gekommen ist, dass jene behaupteten Sachverhalte, auf die die Befürchtung einer asylrelevanten Verfolgung gegründet wurde - nämlich die Einberufung des Erstrevisionswerbers zum Wehrdienst und ein Zwischenfall mit einer Kuh der Familie der Zweitrevisionswerberin, der zum Tod eines fremden Mädchens geführt haben soll -, nicht vorgefallen seien.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 19.11.2020, Ra 2020/14/0192 bis 0196, mwN).
10 Eine solche Unvertretbarkeit zeigten die Revisionen mit ihrem allgemeinen Vorbringen, das auf die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes nicht konkret eingeht, nicht auf.
11 Weiters behaupten die Revisionen mit dem Vorwurf von Ermittlungsfehlern, nicht ausreichender Prüfung von Fluchtgründen, fehlenden Feststellungen insbesondere zur Lebensweise der Zweitrevisionswerberin sowie unzureichender Prüfung der medizinischen Situation des Erstrevisionswerbers bei seiner Rückkehr, dem Bundesverwaltungsgericht seien Verfahrensfehler unterlaufen.
12 In einem solchen Fall muss jedoch auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 5.11.2020, Ra 2020/14/0258, mwN). Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarstellung lassen die Revisionen gänzlich vermissen.
13 Mit dem Vorbringen, den revisionswerbenden Parteien wären Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen und sie seien gemäß Art. 8 EMRK entsprechend sozial integriert, wenden sich die Revisionen der Sache nach gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidungen und die in diesem Zusammenhang vorzunehmende Interessenabwägung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz.
14 Insofern ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 5.2.2021, Ra 2021/14/0003, mwN).
15 Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte im konkreten Fall dabei alle entscheidungswesentlichen, auch die von den revisionswerbenden Parteien nunmehr angesprochenen Umstände. Die Revisionen vermögen nicht darzulegen, dass die festgestellten Umstände bei der Interessenabwägung in einer den Leitlinien der Rechtsprechung widersprechenden unvertretbaren Weise gewichtet worden wären (vgl. VwGH 5.2.2021, Ra 2021/14/0003, mwN). Dass dem Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK eine revisible Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, ist daher nicht ersichtlich.
16 Zu den Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 57 AsylG 2005 enthalten die Revisionen kein Vorbringen. Außerdem hat das Bundesverwaltungsgericht weder eine Antragszurückweisung nach § 5 AsylG 2005 vorgenommen, noch die revisionswerbenden Parteien auf eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005 verwiesen, sodass schon deshalb das darauf bezogene, nicht weiter substantiierte Revisionsvorbringen auf sich beruhen kann.
17 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.
Wien, am 21. April 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140059.L00Im RIS seit
17.05.2021Zuletzt aktualisiert am
01.06.2021