TE Vwgh Erkenntnis 2021/4/22 Ra 2021/18/0096

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Veröffentlicht am 22.04.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
MRK Art8
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M A, vertreten durch MMag. Dr. Franz Stefan Pechmann, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Prinz-Eugen-Straße 70/2/1.1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. August 2020, W161 2233958-1/4E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 8. März 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass er vor seiner Einreise nach Österreich auch in Kroatien um internationalen Schutz angesucht hatte.

2        Über ein österreichisches Ersuchen stimmte die kroatische Dublin-Behörde der Wiederaufnahme des Revisionswerbers mit Schreiben vom 25. März 2020 zu.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - im Wesentlichen in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 23. Juli 2020 - den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück, stellte fest, dass Kroatien für die Prüfung des Antrags zuständig sei, ordnete die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und erklärte die Abschiebung nach Kroatien für zulässig. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

4        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zusammengefasst geltend macht, das BVwG habe nicht (hinreichend) berücksichtigt, dass der Revisionswerber ein schützenswertes Familienleben nach Art. 8 EMRK mit einer in Österreich lebenden (asylberechtigten) Fremden führe, die er zunächst nach islamischem Ritus und später auch standesamtlich geheiratet habe und die von ihm im fünften Monat schwanger sei. Sie sei außerdem zu 50 % behindert und auf die Unterstützung des Revisionswerbers angewiesen.

5        Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7        Die Revision ist zulässig und begründet.

8        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die - in Österreich im Verfassungsrang stehende - EMRK notwendig. Die Asylbehörden müssen bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 somit auch Art. 8 EMRK berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin III-Verordnung ausüben (vgl. dazu etwa VwGH 15.7.2019, Ra 2019/18/0233, mwN).

9        Im gegenständlichen Fall beruft sich der Revisionswerber auf ein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK, das vom BVwG in der angefochtenen Entscheidung verneint wurde („Ein zu beachtendes Familienleben in Österreich kann ebenso wenig festgestellt werden wie eine besondere Integrationsverfestigung des [Revisionswerbers] in Österreich“).

10       Soweit er dabei auf die standesamtliche Eheschließung mit einer - unstrittig - in Österreich asylberechtigten Fremden und deren Schwangerschaft verweist (beide Umstände wurden mit der Revision auch urkundlich belegt), ist allerdings darauf hinzuweisen, dass diese Tatsachen im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG noch nicht gegeben waren und daher gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bestehende Neuerungsverbot verstoßen.

11       Ungeachtet dessen lagen dem BVwG schon bei seiner Entscheidung deutliche Hinweise für ein schützenswertes Familienleben des Revisionswerbers mit seiner nunmehrigen (schwangeren) Ehefrau vor, die bei der Beurteilung des Falles zu wenig Beachtung fanden.

12       So hielt das BVwG fest, der Revisionswerber sei lediglich nach islamischem Ritus verheiratet und es werde diese religiös erfolgte Eheschließung in Österreich nicht als gültige Ehe anerkannt. Die islamische Ehe sei außerdem erst am 14. März 2020 in Österreich geschlossen worden, ein gemeinsamer Haushalt bestehe nur seit Kurzem. Der Revisionswerber behaupte zwar, seine „Ehefrau“ bereits seit der Schulzeit zu kennen und den Entschluss zur Eheschließung schon früher gefasst zu haben. Selbst wenn dies zutreffe, stelle sich die Frage, wieso der Revisionswerber dann auch in anderen EU-Staaten um internationalen Schutz angesucht habe. Offenbar gehe es ihm beim behaupteten Familienleben nur darum, seinen Aufenthalt in Europa zu verlängern und sein Asylverfahren in einem von ihm ausgesuchten Land durchzuführen.

13       Diese Erwägungen greifen selbst unter Bedachtnahme auf den Wissensstand des BVwG bei seiner Entscheidung zu kurz. Sowohl der Revisionswerber als auch seine (nunmehrige) Ehefrau hatten vor dem BFA übereinstimmend angegeben, sich schon seit der Kindheit gut zu kennen und noch vor der Flucht der nunmehrigen Ehefrau aus Syrien (im Jahr 2011) eine Beziehung miteinander aufgenommen zu haben. Danach hätten sie - fluchtbedingt getrennt - ständigen und intensiven Kontakt unter Zuhilfenahme sozialer Medien gehalten. Sie verwiesen auch darauf, ihre nach islamischem Ritus vollzogene Eheschließung in Kürze durch die staatliche Eheschließung zu legalisieren (zu diesem Zweck belegten sie urkundlich sowohl die Ehefähigkeitsüberprüfung als auch den bereits fixierten Trauungstermin). Bei dieser Beweislage erweist sich die Einschätzung des BVwG, das gegenständliche Familienleben sei nur vorgeschützt und diene bloß der - unberechtigten - Verlängerung des Aufenthalts des Revisionswerbers in Österreich, als nicht nachvollziehbar.

14       Schon aus diesem Grund vermag das angefochtene Erkenntnis keinen Bestand zu haben. Auf die von der Revision aufgeworfene Frage, ob die Ehefrau des Revisionswerbers aufgrund ihrer Behinderung (die dem BVwG ebenfalls bereits bekannt war) überdies in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zum Revisionswerber steht (dies wurde vom BVwG explizit verneint), braucht bei diesem Ergebnis nicht weiter eingegangen zu werden.

15       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

16       Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

17       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. April 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180096.L00

Im RIS seit

17.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.05.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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