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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
FrPolG 2005 §52 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des V M, vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Oktober 2020, W280 2220358-1/17E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Kosovo, hält sich - nach temporären Aufenthalten in den Jahren 2012, 2013 und 2014 - seit 10. April 2015 durchgehend im Bundesgebiet auf.
2 Mit Bescheid vom 7. Mai 2019 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen ihn gemäß § 52 Abs. 4 FPG eine Rückkehrentscheidung. Es stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung in den Kosovo zulässig sei, und bestimmte gemäß § 55 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise. Gemäß § 53 Abs. 1 und 2 Z 7 und 8 FPG erließ das BFA gegen ihn ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.
3 Mit dem angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung ergangenen Erkenntnis vom 19. Oktober 2020 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) einer dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers insoweit statt, als es das Einreiseverbot auf § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1, 2 und 7 FPG gründete und dessen Dauer auf drei Jahre herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG aus, dem Revisionswerber sei über Antrag vom 17. Februar 2015 die Aufenthaltsbewilligung „Student“ zunächst mit der Gültigkeit vom 17. April 2015 bis 17. April 2016 erteilt worden.
Am 15. August 2015 habe er eine slowakische Staatsangehörige geheiratet und in der Folge die Ausstellung einer Aufenthaltskarte als „Angehöriger eines EWR-Bürgers“ beantragt. Allerdings habe es sich bei dieser Eheschließung um eine Aufenthaltsehe gehandelt. Am 18. April 2016 sei der Revisionswerber deshalb vom Bezirksgericht Mödling wegen des Vergehens nach § 117 Abs. 1 FPG zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Ehe sei am 30. September 2016 vom Bezirksgericht Fünfhaus für nichtig erklärt worden.
Trotz Kenntnis der Behörde von diesem Umstand sei der ihm verliehene Aufenthaltstitel „Student“ zuletzt bis zum 26. Jänner 2018 verlängert worden.
Über einen von ihm am 30. Juni 2017 eingebrachten Zweckänderungsantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ sei bislang nicht entschieden worden. Infolge dieses Antrags halte er sich legal in Österreich auf.
Allerdings sei er mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Februar 2018 wegen gefährlicher Drohung zu einer fünfmonatigen (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Am 18. September 2018 sei über ihn mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 99 Abs. 1a StVO eine Geldstrafe von € 1.200 verhängt worden.
Der Revisionswerber habe im Rahmen seines in Österreich begonnenen Studiums - abgesehen vom Nachweis von Deutschkenntnissen auf dem Niveau A 1 - keine Prüfungen abgelegt. Eine ernsthafte Absicht, den ihm erteilten Aufenthaltstiteln entsprechend ein Studium in Österreich zu absolvieren, könne somit nicht festgestellt werden.
Für den Zeitraum vom 9. März 2016 bis zum 15. November 2018 habe er über Beschäftigungsbewilligungen als Student verfügt. Vom 10. März 2016 bis zum 7. Juni 2019 sei er als Arbeiter in einem seinem Bruder gehörenden Bauunternehmen zur Sozialversicherung gemeldet worden. Er sei gesund und arbeitsfähig und verfüge über eine aufrechte Einstellungszusage in diesem Unternehmen seines Bruders.
Der Revisionswerber habe am 6. Juni 2019 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Er wohne mit ihr seit 31. Mai 2019 im gemeinsamen Haushalt. Das Ehepaar erwarte Ende Jänner 2021 ein Kind. Auch die Ehefrau sei seit 13. Mai 2019 als Angestellte im Unternehmen des Bruders des Revisionswerbers zur Sozialversicherung gemeldet.
Rechtlich bejahte das BVwG das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes. Das Einreiseverbot sei auf Grund der letzten strafgerichtlichen Verurteilung wegen gefährlicher Drohung, wenn diese auch die Erfordernisse des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG nicht erfülle, im Zusammenhalt mit der erwähnten Verwaltungsübertretung zu Recht ergangen. Weiters sei zu berücksichtigen, dass der Revisionswerber nach dem Ende der bis 15. November 2018 erteilten Beschäftigungsbewilligung weiterhin im Unternehmen seines Bruders bis 7. Juni 2019 beschäftigt gewesen sei, woraus ein die österreichische Rechtsordnung missachtendes Verhalten abzuleiten sei.
Im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigte das BVwG vor allem die am 6. Juni 2019 geschlossene Ehe mit einer Österreicherin und deren Schwangerschaft. Im vorliegenden Fall würde sich „jedenfalls eine zeitweilige Trennung des [Revisionswerbers] und seiner Ehegattin ergeben“. Zudem lebten vier Onkel und ein Bruder des Revisionswerbers in Österreich, zu dem „ein intensives Geschwistern Verhältnis“ bestehe. Dazu kämen Sozialkontakte und der Erwerb eines Freundeskreises, allerdings überwiegend albanisch-stämmiger Herkunft. Die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot stellten sohin einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers dar.
Jedoch sei die Ehe während unsicheren Aufenthalts geschlossen worden, sodass sich die Ehepartner über den zu erwartenden Eingriff in ihr Familienleben bewusst sein mussten. Dazu kämen die genannten strafbaren Verhaltensweisen des Revisionswerbers, welche die Beendigung seines Aufenthaltes erforderten.
Dem Eingriff in das Privatleben stehe der Umstand gegenüber, dass der Revisionswerber 24 Jahre seines Lebens im Kosovo verbracht habe, dort in die Schule gegangen, berufstätig gewesen und sozialisiert worden sei. Zwangsläufig verfüge er daher über zahlreiche Anknüpfungspunkte. Neben seinen Eltern lebten weitere Verwandte im Kosovo. Bis zum Ablauf der Gültigkeit seines Aufenthaltstitels „Student“ sei er monatlich in den Kosovo gereist, bis dato unterhalte er über tägliche Telefonate Kontakt zu seinen Verwandten.
In Österreich gesetzte Integrationsschritte von maßgeblicher Bedeutung seien dagegen nicht hervorgekommen. Es bestünden vielmehr Zweifel an der Absicht, ein Studium zu absolvieren; von Anbeginn an wären wirtschaftliche Gründe im Hinblick auf die Erlangung besserer Lebensbedingungen im Vordergrund gestanden.
Insgesamt überwiege somit das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das persönliche Interesse des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet. Überdies sei die Ehefrau des Revisionswerbers selbst kosovarischer Abstammung, sodass auch die Fortführung des Familienlebens im Kosovo für die Zeit des befristeten Einreiseverbotes zumutbar erscheine.
Dessen Dauer stehe allerdings im Vergleich zu den verwirklichten Tatbeständen außer Relation und sei somit auf das angemessene Ausmaß von drei Jahren herabzusetzen gewesen.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
6 Die Revision erweist sich - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - aus den nachstehend angeführten Gründen unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt.
7 Die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot basieren im Ergebnis darauf, dass vom weiteren Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgehe. Das wird im Wesentlichen aus dem in Rn. 4 dargestellten - bereits sanktionierten - strafbaren Verhalten sowie aus der Begehung von Schwarzarbeit abgeleitet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof judiziert jedoch in ständiger Rechtsprechung, dass nicht allein auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftat und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen ist. Die wiedergegebene, nur aus der Nennung des Delikts (gefährliche Drohung) bestehende „Kurzdarstellung“ reicht somit für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose nicht aus (vgl. etwa VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0062, Rn. 9 und 10, mwN).
9 Dasselbe gilt für die vom BVwG festgestellte Bestrafung nach § 99 Abs. 1a StVO, dessen bloße Zitierung keinen Schluss auf die Art und Schwere der Verwaltungsübertretung und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild zulässt (vgl. VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0006, Rn. 13, mwN).
10 Diese Überlegung gilt umso mehr für die dem Revisionswerber der Sache nach vorgeworfene Schwarzarbeit, zumal den Feststellungen des BVwG weder die Erbringung einer konkreten Arbeitsleistung nach dem Ende der Beschäftigungsbewilligung noch die Betretung dabei entnommen werden kann. Insoweit ist letztlich gänzlich ungeprüft geblieben, welche Verhaltensweisen der Revisionswerber tatsächlich konkret gesetzt hatte und aus welchen Überlegungen der - vom BFA und vom BVwG herangezogene - Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG erfüllt sein sollte.
11 Jedenfalls vor diesem Hintergrund ist auch nicht erkennbar, weshalb der Revisionswerber eine mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes verbundene Trennung von seiner schwangeren österreichischen Ehefrau - wovon das BVwG im Rahmen seiner Interessenabwägung zunächst ausging - hinnehmen müsste.
Die dann offenbar alternativ angestellte Überlegung, eine Fortführung des Familienlebens im Kosovo sei im Hinblick auf die kosovarische Abstammung der Ehefrau zumutbar, ist ohne nähere Beschäftigung mit den konkreten Verhältnissen in keinem Fall tragfähig.
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
13 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. April 2021
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210504.L00Im RIS seit
20.05.2021Zuletzt aktualisiert am
01.06.2021