Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Rechtssache der Revisionen von 1. H F, 2. S Z, 3. L F, und 4. L F, alle vertreten durch Mag.a Sarah Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Schießstattgasse 30/1, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 25. November 2020, 1. L519 2170200-1/23E, 2. L519 2170205-1/23E, 3. L519 2176758-1/14E, und 4. L519 2220663-1/9E, je betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige des Irak. Der Erstrevisionswerber ist der Ehemann der Zweitrevisionswerberin. Die minderjährigen dritt- und viertrevisionswerbenden Parteien sind die minderjährigen Kinder des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin.
2 Die revisionswerbenden Parteien stellten Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Mit den Bescheiden vom 21. August 2017, vom 13. Oktober 2017 sowie vom 11. Juni 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten ab, erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung gegen die revisionswerbenden Parteien, stellte jeweils fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit den angefochtenen Erkenntnissen (jeweils mit einer für die Revisionsfälle nicht relevanten Maßgabe) als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für jeweils nicht zulässig.
4 Gegen diese Erkenntnisse erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom 18. Jänner 2021, E 4521-4524/2020-7, deren Behandlung ablehnte und sie mit Beschluss vom 11. Februar 2021, E 4521-4524/2020-9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 In der Folge wurden die vorliegenden Revisionen eingebracht.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revisionen bringen zu ihrer Zulässigkeit vor, dem Bundesverwaltungsgericht seien Verfahrensfehler und eine mangelhafte Beweiswürdigung bei der Beurteilung der vorgebrachten drohenden Zwangsheirat der Zweitrevisionswerberin, der zu einer Bedrohung durch einen „Clan mit mafiaähnlichen Strukturen“ führenden „heimlichen Heirat“ des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin sowie der atheistischen Haltung der Familie unterlaufen und die aktuelle Lage im Irak sei - mangels Aktualität der herangezogenen Länderberichte - nicht ordnungsgemäß festgestellt worden. Zudem hätte auch eine weitere mündliche Verhandlung durchgeführt werden müssen, unter anderem, um die fortgeschrittene „westliche Orientierung“ der Zweitrevisionswerberin beurteilen zu können.
10 Das Bundesverwaltungsgericht hat im angefochtenen Erkenntnis mit näherer Begründung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung verneint. Das dagegen gerichtete Zulässigkeitsvorbringen wendet sich der Sache nach gegen die Beweiswürdigung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 15.3.2021, Ra 2021/20/0047, mwN).
11 Das Bundesverwaltungsgericht ist nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu der Annahme gelangt, dass die revisionswerbenden Parteien „vor der Ausreise keiner individuellen Gefährdung durch staatliche Organe oder durch Dritte aufgrund der religiösen bzw. islamkritischen Anschauungen oder im Zusammenhang mit einer Ehrverletzung“ ausgesetzt gewesen seien und „im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat auch keiner mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt ... ausgesetzt“ wären. Es begründete diese Feststellung - soweit sie sich auf die vorgebrachte Bedrohung wegen der behaupteten Anschauungen der revisionswerbenden Parteien bezieht - in der Beweiswürdigung damit, dass selbst für den Fall, dass die revisionswerbenden Parteien „den Islam nicht mehr praktizieren würden“, aus der Berichtslage keine hinreichende Grundlage für die Annahme einer „systematischen Verfolgung von Atheisten“ abzuleiten sei. Es ergebe sich aus der Berichtslage zu Atheisten im Irak, dass „Personen mit säkularer, religionsloser Einstellung im Irak“ keine von staatlichen Organisationen oder Privatpersonen ausgehende „Verfolgung mit maßgebender Wahrscheinlichkeit“ drohe. Dass diese Beweiswürdigung im Fall der revisionswerbenden Parteien unvertretbar vorgenommen worden wäre, vermag die Revision mit Hinweisen auf einzelne Passagen aus den Länderinformationen (etwa dazu, dass Journalisten und Journalistinnen verfolgt worden wären, „deren Veröffentlichungen angeblich den Islam beleidigt hätten“, oder dass „ein öffentliches Bekenntnis zum Atheismus oder Unglaube an den Islam ... ein Todesurteil“ sein könne) nicht aufzuzeigen. Auch im Zusammenhang mit der geltend gemachten Zwangsverheiratung der Zweitrevisionswerberin (ebenso wie hinsichtlich der Annahme, dass von einer maßgeblichen Abkehr vom Islam nicht auszugehen sei) zeigt die Revision durch die bloße Kritik an einzelnen Punkten der - auf mangelnde Substantiierung der Angaben sowie eine Reihe von Unstimmigkeiten gestützten - Beweiswürdigung nicht auf, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine - vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende - krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (zum diesbezüglichen Maßstab vgl. erneut VwGH 15.3.2021, Ra 2021/20/0047, mwN).
12 Ausgehend davon mangelt es dem Zulassungsvorbringen, wonach nähere Ermittlungen und Feststellungen zum Clan der „Haro(o)ni“ vorzunehmen gewesen wären, an der für die erfolgreiche Geltendmachung von Verfahrensmängeln erforderlichen Relevanz.
13 Es reicht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nämlich nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel darzulegen. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (VwGH 6.8.2020, Ra 2020/20/0251). Eine diesbezügliche Darlegung hat - zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - bereits in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung zu erfolgen (vgl. VwGH 3.12.2020, Ra 2020/20/0392, mwN).
14 Zu den behaupteten Feststellungsmängeln zur aktuellen Lage im Irak vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie und zum Vorwurf, veraltete Länderberichte zur Sicherheitslage im Nordirak und in Kurdistan herangezogen zu haben, verabsäumt es die Revision darzulegen, welche Feststellungen das Bundesverwaltungsgericht zu treffen gehabt hätte. Mit dem bloßen Vorbringen, dass das Bundesverwaltungsgericht, wenn es die „zugänglichen aktuellen Quellen konsultiert“ hätte, zu dem Schluss hätte kommen müssen, „dass den Revisionswerber:innen zumindest subsidiärer Schutz gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zu gewähren“ gewesen sei, wird dem Erfordernis der Relevanzdarlegung nicht entsprochen.
15 Gleiches gilt im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung des Parteiengehörs und des Unterlassens einer weiteren Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung (zum Erfordernis der Relevanzdarlegung auch in letzterem Fall vgl. VwGH 5.10.2020, Ra 2020/20/0329, mwN). Der bloß schlagwortartige Verweis, die Zweitrevisionwerberin lebe nunmehr „westlich orientiert“, habe diese Haltung verinnerlicht und das Bundesverwaltungsgericht hätte sich im Rahmen eines neuerlichen Verhandlungstermins davon ein Bild machen können, genügt dem nicht.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 26. April 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200096.L00Im RIS seit
20.05.2021Zuletzt aktualisiert am
08.06.2021