TE Vwgh Erkenntnis 2021/4/26 Ra 2021/01/0027

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Veröffentlicht am 26.04.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

AVG §37
StbG 1985 §34 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Wiener Landesregierung gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 16. November 2020, Zlen. 1. VGW-152/065/11250/2020-5, 2. VGW-152/065/11253/2020, 3. VGW-152/065/11255/2020, 4. VGW-152/065/11256/2020 und 5. VGW-152/065/11251/2020, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Parteien: 1. A D, 2. H D, 3. M D, 4. M D und 5. Z I, alle in W und vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Senefeldergasse 11/1E), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Vorgeschichte

1        Die Erst- bis Fünftmitbeteiligten sind Staatsangehörige der Russischen Föderation. Mit Wirkung vom 21. Juli 2016 wurde dem Erstmitbeteiligten die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen und die Verleihung auf die Zweit- bis Fünfmitbeteiligten erstreckt.

2        Mit Bescheid der Wiener Landesregierung (Amtsrevisionswerberin) vom 18. Juni 2020 wurde den Mitbeteiligten die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 34 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) entzogen, da diese nach Verleihung bzw. Erstreckung der Verleihung „unter der Auflage des § 34 StbG“ nicht aus dem Staatsverband der Russischen Föderation ausgeschieden seien, obwohl ihnen die Zurücklegung der russischen Staatsangehörigkeit möglich und zumutbar gewesen sei.

Angefochtenes Erkenntnis

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten stattgegeben und „der angefochtene Bescheid aufgehoben“ (Spruchpunkt I.). Eine Revision wurde für unzulässig erklärt (Spruchpunkt II.).

4        Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Amtsrevisionswerberin habe mit den „Ladungen“ vom 23. Juli 2019 nicht der Verpflichtung einer (nach näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausreichenden) Belehrung nach § 34 Abs. 2 StbG entsprochen. Erst mit der rechtswirksamen Zustellung des „Schreibens“ vom 14. April 2020 sei die Amtsrevisionswerberin der gesetzlichen Verpflichtung nachgekommen.

5        Da im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Frist nach § 34 Abs. 2 StbG noch nicht abgelaufen gewesen sei, sei der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet.

6        Es erscheine dem Verwaltungsgericht zumutbar, dass die Mitbeteiligten im Wege der Russischen Botschaft in Wien die Zurücklegung der russischen Staatsangehörigkeit „in Angriff nehmen“, zumal es dem Erstmitbeteiligten wiederholt möglich gewesen sei, einen russischen Reisepass zu beantragen und zu empfangen. Nach rechtskonformer Belehrung hätten es nun die Mitbeteiligten „(letztmalig) selbst in der Hand, abzuwägen, welche Staatsbürgerschaft für sie vorteilhafter ist“.

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die Mitbeteiligten keine Revisionsbeantwortung erstatteten - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zulässigkeit

8        Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht sei von der (näher bezeichneten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte abgewichen.

9        Die Revision ist zulässig.

Belehrung nach § 34 Abs. 2 StbG

§ 34 StbG, BGBl. Nr. 311/1985 idF BGBl. I Nr. 124/1998, lautet:

„§ 34. (1) Einem Staatsbürger ist die Staatsbürgerschaft ferner zu entziehen, wenn

1.   er sie vor mehr als zwei Jahren durch Verleihung oder durch die Erstreckung der Verleihung nach diesem Bundesgesetz erworben hat,

2.   hiebei weder § 10 Abs. 6 noch die §§ 16 Abs. 2 oder 17 Abs. 4 angewendet worden sind,

3.   er trotz des Erwerbes der Staatsbürgerschaft seither aus Gründen, die er zu vertreten hat, eine fremde Staatsangehörigkeit beibehalten hat.

(2) Der betroffene Staatsbürger ist mindestens sechs Monate vor der beabsichtigten Entziehung der Staatsbürgerschaft über die Bestimmung des Abs. 1 zu belehren.

(3) Die Entziehung ist nach Ablauf der im Abs. 1 Z 1 genannten Frist ohne unnötigen Aufschub schriftlich zu verfügen. Nach Ablauf von sechs Jahren nach der Verleihung (Erstreckung der Verleihung) ist die Entziehung nicht mehr zulässig.“

10       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Belehrung gemäß § 34 Abs. 2 StbG nach ihrem Zweck in einer Art und Weise vorgenommen werden, dass dem Beschwerdeführer die ihm drohende Entziehung ernsthaft zur Kenntnis gebracht wird (vgl. VwGH 24.6.2010, 2008/01/0779, mwN).

11       Ob (wie von der Amtsrevision zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht wird) bereits die „Ladungen“ vom 23. Juli 2019 diese Anforderungen erfüllt haben, kann vorliegend dahingestellt bleiben, weil das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis schon aus einem anderen Grund mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet hat:

Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache

12       Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte - auch zur Vermeidung von „Kassationskaskaden“ - grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Ausgehend davon wurde die Regelung des § 28 VwGVG getroffen (vgl. bereits VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

13       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden und damit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. zu allem VwGH 28.1.2020, Ra 2019/03/0076, Rn. 40 bzw. 30, mwN, u.a. grundlegend auf VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, und die daran anknüpfende Folgejudikatur; vgl. auch VwGH 24.9.2020, Ra 2019/03/0048-0051, Rn. 68, oder VwGH 15.3.2017, Ra 2015/04/0082, mwN).

14       Wenn das Verwaltungsgericht in der Sache selbst entscheidet, hat es seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten; allfällige Änderungen des maßgeblichen Sachverhalts und der Rechtslage sind also zu berücksichtigen. Mit der Zuständigkeit und der prinzipiellen Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache selbst ist eine volle Tatsachenkognition der Verwaltungsgerichte verbunden (vgl. VwGH 30.3.2017, Ro 2015/03/0036, Rn. 39-40, mwN).

15       In der vorliegenden Revisionssache hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid „aufgehoben“, weil im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Frist nach § 34 Abs. 2 StbG noch nicht abgelaufen gewesen sei.

16       Dieser (unbestimmt gefasste) Spruchpunkt kann dahin verstanden werden, dass der angefochtene Bescheid „ersatzlos behoben“ wurde. Ein so gefasster Spruch stellt eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache selbst dar, welche eine neuerliche Entscheidung über den Verfahrensgegenstand durch die Verwaltungsbehörde grundsätzlich ausschließt (vgl. VwGH 15.3.2017, Ra 2015/04/0082, mwN).

17       Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache selbst hätte jedoch nicht durch ersatzlose Aufhebung des bei ihm angefochtenen Bescheides erfolgen dürfen, weil das Verwaltungsgericht nach dem Obgesagten seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten hat. Dagegen hat das Verwaltungsgericht vorliegend auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides abgestellt.

18       Selbst wenn man den Spruch des angefochtenen Erkenntnisses als Zurückverweisung im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ansehen würde, änderte dies nichts an der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes: Nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 VwGVG wäre es dem Verwaltungsgericht freigestanden, mit Aufhebung des Bescheides vorzugehen und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Dass diese Voraussetzungen nicht vorlagen, ergibt sich schon daraus, dass das Verwaltungsgericht eine Ergänzungsbedürftigkeit des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes nicht angenommen hat (vgl. dazu auch VwGH 15.3.2017, Ra 2015/04/0082, mwN).

19       Das Verwaltungsgericht hat festgehalten, dass die Mitbeteiligten (jedenfalls) mit „Schreiben“ vom 14. April 2020 ausreichend gemäß § 34 Abs. 2 StbG belehrt worden seien und es den Mitbeteiligten zumutbar gewesen sei, die russische Staatsangehörigkeit zurückzulegen. Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses war die Frist nach § 34 Abs. 2 StbG (jedenfalls) abgelaufen. Daher besteht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, nun hätten es die Mitbeteiligten „selbst in der Hand, abzuwägen, welche Staatsbürgerschaft für sie vorteilhafter ist“, zu Unrecht. Vielmehr hätte das Verwaltungsgericht in der Sache zu entscheiden gehabt.

Ergebnis

20       Schon aus diesem Grund hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 26. April 2021

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010027.L00

Im RIS seit

21.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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