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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des H A S, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. November 2020, I413 2220682-1/46E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 13. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erkannte mit Bescheid vom 22. September 2016 dem damals minderjährigen Revisionswerber im Familienverfahren gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 34 AsylG 2005 - abgeleitet von seiner Mutter als Bezugsperson - den Status eines Asylberechtigten zu und stellte fest, dass dem Revisionswerber die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes zukomme.
2 Mit Bescheid vom 3. Juni 2019 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ab und stellte fest, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. Zudem erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, legte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise fest und erließ gegen den Revisionswerber ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers mit einer Maßgabe als unbegründet ab.
4 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, der nunmehr volljährige Revisionswerber sei im Zeitraum von Juli 2018 bis Mai 2020 insgesamt fünfmal rechtskräftig wegen der Begehung einer Vielzahl (näher dargestellter) Vergehen und Verbrechen (unter anderem Raub, Einbruchsdiebstahl, Erpressung, schwere Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 5 Z 2 StGB und Widerstand gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 dritter Fall StGB) verurteilt worden. Insbesondere in Hinblick auf die durch die begangenen Taten gezeigte hohe Gewaltbereitschaft und kriminelle Energie, den mehrfachen raschen Rückfall nach erfolgter Verurteilung bzw. Verbüßung einer Strafhaft sowie der im Laufe der Zeit zunehmenden Schwere der Straftaten gehe vom Revisionswerber eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus und sei eine negative Zukunftsprognose zu treffen. Insgesamt liege in einer Gesamtschau ein besonders schweres Verbrechen nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vor. Dem Revisionswerber drohe in seinem Herkunftsstaat keine Verfolgung und keine Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK. Es sei daher auch kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen. In Hinblick auf die schwerwiegende Kriminalität überwiege das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung die eigenen Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Inland, sodass eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen sei. Die vom Revisionswerber ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit rechtfertige auch die Verhängung eines Einreiseverbotes von zehn Jahren.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Zur Zulässigkeit der Revision wird zunächst geltend gemacht, der erkennende Richter des BVwGsei befangen. Eine „sichere Zukunftsprognose“ hinsichtlich der Gefährlichkeit des Revisionswerbers sei nur aufgrund einer „näheren persönlichen Befassung“ möglich. Dies habe der erkennende Richter außer Acht gelassen, indem er die Vernehmung des Revisionswerbers im Zuge einer Videokonferenz durchgeführt habe. Darüber hinaus ergebe sich aus mehreren Begründungselementen des angefochtenen Erkenntnisses, dass es dem Richter im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0676) an der erforderlichen Objektivität mangle.
9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes begründet der Einwand der Befangenheit der entscheidenden Richter nur dann die Zulässigkeit der Revision, wenn vor dem Hintergrund des konkret vorliegenden Sachverhaltes die Teilnahme eines oder mehrerer Mitglieder des Verwaltungsgerichtes an der Verhandlung und Entscheidung tragende Rechtsgrundsätze des Verfahrensrechtes verletzt hätte bzw. in unvertretbarer Weise erfolgt wäre (vgl. etwa VwGH 18.2.2021, Ra 2021/10/0007, mwN). Jeder Vorwurf einer Befangenheit hat konkrete Umstände aufzuzeigen, welche die Objektivität des Entscheidungsträgers in Frage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist. Nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, können seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen (vgl. VwGH 11.3.2021, Ra 2021/18/0059).
10 Der bloße Vorwurf von Verfahrensfehlern stellt - ohne Hinzutreten weiterer begründeter Umstände - keinen Anlass dar, die Befangenheit eines Richters anzunehmen (vgl. etwa VwGH 3.3.2021, Ra 2021/03/0031, mwN). Schon in diesem Sinn kann aus der Einvernahme des Revisionswerbers mittels technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung gemäß § 25 Abs. 6b VwGVG (vergleiche dazu im Übrigen Rn. 14) nicht auf eine Befangenheit des erkennenden Richters des BVwG geschlossen werden.
11 Begründungsteile, die im Sinn der in der Revision genannten Judikatur (VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0676) den Anschein der Befangenheit begründen könnten, sind dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen. Insbesondere kann daraus, dass das BVwG in seiner Beweiswürdigung auch erwähnte, dass der Revisionswerber im Zuge der mündlichen Verhandlung seine vor Ort anwesende Mutter nach Mitteilung des Dolmetschers in Arabisch „unflätig beschimpfte“, nicht auf eine Voreingenommenheit des erkennenden Richters geschlossen werden. Entgegen den Ausführungen der Revision stellte dies keine bloße „nicht entscheidungsbezogene Stimmungsmache“ gegen den Revisionswerber dar, sondern diente die Erwähnung dieses Vorfalls der Untermauerung der Feststellung, dass der Revisionswerber - anders als von ihm behauptet - fließend Arabisch spreche. Vor dem Hintergrund der unstrittigen wiederholten Begehung von teilweise schweren Straftaten durch den Revisionswerber bzw. des mehrfachen Rückfalls nach erfolgter Verurteilung bzw. Verbüßung einer Strafhaft lässt auch die im angefochtenen Erkenntnis verwendete Formulierung, der Revisionswerber neige „ganz offensichtlich zu chronischer Kriminalität“, fallbezogen noch keine mangelnde Objektivität des erkennenden Richters erkennen.
12 Zur Zulässigkeit der Revision wird weiters geltend gemacht, das BVwG sei durch „das Absehen von der mündlichen Verhandlung“ von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Die Durchführung einer Videokonferenz könne eine Verhandlung in persönlicher Anwesenheit aller Beteiligten nicht ersetzen.
13 Mit diesem Vorbringen übergeht die Revision, dass das BVwG sehr wohl eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat, wobei der erste Verhandlungstermin am 4. November 2019 in persönlicher Anwesenheit unter anderem des Revisionswerbers stattfand. Bei einem weiteren Verhandlungstermin am 12.Oktober 2020 wurde der in Strafhaft befindliche Revisionswerber unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung einvernommen. Im Hinblick darauf ist der Verweis der Revision auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen des Absehens von der mündlichen Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG verfehlt.
14 Gemäß § 25 Abs. 6b VwGVG kann das Verwaltungsgericht nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten eine Vernehmung unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung durchführen, es sei denn, das persönliche Erscheinen vor dem Gericht ist unter Berücksichtigung der Verfahrensökonomie zweckmäßiger oder aus besonderen Gründen erforderlich (vgl. zur Durchführung der gesamten Verhandlungen unter Verwendung geeigneter technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung auch § 3 Abs. 2 Z 1 iVm. § 6 Abs. 1 Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz). Dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen nach § 25 Abs. 6b VwGVG nicht vorgelegen wären, legt die Revision nicht dar.
15 Soweit die Revision ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darin erkennen will, dass das BVwG die Voraussetzungen der Gewährung subsidiären Schutzes und der Zulässigkeit einer Abschiebung als deckungsgleich bezeichnet habe, gibt sie den Inhalt der Begründung des BVwG nicht richtig wieder. Das BVwG hat nämlich lediglich zutreffend auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach der Prüfungsmaßstab nach § 50 Abs. 1 FPG und nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 übereinstimmt (vgl. dazu etwa VwGH 25.9.2019, Ra 2019/19/0399, mwN).
16 Hinsichtlich des weiteren unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung in der Revision erstatteten Vorbringens ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung konkret darzulegen ist, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. etwa VwGH 25.9.2020, Ra 2020/19/0277, mwN).
17 Diesen Anforderungen werden die weiteren Ausführungen in der Revision, die sich in allgemeiner Form gegen die Prognose der vom Revisionswerber ausgehenden Gefährlichkeit wenden, ohne jedoch darzulegen, welche weiteren Umstände fallbezogen zu berücksichtigen gewesen wären bzw. warum das BVwG insoweit im vorliegenden Fall von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, nicht gerecht.
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 27. April 2021
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190082.L00Im RIS seit
21.05.2021Zuletzt aktualisiert am
14.06.2021