TE Vwgh Beschluss 2021/4/27 Ra 2020/19/0339

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Veröffentlicht am 27.04.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des H A in W, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juli 2019, Zl. W238 2177887-1/15E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 27. Juni 2015 im Alter von 16 Jahren einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 13. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend hielt das BVwG zusammengefasst fest, dass es dem Revisionswerber aus näher dargelegten Gründen nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes erwog es, dass dem Revisionswerber eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Baghlan nicht möglich sei, ihm jedoch die Inanspruchnahme einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder Herat offenstehe. Der Revisionswerber sei jung, stehe nicht in ärztlicher Behandlung und sei arbeitsfähig. Er sei mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut und spreche eine weit verbreitete Sprache, Dari, als Muttersprache. Der Revisionswerber habe weder im Iran noch in Afghanistan eine Schule besucht, sei als Analphabet nach Österreich gekommen und habe in Afghanistan ab dem 9. Lebensjahr als Hirte und in der Landwirtschaft gearbeitet und ab dem 10. Lebensjahr seinem Vater auf Baustellen geholfen. Im Iran habe er drei Jahre lang auf Baustellen gearbeitet. Der Revisionswerber habe keine Verwandten in Afghanistan, seine Arbeitserfahrung aus der Vergangenheit ermögliche es ihm aber, seine Existenz in Afghanistan zu sichern und eine einfache Unterkunft zu finden. Zudem stehe ihm die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen offen. Den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sei zu entnehmen, dass alleinstehende, leistungsfähige Männer von der Notwendigkeit eines Unterstützungsnetzwerks bei Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgenommen seien.

5        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 24. Juli 2020, E 3304/2019-10, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6        Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das BVwG habe sich bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur unzureichend mit der Situation des Revisionswerbers, der Afghanistan bereits im Alter von 13 Jahren verlassen habe und weder über Schulbildung noch berufliche Ausbildung noch ein familiäres Netzwerk in Afghanistan verfüge, auseinandergesetzt und dabei die EASO Country Guidance Notes vom Juni 2019 unberücksichtigt gelassen.

7        Die belangte Behörde erstattete im Vorverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof keine Revisionsbeantwortung.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Die Revision wendet sich formal zwar gegen das angefochtene Erkenntnis im gesamten Umfang, bringt in ihrer Begründung jedoch hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, die zur Zulässigkeit der Revision in diesem Spruchpunkt führen würde.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung dargelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. dazu grundlegend VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, sowie aus jüngerer Zeit VwGH 2.7.2020, Ra 2020/19/0192).

13       Es entspricht weiters der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 14.9.2020, Ra 2020/14/0314, mwN).

14       Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass weder EASO (Leitfaden vom Juni 2018 und Juni 2019) noch UNHCR (Richtlinien vom 30. August 2018) von der Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Mazar-e Sharif für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgehen. Es entspricht zudem der - auch zu dieser Berichtslage ergangenen - Rechtsprechung, wonach es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. zu einem in Pakistan geborenen und dort aufgewachsenen Afghanen unter Berücksichtigung der auch hier maßgeblichen Berichtslage VwGH 26.6.2020, Ra 2020/14/0249, mwN).

15       Das Bundesverwaltungsgericht traf im angefochtenen Erkenntnis konkrete, sowohl die persönliche Situation des Revisionswerbers als auch die allgemeine Lage im Herkunftsstaat betreffende Feststellungen. Dass die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts zu den individuellen Umständen des Revisionswerbers in einer unvertretbaren Weise vorgenommen worden wären, wird von der Revision nicht aufgezeigt.

16       Das BVwG setzte sich im Rahmen der Prüfung des subsidiären Schutzes und der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinander. Wenn die Revision geltend macht, das BVwG habe dabei die Arbeitserfahrungen des Revisionswerbers, die er zwischen seinem 9. und 13. Lebensjahr gesammelt habe, zu Unrecht zugrunde gelegt, so übersieht die Revision, dass das BVwG neben diesem kritikwürdigen Aspekt auch ins Treffen führte, der nunmehr 20-jährige Revisionswerber sei jung, gesund und arbeitsfähig, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates sowie mit einer dort gesprochenen Sprache vertraut und könne seine weiteren Sprachkenntnisse zur Arbeitssuche benutzen. Weiter stehe ihm die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe offen. Dagegen bringt die Revision nichts Stichhaltiges vor.

17       Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung vermag die Revision deshalb nicht darzulegen, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach dem Revisionswerber eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, fallbezogen mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belastet wäre und sich hierbei von den Leitlinien der Judikatur entfernt hätte.

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

19       Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 27. April 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190339.L00

Im RIS seit

21.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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