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E1PNorm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Revisionssache des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. August 2020, 1. W146 2215944-1/10E und 2. W146 2215943-1/11E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Parteien: 1. S S und 2. A F, beide in S, beide vertreten durch Mag. Peter Michael Wolf, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Bahnhofsplatz 6), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat den mitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die mitbeteiligten Parteien sind Staatsangehörige des Iran und stellten am 3. März 2018 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit den Bescheiden vom 7. Februar 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Mitbeteiligten sowohl hinsichtlich des Status von Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen gab das Bundesverwaltungsgericht den gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden - ohne Durchführung einer Verhandlung - Folge. Es erkannte den Mitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 den Status von Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich alleine mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens zum Ausreisegrund nicht schlüssig begründen lasse, dass alle im Zusammenhang mit dem neu erworbenen Glauben stehenden weiteren Aktivitäten eines Asylwerbers nur zum Schein mit dem (ausschließlichen) Ziel der Asylerlangung entfaltet worden seien. Die Feststellungen, dass sich der Zweitmitbeteiligte bereits im Iran mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt und dies nach seiner Einreise in Österreich fortgesetzt habe, dass die Mitbeteiligten regelmäßig an Gottesdiensten in zwei Pfarrgemeinden teilnähmen, Beziehungen zu Pfarrgemeindemitgliedern geknüpft hätten, nach den Taufvorbereitungskursen getauft worden seien und sie intensiv am religiösen Leben ihrer örtlichen Pfarrgemeinde teilnähmen, ergäben sich aus den vorgelegten Taufscheinen, den schriftlichen Bezeugungen der Pfarrer sowie weiterer Mitglieder der Pfarrgemeinde. Die Mitbeteiligten hätten im Beschwerdeverfahren eine ernsthafte Konversion zum Christentum glaubhaft gemacht. Nach islamischem Verständnis im Iran bedeute der Abfall vom Islam einen hochverratsähnlichen Angriff auf das Staats- und Gesellschaftssystem und daher seien die Mitbeteiligten bei einer Rückkehr in den Iran dort Verfolgungshandlungen bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt. Daher sei für sie von einer Verfolgung in asylrelevanter Intensität aus religiösen und politischen Gründen auszugehen.
5 Gegen diese Erkenntnisse richtet sich die vorliegende Amtsrevision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl. Zu ihrer Zulässigkeit wird ausgeführt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob das Verwaltungsgericht sich bei der Prüfung der inneren religiösen Überzeugung (jedenfalls) einen persönlichen Eindruck vom Asylwerber und seiner Glaubwürdigkeit verschaffen müsse. Die Erkenntnisse wichen außerdem von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung einer Verhandlung ab.
6 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof haben die Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie beantragten, die Revision kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen oder als unbegründet abzuweisen.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß dem - hier maßgeblichen - ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) („wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“) dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, Pkt 5.12.; aus der folgenden Rechtsprechung etwa VwGH 20.11.2020, Ra 2020/20/0309).
11 Das Bundesverwaltungsgericht hat keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Es hat wesentliche Teile des Sachverhaltes - insbesondere zur Frage, ob die Mitbeteiligten sich dem Christentum aus innerer Überzeugung zugewandt haben - nach Einsichtnahme in erst im Beschwerdeverfahren von den Mitbeteiligten vorgelegte Urkunden gegenteilig zu den im Bescheid enthaltenen Feststellungen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl angenommen. Es hat die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung gerade nicht geteilt, sondern seine Beweiswürdigung ausdrücklich an die Stelle jener der Behörde gesetzt. Damit lagen die Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung einer Verhandlung nach der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht vor, der Sachverhalt war aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts gerade nicht - nämlich bereits im Verwaltungsverfahren - geklärt.
12 Im Absehen von der Durchführung von der Verhandlung liegt im vorliegenden Fall somit jedenfalls eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 21 Abs. 7 BFA-VG.
13 Eine solche kann aus nachstehenden Erwägungen auch vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde im Rahmen einer Amtsrevision geltend gemacht werden.
14 Wie der Verwaltungsgerichtshof jüngst aufgrund einer Amtsrevision in einem vergleichbaren Fall in seinem Beschluss vom 8. März 2021, Ra 2020/14/0341, dargelegt hat, setzt die Aufhebung eines Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG voraus, dass das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Erkenntnis oder Beschluss hätte kommen können. Daher reicht es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensmängel konkret darzulegen. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden.
Zwar ist bei behaupteter Verletzung des Rechtes auf Durchführung einer Verhandlung im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK sowie des Art. 47 GRC eine solche Relevanzdarstellung nicht erforderlich. Der Grund dafür liegt darin, dass die Rechtsprechung des EGMR zum Erfordernis der mündlichen Verhandlung nach Art. 6 EMRK eine solche Relevanzprüfung nicht vorsieht, was entsprechend auch auf das auf Art. 47 GRC gestützte Recht auf mündliche Verhandlung zu übertragen ist. Außerhalb des Anwendungsbereiches des Art. 6 EMRK und des Art. 47 GRC ist es aber weiterhin Sache des Revisionswerbers, die Relevanz der unterbliebenen mündlichen Verhandlung aufzuzeigen. Dies gilt auch für eine Amtsrevision, in der das Unterbleiben einer an sich gebotenen Verhandlung releviert wird, weil die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde in einer von ihr erhobenen Revision nicht die Verletzung subjektiver Rechte (etwa nach Art. 6 EMRK oder des Art. 47 GRC), sondern einen objektiven Verstoß gegen Verfahrensbestimmungen geltend macht (siehe dazu näher Rz 24 ff der Entscheidungsgründe des genannten Beschlusses samt bezugnehmenden Nachweisen, worauf gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz und Abs. 9 VwGG verwiesen wird).
15 Eine solche konkrete Relevanzdarstellung lässt die Amtsrevision jedoch vermissen. Im Zulassungsvorbringen der Amtsrevision wird zwar eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht in Form einer Einvernahme der Mitbeteiligten für erforderlich erachtet. Sie legt jedoch nicht dar, welche konkreten Ermittlungsergebnisse - auch auf Basis welchen Verhaltens der Mitbeteiligten, über das sich das Bundesverwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck hätte verschaffen können - sich durch die Durchführung einer Verhandlung hätten gewinnen lassen und warum das Bundesverwaltungsgericht - auch angesichts der übrigen Beweismittel und seiner im angefochtenen Erkenntnis dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen - zu anderen Feststellungen und darauf gegründet zu einem anderen rechtlichen Ergebnis hätte kommen können. Dies wäre jedoch erforderlich, um die Relevanz des aufgezeigten Verfahrensmangels annehmen zu können.
16 Gleiches gilt auch für das weitere Vorbringen in der Amtsrevision, eine Verhandlung wäre auf Grund des seit Erlassung des Bescheides verstrichenen Zeitraums erforderlich gewesen, weil der Sachverhalt nicht mehr die gebotene Aktualität aufgewiesen habe, und zu überprüfen gewesen wäre, ob die Mitbeteiligten ihre religiösen Aktivitäten und Überzeugungen sowie ihr Wissen über das Christentum seit Erlassung des Bescheides fortgesetzt und intensiviert hätten. Auch hier legt die Amtsrevision die Relevanz des aufgezeigten Verfahrensmangels für den Ausgang des Verfahrens nicht dar.
17 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
18 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. April 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020200358.L00Im RIS seit
20.05.2021Zuletzt aktualisiert am
21.06.2021