TE Vwgh Beschluss 2021/4/29 Ra 2020/18/0482

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.04.2021
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/18/0483
Ra 2020/18/0484
Ra 2020/18/0485

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision von 1. M S, 2. S F, 3. N S, und 4. N S, alle vertreten durch Dr. Andreas Kiesling, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Mahlerstraße 13/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2020, W242 2191294-1/21E, W242 2191291-1/20E, W242 2191297-1/15E, W242 2223835-1/11E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die revisionswerbenden Parteien, alle iranische Staatsangehörige, sind Mitglieder einer Familie (der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind Ehegatten, die Drittrevisionswerberin und der Viertrevisionswerber ihre in Österreich geborenen minderjährigen Kinder).

2        Die Ehegatten beantragten nach Einreise mit einem Touristenvisum am 25. Juli 2016 internationalen Schutz. Für ihre Kinder wurden derartige Anträge jeweils nach deren Geburt gestellt.

3        Als Fluchtgrund brachten sie zusammengefasst vor, aufgrund der Konversion zum Christentum im Iran Verfolgung zu befürchten.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Anträge - in Bestätigung entsprechender Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - zur Gänze ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

5        Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin hätten nicht glaubhaft machen können, im Iran wegen des angeblichen Besuches einer Hauskirche verfolgt zu werden. Schon ihre Angaben dazu, wie sie mit dem christlichen Glauben im Iran in Kontakt gekommen seien, seien nicht konsistent gewesen. Zum Ablauf und Inhalt der Gottesdienste in der iranischen Hauskirche hätten sie bloß oberflächliche und vage Aussagen gemacht (beispielsweise hätten sie nicht angeben können, welche Lieder gesungen und welche Gebete gesprochen worden seien). Es sei belegt, dass die Ehegatten etwa einen Monat nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet (am 26. August 2016) getauft worden seien, allerdings bei einer Kirche, die sie während ihres Aufenthalts in Österreich nie besucht hätten. In der Folge hätten die Ehegatten zwar regelmäßig Gottesdienste der evangelischen Schneerosenkirche Hermagor besucht, danach solche der Evangelikalen Freikirche Hamgam in Wien und schließlich Gottesdienste der Christlichen Internationalen Gemeinde Wien (CIG), in der sie sich auch freiwillig engagierten und deren Kindergarten die beiden Kinder besuchten. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin seien aber nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert. Bei Rückkehr in den Iran drohe ihnen keine Verfolgung, weil nicht davon auszugehen sei, dass sie das Bedürfnis hätten, im Herkunftsstaat die christliche Religion weiter zu praktizieren, nach außen zu tragen oder gar missionarisch tätig zu sein. In der Beweiswürdigung legte das BVwG unter anderem näher dar, dass der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin ihre Motive für den Glaubenswechsel nur oberflächlich, detailarm und wenig nachvollziehbar hätten schildern können und die Religionsgemeinschaften, die sie besuchten, öfters gewechselt hätten. Auch die rasche Taufe nach der Einreise und die Umstände derselben sprächen gegen eine ernsthafte Zuwendung zum christlichen Glauben. Der Umstand, dass die Zweitrevisionswerberin während des gesamten Verfahrens keine Taufvorbereitung erwähnt habe (der Erstrevisionswerber hatte hingegen behauptet, bereits im Iran mehrere Monate über Skype mit der taufenden Kirche Kontakt gehabt zu haben), lasse auch den Schluss zu, dass die Taufe gänzlich ohne Taufvorbereitung stattgefunden habe. Die Aussagen dreier Zeugen aus der Kirchengemeinde der revisionswerbenden Parteien seien aus näher dargestellten Gründen nicht geeignet gewesen, die Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels der revisionswerbenden Parteien zu belegen.

6        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die in der Zulässigkeitsbegründung ausschließlich die Beweiswürdigung des BVwG zur Frage der Konversion angreift. Die Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtes unterliege nach Auffassung der Revision Grenzen. Die Wirksamkeit einer gültig vollzogenen Taufe dürfe vom Gericht nicht in Frage gestellt werden und es dürfe auch keine eigene Wertung zu Inhalt und Bedeutung eines Glaubenssatzes vornehmen. Die Schilderung der revisionswerbenden Parteien zu ihren Fluchtgründen sei nicht lebensfremd gewesen. Aus den Länderfeststellungen des BVwG ergebe sich insbesondere, dass es in den letzten Jahren Razzien in Hauskirchen gegeben habe, die christlichen Gruppierungen im Iran eine kleine Anzahl von Personen aufwiesen und der Informationsfluss unter ihnen knapp sei. Dass Hauskirchen von Nachbarn enttarnt würden, sei ebenfalls bekannt. Die Erwartungen des BVwG, was die revisionswerbenden Parteien wissen und woran sie sich erinnern sollten, seien überzogen gewesen. Dies gelte auch für ihr religiöses Wissen. Zusammenfassend sei das BVwG von der Judikatur der Höchstgerichte abgewichen, zumal seine Beweiswürdigung nicht den Grundsätzen des Gerichtshofes der Europäischen Union entsprochen habe (Hinweis auf EuGH 4.10.2018, C-56/17, Rechtssache Fathi) und das BVwG unterstellt habe, dass keine Taufvorbereitung stattgefunden habe.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

9        Im gegenständlichen Fall hat das BVwG den behaupteten religiösen Aktivitäten des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin im Iran vor ihrer Flucht keinen Glauben geschenkt. Es hat sich dabei insbesondere auf Widersprüche in den Aussagen der Ehegatten gestützt, wie sie mit dem christlichen Glauben in Verbindung getreten seien und welche Aktivitäten sie diesbezüglich im Iran unternommen haben wollen. Diesen beweiswürdigenden Erwägungen vermag die Revision nichts Stichhaltiges entgegenzusetzen. Es trifft zwar zu, dass christliche Gemeinden im Iran (Hauskirchen) nach den Länderfeststellungen behördlicher Verfolgung unterliegen. Dass die revisionswerbenden Parteien derartigen Hauskirchen angehört haben und deshalb verfolgt werden, lässt sich aus diesem Umstand aber nicht ableiten. Die Beweiswürdigung des BVwG ist somit jedenfalls vertretbar.

10       Soweit die revisionswerbenden Parteien eine Konversion zum Christentum als Nachfluchtgrund geltend machten, verneinte das BVwG nicht etwa die Taufe der revisionswerbenden Parteien an sich, wohl aber, dass allein deshalb eine Verfolgung im Iran erwartet werden könne. In diesem Zusammenhang zog das BVwG (insbesondere) in Zweifel, dass die revisionswerbenden Parteien den christlichen Glauben bei Rückkehr in den Iran weiter praktizieren, ihn nach außen tragen oder gar missionieren würden, weil ihnen dies mangels Ernsthaftigkeit der Konversion kein Bedürfnis sei.

11       Zu den von der Revision aufgeworfenen allgemeinen Bedenken, dass Verwaltungsgerichte Beweise zur Frage der Ernsthaftigkeit einer Konversion aufnehmen, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 12. Juni 2020, Ra 2019/18/0440, ausführlich Stellung genommen. Er hat unter Hinweis auf eine rezente Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts und auf mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ausgeführt, dass die Asylbehörde und das BVwG bei der Beurteilung der erhobenen Gesichtspunkte weder Inhalte von Glaubenssätzen in Frage zu stellen noch ihre eigene Wertung zu Inhalt und Bedeutung eines Glaubenssatzes an die Stelle derjenigen des Einzelnen oder der Kirche oder Glaubensgemeinschaft zu setzen oder eigene Standpunkte in Sachen des Glaubens zu formulieren haben. Sie haben auch nicht über die Legitimität religiöser Glaubensüberzeugungen und die Art und Weise ihrer Bekundung zu entscheiden. Die Prüfung der Asylbehörde und des BVwG erfolgt vielmehr unter einem asylspezifischen Blickwinkel, um die erforderliche Gefahrenprognose im Falle der Rückkehr des Asylwerbers erstellen zu können und ist in diesem Sinne legitim.

12       Diese letztgenannte Prüfung hat das BVwG im gegenständlichen Fall vorgenommen. Der Vorwurf der Revision, es habe die Taufe oder Glaubenssätze in Frage gestellt, trifft hingegen nicht zu.

13       Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und einer daraus resultierenden Verfolgungsgefahr kommt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Übrigen wesentlich auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist. Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 4.1.2021, Ra 2020/18/0251, mwN).

14       Im vorliegenden Fall hat das BVwG diese Leitlinien aus der höchstgerichtlichen Judikatur beachtet und ist in einer vertretbaren Beweiswürdigung, die sich insbesondere auf wenig überzeugende Motive des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin für den Glaubenswechsel, die Umstände ihrer Taufe und die häufigen Wechsel der Glaubensgemeinschaften, die sie aufsuchen, stützte, zu dem Ergebnis gelangt, dass eine bloße Scheinkonversion vorliege, die bei Rückkehr in den Iran zu keiner Verfolgung führen würde.

15       Die Revision greift einzelne Aspekte der Beweiswürdigung an. Sie wirft dem BVwG vor, die Taufvorbereitung nicht hinreichend geklärt zu haben, zeigt aber nicht einmal ansatzweise auf, welche Tatsachen sich bei weiteren Ermittlungen ergeben hätten. Außerdem kritisiert die Revision, das BVwG habe überzogene Erwartungen an das religiöse Wissen des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin gehabt, blendet dabei aber aus, dass die tragenden Argumente der Beweiswürdigung - wie zuvor dargestellt - nicht auf Wissenslücken der Ehegatten beruhten.

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 29. April 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180482.L00

Im RIS seit

19.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten