TE OGH 2021/3/25 8ObA4/21b

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Veröffentlicht am 25.03.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Paul Wachschütz, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei Landeshauptstadt K*****, vertreten durch Moser Mutz Rechtsanwälte GesbR in Klagenfurt, wegen 8.494,32 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Dezember 2020, GZ 6 Ra 51/20x-16, mit dem das Urteil des Landgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Juni 2020, GZ 32 Cga 118/19t-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]       Der Kläger stand vom 1. 9. 1980 bis 31. 8. 1983 in einem Lehrverhältnis zur Beklagten. Nach Ablauf der Behaltefrist mit Ende des Jahres 1983 begründeten die Parteien am 1. 1. 1984 ein Dienstverhältnis, in dessen Rahmen der Kläger nach wie vor als Vertragsbediensteter im handwerklichen Dienst bei der Beklagten beschäftigt ist.

[2]       Der Kläger begehrte mit der am 24. 10. 2019 beim Erstgericht eingebrachten Klage von der Beklagten die Zahlung von (eingeschränkt) 8.494,32 EUR sA an offenem Differenzentgelt seit November 2014 sowie die Feststellung, dass der Anspruch des Klägers auf Entlohnung nach dem Vorrückungsstichtag 1. 1. 1981 zu erfolgen habe. Entsprechend dem Entlohnungsschema für Bedienstete der Stadt K***** hätte der Kläger seit Jänner 2018 nach C-V-09 entlohnt werden sollen. Seitens der Beklagten sei jedoch ein unrichtiger, weil altersdiskriminierender, Vorrückungsstichtag für den Kläger festgesetzt worden, weshalb er ein geringeres Einkommen beziehe. Er habe am 29. 11. 2017 erstmals bei der Beklagten beantragt, den Vorrückungsstichtag neu festzusetzen und ihm darüber hinaus die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht verjährten Bezugsdifferenzen nachzuzahlen. Da die gegenständliche Rechtsproblematik auf der GleichbehandlungsrahmenRL 2000/78/EG beruhe und deren Umsetzungsfrist erst per 3. 12. 2003 geendet habe, sei das Recht des Klägers mit dem Ablauf dieses Tages entstanden und habe er seinen Antrag auf Korrektur des Vorrückungsstichtags objektiv erst dann einbringen können.

[3]       Die Beklagte bestritt und erhob – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – den Einwand der Verjährung des Gesamtrechts, eine Korrektur der Einstufung zu fordern.

[4]       Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab. Nach der Rechtsprechung des EuGH bestimme sich der Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich nach dem nationalen Recht und sei eine etwaige Feststellung des Unionsrechtsverstoßes durch den EuGH für den Fristbeginn unerheblich (C-429/12, ECLI:EU:C:2014:12, Rn 31 mwN). Die Verjährungsfrist nach nationalem Recht beginne mit der unrichtigen Gehaltseinstufung bzw mit Abschluss der Vereinbarung, aufgrund welcher der Stichtag ermittelt worden sei, hier daher mit 1. 1. 1984. Per 1. 1. 2014 sei somit die absolute 30-jährige Verjährungsfrist abgelaufen.

[5]       Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Oberste Gerichtshof habe bereits mehrmals ausgeführt, dass die 30jährige Verjährungsfrist betreffend das Gesamtrecht, eine Entgeltaufwertung bzw eine Korrektur der Einstufung zu fordern, jedenfalls mit der unrichtigen Einstufung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber zu laufen beginne (8 ObA 11/15y; 8 ObA 20/13v; 9 ObA 343/93). Auch der EuGH habe – im Rahmen mehrerer Vorabentscheidungsverfahren – bereits auf diese innerstaatliche Rechtsprechung verwiesen und erkannt, dass die vorliegende nationale Verjährungsfrist von 30 Jahren eine angemessene Ausschlussfrist im Sinne des Grundsatzes der Effektivität darstelle (C-429/12, ECLI:EU:C:2014:12; C-417/13, ECLI:EU:C:2015:38). Dem Kläger seien selbst nach Ablauf der Umsetzungsfrist der GleichbehandlungsrahmenRL 2000/78/EG per 3. 12. 2003 bzw der tatsächlich erfolgten Umsetzung derselben noch neun bis zehn Jahre zur Geltendmachung seiner Ansprüche offen gestanden. Damit könne eine übermäßige Erschwerung der Geltendmachung, was dem Grundsatz der Effektivität widerspräche, nicht angenommen werden.

[6]       Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht im Hinblick auf die bereits bestehende Judikatur zur Frage der Verjährung des Gesamtrechts nicht zugelassen.

[7]       Gegen das Berufungsurteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene außerordentliche Revision des Klägers mit einem auf Klagsstattgebung gerichteten Abänderungs-, hilfsweise mit einem Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

[8]       Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurück-, hilfsweise abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[9]       Die Revision ist – entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – zulässig und im Sinne ihres Aufhebungsantrags auch berechtigt, weil sich die Rechtsansicht der Vorinstanzen zur Verjährung als korrekturbedürftig erweist.

[10]     1. Richtig ist, dass für die Frage der Verjährung von Entgeltansprüchen gemäß § 1480 ABGB zwischen der Verjährung des Gesamtrechts an sich und der Verjährung der einzelnen Nachforderungen zu unterscheiden ist (RIS-Justiz RS0034240). Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass das Gesamtrecht, eine Entgeltaufwertung (Korrektur der Einstufung) zu fordern, gemäß § 1480 ABGB nach 30 Jahren verjährt. In dem Zusammenhang hat er auch ausgeführt, dass die Verjährungsfrist ab der unrichtigen Einstufung durch den Arbeitgeber, frühestens also mit Beginn des Arbeitsverhältnisses, zu laufen beginnt (8 ObA 11/15y; 8 ObA 20/13v [Vorabentscheidungsersuchen]; 9 ObA 343/93).

[11]           2. Damit hat der Oberste Gerichtshof aber nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Verjährung unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 1478 Satz 2 ABGB beginnen würde, zumal in den zitierten Entscheidungen ohne Weiteres davon ausgegangen wurde, dass die 30-jährige Verjährungsfrist jedenfalls noch nicht abgelaufen war.

[12]           Der Beginn der Verjährung eines Anspruchs setzt nämlich ganz grundsätzlich das Entstehen des Anspruchs und die zumindest objektive Möglichkeit zur gerichtlichen Geltendmachung voraus (3 Ob 234/04i; s auch RS0034343; R. Madl in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1478 Rz 16). Entscheidend ist daher der Zeitpunkt, in welchem das Recht „zuerst hätte ausgeübt werden können“, seiner Geltendmachung also kein rechtliches Hindernis mehr entgegensteht (RS0034343 [T2]; M. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 1478 Rz 2).

[13]           3. Zu Recht rügt der Kläger, dass die Vorinstanzen von dieser Rechtslage abgewichen sind, indem sie die Verjährung des auf Unionsrecht gestützten Anspruchs des Klägers zu einem Zeitpunkt (1984) beginnen ließen, in dem Österreich noch nicht einmal Mitglied der Europäischen Union war. Vor Geltung des hier in der GleichbehandlungsrahmenRL 2000/78/EG konkretisierten Verbots der Altersdiskriminierung bestand gar kein Anspruch des Klägers auf Korrektur des Vorrückungsstichtags, sodass die objektive Verjährungsfrist auch keinesfalls vorher zu laufen beginnen konnte. In Einklang mit der Entscheidung 9 ObA 70/12b ist davon auszugehen, dass erstmals nach Ablauf der Umsetzungsfrist der RL 2000/78/EG am 3. 12. 2003 der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs kein rechtliches Hindernis mehr im Weg stand.

[14]           4. Da die Vorinstanzen daher fälschlich Verjährung des Gesamtrechts angenommen haben, ist die Aufhebung ihrer Entscheidungen zur inhaltlichen Prüfung des Klagebegehrens erforderlich.

[15]           5. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E131577

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00004.21B.0325.000

Im RIS seit

17.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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