TE OGH 2021/3/25 8Ob16/21t

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Veröffentlicht am 25.03.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Mag. Norbert Tanzer, Rechtsanwalt in Telfs, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Kolb, Dr. Andreas Fink, Dr. Christopher Fink, Rechtsanwälte in Imst, wegen 37.600 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 19.550 EUR) gegen das Endurteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. Oktober 2020, GZ 1 R 82/20w-66, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

II. Soweit sich das als „außerordentliche Revision“ bezeichnete Rechtsmittel gegen die zweitinstanzliche Kostenentscheidung wendet, wird es als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]            zu I.: Die im Jahr 1958 geborene Klägerin erlitt bei einem Schiunfall am 29. 1. 2016 einen mehrfragmentären Oberarmkopfbruch mit Abriss des großen Rollhügels, der noch am selben Tag in der Krankenanstalt der Beklagten ohne Aufklärung der Klägerin über eine alternative und mit anderen Risiken verbundene Operationsmethode (Plattenosteosynthese) durch Einsetzen einer „Oberarmkralle“ mit Tuberculumverschraubung versorgt wurde. Dabei verwirklichte sich die schicksalhafte Komplikation einer Schädigung des Nervus radialis im linken Oberarm, die eine eingeschränkte Beweglichkeit des Handgelenks und ein Spreizdefizit der Finger zur Folge hat.

[2]            Im Sinne einer Globalbemessung sprach das Berufungsgericht der Klägerin mit dem angefochtenen Endurteil zusätzlich zu den bereits rechtskräftig im zweiten Rechtsgang zuerkannten 10.400 EUR weitere 14.600 EUR sA (insgesamt 25.000 EUR) an Schmerzengeld zu.

[3]            Mit ihrer außerordentlichen Revision strebt die Klägerin den Zuspruch eines Schmerzengeldes von insgesamt 44.550 EUR, also eines weiteren Betrags von 19.550 EUR sA, an.

[4]            Das Rechtsmittel ist mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

[5]       1.1 Das Schmerzengeld soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch so weit es für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen (RIS-Justiz RS0031307). Auch das Bewusstsein eines die gewohnte Lebensgestaltung nachhaltig beeinflussenden Dauerschadens und die damit verbundene seelische Belastung ist bei der Bemessung des Schmerzengeldes in Betracht zu ziehen (RS0031307 [T18]).

[6]       1.2 Bei der Bemessung des Schmerzengeldes ist einerseits auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, andererseits zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (RS0031075). Tendenziell erscheint es dabei geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen (RS0031075 [T4]). Lediglich im Falle einer eklatanten Fehlbemessung, die völlig aus dem Rahmen der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung fällt, wäre zur Vermeidung gravierender Ungleichbehandlungen durch die Rechtsprechung und damit letztlich aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit – Rechtssicherheit – eine Revision ausnahmsweise zulässig (RS0031075 [T7]; vgl RS0042887).

[7]            2.1 Das Berufungsgericht legte seiner Entscheidung zugrunde, dass die Klägerin entsprechend dem Sachverständigengutachten infolge des Unfalltraumas, der (ersten) Operation und der Komplikation (mit einem Anteil von jeweils 1/3) vier Tage schwere, sieben Tage mittlere und fünf Wochen leichte Schmerzen hatte. Von diesen Schmerzperioden berücksichtigte es wegen Herausrechnung des (nicht der Beklagten anzulastenden) Unfalltraumas 2/3. Darüber hinaus ließ es in die Schmerzengeldbemessung die Feststellungen einfließen, dass die Klägerin wegen der notwendigen zweiten Operation zwei Tage schwere, fünf Tage mittlere und zwei Wochen leichte Schmerzen litt und nach dem gewöhnlichen Verlauf in Hinkunft durchschnittlich zwei Wochen leichte Schmerzen im Jahr zu erdulden haben wird. Es veranschlagte außerdem, dass im Hinblick auf die Tätigkeit der Klägerin als Gymnastiklehrerin mit der Komplikation ein besonders gravierendes, die Klägerin auf Lebenszeit begleitendes Ungemach einhergeht.

[8]            Dass das Berufungsgericht davon ausgehend ein globales Schmerzengeld von 25.000 EUR für angemessen erachtete, stellt jedenfalls keine krasse Fehlbeurteilung dar.

[9]            2.2 Eine solche zeigt die Klägerin auch mit dem Hinweis darauf nicht auf, dass sich aus den zu erwartenden zukünftigen Schmerzperioden (komprimiert 14 Tage pro Jahr) multipliziert mit der durchschnittlichen Restlebenserwartung der Klägerin von 24,3 Jahren unter Heranziehung eines Schmerzengeldsatzes von 110 EUR ein Betrag von rund 37.400 EUR errechnet. Nach ständiger Rechtsprechung (RS0125618) hat die Schmerzengeldbemessung nämlich nicht nach starren Regeln zu erfolgen, sodass es auch nicht nach Art eines Tarifs für einzelne Tage oder sonstige Zeiteinheiten aufgrund festgestellter Schmerzperioden berechnet werden kann. Schmerzperioden können lediglich als Berechnungshilfe herangezogen werden (RS0122794 [T4]).

[10]           2.3 Die von der Klägerin ins Treffen geführten Entscheidungen 2 Ob 261/04b (35.800 EUR: Bruch des äußeren Schienbeinkopfes, der eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von 25 % zur Folge hatte) und 2 Ob 241/10b (68.000 EUR: postoperative Infektion nach Kniegelenksoperation, die letztlich eine Implantation einer Knieprothese erforderte) sind mit der vorliegenden Komplikation nicht gut vergleichbar. Die der Entscheidung 2 Ob 166/07m (40.000 EUR) zugrundeliegenden Verletzungen des zum Unfallzeitpunkt erst 34-jährigen Klägers, zu denen eine Beeinträchtigung mehrerer Armnerven, unter anderem des Nervus radialis, gehörte, waren in ihrer Gesamtheit schwerwiegender (Verletzung der „Schreibhand“, weitestgehender Ausfall der Feinmotorik, überdurchschnittliche psychische Alteration), was auch in den festgestellten Schmerzperioden (sechs Tage schwere, 27 Tage mittelstarke und 189 Tage leichte Schmerzen) Niederschlag fand. Vor allem wurden dort die zukünftigen Schmerzen mit täglich leichten Schmerzen von zwei bis drei Stunden in den nächsten fünf Jahren, von ein bis zwei Stunden in den darauf folgenden weiteren fünf Jahren und einer Stunde in den Jahren danach eingeschätzt.

[11]           Auch zu 2 Ob 241/05p (30.000 EUR) lagen gravierendere Verletzungen vor: Der 47jährige Geschädigte hatte einen offenen Oberarmschaftbruch, einen offenen Verrenkungsbruch des linken Ellenbogengelenks mit Defektbruch des radialen unteren Oberarmendes mit Weichteildefekt und knöcherner Kapselbandverletzung, einen offenen Bruch des körpernahen Ellenendes mit Verrenkung des Speichenköpfchens, einen Speichenschaftbruch mit Abbruch des Griffelfortsatzes der Elle am Handgelenk, einen Bruch des vierten und fünften Mittelhandknochens sowie eine inkomplette passagere Radialisparese erlitten. Der Kläger befand sich insgesamt fünfmal für eine jeweilige Dauer zwischen acht und 14 Tagen zum Zwecke einer Operation mit Spongioseplastik sowie später weitere dreimal für jeweils drei bis vier Tage im Krankenhaus. Er hatte bis zu einem bestimmten Stichtag – gerafft – 28 Tage starke, 87 Tage mittlere und 209 Tage leichte Schmerzen und aus Anlass der operativen Entfernung der Platte weitere Schmerzen zu erdulden gehabt, wobei bei komplikationslosem Verlauf bis zu seinem Lebensende jährlich weitere zwei Tage mittlere und zehn Tage leichte Schmerzen zu erwarten waren.

[12]           In der Entscheidung 2 Ob 78/05t wurden dem dort zum Unfallzeitpunkt 43jährigen Kläger für multiple Prellungen und einen operativ versorgten Bruch des ersten Lendenwirbels, der zu einer Versteifung der Wirbelsäule mit Gibbusbildung von 15° und einer deutlich eingeschränkten Beweglichkeit der Brustwirbelsäule führte, 17.000 EUR Schmerzengeld zuerkannt. Neben den festgestellten fünf Tagen starken, fünf Tagen mittelstarken und 77 Tagen leichten Schmerzen waren dort für die Zukunft – wie hier – jährlich (komprimiert) 14 Tage leichte Schmerzen prognostiziert.

[13]           3. In diesem von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gesteckten Ermessensspielraum bewegt sich die Ausmittlung des Schmerzengeldes durch das Berufungsgericht im Anlassfall, zumal die zitierten Entscheidungen, die einen geringeren Zuspruch nahe legen würden, schon länger zurückdatieren.

[14]           Zu II.: Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof gegen Entscheidungen des Gerichts zweiter Instanz im Kostenpunkt sind ausnahmslos unzulässig (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO; RS0044233 [T36]; RS0044228; RS0053407). Dies gilt auch für eine in einer Revision enthaltene Anfechtung der Kostenentscheidung (RS0053407 [T7]).

Textnummer

E131603

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00016.21T.0325.000

Im RIS seit

20.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.05.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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