TE OGH 2021/3/30 10ObS43/21b

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Veröffentlicht am 30.03.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Werner Pletzenauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge der Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Jänner 2021, GZ 25 Rs 78/20m-15, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. September 2020, GZ 35 Cgs 131/20m-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1]       Die Klägerin und ihre am 20. 1. 2020 geborene Tochter H***** sind österreichische Staatsbürger. Sie wohnen in einem gemeinsamen Haushalt in Vorarlberg. Der Vater der Tochter lebt – von der Klägerin und der Tochter getrennt – ebenfalls in Vorarlberg. Er ist in der Schweiz unselbständig erwerbstätig. Die Klägerin hat allein die Obsorge für ihre Tochter.

[2]       Im Revisionsverfahren noch strittig ist, ob die Klägerin im Zeitraum von 1. 4. 2020 bis 30. 6. 2020 die Voraussetzung für den Bezug der österreichischen Familienbeihilfe in eigener Person (§ 2 Abs 8 iVm § 2 Abs 1 Z 1 KBGG) – als Voraussetzung des Anspruchs auf pauschales Kinderbetreuungsgeld – erfüllt.

[3]            Die Klägerin bezog auch nach dem Ende ihres Wochengeldanspruchs (19. 3. 2020) bis 31. 3. 2020 die Familienbeihilfe. Im Zeitraum von 1. 4. 2020 bis 30. 6. 2020 (in dem die Klägerin nicht erwerbstätig war) erhielt der Vater des Kindes die Schweizer Kinderzulage in Höhe von 230 CHF. Der Klägerin wurde in diesem Zeitraum der österreichische Kinderabsetzbetrag gewährt. Ab 1. 7. 2020 ging die Klägerin in Österreich einer Erwerbstätigkeit nach und hatte wiederum Anspruch auf die österreichische Familienbeihilfe.

[4]            In der Revision wird von der beklagten Partei nicht mehr in Frage gestellt, dass die in der Schweiz ausgezahlte Kinderzulage und die österreichische Familienbeihilfe gleichartige nach der VO (EG) 883/2004 zu koordinierende Familienleistungen sind, die Schweizer Kinderzulage die österreichische Familienbeihilfe übersteigt und der Klägerin im fraglichen Zeitraum von 1. 4. 2020 bis 30. 6. 2020 nur der österreichische Kinderabsetzbetrag (§ 33 Abs 3 EStG) ausgezahlt wurde.

[5]       Mit Bescheid vom 16. 6. 2020 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung von pauschalem Kinderbetreuungsgeld (KBG-Konto) in der Variante 851 Tage für den Zeitraum von 20. 3. 2020 bis 19. 5. 2022 (von 1. 4. 2020 bis 30. 6. 2020 als Ausgleichszahlung) in Höhe von 14,53 EUR täglich ab.

[6]       Die Klägerin brachte in ihrer Klage – soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich – vor, dass sie die Voraussetzungen nach § 2 Abs 8 KBGG iVm § 2 Abs 1 Z 1 KBGG von April 2020 bis Juni 2020 erfüllt habe, weil sie in diesem Zeitraum Anspruch auf Familienbeihilfe als Ausgleichszahlung sowie auf den Kinderabsetzbetrag gehabt habe.

[7]       Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, dass der Erhalt des Kinderabsetzbetrags in Österreich nicht zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen auf pauschales Kinderbetreuungsgeld führe, weil der Kinderabsetzbetrag keine der österreichischen Familienbeihilfe gleichartige Leistung sei.

[8]       Das Erstgericht erkannte der Klägerin Kinderbetreuungsgeld von 20. 3. 2020 bis 19. 5. 2022 (von 1. 4. 2020 bis 30. 6. 2020 als Ausgleichszahlung) in Höhe von 14,53 EUR täglich zu. Dass im Zeitraum von 1. 4. 2020 bis 30. 6. 2020 keine Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe angefallen sei und die Klägerin nur den Kinderabsetzbetrag bezogen habe, hindere ihren Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nicht.

[9]            Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten (ausschließlich betreffend den Zeitraum von 20. 3. 2020 bis 30. 6. 2020) erhobenen Berufung nicht Folge. Das Erstgericht habe seinem Urteil zutreffend den (tatsächlichen) Bezug des Kinderabsetzbetrags zugrunde gelegt und diesen als maßgeblich erachtet. Wie sich aus der Entscheidung 10 ObS 115/20i ergebe, sei die Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs von Familienbeihilfe in § 2 Abs 1 Z 1 KBGG auch dann erfüllt, wenn sich aufgrund einer höheren ausländischen Familienbeihilfeleistung die Ausgleichszahlung auf die österreichische Familienbeihilfe nach § 4 Abs 2 und 3 FLAG mit Null bemessen sollte und tatsächlich nur der österreichische Kinderabsetzbetrag ausgezahlt worden sei. Selbst unter der Annahme, dass die Klägerin im noch strittig verbliebenen Zeitraum den Kinderabsetzbetrag (doch) nicht bezogen haben sollte, habe sie einen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld: Zur Vermeidung eines unionsrechtswidrigen Ergebnisses sei nämlich in diesem Fall in Fortbildung der Entscheidung 10 ObS 115/20i der Anspruch auf österreichische Familienleistungen immer dann zu bejahen, wenn die Summe der nach der VO (EG) 883/2004 zu koordinierenden ausländischen Familienleistungen die Summe der zu koordinierenden österreichischen Familienleistungen nicht erreiche. Die Revision sei zulässig, weil zu dieser Frage (für Fälle, in denen kein Kinderabsetzbetrag bezogen worden sei) noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorhanden sei.

[10]     Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der Beklagten ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[11]     1.1. Nach § 2 Abs 1 Z 1 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, sofern für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) besteht und Familienbeihilfe für dieses Kind tatsächlich bezogen wird.

[12]     1.2. Bei getrennt lebenden Eltern muss der antragstellende Elternteil, der mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt, die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 Z 1 KBGG in eigener Person erfüllen (§ 2 Abs 8 KBGG).

[13]     2. Nach § 4 FLAG 1976 sind Personen, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben, vom Anspruch auf Familienbeihilfe ausgeschlossen (§ 4 Abs 1 FLAG). Diese Personen erhalten jedoch – sofern sie österreichische Staatsbürger sind – eine Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person (§ 5 Abs 5 FLAG) Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach dem FLAG ansonsten zu gewähren wäre (§ 4 Abs 2 FLAG). Die Ausgleichszahlung wird in Höhe des Unterschiedsbetrags der gleichartigen ausländischen Beihilfe und der Familienbeihilfe geleistet und gilt als Familienbeihilfe iSd FLAG (§ 4 Abs 3 und 6 FLAG).

[14]     3.1. Nach § 33 Abs 3 Satz 1 EStG steht Steuerpflichtigen, denen aufgrund des FLAG 1976 Familienbeihilfe gewährt wird, im Weg der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 EUR für jedes Kind zu.

[15]     3.2. Wie in der Entscheidung 10 ObS 115/20i ausführlich begründet wurde, qualifiziert der Gesetzgeber den an die Familienbeihilfe gebundenen und mit ihr ausgezahlten Kinderabsetzbetrag als eine der Familienbeihilfe funktionsgleiche Transferleistung. Die Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs von Familienbeihilfe in § 2 Abs 1 Z 1 KBGG ist somit auch dann erfüllt, wenn sich aufgrund einer höheren ausländischen Familienbeihilfeleistung die Ausgleichszahlung auf die österreichische Familienbeihilfe nach der Differenzrechnung des § 4 Abs 2 und 3 FLAG mit Null bemessen sollte bzw bemisst und tatsächlich nur der österreichische Kinderabsetzbetrag (§ 33 Abs 3 EStG) als mit der Familienbeihilfe funktionsgleicher Teil der Ausgleichszahlung ausgezahlt wird (RS0133357 = 10 ObS 115/20i).

[16]     4.1. Mit dieser Rechtsprechung stehen die Entscheidungen der Vorinstanzen in Einklang.

[17]     4.2. Nicht zu den Aufgaben des Obersten Gerichtshofs gehört es, zu Fragen theoretischer Natur (hier zu der nicht vorliegenden Fallgestaltung, dass der Kinderabsetzbetrag nicht bezogen wird) Stellung zu nehmen (RS0111271 [T2]). Da die Revisionswerberin keine Argumente gegen die tragende Begründung des Berufungsgerichts vorbringt, zeigt sie keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[18]     4.3. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[19]     Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 ASGG iVm den §§ 50, 40 ZPO. Die Klägerin, die auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat, hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen (RS0035979).

Textnummer

E131581

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00043.21B.0330.000

Im RIS seit

18.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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