Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*****, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Rehabilitationsgeld, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Jänner 2021, GZ 7 Rs 58/20h-10, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. August 2020, GZ 7 Cgs 45/20b-4, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 209,39 EUR (darin enthalten 34,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Nach der Aktenlage wird der Kläger seit 23. 4. 2019 gemäß § 429 Abs 4 StPO vorläufig angehalten und ist in eine öffentliche Krankenanstalt für Geisteskrankheiten eingewiesen. Eine Anhaltung nach § 429 Abs 4 StPO erfolgt, wenn hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, einer der im § 173 Abs 2 und 6 StPO angeführten Haftgründe vorliegt und der Betroffene nicht ohne Gefahr für sich oder andere auf freiem Fuß bleiben kann oder seine ärztliche Beobachtung erforderlich ist.
[2] Ab 1. 10. 2019 wurde dem Kläger von der Pensionsversicherungsanstalt das Rehabilitationsgeld zuerkannt.
[3] Mit Bescheid vom 27. 5. 2020 sprach die beklagte Österreichische Gesundheitskasse aus, dass der Kläger ab 1. 10. 2019 für die Dauer der Anhaltung nach § 429 Abs 4 StPO Anspruch auf Auszahlung von Rehabilitationsgeld in Höhe von 6,16 EUR netto täglich sowie ab 1. 1. 2020 in Höhe von 6,33 EUR netto täglich habe. Der vom Anspruchsübergang nach § 324 Abs 4 ASVG erfasste Betrag von täglich 24,66 EUR sowie ab 1. 1. 2020 in Höhe von 25,33 EUR stehe dem Bund als Kostenträger für die vorläufige Anhaltung zu.
[4] Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Auszahlung des Rehabilitationsgeldes in voller Höhe ohne Berücksichtigung eines Übergangs auf den Bund (somit in Höhe von 30,82 EUR und ab 1. 1. 2020 in Höhe von 31,66 EUR netto täglich). Ein Anspruchsübergang finde nicht statt, weil das Rehabilitationsgeld keinen reinen Versorgungscharakter habe, sondern eingeführt worden sei, um den Betroffenen eine medizinische Behandlung zukommen zu lassen.
[5] Die Beklagte beantragte die Klageabweisung. Die Unterbringung nach § 429 Abs 4 StPO sei zwar nicht explizit in § 324 Abs 4 ASVG angeführt, jedoch sei diese Bestimmung analog auf Fälle der vorläufigen Anhaltung anzuwenden.
[6] Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs gemäß § 42 Abs 1 JN zurück und erklärte das vorangegangene Verfahren für nichtig.
[7] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Zwischen den Parteien sei ausschließlich die Frage strittig, ob der Kläger Anspruch auf Auszahlung von 100 % oder nur von 20 % des ihm zugesprochenen Rehabilitationsgeldes habe. Auch bei einer vorläufigen Anhaltung nach § 429 StPO komme die Legalzession gemäß § 324 Abs 4 ASVG zum Tragen. Dass das Rehabilitationsgeld infolge eines Berechnungsfehlers zu gering bemessen worden wäre, sei vom Kläger nicht behauptet worden. Bei der Überprüfung, an wen eine zuerkannte Leistung auszuzahlen sei („Auszahlungsstreitigkeit“), handle es sich nicht um eine Sozialrechtssache im Sinn des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG, für die der Rechtsweg zulässig sei.
[8] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, der Oberste Gerichtshof habe sich noch nicht mit der Frage der Rechtswegzulässigkeit befasst, wenn im Bescheid des Sozialversicherungsträgers gleichzeitig über die Höhe des Rehabilitationsgeldes und den Anspruchsübergang entschieden werde.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der – unbeantwortet gebliebene – Revisionsrekurs des Klägers ist nicht zulässig, weil zum Zusammenwirken der Pensionsversicherungsträger und Krankenversicherungsträger bei der Durchführung von Maßnahmen in Fällen vorübergehend geminderter Arbeitsfähigkeit eindeutige gesetzliche Regelungen bestehen und zu § 65 Abs 1 Z 1 ASGG bereits einschlägige Rechtsprechung vorhanden ist.
[10] 1. Gemäß § 255b ASVG hat die versicherte Person Anspruch auf Rehabilitationsgeld, wenn vorübergehende Invalidität voraussichtlich im Ausmaß von zumindest sechs Monaten gegeben ist und die Voraussetzungen nach § 254 Abs 1 Z 2 bis 4 ASVG vorliegen. Über das Vorliegen der Voraussetzungen für den Anspruch auf Rehabilitationsgeld hat der Pensionsversicherungsträger aufgrund eines Antrags nach § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG mit gesondertem Feststellungsbescheid zu entscheiden.
[11] 2. Die Höhe des Rehabilitationsgeldes ist in § 143a Abs 2 ASVG geregelt. Über die Höhe des Rehabilitationsgeldes entscheidet der Krankenversicherungsträger (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 20; Födermayer in SV-Komm [249. Lfg] § 143a ASVG Rz 14 mwN).
[12] 3.1 Kommt der Pensionsversicherungsträger zu dem Ergebnis, dass der Versicherte vorübergehend im erforderlichen Ausmaß gemindert arbeitsfähig ist und ihm keine beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen zumutbar bzw diese nicht zweckmäßig sind, hat er den Bescheid unverzüglich dem zuständigen Krankenversicherungsträger zu übermitteln. Der Bescheid hat die Feststellung zu enthalten, dass der Krankenversicherungsträger das Rehabilitationsgeld zu berechnen und auszuzahlen hat (§ 459i Abs 1 Z 1 ASVG).
[13] 3.2 Die Entscheidung über die Höhe des Rehabilitationsgeldes schließt sich somit an die Entscheidung des Pensionsversicherungsträgers an, mit der dieser ausgesprochen hat, dass die Leistung dem Grunde nach zusteht (Födermayer in SV-Komm [249. Lfg] § 143a ASVG Rz 11).
[14] 4.1 Entsprechend diesen gesetzlichen Vorgaben hat der beklagte Krankenversicherungsträger in dem angefochtenen Bescheid das Rehabilitationsgeld der Höhe nach mit 30,82 EUR bzw ab 1. 1. 2020 mit 31,66 EUR bestimmt, wobei diese Höhe nur aus dem ersten Teil der Bescheidbegründung hervorgeht und sich im Spruch nur durch Addition ermitteln lässt. Zugleich wurde die Anordnung getroffen, dass 80 % dieser Leistung (24,66 EUR bzw 25,33 EUR ab 1. 1. 2020) gemäß § 324 Abs 4 ASVG an den Bund und nur 6,16 EUR netto täglich (bzw ab 1. 1. 2020 6,33 EUR netto täglich) an den Kläger auszuzahlen sind.
[15] 4.2 Wie bereits das Rekursgericht festgehalten hat, macht der Kläger nicht geltend, dass die Beklagte die Höhe des Rehabilitationsgeldes nicht im Einklang mit § 143a Abs 2 ASVG (fehlerhaft) berechnet hätte. Vielmehr wendet er sich ausdrücklich nur gegen die von der Beklagten angenommene Auszahlung an den Bund nach § 324 Abs 4 ASVG für die Dauer seiner Anhaltung; er möchte die Auszahlung des „vollen“ Rehabilitationsgeldes erreichen. Der Ausspruch über den Umfang des Leistungsanspruchs (die Höhe des Rehabilitationsgeldes) blieb demnach unbekämpft.
[16] 5.1 Eine die Zulässigkeit des Rechtswegs eröffnende Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (der auf die in § 354 Z 1 ASVG taxativ aufgezählten Leistungssachen verweist) setzt voraus, dass zwischen dem Versicherten und dem Sozialversicherungsträger entweder der Grund oder die Höhe (der Umfang) des Anspruchs auf Versicherungsleistungen oder das Ruhen eines solchen Anspruchs strittig ist (10 ObS 44/20y; RS0085473). Kern ist die Frage der Gewährung oder Nichtgewährung von Versicherungsleistungen (RS0085473 [T1]). Die Überprüfung der Auszahlung ist nach ständiger Rechtsprechung keine Sozialrechtssache (RS0085474; zum Pflegegeld 10 ObS 180/01w = RS0115580).
[17] 5.2 Nach der bisherigen Rechtsprechung wird das Vorliegen einer Leistungsstreitigkeit iSd § 65 Abs 1 Z 1 ASGG verneint und eine der gerichtlichen Zuständigkeit entzogene Verwaltungssache angenommen, wenn eine mit Bescheid des Sozialversicherungsträgers dem Umfang und der Höhe nach unbestritten zuerkannte Leistung infolge einer Legalzession nicht zur Gänze an die versicherte Person ausgezahlt wurde (10 ObS 180/01w = RS0115580; 10 ObS 298/89 = SSV-NF 4/89 ua; RS0085474 [T2, T4]; VfGH B 454/10, KI-1/10). Eine Leistungsstreitigkeit wurde etwa auch dann verneint, wenn infolge einer Drittschuldnerexekution ein Teil der Leistung einbehalten wurde (10 ObS 5/92 = RS0085474 [T3]) oder – anstelle der als Regelfall vorgenommenen bargeldlosen Überweisung (vgl § 104 Abs 6 ASVG) – eine Zahlung mittels eines ins EU-Ausland zu übersendenden Schecks begehrt wurde (10 ObS 44/20y). Soweit ein Pensionsbezieher der Meinung ist, ihm sei ein rechtskräftig zuerkannter Pensionsanspruch nicht ordnungsgemäß ausgezahlt worden, ist daher weder ein Bescheid des Sozialversicherungsträgers zu erlassen noch das Arbeits- und Sozialgericht anrufbar. Es steht aber der Weg der Exekutionsführung offen, da Bescheide der Sozialversicherung Exekutionstitel nach § 1 Z 11 EO sind (RS0085474 [T5]). Zuzugestehen ist, dass im vorliegenden Fall aus dem Spruch des Bescheids die Höhe des Anspruchs des Klägers auf Rehabilitationsgeld nur durch Addition zu ermitteln ist und eindeutig nur aus dem Beginn der Bescheidbegründung hervorgeht. Auch wenn hier die Differenzierung zwischen Anspruchshöhe und Art der Auszahlung nicht ganz klar vorgenommen wurde, wird deshalb ein „Auszahlungsstreit“ nicht zum „Anspruchsstreit“, für den der Rechtsweg zulässig wäre.
[18] 6.1 Da sich die vorliegende Klage ausdrücklich auf die Überprüfung der Auszahlung des dem Grund und der Höhe nach unbestrittenen Rehabilitationsgeldes richtet, geht es nicht um die Gewährung oder Nichtgewährung der Versicherungsleistung, sodass kein Leistungsstreit vorliegt.
[19] 6.2 Mit der Argumentation, die Beklagte habe mit dem angefochtenen Bescheid erstmals teilweise ablehnend über den Umfang (die Höhe) des Rehabilitationsgeldes entschieden, indem sie das Rehabilitationsgeld teilweise an den Bund übertragen habe, vermengt der Revisionsrekurswerber die – jeweils vom Krankenversicherungsträger zu treffende – Entscheidung über die Höhe des Rehabilitationsgeldes mit der Entscheidung über dessen Auszahlung.
[20] 7. Da die gesetzlichen Regelungen zum Zusammenwirken der Pensionsversicherungsträger und Krankenversicherungsträger bei der Durchführung von Maßnahmen in Fällen der geminderten Arbeitsfähigkeit eindeutig sind und sich die Entscheidungen der Vorinstanzen im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung zum Vorliegen einer Leistungsstreitigkeit iSd § 65 Abs 1 Z 1 ASGG halten, liegt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO vor.
[21] 8. Der Revisionsrekurs ist somit zurückzuweisen.
[22] 9. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Nach der Aktenlage ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger neben seinem Anspruch auf Rehabilitationsgeld über weitere Einkünfte verfügt. Das Rekursgericht hat den Revisionsrekurs für zulässig erklärt, sodass insoweit von rechtlichen Schwierigkeiten gesprochen werden kann. Obwohl der Kläger mit seinem Rechtsmittel erfolglos geblieben ist, waren ihm daher die Hälfte seiner Kosten zuzusprechen (RS0085898 [T2]).
Textnummer
E131578European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00029.21V.0330.000Im RIS seit
17.05.2021Zuletzt aktualisiert am
05.08.2021