Kopf
Das
Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen
hat durch die Senatspräsidentin Dr. Elisabeth Müller-Gruber sowie die Richterin Mag. Dr. Astrid Tangl und den Richter Dr. Andreas Told als weitere Mitglieder des Senats (§ 11a Abs 2 Z 1 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E***** R*****, vertreten durch Dr. H***** M*****, wider die beklagte Partei P*****, wegen Invaliditätspension, über den Rekurs des Dr. H***** M*****, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 10.2.2021, 33 Cgs 78/20b-30, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Der Rekurs wird als unzulässig z u r ü c k g e w i e s e n .
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls u n z u l ä s s i g .
Text
Begründung:
Mit Urteil vom 4.11.2020, 33 Cgs 78/20b-27, wies das Erstgericht das Begehren des (seinerzeit unvertretenen) Klägers auf Gewährung der Invaliditätspension ab. Über rechtzeitigen (§§ 2 Abs 1 ASGG, 464 Abs 3 ZPO) Antrag des Klägers wurde ihm vom Erstgericht mit Beschluss vom 10.2.2021, 33 Cgs 78/20b-30, die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 3 ZPO (Vertretung durch einen Rechtsanwalt) zur Einbringung einer Berufung gegen dieses Urteil bewilligt. Begründet wurde dieser Beschluss damit, dass aufgrund der finanziellen Verhältnisse des Klägers davon auszugehen sei, dass er die Kosten des weiteren Verfahrens nicht ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts für sich und seine Familie bezahlen könne. Im Verfahren zweiter Instanz vor dem ASGG herrsche absolute Vertretungspflicht durch eine qualifizierte Person, weshalb die Beigebung eines Rechtsanwaltes auszusprechen sei. Dahingehende Ausführungen, dass die Erhebung der Berufung nicht „offenbar mutwillig“ oder „aussichtslos“ erscheine, finden sich in diesem Beschluss nicht. In der Folge wurde vom Ausschuss der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer Dr. H***** M*****, Rechtsanwalt in *****, zum Verfahrenshelfer für den Kläger bestellt.
Mit seinem rechtzeitigen Rekurs wendet sich der Verfahrenshelfer gegen die Bewilligung der Verfahrenshilfe mit dem Antrag, den Beschluss dahin abzuändern, dass der Antrag des Klägers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch zu 33 Cgs 78/20b zurück-, in eventu abgewiesen werde. Der Rekurswerber führt dazu aus, dass der Rekurs, wie sich aus der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Innsbruck zu 3 R 4/20t ergebe, zulässig sei. Er sei auch inhaltlich berechtigt, weil eine Berufung gegen das erwähnte Urteil (aus vom Rekurswerber näher dargestellten Gründen) völlig aussichtslos sei.
Der Kläger und der Revisor haben sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
Dieser Rekurs ist unzulässig:
Rechtliche Beurteilung
I. Allgemeines und bisherige Judikatur:
1. Gemäß dem nach § 2 Abs 1 ASGG hier anzuwendenden § 72 Abs 2 ZPO steht gegen Beschlüsse, die im Zusammenhang mit der Bewilligung der Verfahrenshilfe ergehen, „auch dem Gegner des Antragstellers sowie dem Revisor der Rekurs zu; ebenso bleibt ihnen das Recht, einen Antrag nach § 68 Abs 1 oder 2 ZPO zu stellen, vorbehalten.“
2. Nach bisher herrschender Ansicht steht dem bestellten Verfahrenshilfeanwalt gegen den Beschluss auf Bewilligung der Verfahrenshilfe kein Rekursrecht zu (Klauser/Kodek, JN-ZPO18, § 72 E 13; M. Bydlinski in Fasching/Konecny3 II/1, § 68 ZPO Rz 17 und § 72 ZPO Rz 6 Fußnote 22 unter Hinweis auf EFSlg 46.640 [LGZ Wien vom 14.3.1984, 43 R 331/84]; Weber/Poppenwimmer in Höllwerth/Ziehensack, ZPO [2019] § 72 ZPO Rz 5 unter Hinweis auf EFSlg 76.043 [LGZ Wien vom 22.11.1994, 44 R 908/94]; stRsp des Rekursgerichts, etwa 4 R 204/11y; 1 R 125/16i; 2 R 150/16z; 25 Rs 49/17t u.v.a.).
2.1 Diese Auffassung wurde - zusammengefasst - damit begründet, dass der Verfahrenshilfeanwalt in § 72 Abs 2 ZPO nicht genannt sei. Da der Anwalt die Möglichkeit habe, einen Antrag nach §§ 68 Abs 1 oder 2 ZPO (auf Erlöschen oder Entziehung der Verfahrenshilfe) zu stellen und einen darüber abschlägig entscheidenden Beschluss mit Rekurs zu bekämpfen, sei ein gesondertes Rekursrecht gegen den Bewilligungsbeschluss nicht anzunehmen.
2.2 Diese Judikatur wurde jedenfalls von Anwälten durchaus kritisch gesehen (vgl. dazu etwa Lechner in AnwBl 2016/8460 [Heft 9]).
3. In der vom Rekurswerber zitierten Entscheidung 3 R 4/20t (die unter RIS-Justiz RI0100069 veröffentlicht wurde) hatte sich auch der 3. Senat des Oberlandesgerichts Innsbruck mit der Frage der Rekurslegitimation des Verfahrenshilfeanwaltes gegen den Beschluss, mit dem einer Partei Verfahrenshilfe bewilligt wurde, zu beschäftigen und ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass eine solche zu bejahen sei.
3.1 Diese Entscheidung wurde - zusammengefasst - damit begründet, dass durch den Beschluss auf Bewilligung der Verfahrenshilfe in Verbindung mit dem entsprechenden Bescheid der Rechtsanwaltskammer der zum Verfahrenshelfer bestellte Rechtsanwalt berechtigt und verpflichtet werde, für die Verfahrenshilfe genießende Partei einzuschreiten, ohne dass er im Regelfall dafür ein Honorar bzw. eine unmittelbare Entschädigung erhalte (§§ 78 Abs 2, 70 letzter Satz ZPO, 16 Abs 3, 47 RAO). Selbst wenn man diesen wirtschaftlichen Aspekt außer Acht lasse, werde durch die Bestellung zum Verfahrenshelfer allein schon wegen der damit verbundenen Rechte und Pflichten (mit denen zB auch eine Haftungsproblematik einhergehen könne) die Rechtsstellung des Verfahrenshelfers berührt. Schon deshalb sei ihm ein eigenes Rechtsschutzinteresse an der Anfechtung des die Verfahrenshilfe bewilligenden Beschlusses zuzubilligen. Dies gelte umso mehr, als weder der Gegner noch der Nebenintervenient noch der Revisor - denen allesamt ein Rekursrecht zugestanden werde - durch den Verfahrenshilfebeschluss unmittelbar in ihrer Rechtssphäre, sondern allenfalls nur mittelbar oder gar nur in wirtschaftliche Hinsicht betroffen seien, weshalb es ihnen an der an sich für ein Rechtsmittel erforderlichen formellen bzw. materiellen Beschwer mangle. Dennoch billige § 72 Abs 2 ZPO dem Gegner und dem Revisor aber ausdrücklich ein Rekursrecht zu. Der Gesetzestext und die erkennbare Absicht des Gesetzgebers schlössen eine dem Verfahrenshilfeanwalt zukommende Rekurslegitimation keineswegs aus. Auch die Überlegung, durch eine Ausweitung der Rekurslegitimation die Kontrollmöglichkeiten zu erweitern und Missbrauchsfälle möglichst zu vermeiden, spreche für die Rekurslegitimation des Verfahrenshelfers. Wenn nämlich durch die besagte Bestimmung die Kontrollmöglichkeit erweitert und Missbrauch eingedämmt werden solle, wäre es nicht erklärbar, warum die Rechtsmittellegitimation eines am Verfahren über die Bewilligung der Verfahrenshilfe Beteiligten (der ja häufig ebenso Einsicht in die wirtschaftlichen Verhältnisse der betreffenden Partei haben werde wie übrigen Beteiligten) ausgeschlossen werden solle.
Das Rekursrecht des Verfahrenshilfeanwalts könne auch nicht mit dem Hinweis, dass er einen Antrag auf Erlöschen oder Entziehung der Verfahrenshilfe zu stellen, verneint werde. Mit dem Erlöschen der Verfahrenshilfe biete § 68 Abs 1 ZPO eine Reaktionsmöglichkeit auf geänderte Verhältnisse; eine Entziehung der Verfahrenshilfe sei gemäß § 68 Abs 2 ZPO nur dann möglich, wenn sich herausstelle, dass die seinerzeit angenommenen Voraussetzungen nicht gegeben gewesen seien. Die Verfahrenshilfe sei aber beispielsweise dann nicht zu entziehen, wenn sie rechtsirrtümlich bewilligt worden sei. Dies bedeute mit anderen Worten, dass der Verfahrenshilfeanwalt keinen Antrag auf Entziehung der Verfahrenshilfe stellen könne, wenn diese - ausgehend von einer richtigen Tatsachengrundlage - aufgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung bewilligt worden sei. Es könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er mit der Formulierung des § 72 Abs 2 ZPO dem Verfahrenshelfer die Möglichkeit, die Bewilligung der Verfahrenshilfe, die Grundlage für den Bestellungsbescheid sei, mit Rekurs zu bekämpfen, tatsächlich habe versagen wollen, weil dies ein unerträgliches Rechtsschutzdefizit bedeuten würde.
Die herrschende Ansicht räume dem Verfahrenshilfeanwalt auch ein Rekursrecht für den Fall ein, dass sein Antrag auf Erlöschen oder Entziehung der Verfahrenshilfe nicht erfolgreich sei. Dies sei inkonsequent, weil auch dies einen Beschluss im Zusammenhang mit Verfahrenshilfefragen betreffe und somit § 72 Abs 2 ZPO zu tragen komme, in dem der Verfahrenshilfeanwalt eben nicht genannt werde. Da auch die herrschende Judikatur zu § 61 Abs 2 StPO und § 45 RAO eine Beschwerdelegitimation des im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Verteidigers gegen einen entsprechenden Bestellungsbeschluss annehme, seien Rekurse gegen die Bewilligung der Verfahrenshilfe insgesamt zulässig.
3.2 Diese Entscheidung wurde von Schumacher in AnwBl 2020/140 (Heft 5/2020) kommentiert. In diesem Kommentar vertritt Schumacher die Ansicht, dass es im Sinne des Gebots eines fairen Verfahrens im Sinne des Art 6 Abs 1 EMRK nur folgerichtig sei, auch dem Verfahrenshelfer jenes Rechtsmittelrecht einzuräumen, das dem Gegner und dessen Nebenintervenienten zustehe, sodass dieser dogmatisch richtig begründeten Entscheidung des OLG Innsbruck jedenfalls zuzustimmen sei.
4. Jüngst hatte sich auch das Landesgericht Feldkirch als Rekursgericht mit der in Rede stehenden Frage zu beschäftigen. In seiner Entscheidung vom 7.1.2021, 2 R 283/20p, (veröffentlicht unter RIS-Justiz RFE0100042), hat es eine generelle Rekurslegitimation des Verfahrenshelfers gegen den Beschluss auf Bewilligung der Verfahrenshilfe verneint. In dieser Entscheidung hat sich das LG Feldkirch mit der bereits erwähnten Entscheidung des OLG Innsbruck zu 3 R 4/20t auseinandergesetzt und dabei - zusammengefasst - folgende Ansichten vertreten:
4.1 Primär sei zu hinterfragen, warum der Gesetzgeber, wenn er den bestellten Verfahrenshelfer eine Rechtsmittellegitimation einräumen hätte wollen, dies nicht ausdrücklich im Gesetzestext festgehalten habe. Die vom Oberlandesgericht Innsbruck dem Gesetzgeber unterstellte planwidrige Unvollständigkeit liege nicht vor, weil in den Erläuternden Bemerkungen zu dem mit BGBl I Nr 128/2004 geänderten § 72 ZPO ausdrücklich auf den „Verfahrenshilfeanwalt“ Bezug genommen werde. Der Gesetzgeber habe also den „Verfahrenshilfeanwalt“ nicht übersehen, sondern ausdrücklich betont, dass diesem die Rechte gemäß § 68 ZPO zustünden. Damit bringe der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass dem Verfahrenshilfeanwalt „im Gegensatz“ zu den im § 72 Abs 2 ZPO Genannten ausschließlich die Rechte nach § 68 ZPO und nicht noch zusätzlich ein Rekursrecht gegen den Bewilligungsbeschluss zukomme. Hätte der Gesetzgeber anderes gewollt, dann hätte er dies im Gesetzestext ausdrücklich normiert.
Auch das Argument, dass sogar dem auf Seiten des Gegners beigetretenen Nebenintervenienten ein Rekursrecht zugebilligt werde, dies also auch für den Verfahrenshelfer geltend müsse, überzeuge schon deshalb nicht, weil dem Nebenintervenienten nach § 19 ZPO grundsätzlich dieselben Rechte wie der Partei zukämen, an deren Seite er dem Verfahren beigetreten sei. Es sei daher nur logisch, dass auch dem auf Seiten des Gegners beigetretenen Nebenintervenienten das Rekursrecht gegen den die Verfahrenshilfe bewilligenden Beschluss eingeräumt werde. Es scheine auch nur auf den ersten Blick inkonsequent, dass dem Verfahrenshilfeanwalt (nur) hinsichtlich erfolgloser Anträge nach § 68 ZPO ein Rekursrecht eingeräumt werde, sei doch in den Fällen, in denen jemandem ein eigenes Antragsrecht zustehe, ein solches Rekursrecht schon aufgrund seiner formellen Beschwer zuzugestehen.
Auch die Überlegung, durch eine Ausweitung der Rekurslegitimation die Kontrollmöglichkeiten zu erweitern und Missbrauchsfälle möglichst zu vermeiden, spreche gerade nicht für eine Rekurslegitimation des Verfahrenshelfers. Wenn die finanziellen Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht vorlägen, sei dies vom Revisor zu aufzuzeigen; Fälle von Mutwilligkeit und Aussichtslosigkeit seien vom Prozessgegner aufgreifbar. Würde man dem bestellten Verfahrenshelfer zu den Themen „Mutwilligkeit und Aussichtslosigkeit“ ein Rekursrecht einräumen, so wäre im Falle der Erfolglosigkeit seines Rekurses seine weitere Tätigkeit in dieser Causa wenig zielführend, zumal ein Rekurs des Verfahrenshelfers gegen die Bewilligung der Verfahrenshilfe einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen dem Verfahrensbeholfenen und dem Verfahrenshelfer zweifellos nicht zuträglich sei und zu notwendigen Umbestellungen und Verfahrensverzögerungen führen könne.
Selbstverständlich werde der Verfahrenshilfeanwalt dazu verpflichtet, für die die Verfahrenshilfe genießende Partei einzuschreiten, ohne dass er im Regelfall dafür ein Honorar oder eine Entschädigung erhalte. Dies sei jedoch ein rein wirtschaftlicher Aspekt. Richtig sei auch, dass mit der Tätigkeit des Verfahrenshilfeanwalts Haftungsaspekte verbunden sein könnten. Dabei handle es sich aber um Reflexwirkungen und nicht um unmittelbare Beeinträchtigungen der Rechtssphäre des Rechtsanwenders. Derartige Reflexwirkungen allein reichten allerdings nicht aus, um eine materielle Parteistellung zu begründen.
§ 87 Abs 1 StPO umschreibe den Kreis der zur Beschwerde gegen gerichtliche Beschlüsse Legitimierten mit „jeder anderen Person, der durch den Beschluss unmittelbar Rechte verweigert würden oder Pflichten entstünden oder die von einem Zwangsmittel betroffen sei“. Mit der Verfahrenshilfeverteidigung seien Pflichten verbunden, die aus dem gerichtlichen Beigebungsbeschluss resultierten, sodass dem zum Verfahrenshelfer bestellten Verteidiger schon von Gesetzes wegen eine Beschwerdelegitimation zukomme. In der ZPO finde sich eine § 87 Abs 1 StPO vergleichbare Regelung jedoch nicht.
Die Rechtsstellung des bestellten Verfahrenshelfers hinsichtlich seiner Rekurslegitimation lasse sich mit der eines bestellten einstweiligen Erwachsenenvertreters durchaus vergleichen. Dem Erwachsenenvertreter komme allerdings nur in Bezug auf seine eigenen Rechte Parteistellung und damit nur in diesem Umfang eine Rekurslegitimation zu. Er könne sich nur dagegen beschweren, dass er als Erwachsenenvertreter herangezogen werde, er könne allerdings niemals aufgreifen, dass überhaupt kein Grund zur Bestellung eines Sachwalters bestünde.
Nichts anderes könne auch für den bestellten Verfahrenshilfeanwalt gelten. Möchte er sich - etwa wegen einer Interessenkollision - gegen seine Bestellung zur Wehr setzen, so könne er den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer bekämpfen bzw. eine Umbestellung anregen.
Nur dann, wenn in einem konkreten Fall die Rechtssphäre des Verfahrenshelfers durch den Verfahrenshilfebewilligungsbeschluss unmittelbar beeinträchtigt werde, erschiene eine Rekurslegitimation im Einzelfall überlegenswert, während eine generelle Rekurslegitimation des Verfahrenshelfers abzulehnen sei.
II. Der hier zur Entscheidung berufene Senat lässt sich zu diesem Themenkreis unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen von folgenden Überlegungen leiten:
1. Im § 72 Abs 2 ZPO wird der Verfahrenshilfeanwalt nicht erwähnt. Es ist daher zu untersuchen, ob dieser Umstand dem Willen des Gesetzgebers entspricht oder ob allenfalls eine planwidrige Lücke vorliegt.
1.1 Grundsätzlich ist ein Gesetz aus sich selbst auszulegen, andere Erkenntnisquellen über die Absicht des Gesetzgebers sind erst dann heranzuziehen, wenn die Ausdrucksweise des Gesetzgebers zweifelhaft ist (RIS-Justiz RS0008806).
1.2 Bei der Anwendung eines Gesetzes ist zunächst der (echte und richtige) Gesetzestext zu ermitteln und sodann die Bedeutung der Norm mittels Wortinterpretation auszulegen, es ist also der Wortsinn bzw. die Bedeutung eines Ausdrucks nach dem Sprachgebrauch zu erforschen (RIS-Justiz RS0009100; RS0008896).
1.3 Lässt der Wortlaut eines Gesetzes mehrere Auslegungen zu, kann auf die aus § 6 ABGB abgeleiteten weiteren Auslegungsmethoden der systemisch-logischen, der subjektiv-historischen und der objektiv-teleologischen Interpretation zurückgegriffen werden, die aber nicht mechanisch hintereinander angewendet werden dürfen. Vielmehr hat der Rechtsanwender unter gleichzeitiger Heranziehung aller zur Verfügung stehenden Kriterien in wertender Würdigung den Sinn der Regelung klarzustellen (9 ObA 241/02k).
1.4 Die historische Auslegung knüpft an den feststellbaren - das heißt im Wesentlichen: den klar dokumentierten - Absichten des Gesetzgebers an. Überragende Bedeutung kommt dabei den Gesetzesmaterialien zu, finden sich doch darin häufig nähere Hinweise zum Zweck einer neuen Regelung (vgl. dazu P. Bydlinski in KBB6, § 6 ABGB Rz 5).
1.5 Die objektiv-teleologische Auslegung geht dem „natürlichen Sinn“ eines Gesetzes, also dem objektiven Gesetzeszweck, der durchaus über die vom Gesetzgeber in den Vordergrund gestellten Zwecke hinausgehen kann, nach. Sie ergründet den Sinn einer Bestimmung also unter Bedachtnahme auf den Regelungszweck (RIS-Justiz RS0008790).
1.6 Anders als bei der historischen Auslegung wird bei der teleologischen Auslegung nicht der tatsächliche Wille des historischen Gesetzgebers, sondern dessen mutmaßlicher Wille hinterfragt, sodass sich der Rechtsanwender hiebei an den Grundgedanken der Regelung orientieren und neben der konkreten Bestimmung auch die Gesamtrechtsordnung im Blick haben muss. Die teleologische Interpretation kann daher zu Ergebnissen führen, an die die Erschaffer einer Norm nicht gedacht haben, weil sie das Problem gar nicht erkannt haben. Diese stets im Kontext mit der Gesamtrechtsordnung stehende Interpretation ist auch nicht unveränderlich, weil ein Gesetz mit dieser Methode nach jenen Verhältnissen auszulegen ist, wie sie im Zeitpunkt seiner konkret notwendigen Anwendung bestehen (9 ObA 149/07b; 3 Ob 58/06k u.a.).
1.7 Lässt sich ein Rechtsfall weder aus den Worten, noch aus dem natürlichen Sinn eines Gesetzes entscheiden, so muss nach § 7 ABGB auf ähnliche, in den Gesetzen bestimmt entschiedene Fälle und auf die Gründe anderer damit verwandter Gesetze Rücksicht genommen werden. Bleibt der Rechtsfall auch dann noch zweifelhaft, so muss er unter Bedachtnahme auf die sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Umstände nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden werden.
2. Das heißt, dass Gesetzes- oder Rechtslücken primär durch Analogie und erst subsidiär durch „natürliche Rechtsgrundsätze“ ausgefüllt werden müssen.
2.1 Analogie ist die über den Wortsinn hinausgehende Anwendung von Normen. Sie setzt eine Lücke, also eine planwidrige Unvollständigkeit der rechtlichen Regelung voraus. Ob eine solche vorliegt, ist nicht selten eine Wertungsfrage, bei der teleologischen, aber auch historischen Überlegungen großes Gewicht zukommt. Wollte der Gesetzgeber den ungeregelten Fall bewusst anders als den geregelten entschieden haben, ist ein Umkehrschluss zu ziehen.
2.2 Das - von wem auch immer - rechtspolitisch Erwünschte kann für sich allein selbstverständlich niemals Grund eines Analogieschlusses sein (RIS-Justiz RS0008757 [T2]). Analogie ist trotz überzeugender Sachargumente für Gleichbehandlung jedenfalls dann unzulässig, wenn der Gesetzeswortlaut und eine klare gesetzgeberische Absicht in die Gegenrichtung weisen (siehe dazu ebenfalls P. Bydlinski in KBB6, § 7 ABGB Rz 2).
3. Die seinerzeit bestehenden Regelungen zum „Armenrecht“ in der ZPO wurden mit dem Bundesgesetz vom 8.11.1973, BGBl 135/1973, (Verfahrenshilfegesetz), mit dem u.a. Änderungen der EGZPO und der ZPO erfolgten, grundlegend modernisiert.
3.1 Mit Artikel I des Verfahrenshilfegesetzes wurde der Art XXXIII EGZPO aufgehoben, der gelautet hatte, dass „der für die arme Partei …. bestellte Advokat dann, wenn die ihm übertragene Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung mutwillig oder aussichtslos erschien, beim Prozessgericht erster Instanz um seine Enthebung von der Vertretung ansuchen konnte. Das Prozessgericht entschied darüber nach Anhörung der armen Partei durch Beschluss. Die arme Partei konnte einen Rekurs gegen diesen Beschluss …. anbringen. Sofern in der Rechtssache die Vertretung durch Advokaten durch das Gesetz geboten war, erlosch mit der rechtskräftigen Bewilligung der Enthebung auch das Armenrecht.“ Das bedeutete, dass der bestellte Anwalt nach der damaligen Gesetzeslage auch Einfluss auf die Frage nehmen konnte, ob die Verfahrenshilfe überhaupt hätte bewilligt werden dürfen. In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (864 der Blg XIII.Gp, S 11 ff) wurde ausgeführt, dass das dem Rechtsanwalt mit diesem Artikel eingeräumte Recht, seine Enthebung wegen Mutwilligkeit oder Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu verlangen, nun in § 68 ZPO neu geregelt werde, sodass die alte Regelung nicht mehr benötigt werde.
3.2 Zu § 68 ZPO (der sich auch in seiner durch das Verfahrenshilfegesetz geschaffenen „Urfassung“ mit der Möglichkeit des Erlöschens bzw. des Entziehens der Verfahrenshilfe beschäftigte und ausdrücklich vorsah, dass auch dem bestellten Rechtsanwalt ein entsprechendes Antragsrecht zukommt) wurde in den genannten Erläuternden Bemerkungen wiederholend dargestellt, dass auch der für die Partei bestellte Rechtsanwalt künftig beantragen könne, die Verfahrenshilfe für erlöschen zu erklären oder sie zu entziehen; dieses Recht gehe über die seinerzeit in Art XXXIII EGZPO vorgesehene Möglichkeit hinaus.
3.3 In den genannten Erläuternden Bemerkungen wurde zum zweiten Absatz des § 72 ZPO („Gegen die nach diesem Titel ergehenden Beschlüsse steht auch dem Gegner der Rekurs zu. Sein Recht, einen Antrag nach § 68 Abs 1 oder 2 zu stellen, bleibt ihm vorbehalten.“) ausgeführt, dass dieser Absatz die wesentliche Neuerung bedeute. Es werde nun nämlich auch dem Prozessgegner, der oft am besten wisse, wie es sich mit den Lebensumständen des die Verfahrenshilfe Beantragenden verhalte und dem deshalb ein stärkerer Einfluss auf die Entscheidung über die Verfahrenshilfe ermöglicht werden solle, ein Rekursrecht eingeräumt. Damit könne einer Erschleichung der Verfahrenshilfe in vielen Fällen vorgebeugt werden. Dass mit einem solchen Rekurs eine Verzögerung verbunden sein werde, sei unvermeidlich, müsse aber in Kauf genommen werden. Mit der Frage eines Rekursrechts des Verfahrenshelfers im Zusammenhang mit der Bewilligung der Verfahrenshilfe beschäftigen sich die Erläuternden Bemerkungen in diesem Zusammenhang nicht.
3.4 Eine weitere Änderung des § 72 ZPO erfolgte mit der Zivilverfahrens-Novelle 2004, BGBl 128/2004. Mit dieser wurde auch dem Revisor gegen „die nach diesem Titel ergehenden Beschlüsse“ ein Rekursrecht eingeräumt und in der Regierungsvorlage zu dieser Novelle (613 Blg XXII.Gp, 13) begründet. Auf den Verfahrenshilfeanwalt wurde in der Regierungsvorlage nur insoweit Bezug genommen, als dessen Recht gemäß § 68 Abs 1 und 2 ZPO, einen Antrag auf Erlöschen oder Entziehen der Verfahrenshilfe zu stellen, erwähnt und wiederholt wurde, dass ihm bei Abweisung eines solchen Antrags das Rekursrecht und - im Fall eines Rekurses der Verfahrenshilfe genießenden Partei gegen den stattgebenden Beschluss - das Recht auf Einbringung einer Rekursbeantwortung zustehe. Dargelegt wurde auch, dass es durch diese Ausgestaltung des Rekursverfahrens jedenfalls zu einer gewissen Verlängerung der Verfahrensdauer kommen werde, die allerdings durch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs bedingt und somit gerechtfertigt sei; Ausführungen zur Frage eines Rekursrechts des Verfahrenshilfeanwalts zum Beschluss, mit dem die Verfahrenshilfe bewilligt wird, finden sich auch dort nicht.
4. Unter Anwendung der oben skizzierten Auslegungsregelungen kann jedenfalls aus der Wortinterpretation des § 72 ZPO kein Rekursrecht des Verfahrenshilfeanwalts abgeleitet werden. Im Hinblick auf die dargestellte historische Entwicklung der §§ 68 und 72 ZPO kann auch davon keine Rede sein, dass die Erschaffer der Norm an die Möglichkeit, dem Verfahrenshilfeanwalt eine Rekurslegitimation gegen einen die Verfahrenshilfe bewilligenden Beschluss einzuräumen, schlicht nicht gedacht hätten; vielmehr wurde ein bislang - jedenfalls im Ergebnis - gegebenes Rekursrecht ausdrücklich abgeschafft, womit das Vorliegen einer planwidrige Lücke ausscheidet. Eine analoge Anwendung der das Rekursrecht des Nebenintervenienten und das Beschwerderecht eines im Strafverfahren bestellten Verfahrenshelfers betreffenden Grundsätze kommt damit ebenfalls nicht in Frage.
4.1 Abgesehen davon, dass bei widersprüchlichen teleologischen Auslegungsmöglichkeiten der Interpretation des Wortlauts der Vorrang zu geben ist (RIS-Justiz RS0106018), ist zu beachten, dass die bloße Meinung eines Rechtsanwenders, eine Regelung sei wünschenswert, die Annahme einer Gesetzeslücke keineswegs rechtfertigt. Hat demgemäß der Gesetzgeber eine bestimmte Rechtsfolge für einen bestimmten Sachverhalt nicht angeordnet, so fehlt es an einer Gesetzeslücke und damit auch an einer Grundvoraussetzung für eine ergänzende Rechtsfindung. In einem solchen Fall gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und rechtsfortbildend einen Regelungsinhalt zu schaffen, dessen Herbeiführung ausschließlich dem Gesetzgeber obliegt, steht den Gerichten niemals zu (10 ObS 236/99z; RIS-Justiz RS0008859).
4.2 Das Rekursgericht hat also davon auszugehen, dass es Wille des Gesetzgebers war, dem Verfahrenshilfeanwalt keinen Rekurs gegen den Beschluss auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zu ermöglichen. Damit sind aber auch die dahingehenden Fragen, ob das Rekursrecht des Verfahrenshelfers allenfalls auf die Argumente der „Mutwilligkeit und/oder Aussichtslosigkeit“ eingeschränkt werden könnte bzw. ob dieses Rekursrecht unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung („Umbestellung infolge Vertrauensverlust“) unerwünscht sein könnte, nicht weiter zu untersuchen. Dass der Gesetzgeber antrags- und rekursbezogene Verzögerungen in Verfahrenshilfesachen offensichtlich billigend in Kauf genommen hat, weil zB auch Anträge nach § 68 ZPO diesen Effekt haben können, sei dabei nur am Rande angemerkt.
4.3 An der Ablehnung eines Rekursrechts des Verfahrenshilfeanwalts vermag auch die in 3 R 4/20t des Oberlandesgerichtes Innsbruck vertretene - zweifelsfrei völlig zutreffende - Ansicht, dass Kontrollmöglichkeiten bezüglich der Richtigkeit der Behauptungen des Verfahrenshilfewerbers wesentlich sind, nichts zu ändern. Ein Wissen des Verfahrenshilfeanwalts über die wirtschaftlichen Verhältnisse und die wahren Intentionen des Verfahrenshilfewerbers wird wohl - jedenfalls so lange, als man nicht ernsthaft die Ansicht vertritt, der Verfahrenshilfeanwalt könne jenes Wissen, das er durch die ihm vom Verfahrensbeholfenen erteilten Informationen erlangt hat, tatsächlich insofern gegen diesen verwenden, als er es dazu benützt, einen Rekurs gegen die Bewilligung der Verfahrenshilfe zu erheben - nur in seltenen Ausnahmefällen vorhanden sein.
5. Auch die von Schumacher aaO erwähnte Notwendigkeit, dem Verfahrenshilfeanwalt rechtliches Gehör zu gewähren, wird vom Rekursgericht so nicht geteilt.
5.1 Bei der Bewilligung der Verfahrenshilfe geht es nämlich „nur“ um die Prüfung der Frage, ob die vom Gesetzgeber dafür für notwendig erachteten Voraussetzungen gegeben sind; eine Parteistellung des Verfahrenshilfeanwalts ist dabei aber (noch) nicht gegeben (vgl. dazu auch M. Bydlinski aaO § 68 ZPO Rz 17 dritter Absatz).
5.2 Partei des Verfahrens wird der Verfahrenshilfeanwalt erst mit seiner Bestellung durch die Rechtsanwaltskammer. In diesem Zusammenhang sieht § 45 Abs 4 RAO durchaus Instrumente vor, mit denen der Anwalt seine Rechte wahren kann, womit insofern von einem Rechtsschutzdefizit für den Verfahrenshilfeanwalt keine Rede sein kann; auch die in 3 R 4/20t angesprochene „Haftungsproblematik“ des Verfahrenshilfeanwalts kann überhaupt erst mit seiner konkreten Bestellung durch die Anwaltskammer schlagend werden, woran der Umstand nichts ändert, dass Grundlage für diesen Bestellungsbescheid der Beschluss auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist.
6. Ob ein Rekursrecht unter dem Aspekt der EMRK auch dann zu verneinen ist, wenn der Verfahrenshilfeanwalt Argumente, die ihn in „seiner persönlichen Rechtssphäre beeinträchtigen“ (welche immer dies sein könnten) geltend macht, ist hier nicht weiter zu prüfen, weil der Rekurswerber solche nicht behauptet (die Frage, ob eine „sinnvolle Berufung“ erhoben werden kann, gehört jedenfalls nicht dazu).
III. Eine Kostenentscheidung konnte entfallen, weil der Rekurswerber - richtigerweise (§ 72 Abs 3 letzter Satz ZPO) - keine Kosten verzeichnet hat.
IV. Die Unzulässigkeit eines Revisionsrekurses ergibt sich aus §§ 2 Abs 1 ASGG, 528 Abs 2 Z 4 ZPO.
Textnummer
EI0100086European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0819:2021:0250RS00011.21K.0407.000Im RIS seit
21.05.2021Zuletzt aktualisiert am
21.05.2021