TE Vwgh Erkenntnis 1997/4/22 96/04/0079

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Veröffentlicht am 22.04.1997
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Index

50/04 Berufsausbildung;

Norm

BAG 1969 §2a Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 14. Februar 1996, Zl. 04-23 Pa3-95/3, betreffend Feststellung nach § 3a des Berufsausbildungsgesetzes (mitbeteiligte Partei: E in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Begehren der Beschwerdeführerin auf Ersatz von Aufwendungen wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 14. Februar 1996 wurde festgestellt, daß der Betrieb der mitbeteiligten Partei in W. so eingerichtet sei und geführt werde, daß die für die praktische Erlernung im Lehrberuf "Einzelhandelskaufmann/frau" wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse dort überwiegend selbst vermittelt werden könnten. Darüber hinaus wurde festgestellt, daß eine ergänzende Ausbildung für die in der Folge genannten Fertigkeiten und Kenntnisse in den angeführten Lehrjahren zu erfolgen habe "und die Ausbildung nur bei Erfüllung dieser Auflage zulässig ist", wobei diese "Fertigkeiten und Kenntnisse ... im zeitlichen Ausmaß von 14 Tagen pro Lehrjahr zu vermitteln" seien:

1., 2. UND 3. LEHRJAHR:

-

Kenntnis des betrieblichen Warensortiments hinsichtlich der fachlichen Zusammensetzung, Breite, Tiefe und der Herkunft, Eigenschaften, Beschaffenheit, Form, Ausführung, Sorten, Größen sowie Verwendungsmöglichkeit der jeweiligen Waren;

-

Kenntnis der handels- und branchenüblichen Warenbezeichnungen und Fachausdrücke, der handels- und branchenüblichen Maße, Mengen und Verpackungseinheiten.

Die anfallenden Kosten seien vom Lehrberechtigten zu tragen.

Zur Begründung wurde als "Zusammenfassung" ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei der Meinung, daß zahlreiche verschiedene Berufsbildpositionen (nicht nur jene, die durch eine ergänzende Ausbildung vermittelt werden müßten, sondern auch etwa Kenntnisse und funktionsgerechte Anwendung der betrieblichen Einrichtungen und der technischen Betriebsmittel und Hilfsmittel, Grundkenntnisse einer rechnergestützten Erfassung, Steuerung und Kontrolle der betrieblichen Warenbewegung, Einholen, Bearbeiten und Prüfen von Angeboten, etc.) aufgrund der Verhältnisse in der Betriebsstätte nicht oder nicht ausreichend vermittelt werden könnten. Da diese Berufsbildpositionen jedoch die "wesentlichsten" Fertigkeiten und Kenntnisse des Lehrberufes "Einzelhandelskaufmann/frau" darstellen würden, sei auch eine Ausbildung von Lehrlingen im Rahmen eines Ausbildungsverbundes im Sinne des § 2a BAG ausgeschlossen. Daraufhin habe die Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer Steiermark zusammen mit einem Vertreter der Beschwerdeführerin im gegenständlichen Betrieb Erhebungen durchgeführt, ob die von der Beschwerdeführerin angeführten Berufsbildpositionen tatsächlich nicht oder nicht ausreichend vermittelt werden könnten. Dabei seien die gegenständlichen Berufsbilder den im Betrieb vorhandenen technischen Einrichtungen und Betriebsorganisationen gegenübergestellt und anschließend zusammenfassend festgestellt worden, daß die erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse unter Einhaltung der erteilten Auflage des Ausbildungsverbundes vermittelt werden könnten. Aus der Stellungnahme der Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer Steiermark gehe eindeutig hervor, daß bis auf jene Kenntnisse, die durch die Auflage des Ausbildungsverbundes vermittelt werden müßten, sämtliche Kenntnisse des Berufsbildes für den Lehrberuf "Einzelhandelskaufmann" vermittelt werden könnten. Im Betrieb der mitbeteiligten Partei könnten somit den Lehrlingen die Fertigkeiten und Kenntnisse in der Marktstellung des Lehrbetriebes, in der Warenbeschaffung und Lagerung, im Verkauf und im betrieblichen Rechnungswesen vermittelt werden. Die für den Lehrberuf "Einzelhandelskaufmann/frau" wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse könnten daher im Betrieb der mitbeteiligten Partei überwiegend selbst ausgebildet werden und sei eine ergänzende Ausbildung im Sinne des § 2a Abs. 1 BAG zulässig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin u.a. geltend, die belangte Behörde habe rechtswidrig das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 2 Abs. 6 BAG in Verbindung mit § 2a Abs. 1 BAG für die Erlassung des Feststellungsbescheides angenommen. Die Behörde habe festgestellt, daß die "Kenntnis des betrieblichen Warensortiments hinsichtlich der fachlichen Zusammensetzung, Breite, Tiefe und der Herkunft, Eigenschaften, Beschaffenheit, Form, Ausführung, Sorten, Größen sowie Verwendungsmöglichkeiten der jeweiligen Waren" und die "Kenntnis der handels- und branchenüblichen Warenbezeichnungen und Fachausdrücke, der handels- und branchenüblichen Maße, Mengen- und Verpackungseinheiten" im Lehrbetrieb nicht vermittelt werden könnten und daher eine ergänzende Ausbildung in diesen Fertigkeiten und Kenntnissen in einem anderen hiefür geeigneten Betrieb oder einer anderen hiefür geeigneten Einrichtung zu erfolgen habe und die Ausbildung nur bei Erfüllung dieser Auflage zulässig sei. Gerade dieses Wissen sei jedoch nach Ansicht der Beschwerdeführerin als "wesentlichste Fertigkeit und Kenntnis des Einzelhandelskaufmannes" anzusehen. Wenn der Lehrbetrieb nicht in der Lage sei, selbst diese wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln, erscheine die Ausbildung von Lehrlingen in diesem Betrieb nicht zulässig.

Schon mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin im Recht.

Gemäß § 2 Abs. 6 BAG ist die Ausbildung von Lehrlingen nur zulässig, wenn der Betrieb oder die Werkstätte so eingerichtet ist und so geführt wird, daß den Lehrlingen die für die praktische Erlernung im betreffenden Lehrberuf nötigen Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden können.

Gemäß § 2a Abs. 1 BAG ist, wenn in einem Lehrbetrieb (einer Ausbildungsstätte) die nach den Ausbildungsvorschriften festgelegten Fertigkeiten und Kenntnisse nicht im vollen Umfang vermittelt werden können, die Ausbildung von Lehrlingen dann zulässig, wenn eine ergänzende Ausbildung durch Ausbildungsmaßnahmen von einem anderen hiefür geeigneten Betrieb oder einer anderen hiefür geeigneten Einrichtung erfolgt. Eine solche ergänzende Ausbildung ist nur dann zulässig, wenn im Lehrbetrieb die für den Lehrberuf wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse überwiegend selbst ausgebildet werden können.

Gemäß § 3a Abs. 1 BAG hat die Lehrlingsstelle, bevor in einem Betrieb erstmalig Lehrlinge ausgebildet werden, festzustellen, ob die im § 2 Abs. 6 angeführten Voraussetzungen vorliegen. Ohne die rechtskräftige Feststellung, daß diese Voraussetzungen vorliegen, ist das Ausbilden von Lehrlingen unzulässig.

Nach § 8 Abs. 2 BAG haben die Ausbildungsvorschriften Berufsbilder zu enthalten; diese sind entsprechend den dem Lehrberuf eigentümlichen Arbeiten und den zur Ausübung dieser Tätigkeiten erforderlichen Hilfsverrichtungen, jedoch ohne Rücksicht auf sonstige Nebentätigkeiten des Lehrberufes unter Berücksichtigung der Anforderungen, die die Berufsausbildung stellt, festzulegen und haben hiebei nach Lehrjahren gegliedert die wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse, die während der Ausbildung zu vermitteln sind, anzuführen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 10. Dezember 1996, Zl. 95/04/0149, dargelegt hat, ist die nach § 2a Abs. 1 letzter Satz BAG zu klärende Frage, ob die wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse überwiegend selbst im Lehrbetrieb vermittelt werden können, nicht durch eine quantitative Zählung der Berufsbildinhalte zu ermitteln. Vielmehr ist dieses Tatbestandselement anhand einer BEWERTUNG UND ABWÄGUNG sämtlicher Berufsbildpositionen des Lehrberufes im Verhältnis zu jenen Ausbildungsinhalten, welche im Lehrbetrieb vermittelt werden können, zu ermitteln.

Eine derartige im Rechtsbereich zu treffende Bewertung und Abwägung hat die belangte Behörde nicht getroffen. Sie hat sich vielmehr auf eine bloße Gegenüberstellung der (in der Berufung angesprochenen) Berufsbildpositionen beschränkt, die nach Auffassung der belangten Behörde im gegenständlichen Betrieb vermittelt bzw. nicht vermittelt (oder nur zum Teil vermittelt) werden könnten. Damit wurde aber die belangte Behörde dem oben angesprochenen Begründungserfordernis nicht gerecht, zumal - wie ebenfalls gesagt - eine bloß quantitative Zählung der Berufsbildinhalte nicht hinreicht.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Abweisung des Begehrens auf Aufwandersatz stützt sich auf § 47 Abs. 4 VwGG in Verbindung mit § 3a Abs. 3 vorletzter Satz BAG (vgl. nochmals das zitierte hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1996).

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996040079.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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