TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/17 W199 2168129-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.04.2020
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Entscheidungsdatum

17.04.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W199 2168129-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael SCHADEN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2017, Zl. 1098797907 – 151987094/BMI-BFA_BGLD_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.01.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die minderjährige Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige, stellte am 13.12.2015, vertreten durch ihre Mutter als ihre gesetzliche Vertreterin, den Antrag, ihr internationalen Schutz zu gewähren (in der Folge auch als Asylantrag bezeichnet), ebenso ihre Mutter XXXX . (Das Verfahren über den Asylantrag der Mutter wurde beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [in der Folge: Bundesamt] zur Zahl 1098797809 – 151986802 und wird beim Bundesverwaltungsgericht zur Zahl 2168137-1 geführt.)

Bei ihrer Befragung am 14.12.2015 gab die Mutter der Beschwerdeführerin an, ihre Angaben gölten auch für ihre beiden mitgereisten Kinder, darunter die Beschwerdeführerin. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt am 30.6.2017 gab sie an, ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe. Sie hätten Angst vor dem Krieg und der gefährlichen Lage, würden aber persönlich nicht verfolgt oder bedroht.

Mit Bescheid vom 11.10.2016 wies das Bundesamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 5 Abs. 1 des Asylgesetzes 2005, Art. 2 BG BGBl. I 100 (in der Folge: AsylG 2005) als unzulässig zurück, sprach aus, dass für die Prüfung des Antrages „gemäß 13.1 iVm 22.7 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates“ Kroatien zuständig sei (Spruchpunkt I), ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (Art. 3 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge: FPG) die Außerlandesbringung der Beschwerdeführerin an und stellte fest, dass „demzufolge“ gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Kroatien zulässig sei (Spruchpunkt II). Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gab das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17.11.2016 gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-Verfahrensgesetz (in der Folge: BFA-VG; Art. 2 Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz BGBl. I 87/2012) statt, ließ das Verfahren über den Asylantrag zu und behob den bekämpften Bescheid. Die ordentliche Revision erklärte es für nicht zulässig. Begründend führte es aus, dass die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), ABl. 2013 Nr. L 180, 31 ff. (Dublin-III-V) bereits abgelaufen sei.

2.1. Mit dem Bescheid, dessen Spruchpunkt I angefochten ist, wies das Bundesamt den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 erkannte es der Beschwerdeführerin den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II), gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilte es ihr die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 31.7.2018 (Spruchpunkt III).

Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 1.8.2017 zu Handen ihrer Mutter als ihrer gesetzlichen Vertreterin durch Hinterlegung beim Postamt zugestellt.

2.2. Der Antrag auf internationalen Schutz, den die Mutter der Beschwerdeführerin gestellt hatte, wurde vom Bundesamt in der gleichen Weise wie ihr eigener Antrag erledigt (ohne sich freilich im Spruchpunkt II auf § 34 Abs. 3 AsylG 2005 zu beziehen).

3. Gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerechte Beschwerde vom 16.8.2017.

4. Am 23.1.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der nur die Mutter der Beschwerdeführerin – auch als ihre gesetzliche Vertreterin – als Partei teilnahm und der ein Dolmetscher für die arabische Sprache beigezogen wurde. Das Bundesamt hatte auf die Teilnahme an der Verhandlung verzichtet.

Das Bundesverwaltungsgericht erhob Beweis, indem es die Mutter der Beschwerdeführerin in der Verhandlung vernahm und – außer den Akten der Verfahren, welche die Beschwerdeführerin und ihre Mutter betreffen – folgende Unterlagen einsah, die auch in der Verhandlung erörtert wurden:

?        Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Syrien (18.5.2018)

?        United States Department of State. Country Report on Human Rights Practices 2017 – Syria (20.4.2018)

?        UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen. 5., aktualisierte Fassung (November 2017)

?        UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen. Syrien: Militärdienst (30.11.2016)

?        UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Syria. “Illegal Exit” from Syria and Related Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria (Feber 2017)

?        Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (13.11.2018, Stand: November 2018)

Der Mutter der Beschwerdeführerin wurde in der Verhandlung eine Frist für eine Stellungnahme eingeräumt; am 6.2.2019 gab sie eine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Situation in Syrien wird festgestellt:

1.1.1. Politische Lage

Seit 2011 herrscht in Syrien Gewalt. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg mit unzähligen Milizen und Fronten geworden. Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen beherrschen verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten sie Regierungsstrukturen, auch irregulär aufgebaute Gerichte. Das Gebiet, das unter kurdischer Kontrolle steht, wird auf etwa ein Viertel des Staatsgebietes geschätzt. Russland, der Iran, die libanesische Hizbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Durch massive syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. vom Iran unterstützter Milizen hat das Regime große Landesteile von der bewaffneten Opposition zurückerobert. Im Juli 2018 übernahm es die Kontrolle über das Gebiet einer zuvor von den USA, Russland und Jordanien verhandelten sog. Deeskalationszone im Südwesten Syriens.

Präsident Bashar al-Asad regiert die Arabische Republik Syrien seit 2000. 2014 wurde er wiedergewählt. Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere, jedoch relativ unbekannte Kandidaten. Die Wahl wurde nur in den von der Regierung beherrschten Gebieten abgehalten, sie wurde als undemokratisch bezeichnet.

Am 16.4.2016 fanden Parlamentswahlen statt. Die regierende Baath-Partei – die von der Verfassung als Regierungspartei vorgesehen ist – gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der „Nationalen Einheit“ 200 der 250 Parlamentssitze. Die Opposition bezeichnete auch diese Wahl, die auch nur in den von der Regierung beherrschten Gebieten stattfand, als „Farce“. Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der „Nationalen Einheit“ wurde gewählt. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen.

Im Norden Syriens stehen Gebiete unter kurdischer Kontrolle („Rojava“). Die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) hielt die kurdische Bevölkerung davon ab, sich an der Revolution zu beteiligen. Auf diese Weise konnte sich die syrische Armee auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. Die PYD bezeichnet das in den kurdischen Gebieten etablierte System als „demokratische Autonomie” bzw. „demokratischen Konföderalismus”. Tatsächlich liegt die Macht bei der militärischen Führung. In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, damit legitimiert die Partei ihre Macht. In Gebieten, in denen sie neben Behörden der Regierung besteht, haben sich viele Institutionen entwickelt, dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten, in denen sie mehr Kontrolle hat, bleibt die Macht in ihrer Hand zentralisiert.

1.1.2. Sicherheitslage

Der im März 2011 begonnene Aufstand gegen das Regime ist in eine komplexe militärische Auseinandersetzung umgeschlagen, die alle Städte und Regionen Syriens betrifft. Nahezu täglich werden landesweit Tote und Verletzte gemeldet. Die staatlichen Strukturen sind in vielen Orten zerfallen, das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch.

Präsident Asad hat mit russischer Unterstützung die Oberhand im syrischen Bürgerkrieg gewonnen. Teile des Landes, insbesondere an den Landesgrenzen, sind jedoch weiter in der Hand Aufständischer.

Nachdem die syrischen Truppen im Dezember 2016 Aleppo eingenommen hatten, zogen große Teile der regulären Armee ab; dadurch verschlechterte sich die Sicherheitslage, weil damit den Milizen freie Hand gelassen wurde. Im Juni 2017 unternahm die Regierung den Versuch, großflächig gegen die Milizen in Aleppo vorzugehen. Die Milizen sind ua. auch für eine steigende Zahl an Entführungen, damit Lösegelderpressungen, sowie für Morde verantwortlich.

Anfang November 2016 begann eine Offensive zur Rückeroberung der Stadt Raqqa, der syrischen Hochburg von Daesh (di. der Islamische Staat, IS, ISIS, ...). An der Offensive waren etwa 30.000 Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer von den USA unterstützten kurdisch-arabischen Rebellenallianz, beteiligt, von denen ein Großteil von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gestellt wird. Am 17.10.2017 erklärten die SDF den Sieg über Daesh in Raqqa. Das große Ausmaß an Zerstörung von Infrastruktur und Wohnungen führt zu schweren Mängeln in der Gesundheits- und Grundversorgung.

Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der „Operation Euphrates Shield“ in Syrien aktiv. Die Operation wurde gestartet, um gegen Daesh und auch gegen die kurdischen Einheiten vorzugehen, die entlang der syrisch-türkischen Grenze aktiv sind. Im März 2017 wurde die Operation für erfolgreich beendet erklärt. Im Oktober 2017 gab der türkische Präsident Erdo?an eine neue Operation in der syrischen Provinz Idlib bekannt, deren Ziel es ist, die Ausbreitung von kurdischen und al-Qaida-Einheiten entlang der türkischen Grenze zu verhindern. Am 20.1.2018 begann eine Offensive der Türkei gegen die kurdisch kontrollierte Stadt Afrin. Erdo?an kündigte außerdem an, auch Manbij angreifen zu wollen. Nach der zwei Monate andauernden „Operation Olivenzweig“ eroberten im März 2018 von der Türkei unterstützte syrische Rebellengruppen die Stadt Afrin. Zuvor baten die Kurden die syrische Regierung um Unterstützung bei der Verteidigung Afrins, daraufhin zogen regierungstreue Einheiten, nicht jedoch die syrische Armee selbst, nach Afrin. Nach der Einnahme Afrins durch türkische Truppen kündigte die YPG den Beginn eines Guerilla-Kampfes gegen die Türkei und pro-türkische Kräfte an.

In den ersten Monaten 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges. Ende Feber 2018 begann nach wochenlangen Bombardements die Bodenoffensive der Regierung auf Ost-Ghouta. Mitte April 2018 erklärten die russischen Behörden und die syrischen Streitkräfte die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave für beendet. Im April 2018 fand in Douma, in Ost-Ghouta, ein mutmaßlicher Giftgasangriff mit Dutzenden Todesopfern statt, für den die syrische Regierung verantwortlich gemacht wurde.

Im April 2018 griff die syrische Armee Yarmouk und Hajar al-Aswad, etwa acht Kilometer südlich von Damaskus, an. Das Gebiet wurde vor allem von Kämpfern des Daesh und der Nusra-Front beherrscht. Die Rebellen stimmten schon bald einem Evakuierungsabkommen zu, jedoch hielten die Luftschläge weiterhin an, und die bewaffneten Gruppen gaben ihr Gebiet zunächst trotz der Vereinbarungen nicht auf.

Die sog. Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppe stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen. Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist, sie unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen.

Im Mai 2017 unterzeichneten Russland, der Iran und die Türkei ein Abkommen, das die Einrichtung sog. Deeskalationszonen vorsieht. Weder die Regierung noch die Opposition unterzeichneten das Abkommen. Die Gruppe Jabhat Fatah ash-Sham (ehemals Jabhat al-Nusra) und Daesh sind von den Vereinbarungen ausgenommen. Nachdem die Zonen beschlossen wurden, begannen in Ost-Damaskus Deeskalationsmaßnahmen, jedoch wurde in dieser Gegend gleichzeitig ein Versöhnungsabkommen geschlossen. Das Ausmaß der Kampfhandlungen in den Provinzen Hama, Homs und Idlib blieb vorerst gleich oder stieg sogar an.

Im November 2017 brachte die syrische Armee Deir ez-Zour, das zuvor von Daesh besetzt war, wieder unter ihre Kontrolle. Daesh verlor 2017 beinahe sein ganzes Territorium in Syrien und im Irak. Der russische Präsident Putin ordnete Mitte Dezember den Abzug eines „Großteils der russischen Truppen“ aus Syrien an. Russland wird jedoch weiterhin eine ständige militärische Präsenz in Syrien unterhalten.

1.1.3. Rechtsschutz; Justizwesen

1.1.3.1. Gebiete unter der Kontrolle des Regimes

Das Justizsystem besteht aus mehreren Gerichtstypen, darunter sind Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiöse Gerichte sowie ein Kassationsgericht. Die religiösen Gerichte behandeln das Familien- und Personenstandsrecht; Scharia-Gerichte sind für sunnitische und schiitische Muslime zuständig, Drusen, Christen und Juden haben ihre eigenen gerichtlichen Strukturen, in denen es auch eigene Berufungsgerichte gibt. Nach manchen Personenstandsgesetzen wird die Scharia unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Beteiligten angewandt. Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Behörden sind in der Praxis jedoch oft politischen Einflüssen ausgesetzt. Die Ergebnisse von Fällen mit politischem Kontext scheinen oft schon vorbestimmt zu sein.

Wenn Personen, von denen angenommen wird, dass sie Regierungsgegner sind, vor Gericht gebracht werden, so ist es wahrscheinlich, dass es sich dabei um das Anti-Terror-Gericht, das 2012 aufgebaut wurde, oder um ein Militärgericht handelt. Das Anti-Terror-Gericht hält sich in seiner Arbeitsweise nicht an grundlegende Bedingungen einer fairen Gerichtsverhandlung. Manchmal dauern die Verhandlungen nur wenige Minuten und „Geständnisse“, die unter Folter gemacht wurden, werden als Beweismittel akzeptiert. Außerdem wird das Recht auf Rechtsberatung stark eingeschränkt. In Militärgerichten haben Angeklagte kein Recht auf einen Anwalt. Manchmal werden Angeklagte auch nicht über ihr Urteil informiert. In den ersten zweieinhalb Jahren seit seiner Errichtung soll das Anti-Terror-Gericht mehr als 80.000 Fälle behandelt haben.

1.1.3.2. Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes

In Gebieten, die oppositionelle Gruppen beherrschen, wurden unterschiedlich eingerichtete Gerichte und Haftanstalten aufgebaut, die sich stark darin unterscheiden, wie sie organisiert sind und inwieweit sie sich an Rechtsnormen halten. Manche Gruppen folgen dem (syrischen) Strafgesetzbuch, andere dem Entwurf eines Strafgesetzbuches auf Grundlage der Scharia, während wieder andere eine Mischung aus Gewohnheitsrecht und Scharia anwenden. Erfahrung, Expertise und Qualifikation der Richter in diesen Gebieten sind oft sehr unterschiedlich und von den dominanten bewaffneten Gruppen dieser Gebiete beeinflusst. Manchmal münden Gerichtsverhandlungen vor Gerichten der Opposition in öffentliche Hinrichtungen, ohne dass der Angeklagte hätte Berufung einlegen oder Besuch von seiner Familie erhalten können.

Daesh hat in den von ihm kontrollierten Gebieten seine strikte Auslegung des islamischen Rechts eingeführt. Es kommt dort häufig zu öffentlichen Hinrichtungen. Unter den Opfern sind Menschen, denen Abfall vom Glauben, Ehebruch, Schmuggel oder Diebstahl zur Last gelegt wird oder die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angeklagt wurden.

1.1.3.3. Gebiete unter kurdischer Kontrolle

In „Rojava“ wurde die „Verfassung von Rojava“ erstellt, die als „sozialer Vertrag“ zwischen den Bürgern der kurdischen Gebiete beschrieben wird und eine parlamentarische Demokratie mit Pluralismus und gleichen Rechten für Männer und Frauen vorsieht. Es wurden Komitees gegründet, welche die Erhaltung des „sozialen Friedens“ zum Ziel haben und Straftaten unter diesem Gesichtspunkt regeln. Die von der PYD geführte Verwaltung umfasst neben einer eigenen Polizei auch Gerichte, Gefängnisse, Ministerien und Gesetze. Für die Militärgerichtsbarkeit sind die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) verantwortlich. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung besteht, fordert die PYD die Bevölkerung dazu auf, sich bei den Institutionen der PYD zu registrieren, gleichzeitig müssen sich Bürger jedoch auch bei den örtlichen staatlichen Gerichten um offizielle Dokumente bemühen, da Dokumente der PYD vom syrischen Staat nicht anerkannt werden.

1.1.4.1. Sicherheitsbehörden und regimetreue Milizen

Die Regierung erhält die Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte aufrecht, kann jedoch jene über paramilitärische, nicht-uniformierte Pro-Regime-Milizen, die oft autonom und ohne Aufsicht oder Führung der Regierung arbeiten, nicht immer gewährleisten. Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden ist weit verbreitet. Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann einen Haftbefehl im Fall von Verbrechen durch Militäroffiziere, Mitglieder der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffiziere (im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten) ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden. In der Praxis ist keine rechtliche Verfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Missbrauchs und Korruption bekannt, die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und generell außerhalb des Gesetzes. Es gab 2016 keine Berichte von Aktionen der Regierung zur Reform der Sicherheitskräfte oder der Polizei. Die Shabbiha bzw. die NDF und andere paramilitärische Gruppen mit Verbindung zum Regime sind an Menschenrechtsverletzungen beteiligt, darunter auch an Massakern, willkürlichen Tötungen, Entführungen von Zivilisten, willkürlichen Festnahmen und Vergewaltigungen als Kriegstaktik. Die Einheiten, die auf der Seite der Regierung kämpfen, sind sehr vielfältig. Manche gehören regulären Streitkräften an, andere verschiedenen Milizen. Manche bestehen aus nicht mehr als ein paar Dutzend Männern, andere halten Tausende Männer unter Waffen und besitzen ihre eigenen Trainingscamps und Netzwerke. Auch Russland, der Iran, die libanesische Hizbollah und der Irak unterstützen die syrische Regierung, auch mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte.

1.1.4.2. Streitkräfte

Die Streitkräfte bestehen aus der Armee, der Marine und der Luftwaffe. Sie sind für die Verteidigung des nationalen Territoriums und den Schutz des Staates vor internen Bedrohungen verantwortlich. Vor dem Konflikt soll die syrische Armee eine Mannstärke von etwa 295.000 Personen gehabt haben. Sie kann das gesamte syrische Staatsgebiet nicht mehr unabhängig sichern. Sechs Jahre mit Überläufen zu den Regimegegnern, Desertionen und Verlusten durch den Konflikt haben die Mannstärke aus den Vorkriegszeiten stark dezimiert, sie wird für 2014 und 2015 auf 100.000 bis 175.000 Mann geschätzt, großteils mangelhaft ausgerüstete und trainierte Wehrdiener.

Der Aufbau der syrischen Armee basiert auf dem sog. Quta‘a-System. Dabei wird jeder Division ein bestimmtes Gebiet zugeteilt. Es verbindet jeden Sektor (quta‘a) mit einer Division und somit Karriere und Leben eines Offiziers mit einer Armee-Division und dem dazugehörigen Gebiet. Im Zuge des Konfliktes hat das Regime jedoch loyale Einheiten in größere Einheiten eingebaut, um eine bessere Kontrolle auszuüben und ihre Effektivität im Kampf zu verbessern.

1.1.4.3. Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste

Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen. Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste. Der Militärische Nachrichtendienst, der Luftwaffennachrichtendienst und das Direktorat für Politische Sicherheit unterstehen dem Innenministerium. Das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat untersteht direkt dem Präsidenten. Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken Stimmen innerhalb Syriens, die vom Regime abweichen. Die größeren Organisationen haben ihre eigenen Gefängniszellen und Verhörzentren.

Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe von Techniken, um Syrer einzuschüchtern oder sie dazu zu bringen, dass sie den Vorstellungen der Sicherheitskräfte entsprechend handeln. Dazu gehören Angebote von lukrativen und prestigeträchtigen Positionen oder anderen Belohnungen, jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikane von Einzelpersonen und/oder ihren Familienmitgliedern, die Androhung von Inhaftierung (ohne Anklage), Verhör und Haftstrafen nach langen Gerichtsverhandlungen. Die bürgerliche Gesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten spezielle Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte, aber auch andere Gruppen und Einzelpersonen müssen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen.

1.1.4.4. Polizei

Das Innenministerium kontrolliert vier verschiedene Abteilungen von Polizeikräften: Notrufpolizei, Verkehrspolizei, Nachbarschaftspolizei und Polizei gegen Unruhen.

1.1.4.5. Shabbiha-Milizen und Volkskomitees

Die Shabbiha sind bewaffnete Milizen, welche die regierende Baath-Partei unterstützen und der Asad-Familie treu sind. Sie kämpfen, um die Opposition zu unterdrücken und sich zu bereichern. Sie wurden in den 1970er Jahren in der Gegend von Latakia gegründet und bestanden aus einem Schmugglernetzwerk. 2000 wurden sie von Bashar al-Asad aufgelöst, 2011 nahmen sie ihre Tätigkeit wieder auf. Sie bestehen aus etwa 10.000 Mitgliedern und gehen skrupellos gegen die Opposition vor.

Zu Beginn des Konfliktes 2011 wurden außerdem die sog. Volkskomitees spontan gegründet oder von Nachrichtendiensten oder Pro-Asad-Geschäftsmännern als Gegenstück zur Mobilisierung oppositioneller Demonstranten rekrutiert. Die Volkskomitees, die anfangs nur ihre Wohngegenden nach Zeichen des Widerstandes überwachen und Demonstrationen auflösen sollten, entwickelten sich mit der Zeit zu lokalen Autoritäten und später zu bewaffneten Milizen, nachdem der Staat an Macht verlor und die Opposition militarisiert wurde. Diese Milizen wurden von der Opposition häufig als „Shabbiha“ bezeichnet.

1.1.4.6. Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces – NDF)

Die Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces – NDF) sind eine Schirmorganisation für verschiedene Pro-Regime-Milizen und paramilitärische Gruppen, die sich erstmals 2013 organisierte. Sie wurden aus kriminellen Gruppen, Shabbiha und Volkskomitees, die lokal organisiert sind, gegründet und dienen dem Regime und der Armee. Der Iran und die libanesische Hizbollah spielten eine wichtige Rolle bei der Gründung der NDF nach dem Vorbild der iranischen paramilitärischen Basij-Einheiten. Diese Gruppen nehmen am bewaffneten Konflikt teil. Sie nehmen Personen fest, die sie der Unterstützung der Opposition verdächtigen, inhaftieren und foltern sie. Die Kämpfer der NDF gelten als regimetreuer als die wehrdienstleistenden Soldaten der syrischen Armee. Ihre Arbeit variiert je nach Gebiet, und manche Gruppen sind disziplinierter als andere. Es gibt Gruppen, die zu den NDF gehören und auf Religionszugehörigkeit basieren, zB christliche oder alawitische Gruppen. Als dezidiert Freiwillige sind Angehörige der NDF bei Rebellen verhasster als reguläre Soldaten, die unter Umständen zwangsrekrutiert worden sind, deshalb laufen NDF-Mitglieder noch größere Gefahr, bei Gefangennahme getötet zu werden.

Ihre genaue Mannstärke ist nicht bekannt, Schätzungen aus 2016 schwanken zwischen 60.000 und 100.000 Personen. Die NDF sind auf Grund aktueller Entwicklungen, darunter der Gründung des Fünften Korps der syrischen Streitkräfte, in einem Zustand der Zersplitterung und Fragmentierung. Die Gründung des Fünften Korps sollte ua. auch dazu dienen, eine einsatzfähige Einheit unter Kontrolle der syrischen Armee zu bilden und dabei die NDF aufzulösen, die dafür bekannt sind, zu plündern, die Bevölkerung zu terrorisieren und Schutzgelder zu erpressen. Die organisatorischen Strukturen zwischen NDF und der syrischen Armee und anderen regulär bewaffneten Gruppen sind schwer zu definieren. Manchen Berichten zufolge operieren die NDF unter dem Kommando der syrischen Armee, dabei erhalten sie Informationen und die taktische Führung von der Armee, in anderen Fällen können die Hizbollah und iranische Einheiten spezielle NDF-Kader trainieren und befehligen.

1.1.4.7. Ausländische Kämpfer bzw. Angehörige ausländischer Streitkräfte auf der Seite des Regimes

Zusätzlich zu den lokalen Pro-Regime-Milizen gibt es va. seit 2013 einen stetigen Zustrom ausländischer schiitisch-islamistischer Kämpfer, die vom Iran und den mit ihm verbündeten regionalen paramilitärischen Gruppen unterstützt und trainiert werden. Der Iran führt eine Koalition von beinahe 30.000 Kämpfern. Sie bestehen aus mindestens 7000 iranischen und etwa 20.000 ausländischen Kämpfern, darunter sind 6000 bis 8000 Mann der libanesischen Hizbollah, 4000 bis 5000 irakische schiitische Milizionäre und 2000 bis 4000 afghanische schiitische Kämpfer. Diese Zahlen enthalten jedoch nicht die lokalen paramilitärischen Gruppen, die vom Iran in Syrien unterstützt werden. Diese Koalition stellt einen unverhältnismäßigen Anteil der einsatzfähigen Infanterie, die in größeren Operationen zu Gunsten der Regierung eingesetzt wird. Der Iran hat eine hoch entwickelte Infrastruktur aufgebaut, um diese Einheiten zu trainieren, auszurüsten, zu verwalten und in der Region seinen eigenen strategischen Prioritäten entsprechend einzusetzen. Iranische Einheiten übernahmen wichtige Operationen, was zu „Säuberungen, Exekutionen und Versetzungen“ von niedrigrangigen syrischen Offizieren führte und auch ranghöhere Offiziere betraf, die sich gegen die Ausweitung des iranischen Einflusses wehrten.

Russland zählt ebenfalls zu den Verbündeten Asads und unterstützt die syrische Regierung militärisch, so auch mit fortschrittlicher Waffentechnologie, Unterstützung der syrischen Luftwaffe und russischen Spezialeinheiten.

1.1.5. Folter und unmenschliche Behandlung

Willkürliche Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch die Einheiten der Regierung sind weit verbreitet und systemisch in Syrien und geschehen zudem in einem Klima der Straflosigkeit. Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren. Folter und andere Misshandlungen nutzt das Regime schon seit Jahrzehnten, um Widerstand zu unterdrücken. Das Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten. Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch Minderjährigen sind weit verbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt. Manche Folteropfer werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind oder weil sie nicht als ausreichend regimetreu wahrgenommen werden. Mitglieder bewaffneter Gruppen werden auch Opfer von Folter. Das syrische Regime stellt falsche Totenscheine aus, offenbar um die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern.

Rebellengruppen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von tatsächlich oder vermeintlich Andersdenkenden und Rivalen. Manche oppositionelle Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie seien Mitglieder regierungstreuer Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, um Informationen oder Geständnisse zu erlangen, oder als Bestrafung oder Zwangsmittel. Auch Daesh misshandelt, foltert und bestraft Menschen brutal. Er bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, auch Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen.

Berichten zufolge begehen die Konfliktparteien Kriegsverbrechen und andere schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechte, einschließlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit, allerdings ist Straflosigkeit weit verbreitet, sodass die Zivilbevölkerung die Hauptlast des Konflikts zu tragen hat. Die Situation in Syrien ist als „Abschlachtung, kompletter Verlust jeglicher Menschlichkeit, Gipfel des Horrors“ bezeichnet worden.

1.1.6. Korruption

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International lag Syrien 2015 auf Platz 173 von 176 untersuchten Ländern. Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für Korruption vor, die Regierung hat die Regelungen jedoch nicht effektiv durchgesetzt. Beamte üben regelmäßig korrupte Praktiken aus, ohne dafür bestraft zu werden. Korruption ist ein allgegenwärtiges Problem bei Polizei, Sicherheitskräften, Regierung und anderen Behörden. Milizen verlangen zB Bestechungsgelder für das Passieren von Straßensperren, die sie kontrollieren. In der syrischen Armee gibt es eine Tradition der Bestechung, und es ist möglich, durch Bestechung eine bessere Position oder einfachere Aufgaben zu erhalten. Korruption war bereits vor dem Bürgerkrieg weit verbreitet und beeinflusste das tägliche Leben der Syrer. Bürger müssen häufig Bestechungsgelder zahlen, um bürokratische Angelegenheiten abschließen zu können. Seit der Krieg ausgebrochen ist, vermeiden Syrer, die Verfolgung durch den Staat befürchten, den Kontakt zu offiziellen Institutionen. Stattdessen müssen sie – zB im Falle wichtiger Dokumente – auf den Schwarzmarkt zurückgreifen. Rebellen, Daesh und kurdische Einheiten erpressen ebenfalls Unternehmen und konfiszieren privates Eigentum in unterschiedlichem Ausmaß.

1.1.7. Allgemeine Menschenrechtslage

1.1.7.1. Es wird geschätzt, dass seit dem Beginn der Revolution 2011 bis Mitte 2017 etwa 475.000 Personen getötet worden sind. Regimeeinheiten führten weiterhin willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter an Häftlingen durch, von denen viele in Haft starben. Das Regime und seine Verbündeten führten willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten durch. Sie führten Angriffe mit Fassbomben, Artillerie und Mörsern und Luftangriffe auf zivile Wohngebiete, Schulen, Märkte und medizinische Einrichtungen durch, was zu zivilen Opfern führte. Die staatlichen Sicherheitskräfte halten Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. – Lang anhaltende Belagerungen durch Regierungskräfte führen dazu, dass der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Lebensmittel, ärztliche Betreuung und andere lebenswichtige Dinge vorenthalten werden. Außerdem werden Zivilisten beschossen bzw. angegriffen.

Auch aufständische Gruppen begehen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Festnahmen, Folter und Exekutionen von Leuten, die als politisch Andersdenkende wahrgenommen werden, und an Rivalen. Daesh begeht systematische und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, die auch auf Zivilisten abzielen. Mädchen und Frauen werden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen, Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, werden sexuell versklavt. Frauen erleben willkürliche und schwere Bestrafungen, auch Hinrichtungen durch Steinigung. Frauen und Männer werden bestraft, wenn sie sich nicht den Vorstellungen des Daesh entsprechend kleiden.

Daesh-Kämpfer richten gefangengenommene Zivilpersonen, Regierungssoldaten, Angehörige rivalisierender bewaffneter Gruppen sowie Medienschaffende hin.

Syrische Kinder sind auch hinsichtlich Kinderehen gefährdet.

1.1.7.2. Todesstrafe

Die Todesstrafe ist für verschiedene Verbrechen in Kraft. Zahlreiche Todesurteile wurden durch das Anti-Terrorgericht und Militärgerichte oftmals in mangelhaften Gerichtsverfahren verhängt.

1.1.7.3. Religionsfreiheit

In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, die Verfassung sieht jedoch vor, dass der Präsident Muslim sein muss.

Die Religionszugehörigkeit einer Person wird nicht auf der Identitätskarte vermerkt, muss jedoch beim Zivilregister registriert werden. Es ist nicht möglich, „keine Religion“ zu haben. Das Gesetz schränkt Missionierung und Konversionen ein. Es verbietet die Konversion vom Islam zu anderen Religionen, erkennt die Konversion zum Islam jedoch an. Das Strafgesetz verbietet auch „das Verursachen von Spannungen zwischen religiösen Gemeinschaften“. Ein zum Islam konvertierter Erwachsener kann nicht zu seinem ursprünglichen Glauben zurück konvertieren.

Nach Schätzungen der US-Regierung stellen die Sunniten 74 % der Bevölkerung. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Schiiten, machen zusammen 13 % aus, die Drusen 3 %. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10 %. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jeziden. Diese Zahl könnte auf Grund des Zuzugs von Jeziden, die aus dem Irak nach Syrien geflüchtet sind, mittlerweile höher sein.

Am Beginn des Konfliktes waren Angriffe auf Minderheiten kein zentraler Bestandteil des Krieges. Die Handlungen des Regimes haben jedoch dazu beigetragen, dass die konfessionelle Dimension des Konfliktes eskaliert ist.

Die syrische Regierung und die mit ihr verbündeten schiitischen Milizen töten, verhaften und misshandeln Sunniten und Mitglieder bestimmter Minderheiten physisch, als Teil der Bemühungen, den bewaffneten Aufstand oppositioneller Gruppen niederzuschlagen. Das Regime wandte Taktiken an, die darauf abzielten, die extremsten Elemente der sunnitisch-islamistischen Opposition zu stärken, um den Konflikt dahingehend zu formen, dass er als ein solcher gesehen wird, in dem eine religiös moderate Regierung einer religiös extremistischen Opposition gegenübersteht. Die Revolution wurde somit mit der sunnitischen Bevölkerung assoziiert, die Regierung zielte auf Städte und Wohngegenden mit Belagerung, Beschuss und Luftangriffen auf Basis der Religionszugehörigkeit der Bewohner ab. Während sich Rebellen in Stellungnahmen und Veröffentlichungen ausdrücklich als sunnitische Araber oder sunnitische Islamisten identifizieren und eine Unterstützerbasis haben, die fast nur aus Sunniten besteht, und dadurch das Abzielen der Regierung konfessionell motiviert erscheint, merkten Beobachter jedoch an, dass es zweifellos auch andere Motivationen für die Gewalt gab. Experten argumentierten, dass Gewalt auf beiden Seiten oft religiös motiviert sei. Auch Daesh ist für Menschenrechtsverletzungen Sunniten gegenüber verantwortlich. Dies führte dazu, dass manche Mitglieder religiöser Minderheiten die Regierung Präsident Asads als ihren einzigen Beschützer gegen gewalttätige sunnitisch-arabische Extremisten sehen. Gleichzeitig sehen sunnitische Araber viele der syrischen Christen, Alawiten und Schiiten auf Grund ihrer fehlenden Unterstützung oder Neutralität gegenüber der syrischen Revolution als Verbündete der syrischen Regierung an. Die Minderheiten sind zwischen den konfessionellen Spannungen gefangen und in ihrer Loyalität gespalten. Viele entschieden sich dafür, das Regime zu unterstützen, da sie sich Schutz durch die syrische Regierung erhoffen, während andere Mitglieder von Minderheiten auf der Seite der Opposition stehen. Die alawitische Gemeinde, zu der Bashar al-Asad gehört, genießt einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär. Nichtsdestoweniger werden auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer willkürlicher Verhaftungen, von Folter, Haft und Mord durch die Regierung. Alawitische Gemeinden und schiitische Minderheiten werden außerdem zu Opfern von Angriffen aufständischer extremistischer Gruppen.

Infolge des Aufstiegs und der Verbreitung extremistischer bewaffneter Gruppen seit 2014 werden Minderheiten vermehrt Menschenrechtsverletzungen durch deren Kämpfer ausgesetzt. Gruppen wie Daesh oder Jabhat Fatah al-Sham setzen Minderheiten Angriffen und Unterdrückung ihrer Religionsfreiheit aus und bestrafen jene hart, die gegen ihre Kontrolle sind. In Gebieten, die Daesh kontrolliert, wurden Christen gezwungen, eine Schutzsteuer zu zahlen oder zu konvertieren, oder sie liefen Gefahr, getötet zu werden. In Raqqa hielt Daesh Tausende jezidische Frauen und Mädchen gefangen, die im Irak entführt und nach Syrien verschleppt worden waren, um sie zu verkaufen oder an seine Kämpfer als Kriegsbeute zu verteilen.

Jabhat Fatah al-Sham und einige verbündete Rebellengruppen zielen im Norden des Landes mit Bomben und Selbstmordattentaten auf Drusen und Schiiten ab, laut Jabhat Fatah al-Sham eine Reaktion auf das „Massaker an Sunniten“ durch die Regierung. Oppositionelle Gruppen entführen Mitglieder religiöser Minderheiten. Da sich die Motive politischer, ethnischer, konfessioneller und religiöser Gewalt überschneiden, ist es schwierig, Übergriffe als lediglich religiös motiviert zu kategorisieren.

1.1.8. Bewegungsfreiheit

Die steigende Anzahl an Checkpoints der verschiedenen bewaffneten Konfliktparteien, die schweren Kämpfe und die generell unsichere Lage im Land schränken die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung und den Transport lebensnotwendiger Güter stark ein. Das syrische Regime blockiert systematisch Regionen, die von den Rebellen beherrscht werden, die Rebellen und Daesh wenden dieselbe Taktik auf von der Regierung beherrschte Gebiete an. In Gebieten unter ihrer Herrschaft beschränken Daesh und andere Regierungsgegner die Bewegungsfreiheit von Unterstützern der Regierung bzw. von Personen, von denen dies angenommen wird. Dies gilt besonders für die alawitische und schiitische Bevölkerung.

Das syrische Regime setzt Scharfschützen ein, um Sperrstunden durchzusetzen oder Zivilisten an der Flucht aus belagerten Städten zu hindern.

Die syrische Regierung verweigert die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten auf Grund der politischen Einstellung einer Person, ihrer Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert. Das Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum. Über Menschenrechtsaktivisten oder andere Aktivisten der Zivilgesellschaft, deren Familien oder Bekannte werden häufig Ausreiseverbote verhängt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt.

In Gebieten, die von der Opposition kontrolliert werden, funktionieren Institutionen, die Identitätsdokumente ausstellten, nicht mehr. In Gebieten, die von der Regierung beherrscht werden, gibt es diese Institutionen noch, für manche Syrer ist es jedoch unmöglich geworden, sie zu erreichen. So können manche Personen Geburten, Eheschließungen oder Todesfälle nicht mehr eintragen lassen und sich keine neuen Identitätsdokumente ausstellen lassen. Infolge des Bürgerkrieges sind auch die Kontrollmaßnahmen schwächer geworden. So werden „echte“ Dokumente mit falschen Namen oder geänderten Informationen ausgestellt. Außerdem werden vermehrt gefälschte Dokumente benutzt.

1.1.9. Grundversorgung und Wirtschaft

Die syrische Wirtschaft verschlechtert sich weiterhin im Zuge des Konfliktes und schrumpfte zwischen 2010 und 2016 um mehr als 70 %.

Aktuelle Wirtschaftsdaten sind praktisch nicht verfügbar oder sehr mit Vorsicht zu beurteilen. Der fehlende Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Unterkunft und Nahrung verschärfte die Auswirkungen des Konfliktes weiter und drängte Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit und Armut. Die Hauptursachen der Armut sind der Verlust von Eigentum und Arbeitsplatz, der Verlust des Zugangs zu grundlegenden Leistungen, einschließlich solchen des Gesundheitswesens, und zu sauberem Wasser sowie steigende Lebensmittelpreise. 2015 lebten 83,4 % der Syrer unter der Armutsgrenze, 50 % in extremer Armut. 13,5 Mio. Menschen sind in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Das Bildungssystem wurde durch die Beschädigung von Einrichtungen und die Nutzung von Schulen als militärische Einrichtungen stark beeinträchtigt. Fast 1,75 Mio. Kinder erhalten keine Schulbildung, 7400 Schulen, also etwa ein Drittel der Schulen landesweit, wurden beschädigt, zerstört oder anderweitig unzugänglich.

1.1.10. Medizinische Versorgung

Die Gesundheitsversorgung hat sich in Syrien durch den andauernden Konflikt dramatisch verschlechtert. Eine ausreichende Versorgung kann nur in einigen vom Regime gehaltenen Gebieten sichergestellt werden, doch auch hier kann es zu gravierenden Einschränkungen kommen.

1.1.11. Frauen

Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander: von extremer Diskriminierung, sexueller Versklavung und erdrückenden Verhaltens- und Kleidungsvorschriften in Gebieten des Daesh bis zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter der PYD, wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt und Frauen in der Politik und im Militärdienst gut vertreten sind.

Vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte. Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den andauernden Konflikt dramatisch. In oppositionellen Gebieten, die von radikal-islamistischen Gruppen beherrscht werden (zB in Idlib), sind Frauen besonders eingeschränkt. Extremistische Gruppen wie Daesh oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Frauen diskriminierenden Beschränkungen aus.

Alleinstehende Frauen sind auf Grund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt, jedoch hängt dies von der sozialen Schicht und der Position der Frau bzw. ihrer Familie ab.

Der Zugang alleinstehender Frauen zu Dokumenten hängt von ihrem Bildungsgrad, der individuellen Situation und den bisherigen Erfahrungen ab. So werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können.

1.1.12. Rückkehr

Laut der International Organization for Migration (IOM) sind zwischen Jänner und Juli 2017 602.759 vertriebene Syrer in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. 93 % davon waren Binnenvertriebene, 7 % kehrten aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak nach Syrien zurück.

Nach Schätzungen des Flüchtlingshochkommissärs sind 2017 über 600.000 Binnenvertriebene in ihre syrischen Herkunftsgebiete zurückgekehrt. Allerdings ist nicht bekannt, wie viele daraufhin ein weiteres Mal vertrieben wurden. Zwischen Jänner und Mitte September 2017 hat der Flüchtlingshochkommissär die Rückkehr von 57.000 syrischen Flüchtlingen aus Nachbarländern dokumentiert. Die Rückkehr von Flüchtlingen ist ua. darauf zurückzuführen, dass sie nach Familienangehörigen suchen und sich um ihr zurückgelassenes Eigentum kümmern möchten und dass syrische Flüchtlinge in den Aufnahmeländern mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, zB mit eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten, untragbaren Lebenshaltungskosten und kostspieliger medizinischer Versorgung. Außerdem kehren einige Flüchtlinge möglicherweise nur für einen kurzen Zeitraum zurück, um die Lage zu beurteilen, bevor sie entscheiden, ob es sicher und praktikabel ist, ihre Familien aus den Asylstaaten wieder in die Heimat zu bringen. In vielen Rückkehrgebieten ist es ungewiss, ob die Verbesserungen der Sicherheitslage dauerhaft gewährleistet sind.

Länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (zB illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen.

Nach dem Gesetz Nr. 18/2014 müssen Personen, die das Land ohne einen gültigen Reisepass, ohne die erforderliche Genehmigung oder über einen unzulässigen Grenzübergang verlassen oder betreten, mit Gefängnis oder einer Geldstrafe rechnen, die von den Umständen des Falles abhängt. Es ist unklar, ob dieses Gesetz tatsächlich angewandt wird und ob Rückkehrer auf Grund dieses Gesetzes verfolgt worden sind. Einer (behördlichen) Genehmigung bedürfen Beamte, Karrieresoldaten und Männer zwischen 18 und 42 Jahren.

Im Zuge der Militäroperationen zur Wiedereroberung zentraler Gebiete Syriens versucht die Regierung, neue Verhältnisse zu schaffen, indem sie Stadtplanungsgesetze ändert. Das Gesetz Nr. 10, das Präsident Asad am 2.4.2018 verkündete, erlaubt den Behörden, Zonen innerhalb ihrer Verwaltungsgrenzen für Entwicklung und Wiederaufbau vorzusehen und Immobilienentwicklungsgesellschaften zu gründen, welche die Planung und Durchführung solcher Projekte überwachen. Es ermöglicht die Enteignung von Flüchtlingen, denn nach dem Gesetz fallen alle Grundstücke, Wohnungen und Häuser dem syrischen Staat zu, wenn die Besitzer nicht binnen eines Monats (beginnend mit 11.4.2018) Besitzurkunden bei der neu installierten Behörde vorlegen können. Personen, die ihren Besitz beanspruchen können, erhalten Aktien der neu eingerichteten Immobiliengesellschaften, die dem geschätzten Wert ihres Besitzes entsprechen. Auf Grund der aktuellen Konfliktsituation ist es wahrscheinlich, dass der geschätzte Wert weit niedriger als der tatsächliche Marktwert ist. Das Gesetz hat ua. den Zweck, zuvor oppositionelle Gebiete in strategisch wichtigen Gegenden mit loyalen Personen zu besiedeln und so die Entstehung potentieller zukünftiger Herde des Widerstandes zu verhindern.

1.2. Die Beschwerdeführerin ist syrische Staatsangehörige und am XXXX geboren. Sie gehört der ethnischen Gruppe der Araber an und ist sunnitische Muslimin; ihre Muttersprache ist Arabisch. Sie hält sich seit dem Winter 2015 in Österreich auf. Sie hat Syrien mit ihrer Mutter wegen der unsicheren Lage auf Grund des Krieges verlassen.

Die Beschwerdeführerin hat sich – vertreten durch ihre Mutter – im Verfahren nur auf die Verfolgungsgründe ihrer Mutter berufen und keine eigenen Verfolgungsgründe behauptet bzw. nur jene der Mutter auf sich bezogen. (So gab die Mutter bei ihrer Befragung an, ihre Angaben gölten auch für die Beschwerdeführerin.) Wie sich aus dem Erkenntnis ergibt, das über die Beschwerde der Mutter gegen den sie betreffenden Bescheid ergeht, werden die Fluchtgründe, die sie vorgebracht hat, den Feststellungen nicht zugrundegelegt: dass sie nämlich wegen ihrer Ehe mit einem Mann, der im Zuge eines Gefechts oder Überfalls auf Kafar Batna getötet wurde und welcher der Opposition zugerechnet worden sei, belästigt und zur Zusammenarbeit mit dem Regime verhalten worden sei. Das Bundesverwaltungsgericht geht auch nicht davon aus, dass der Mutter der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Syrien wegen ihrer illegalen Ausreise oder der Asylantragstellung in Österreich Verfolgung drohe oder dass sie als alleinstehende Frau asylrelevant gefährdet wäre.

2. Beweiswürdigung:

Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Lage in Syrien beruhen auf dem Bericht des Bundesamtes (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation) und auf den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (November 2017). Auf den „Erwägungen“ beruhen ua. die Feststellungen über Verbrechen der syrischen Konfliktparteien (letzter Absatz des Abschnitts über „Folter und unmenschliche Behandlung“; S 16 f. der „Erwägungen“). Der Bericht des United States Department of State 2017 stützt diese Feststellungen.

Die Feststellungen zur „Rückkehr“ beruhen – neben dem Bericht des Bundesamtes – auf den „Erwägungen“ des Flüchtlingshochkommissärs (S 28; zweiter Absatz des Abschnitts) und auf seiner Information (UNHCR, Relevant Country of Origin Information ..., S 3 f.; vorletzter Absatz des Abschnitts).

Der Bericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 13.11.2018 stützt diese Feststellungen, auf ihm beruhen Feststellungen über die jüngste Entwicklung.

Alle zitierten Unterlagen, auf denen diese Feststellungen beruhen, stammen von angesehenen Einrichtungen, sodass keine Bedenken dagegen bestehen, sich darauf zu stützen; sie stützen sich ihrerseits auf die Berichte zahlreicher anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen.

2.2.1. Die Feststellungen zur ethnischen Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin, zu ihrer Religion und zu ihrer Muttersprache stützen sich auf die glaubwürdigen Angaben ihrer Mutter.

2.2.2. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin Syrien wegen der allgemein unsicheren Situation auf Grund des Krieges verließ, beruht auf den Angaben ihrer Mutter. Das Bundesverwaltungsgericht folgt deren weiteren Angaben zu ihren Fluchtgründen nicht; die Gründe dafür sind im Erkenntnis, das ihre eigene Beschwerde betrifft, dargelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.1. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idF des Art. 2 FNG-Anpassungsgesetz BGBl. I 68/2013 und des BG BGBl. I 144/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.

3.1.2. Das vorliegende Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG 2005 zu führen.

3.2. Gemäß § 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Art. 1 BG BGBl. I 33/2013 (in der Folge: VwGVG), idF BG BGBl. I 122/2013 ist das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits kundgemacht waren, unberührt. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG – wie die vorliegende – das AVG mit Ausnahme seiner §§ 1 bis 5 und seines IV. Teiles, die Bestimmungen weiterer, hier nicht relevanter Verfahrensgesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, welche die Verwaltungsbehörde in jenem Verfahren angewandt hat oder anzuwenden gehabt hätte, das dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangen ist. Dementsprechend sind im Verfahren über die vorliegende Beschwerde Vorschriften des AsylG 2005 und des BFA-VG anzuwenden.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht – und somit auch das Bundesverwaltungsgericht – über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Verwaltungsbehörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde „unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens“ widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Verwaltungsbehörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BGBl. I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine andere als die Zuständigkeit des Einzelrichters ist für die vorliegende Rechtssache nicht vorgesehen, daher ist der Einzelrichter zuständig.

Zu A)

1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 Nr. L 337/9 [Statusrichtlinie – Neufassung] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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