TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/26 W163 2201148-2

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Veröffentlicht am 26.11.2020
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Entscheidungsdatum

26.11.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VVG §5
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W163 2201148-2/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Nepal, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.08.2018, Zahl XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.       Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein nepalesischer Staatsangehöriger, reiste am 20.10.2006 unrechtmäßig in Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG). Dabei gab er an, am 01.07.1984 geboren zu sein.

2.       Mit Bescheid des Bundesasylamtes (in der Folge BAA) vom 09.07.2007 wurde dieser Antrag gemäß §§ 3 und 8 AsylG abgewiesen und der BF gemäß § 10 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nepal ausgewiesen.

3.       Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 21.07.2011 als unbegründet ab.

4.       Am 24.09.2014 stellte der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 56 Abs. 1 AsylG.

5.       Mit „Bescheid“ vom 07.09.2015, Zahl 390360904-140002351/BMI-BFA, wies das BFA den Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG ab.

6.       Die dagegen eingebrachte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Erkenntnis vom 16.11.2017, GZ: W222 1313691-2/5E als unzulässig zurück, da mangels einer Unterschrift durch den genehmigungsberechtigten Organwalter kein Bescheid vorgelegen sei.

7.       Mit Bescheid des BFA vom 08.05.2018 wurde dem BF aufgetragen, gemäß § 46 Abs. 2a und 2b FPG zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments mitzuwirken, im Konkreten habe er binnen sieben Tagen ab Zustellung das beigelegte Formblatt zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates mit seinen richtigen Identitätsdaten komplett auszufüllen und an das BFA zu übermitteln. Wenn er diesem Auftrag ohne wichtigen Grund (Krankheit, Behinderung, andere wichtige Gründe) nicht Folge leiste, müsse er damit rechnen, dass eine Haftstrafe von 14 Tagen verhängt werde (Spruchpunkt I.) In Spruchpunkt II. wurde eine aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 13 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) ausgeschlossen.

8.       Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde durch das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 13.06.2018, GZ: W191 1313691-3/3E, hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich des Spruchpunktes II. wurde der Beschwerde stattgegeben und dieser gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ersatzlos behoben.

9.       Mit „Bescheid über Zwangsstrafe“ des BFA vom 27.06.2018, Zl. XXXX wurde gemäß § 5 VVG über den BF die für den Fall der Nichterfüllung angedrohte Haftstrafe von 14 Tagen verhängt.

10.      Mit Bescheid des BFA vom 12.06.2018, Zl. 390360904-140002351/BMI-BFA, wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK vom 24.09.2014 gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemß § 46 FPG nach Nepal zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde als Frist für die freiwillige Ausreise vier Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV).

11.      Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde war beim Bundesverwaltungsgericht unter der GZ: W169 2201148-1 anhängig.

12.      Am 29.06.2018 wurde der BF vor dem BFA im Verfahren zur Erlassung eines Mitwirkungsbescheides niederschriftlich einvernommen.

13.      Mit Bescheid des BFA vom 29.06.2018, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, binnen fünf Tagen ab Zustellung das vorgelegte Formblatt zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates mit den richtigen Identitätsdaten komplett auszufüllen und dem BFA zu übermitteln, widrigenfalls über ihn eine Haftstrafe von 21 Tagen verhängt wird (Spruchpunkt I.) Der Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt II.) Der Bescheid wurde dem BF am 29.06.2018, um 09.40 Uhr zugestellt und war vollstreckbar.

14.      Mit „Bescheid über Zwangsstrafe“ des BFA vom 05.07.2018, Zl. XXXX , wurde gemäß § 5 VVG über den BF die für den Fall der Nichterfüllung angedrohte Haftstrafe von 21 Tagen verhängt.

15.      Am 27.07.2018 wurde der BF vor dem BFA im Verfahren zur Erlassung eines Mitwirkungsbescheides niederschriftlich einvernommen.

16.      Mit Bescheid des BFA vom 27.07.2018, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, binnen fünf Tagen ab Zustellung das vorgelegte Formblatt zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates mit den richtigen Identitätsdaten komplett auszufüllen und dem BFA zu übermitteln, widrigenfalls über ihn eine Haftstrafe von 28 Tagen verhängt wird (Spruchpunkt I.) Der Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt II.) Der Bescheid wurde dem BF am 27.07.2018, 13.30 Uhr zugestellt und war vollstreckbar.

17.      Mit verfahrensgegenständlichem „Bescheid über Zwangsstrafe“ des BFA vom 02.08.2018, Zl. XXXX , wurde gemäß § 5 VVG über den BF die für den Fall der Nichterfüllung angedrohte Haftstrafe von 28 Tagen verhängt.

18.      Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 23.08.2018 eine mündliche Verhandlung durch, zu der der BF aus der Beugehaft vorgeführt wurde. An der Verhandlung nahmen der bevollmächtigte Vertreter des BF und ein Vertreter der belangten Behörde teil.

19.      Im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündete das Bundesverwaltungsgericht das Erkenntnis und erfolgte die schriftliche Ausfertigung am 28.11.2018, GZ W163 2201148-2/10E.

20.      Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhob der bevollmächtigte Vertreter des BF Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

21.      Aus Anlass der Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs. 1 Z 1 lit. b B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge „oder durch Haft“ in § 5 Abs. 1 VVG, der Zeichen- und Wortfolgen „,an Haft die Dauer von vier Wochen“ in § 5 Abs. 3 VVG sowie des § 6 Abs. 2 VVG. Mit Erkenntnis vom 07.10.2010, G 164/2020 ua., hob der Verfassungsgerichtshof die in Prüfung gezogenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf.

22.      Mit Erkenntnis vom 07.10.2020, E 76/2019-29, hob der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.08.2018 wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes auf. Damit ist das Beschwerdeverfahren gegen den im Spruch genannten Bescheid beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die Beschwerde erwogen:

2.1. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem unbedenklichen und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und der Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts.

2.2. Rechtliche Beurteilung:

2.2.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Gemäß § 1 VwGVG regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

2.2.2. Zu Spruchteil A)

Gemäß Art 140 Abs. 7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte (siehe VwGH vom 18.05.2020, Ra 2018/15/0121, mit Verweis auf VwGH 28.04.2011, 2010/15/0182).

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid auf die aufgehobene Gesetzesbestimmung gestützt und war dies der Anlassfall für die Aufhebung der Gesetzesbestimmung. Nach dem oben Gesagten lag für den angefochtenen Bescheid daher keine gesetzliche Grundlage vor und war dieser ersatzlos zu beheben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides ist eine Entscheidung in der Sache selbst (vgl. E 25. März 2015, Ro 2015/12/0003). Als verfahrensrechtliche Grundlage für eine solche Entscheidung ist im Spruch daher § 28 Abs. 1 und Abs. 2 (bzw. Abs. 3 Satz 1) VwGVG 2014 zu nennen. § 28 Abs. 5 VwGVG 2014 regelt hingegen nur die Rechtsfolgen von Bescheidaufhebungen durch das VwG und bietet keine eigenständige Rechtsgrundlage für die Aufhebung selbst, sei es nach § 28 Abs. 3 Satz 2 und 3 (oder Abs. 4) VwGVG 2014, sei es nach § 28 Abs. 1 und 2 oder Abs. 3 Satz 1 VwGVG 2014 (VwGH 04.08.2016 2016/21/0162).

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben ist.

2.2.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht wich nicht von der wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die auf § 46 FPG übertragbar war, ab.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung Rechtsgrundlage Rechtswidrigkeit Zwangsstrafe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W163.2201148.2.00

Im RIS seit

10.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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