Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Mag. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 4. Juni 1996, Zl. MA 65-8/210/96, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, vom 7. März 1996 wurde gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die dem Beschwerdeführer am 13. Jänner 1966 für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B erteilte Lenkerberechtigung entzogen. Gemäß § 73 Abs. 3 KFG 1967 wurde die Zeit, für die die Lenkerberechtigung entzogen wurde mit zwei Wochen, gerechnet ab Zustellung des Bescheides festgesetzt. Weiters wurde verfügt, daß der Beschwerdeführer binnen drei Tagen ab Zustellung des Bescheides den Führerschein abzugeben habe. Ferner wurde gemäß § 14 der Betriebsordnung für den nichtlinienmäßigen Personenverkehr 1994 ausgesprochen, daß der Ausweis des Beschwerdeführers als Lenker eines Platzkraftwagens (Taxi) ungültig geworden sei und dem Beschwerdeführer aufgetragen, ihn unverzüglich abzuliefern. Einer allfälligen Berufung gegen den Bescheid wurde die aufschiebende Wirkung gemäß § 64 Abs. 2 AVG aberkannt.
Mit dem nun angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 4. Juni 1996 wurde der vom Beschwerdeführer dagegen eingebrachten Berufung keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 gilt als bestimmte, die Verkehrsunzuverlässigkeit der betreffenden Person nach sich ziehende Tatsache, wenn jemand im Ortsgebiet die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 km/h überschritten hat und die Überschreitung mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt wurde. Gemäß § 73 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. ist bei der erstmaligen Begehung einer Übertretung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. i leg. cit., sofern die Übertretung nicht unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begangen worden ist, die Zeit, für welche keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf (§ 73 Abs. 2), mit zwei Wochen festzusetzen. Eine Entziehung der Lenkerberechtigung auf Grund des § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 darf erst ausgesprochen werden, wenn das Strafverfahren wegen der Geschwindigkeitsübertretung in erster Instanz durch Strafbescheid abgeschlossen ist.
Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im wesentlichen damit, daß die Behörde erster Instanz angeführt habe, daß der Beschwerdeführer "angezeigt" worden sei, weil er am 27. Juli 1995 um 19.27 Uhr in Wien 9, Hörlgasse, zwischen dem Schlickplatz und dem Rooseveltplatz, als Lenker eines nach dem Kennzeichen bestimmten Motorrades die innerhalb des Ortsgebietes zulässige Höchstgeschwindigkeit um 46 km/h überschritten hätte; die Geschwindigkeitsmessung sei durch Nachfahren unter Einhaltung eines gleichbleibenden Abstandes mit dem "Dienstkrad" durch Ablesen der Fahrgeschwindigkeit vom Tachometer erfolgt. Wegen dieser Verkehrsübertretung sei der Beschwerdeführer mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 16. Feber 1996 nach § 99 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit § 20 Abs. 2 StVO 1960 bestraft worden. Da somit ein in erster Instanz durch Strafbescheid abgeschlossenes Strafverfahren wegen Geschwindigkeitsübertretung vorliege und sich die Maßnahme gemäß § 73 Abs. 3 KFG 1967 "ausschließlich am Ausgang des Strafverfahrens in erster Instanz zu orientieren" habe, sei die Entziehung der Lenkerberechtigung (durch die Erstbehörde) zu Recht erfolgt.
Bereits mit diesen Erwägungen hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Sie geht von einer von der Erstbehörde erwähnten "Anzeige" des Beschwerdeführers wegen angeblicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet von 50 km/h um 46 km/h aus. Die Erstbehörde ihrerseits hatte ihrer Entscheidung allein die durch erstinstanzliches Straferkenntnis erfolgte Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO 1960 zugrundegelegt. Schon die Erstbehörde führte nicht aus, auf Grund welcher konkreten Beweisergebnisse sie zu dem Ergebnis gelangte, daß der Beschwerdeführer die Höchstgeschwindigkeit "um mehr als 40 km/h" überschritten habe. Es ist daher nicht aktenwidrig, wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid angibt, daß die Behörde erster Instanz "angeführt" habe, der Beschwerdeführer sei "angezeigt" worden, die höchstzulässige Geschwindigkeit um 46 km/h überschritten zu haben, weil die Behörde erster Instanz in ihrem Bescheid vom 7. März 1996 eine "Anzeige" nicht erwähnte, sondern ausschließlich auf die Bestrafung abstellte. Die belangte Behörde unterläßt es aber, von dem Hinweis auf die "Anzeige" abgesehen, festzustellen, welche vom Beschwerdeführer im konkreten eingehaltene Geschwindigkeit sie der Entziehungsmaßnahme zugrundegelegt hat und wie sie zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Geschwindigkeitsmessung "durch Nachfahren unter Einhaltung eines gleichbleibenden Abstandes mit dem Dienstkrad" erfolgt sei. Wenn sie im angefochtenen Bescheid die Auffassung vertrat, daß sie sich "ausschließlich am Ausgang des Strafverfahrens erster Instanz zu orientieren" habe, hat sie damit offensichtlich die Bestimmung des § 73 Abs. 3 letzter Satz KFG 1967 mißverstanden. Damit wird lediglich angeordnet, daß eine Entziehungsmaßnahme einen (wenn auch noch nicht rechtskräftigen) erstinstanzlichen Strafbescheid voraussetzt, nicht jedoch dessen Bindungswirkung, und schon gar nicht hinsichtlich des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung, normiert.
Schon aus diesen Erwägungen hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war. Mit der Aufhebung des Ausspruches betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung verbleibt auch kein Raum mehr für den Ausspruch betreffend Ungültigkeit bzw. Ablieferung des Taxilenkerausweises des Beschwerdeführers. Daß mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 12. Juni 1996 das erstinstanzliche Straferkenntnis wegen Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO 1960 durch erhebliche Herabsetzung des Strafausmaßes abgeändert wurde, weil die Beweislage für die von der Erstinstanz angenommene hohe Geschwindigkeitsüberschreitung unzureichend sei, muß im Hinblick auf die vorgenannten Erwägungen nicht mehr berücksichtigt werden.
Abschließend ist im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, die von ihm eingehaltene Fahrgeschwindigkeit sei nicht mit einem "technischen Hilfsmittel" festgestellt worden, folgendes zu bemerken: Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1997, Zl. 96/11/0279), handelt es sich unter anderem auch bei einem Tachometer eines Dienstfahrzeuges um ein technisches Hilfsmittel im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967. Der Gesetzgeber wollte offensichtlich mit der Regelung betreffend das "technische Hilfsmittel" verhindern, daß eine bloße Schätzung mit freiem Auge, wie sie unter bestimmten Voraussetzungen in einem Verwaltungsstrafverfahren als Beweismittel ausreicht, auch in einem Entziehungsverfahren zum Tragen kommt, wird doch eine Entziehung der Lenkerberechtigung vielfach als noch schwererer Eingriff in die Rechte der Kraftfahrzeuglenker empfunden als eine Verwaltungsstrafe. Der Tachometer des gegenständlichen Dienstmotorrades war offensichtlich nicht geeicht. Die belangte Behörde erwähnt zwar ein "Nachfahren" mit dem Dienstfahrzeug, die näheren Umstände des Nachfahrens blieben jedoch völlig ungeklärt (zur Notwendigkeit diesbezüglicher Feststellungen vgl. unter vielen anderen die hg. Erkenntnisse vom 26. Feber 1992, Zl. 91/03/0292, und vom 23. September 1992, Zl. 92/03/0161). Auch wenn grundsätzlich die Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren mit einem Dienstmotorrad möglich sein kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 1993, Zl. 92/02/0261), ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, daß das Nachfahren mit einem Motorrad mit ungeeichtem Tachometer bei der minimalen Überschreitung der für die Entziehungsmaßnahme relevanten Geschwindigkeit von 90 km/h um 6 km/h (somit bloß um rund 6,6 %) bei Beachtung der bei diesem Schätzvorgang möglichen Unsicherheiten nicht geeignet war, ein verläßliches Ergebnis zu erbringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Feststellen der GeschwindigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996110313.X00Im RIS seit
12.06.2001