TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/7 W257 2184663-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.01.2021
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Entscheidungsdatum

07.01.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W257 2184663-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Herbert MANTLER, MBA, als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Modecenterstraße 22, 1030 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich vom 05.01.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.12.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

1.       Verfahrensgang:

XXXX , geboren XXXX , (Gz: W257 2184663-1, IFA: XXXX , im Folgenden „BF2“ genannt), und sein Bruder XXXX , geboren am XXXX (Gz: W 257 2184662-1, IFA: XXXX , im Folgenden „BF1“ genannt), afghanische Staatsangehörige, reisten illegal in das Bundesgebiet ein und stellten jeweils am 16.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.    Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am nächsten Tag, brachte

BF1 vor, dass er aus Kabul stamme, ledig sei, der Volksgruppe der Tadschiken angehöre, 12 Jahre die Volksschule besucht hätte und 4 Jahre Rechtswissenschaften studiert hätte. Er sei geflohen, weil er als Dolmetscher gearbeitet hätte und von den Taliban deswegen ständig gesucht worden wäre.

BF2 brachte vor, dass er ebenso aus Kabul stamme, ebenso ledig sei und der gleichen Volksgruppe wie sein Bruder angehöre. Er hätte 10 Jahre die Grundschule besucht und sei mit seinem Bruder geflohen, weil sie wegen des Berufs seines Bruders ständig von den Taliban gesucht worden wären.

1.2.    Sie wurden am 27.10.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge „belangte Behörde“, auch BFA genannt) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, in ihrer Muttersprache niederschriftlich einvernommen.

BF1 brachte

1.2.1.  zu seinen sozialen Verhältnissen in Afghanistan vor:

Er hätte 4 Brüder und eine Schwester. Ein Bruder sei mit ihm nach Österreich gekommen. Seine Mutter und seine Schwester würden in Kabul wohnen und von Mieteinnahmen leben. Wo sich die drei Brüder aufhalten, wisse er nicht. Er hätte noch einen Onkel mit drei Söhnen, sowie einen weiteren Onkel mit zwei Söhnen. Auch von denen wisse er nicht wo sie wohnen würden (AS 55, OZ1). Sein Vater sei verstorben.

Er sei in Kabul geboren und hätte 12 Jahre die Schule besucht. Neben der Schule hätte er einen Kurs für Englisch und Deutschkurs absolviert. Den Kurs auf dem Niveau B2 in Deutsch hätte er in Kabul begonnen, jedoch nicht abgeschlossen. Er sei Moslem und Sunnite.

Seine Wohnorte wären gewesen: (i) Bis Anfang 2010 Kabul und einige Monate in Kandarhar, (ii) bis Juli 2012 Uruzgan, (iii) und bis März 2015 in Baram (Air Base) (AS 55, OZ1, BF1).

Von Ende 2010 bis Juli 2012 (AS 54, OZ1) hätte er als Dolmetscher in Uruzgan und Kandarhar für die Amerikaner, Australier, den Slowaken und den Deutschen gearbeitet (AS 52, OZ1, BF1). Im Juli 2012 sei er von Uruzgan weggegangen und hätte seitdem bis März 2015 an dem Projekt „Reparatur von Toiletten im Gefängnis in Air Base/Bagram“ gearbeitet.

1.2.1.1. BF1 brachte zu seinem Fluchtgrund,

dass er von den Taliban bedroht worden sei. Sie hätten gewusst wo er arbeiten würde. Das erste Mal hätte das Camp einen Anruf bekommen und sie hätten auch einen Drohbrief erhalten. Der zweite Drohbrief wäre im März 2015 an die Eltern nach Kabul gesandt worden, darin er und sein Bruder namentlich erwähnt worden wären. Die Taliban hätten sie als Feinde angesehen, weil sie mit den Amerikanern zusammengearbeitet hätten. Er hätte sich auch 2014 bei den Amerikanern für das Ausreiseprogramm der Dolmetscher angemeldet, doch würde die Ausreise zu lange dauern.

Der erste Vorfall wäre nicht direkt an ihn adressiert worden, sondern der Drohbrief wäre an alle Dolmetscher im Camp gerichtet gewesen. Der zweite Brief hätte seine Mutter in Kabul zuhause entdeckt, er wäre zu dieser Zeit in Bragram gewesen. Sein Bruder wäre zu dieser in Kabul als Verkäufer arbeiten gewesen. Er wäre von seiner Mutter telefonisch von dem Brief verständigt worden.

1.2.1.2. Er brachte zu seiner (Un)möglichkeit nach Afghanistan zurückzukehren folgendes vor:

Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil er dort sofort getötet werden würde (AS 59, OZ1, BF1).

1.2.2.  BF2 brachte

1.2.2.1. zu seinen sozialen Verhältnissen in Afghanistan vor:

das er 24 Jahre alt sei und 12 Jahre in Kabul die Schule besucht hätte. Er sei ebenso Tadschike und sunnitischer Moslem. Er hätte den Beruf des Installateurs gelernt und hätte von 2011 bis 2012 gearbeitet. Von 2012 bis zur Ausreise im März 2015 wäre er Straßenverkäufer gewesen. er hätte von 2011 bis 2012 in Herat gewohnt. Er sei ledig und hätte keine Sorgepflichten. Sein Vater sei gestorben, er hätte noch eine Mutter drei Schwestern und vier Brüder. Einer sei mit ihm hier in Österreich, die anderen Brüder wohnen in Kabul (AS 109, OZ1, BF2). Er hätte aber keinen Kontakt mehr zu ihnen. Sie seien am 15.02.2015 mit einem Drohbrief bedroht worden, seitdem hätte er den Beschluss gefasst, Afghanistan zu verlassen.

Er hätte ca 14.000.- bis 15.000 USD für die Reise nach Europa bezahlt. Er hätte einmal im Monat mit seiner Mutter Kontakt.

1.2.2.2.  BF2 brachte zu seinem Fluchtgrund vor,

1.2.3.  dass sein Bruder von 2011 bis Ende 2012 als Dolmetscher gearbeitet hätte. Das erste Mal wären alle Dolmetscher in dem Camp bedroht worden. Sie hätten das Camp danach nicht mehr verlassen dürfen. In der Nacht zum 15.02.2015 hätten sie zuhause in Kabul einen Drohbrief erhalten. Die Schwester hätte den Brief vorgelesen. Das Leben sei danach nicht mehr wie früher gewesen und sie hätten sich entschlossen Afghanistan zu verlassen. Er kenne den Inhalt des Briefes nicht, denn die Mutter hätte ihn nicht erzählt. Er wäre zuhause gewesen, als der Brief in den Hof geworfen worden wäre und in der Früh hätten man den Brief im Hof gesehen. Sonst wäre er nicht bedroht worden.

1.2.4.  Er brachte zu seiner bisweilen erfolgten Integration folgendes vor:

Er hätte hier in Österreich die Kochlehre begonnen, doch mangels Deutschkenntnisse hätte er die Lehre wieder abbrechen müssen. Folgende Dokumente brachte er vor: Kopie eines ÖSD Zertifikates in A1 vom 21.09.2016, von A2 vom 27.09.2017, Teilnahmebestätigungen von einem Deutschkurs, ein Empfehlungsschreiben, eine Kopie einer Übersetzung eines Staatsbürgerschaftsnachweises StA: Afghanistan

1.3.    Das BFA wies die Anträge der BF auf internationalen Schutz mit oben genanntem Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegenüber den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Die Behörde schenkte dem Fluchtvorbringen keinen Glauben, weil der BF1 widersprüchliche Angaben getätigt hätte und seitdem der BF1 seine Arbeit im Jahr 2012 als Dolmetscher niederlegte sie keine Bedrohungen mehr erhalten hätten (sh dazu Seite 113 des Bescheides des BF2). Zudem hätte BF2 widersprüchliche Angaben getätigt, denn einerseits meinte er, dass er uns ein Bruder in dem Brief namentlich erwähnt worden wären, andererseits hätte die Mutter vom Inhalt des Briefes nichts erwähnt. Eine Rückkehr nach Kabul könne beiden zugemutet worden.

1.4.    Gegen die Bescheide richtet sich die fristgerecht eingebrachten vollumfänglichen Beschwerden, in denen zusammengefasst vorgebracht wurde, dass die BF wegen der Dolmetschertätigkeiten des BF1 und des Drohbriefes einer Verfolgung ausgesetzt wären. BF2 legte eine Vollmacht der Diakonie Flüchtlingsdienst vor.

1.5.    Die Akte langten am 31.01.2018 beim ho VwG ein und wurden entsprechend der Gerichtsabteilung W257 zugewiesen (OZ 1). Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden entsprechend des § 39 Abs. 2 AVG miteinander verbunden.

1.6.    Am 16.10.2020 wurden beide BF zu einer mündlichen Verhandlung für den 14.12.2020 unter Anschluss der Länderberichte eingeladen. Es wurden folgende Länderberichte übersandt:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, zuletzt aktualisiert am 21.07.2020 (LIB)

-        UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

-        EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO),

-        Ecoi.net Themendossier zu Afghanistan: „Sicherheitslage und die soziökonomische Lage in Herat und in Masar-e Scharif“ vom 26.05.2020 (ECOI Herat und Masar-e Sharif)

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif)

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat)

-        Arbeitsübersetzung Landinfo Report „Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne“ vom 23.08.2017 (Landinfo 1)

-        Arbeitsübersetzung Landinfo Report „Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban“ vom 29.06.2017 (Landinfo 2)

-        ACCORD Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) vom 05.06.2020 (ACCORD Covid-19)

Es wurde Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen gegeben. Die Parteien nahmen von dieser Gelegenheit nicht Gebrauch.

1.7.    Am 14.12.2020 wurden die BF vor dem BvWG niederschriftlich einvernommen, wobei sie im Grunde die bisherigen Fluchtvorbringen wiederholten:

1.7.1.  BF1 legte eine Vollmacht vor, mit der er den Verein SURA zur Vertretung bevollmächtigte.

BF1 brachte vor, dass er Dolmetscher sei. Er hätte von Ende 2010 bis Juli 2012 Dolmetscher gewesen. Zuerst wären alle Dolmetscher im Camp bedroht worden, dies wäre Mitte 2012 gewesen. Den zweiten Drohbrief hätte seine Mutter in Kabul bekommen, dies wäre 2015 gewesen. Er hätte den Drohbrief nicht dabei, weil ihn seine Mutter zerrissen hätte. Er selbst hätte den Brief auch nicht gelesen, sondern dieser Brief wäre von der Schwester der Mutter vorgelesen und ihn erzählt worden. Sein Bruder (BF2) wäre – so wie er auch – darin namentlich erwähnt worden.

1.7.2.  BF2 wurde von seiner Rechtsvertretung der Diakonie Volkshilfe als Mitglied der ARGE Rechtsberatung, mittlerweile die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, nicht persönlich vertreten. BF2 wurde ordentlich geladen. Die Vollmacht an diese wurde nicht zurückgezogen und von dieser nicht niedergelegt. Er war damit einverstanden, ohne Rechtsvertretung die Einvernahme vorzunehmen.

BF2 wiederholte im Grunde das von BF1 Vorgebrachte, wobei er hinsichtlich seiner Person konkret angab, dass er 12 Jahre die Schule besucht hätte und danach wäre er Straßenverkäufer gewesen. Ein Jahr wäre er in Uruzghan Installateur gewesen. Er hätte zu seinen Brüdern – außer zu seinem hier in Österreich lebenden BF1 – keinen Kontakt. Als der Brief von seiner Schwester gelesen worden sei, hätte er noch geschlafen. Er wäre zur Arbeit gegangen und erst danach von seiner Mutter informiert worden. Wenn sie nicht bedroht werden würden, könnten sie wieder in Afghanistan leben, er könne sich vorstellen als Installateur zu arbeiten. Er hätte den Brief, indem sie bedroht worden wären, auch nicht gelesen.

1.7.3.  Folgende Unterlagen hstl der Integration wurden von BF2 vorgelegt: ÖSD Zertifikat A1 vom 21.09.2016, ÖSD Zertifikat As vom 27.09.2017, Teilnahmebestätigung vom 28.09.2020 hstl B1/1, Teilnahmebestätigung werte- und Orientierungskurs vom 05.07.2018, Bescheinigung Erste-hilfe-grundkurs ÖRK vom 16.05.2019, Certification of apprecation Golden Royal Constraction Company in Englisch, ohne Datum Teilnahmebestätigung B1 – Teil 2 vom 09.11.2020, Bestätigung des Pfarramtes seiner Heimatgemeinde, dass er am Stammtisch für Flüchtlinge teilgenommen hat, Empfehlungsschreiben eines Sportvereins (Volleyball) seiner Heimatgemeinde, Bestätigung der Heimatgemeinde bzgl Durchführung von Hilfstätigkeiten vom 23.11.2020, zwei Empfehlungsschreiben, Stellungnahme der Volkshilfe bzgl ehrenamtlicher Tätigkeiten, Einstellungszusage der Firma XXXX vom 30.12.2020.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2.       Feststellungen

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

2.1.    Zur Person des Beschwerdeführers (BF1):

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , er ist am XXXX in Afghanistan geboren. Er ist in Afghanistan, in Kabul geboren und ging dort 12 Jahre zur Schule.

Er ist angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und gehört den islamischen Glauben an.

2.1.1.  Der BF1 war vom Dez 2011 bis Juni 2012 als Dolmetscher in Uruzgan und Kandarhar tätig. Vom 05.06.2012 bis zum 25.03.2015 war er Projektmanager in der Air Base in Bagrahm. Seine Aufgabe bestand für ca. sieben Arbeiter die Arbeiten einzuteilen, für deren Sicherheit zu sorgen, sie allenfalls erstmedizinisch zu versorgen und Toilettenanlagen durch die Arbeiter zu reparieren.

2.1.2.  BF2 war Straßenverkäufer und ein Jahr lang Installateur in Herat. Danach war er wieder Straßenverkäufer in Kabul; zu dieser Zeit erhielt er den Drohbrief.

Mit einem Bruder (BF1) ist er nach Österreich illegal eingereist. Zu diesem Zeitpunkt war er volljährig und 18 Jahre alt.

Vier weitere Brüder leben in Kabul. Ebenso lebt seine Mutter und seine Schwester in Kabul. Ebenso leben drei weitere Schwestern in Afghanistan. Mit der Mutter und der Schwester hat er monatlich Kontakt. Mit einem Bruder steht BF1 über Facebook in Kontakt. Er kann mit seiner Familie in Kabul in Kontakt treten und sie im Falle der Rückkehr um Unterstützung ersuchen. Die Familie wird ihn unterstützten. Er kann wieder bei seiner Mutter wohne, wo er bereits vor der Flucht gewohnt hat. Er kann zudem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Ebenso steht ihm sein Bruder mit dem er eingereist ist – und der auch eine Rückkehrentscheidung bekommen hat - zur Seite und kann ihn zumindest sozial unterstützten.

2.1.3.  Er ist gesund, ledig und hat keine Sorgepflichten und ist heute 23 Jahre alt.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland keiner konkreten individuellen Verfolgung durch die Taliban oder sonstigen Organisationen ausgesetzt war oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte. Er wird von diesen auch nicht gesucht.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban oder ähnliche Organisationen.

Auch sonst haben sich keine Hinweise für eine dem Beschwerdeführer in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.

2.3.    Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich ein und befindet sich seit seiner Antragstellung im Juli 2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

Er hat keine Sorgepflichten und wohnt mit seinem Bruder in Österreich. Er lebt von der Grundversorgung. Er hat die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 am 27.09.2017 abgeschlossen; seitdem hat er keinen Deutschkurs abgeschlossen. Er zeigt einen guten Integrationswillen und er ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

2.4.    Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Kabul aufgrund der dort herrschenden Sicherheitslage kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Der Beschwerdeführer kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Er ist jung, anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen. Er hat eine 12-jährige Schulbildung, war eineinhalb Jahre Dolmetscher und drei Jahre „Projekt Manger“. Er spricht Dari, Englisch und Deutsch. Er hat keine Sorgepflichten und ist mit der afghanischen Kultur vertraut. Er hat eine starke familiäre Bindung nach Afghanistan.

Er ist in Kabul aufgewachsen und wird dort wieder zurückkehren. Dort lebte seine Mutter, seine Schwester und vier seiner Brüder. Zudem hat er noch drei weitere Schwester, Wohnort unbekannt. Er hat somit 8 Geschwister und eine Mutter in Afghanistan. Er hat somit bei seiner Mutter eine Wohnmöglichkeit, zumal er vor der Ausreise auch dort gewohnt hat.

Mit einem von den Brüdern hat sein Bruder (BF1) Kontakt über Facebook. Mit seiner Mutter hat er monatlich Kontakt. Er hat einige Cousins und Cousinen in Afghanistan.

Die Familie wird ihn unterstützten. Er kann zudem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Ebenso steht ihm sein Bruder mit dem er eingereist ist – und der auch eine Rückkehrentscheidung bekommen hat - zur Seite und kann ihn zumindest sozial unterstützten.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Kabul kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Als gesunder junger Mann, droht ihm auch keine Gefahr einer tödlichen Erkrankung im Falle einer Ansteckung durch das Corona-Virus.

2.5.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf die unter dem Punkt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. angeführten Quellen. Dem rechtsfreundlich vertretenen Beschwerdeführer wurde Gelegenheit geboten, zu den Quellen Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme langte nicht ein. Die seitens des Beschwerdeführers mit der Beschwerde eingebrachten Länderberichte sind nicht mehr aktuell und von den seitens des VwG eingebrachten Länderberichten auch inhaltlich überholt worden.

2.5.1.  Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 1).

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen), andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind. In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (LIB, Kapitel 1).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (LIB, Kapitel 2).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB, Kapitel 2)

2.5.2.  Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers:

2.5.2.1. Kabul

Letzte Änderung: 22.4.2020

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018).

Kabul-Stadt – Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile – auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) – zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Abb.1: Kabul, Police Distrikts (Darstellung der Staatendokumentation)

(Quelle: BFA 13.2.2019)

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern“ (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen: Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne“ (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft“ entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).

Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden – so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command – Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Kabul gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2019 und das erste Quartal 2020 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt): [...]

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020).

Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.3.2019; vgl. TN 26.3.2019, SAS 26.3.2019, TN 23.10.2018,. KP 23.10.2018, KP 9.7.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 7.8.2019; vgl. PAJ 7.7.2019, TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 7.8.2019) und verhaftet (TN 7.8.2019; PAJ 7.7.2019; vgl TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 9.6.2019; vgl. PAJ 28.5.2019).

2.5.3.  Regierungsfeindliche Gruppen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

2.5.3.1. Taliban

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. Die Taliban setzen Aktivitäten, um das Bewusstsein der Bevölkerung um COVID-19 in den von diesen kontrollierten Landesteilen zu stärken. Sie verteilen Schutzhandschuhe, Masken und Broschüren, führen COVID-19 Tests durch und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer „feindlicher“ Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer „Verurteilung“ durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich „feindseligen“ Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)

2.5.4.  Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Außerdem wurde Afghanistan für den Zeitraum 2018-2020 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen gewählt. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog. Darüber hinaus hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge – zum Teil mit Vorbehalten – unterzeichnet und/oder ratifiziert. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten. Korruption und begrenzte Kapazitäten schränken in Anliegen von Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen den Zugang der Bürger zu Justiz ein. In der Praxis werden politische Rechte und Bürgerrechte durch Gewalt, Korruption, Nepotismus und fehlerbehaftete Wahlen eingeschränkt (LIB, Kapitel 10).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

2.5.5.  RückkehrerInnen

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 22).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 22).

2.5.6.  COVID-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung)

Am 3. Juni 2020 berichtet UNOCHA, dass in Afghanistan 15.451 Personen positiv auf Covid-19 getestet worden seien. Etwa 1.522 Personen hätten sich bislang von der Krankheit erholt und 297 Personen seien verstorben. Insgesamt seien 42.273 Personen getestet worden. Afghanistan habe 37,6 Millionen EinwohnerInnen. Unter den Covid-19-Toten befänden sich 13 MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens. Über fünf Prozent der bestätigten Covid-19 Fälle seien unter MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens aufgetreten. Großteils seien Personen zwischen 40 und 69 Jahren an Covid-19 verstorben (ACCOR Covid-19).

Am 2. Mai 2020 habe die afghanische Regierung angekündigt, den landesweiten Lockdown auszuweiten. Die bestehenden landesweiten Maßnahmen würden einer Überprüfung unterzogen. Die Regierung in Kabul habe am 26. Mai 2020 unterdessen einen neuen Plan zur Lockerung des Covid-19-Lockdowns vorgestellt, der einen „Gerade-Ungerade-Ansatz“ („odds-and-evens“) vorsehe, um den Menschen eine Rückkehr an den Arbeitsplatz und andere Aktivitäten zu ermöglichen. Dies erfolge etwa mithilfe der letzten Ziffern der Nummerntafel von Privatautos. Friederike Stahlmann berichtet in ihrem Vortrag vom Mai 2020 über verschiedene Konsequenzen bei Nicht-Einhaltung der Lockdown-Regelungen. Manche Polizisten würden Personen verprügeln oder festnehmen oder Geldstrafen verhängen. Manchmal würden Anzeigen bis vor die Staatsanwaltschaft kommen und in anderen Fällen würde die Nicht-Einhaltung einfach ignoriert. Auch habe Stahlmann von Bestechung gehört, um die Regelungen umgehen zu können. Obdachlose sollen zudem aus Kabul weggebracht worden sein, Stahlmann wisse aber nicht, wohin, und ob diese etwa Zelte erhalten hätten (ACCOR Covid-19).

Die Kapazitäten Afghanistans zur Bekämpfung des Coronavirus seien einem Bericht des Central Asia-Caucasus Analyst vom 26. Mai 2020 zufolge eingeschränkt. Die Gesundheitsinfrastruktur sei schon immer fragil und schlecht auf die Bedürfnisse der Bevölkerung vorbereitet gewesen. Der Mangel an Einrichtungen sei nun umso mehr spürbar. Ein akuter Mangel an Testsets, Medikamenten und persönlicher Schutzausrüstung (personal protection equipment, PPE) lege die afghanischen Kapazitäten zum Kampf gegen Covid-19 lahm. Auch der andauernde Krieg wirke sich auf die Kapazitäten zur Bekämpfung des Coronvirus aus. Die Reichweite der Regierung für Tests und Behandlung auf von Aufständischen kontrollierte Gebiete sei aufgrund der andauernden Angriffe der Taliban und des Islamischen Staates stark eingeschränkt. Zusätzlich sei die Regierung auf die Unterstützung der Sicherheitskräfte zur Umsetzung der Lockdownmaßnahmen sowie den Transport grundlegender Güter angewiesen. Jedoch könnten diese nicht zur Bekämpfung des Coronavirus eingesetzt werden, solange Angriffe von Aufständischen weiter andauern würden (ACCOR Covid-19).

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF schätzt Ende Mai 2020, dass in Afghanistan 11,9 Millionen Menschen vom Entzug der Nahrungsmittelsicherheit bedroht sein könnten, was wiederum zum Anstieg der multidimensionalen Armut (Einzelindikatoren zur Bemessung: Bildung, Gesundheit und Lebensstandard, Anm. ACCORD) von 51,7 auf 61,4 Prozent führen könnte. Berichte würden UNOCHA zufolge zudem darauf hinweisen, dass die Lockdown-Maßnahmen weiterhin Auswirkungen auf die Mobilität humanitärer Organisationen hätten, Hilfslieferungen verzögern würden und Auswirkungen auf den Zugang zu humanitärer Hilfe hätten. Humanitäre Partnerorganisationen würden jedoch weiterhin landesweit aktiv auf Krisen reagieren (ACCOR Covid-19).

Einem Vortrag von Friederike Stahlmann im Mai 2020 zufolge seien RückkehrerInnen aufgrund der Covid-19-Maßnahmen mit fehlenden Übernachtungsmöglichkeiten konfrontiert. Hotels und Teehäuser seien geschlossen. Stahlmann wisse von drei im März 2020 abgeschobenen Personen, die obdachlos geworden seien. Stahlmann erwähnt hinsichtlich RückkehrerInnen zudem, dass eine Flucht nach Europa sehr teuer sei und mit besonderen wirtschaftlichen Risiken verbunden sei, da viele dafür ihr sämtliches Hab und Gut verkauft hätten. Daher seien bei einer Rückkehr oft keine finanziellen Ressourcen mehr vorhanden, auf die sie zurückgreifen könnten. Zudem bedeute die regelmäßige Verweigerung von Familien Betroffene aufzunehmen, dass sie im Zweifelsfall nicht auf ein in Krankheitsfällen essentielles Betreuungsnetzwerk zählen könnten. Selbst wenn sie finanzielle Unterstützung hätten, sei so selbst die Beschaffung von Medikamenten und Zugang zu Pflege unrealistisch (ACCOR Covid-19).

3.       Beweiswürdigung

Beweise wurden aufgenommen durch den Verwaltungsakt und der mündlichen Verhandlung. Die Verfahren der BF1 und BF2 wurden miteinander aus verfahrensökonomischen Gründen verbunden. Die Aussagen des Bruders, sowie dessen Verwaltungsakt wurde ebenso in dem gegenständlichen Verfahren gewürdigt.

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist v.a. auf folgende Kriterien abzustellen: Zunächst bedarf es einer persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, die insbesondere dann getrübt sein wird, wenn sein Vorbringen auf ge- oder verfälschte Beweismittel gestützt ist oder er wichtige Tatsachen verheimlicht respektive bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

Weiters muss das Vorbringen des Asylwerbers – unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten – genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.

Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

3.1.    Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zum Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben im behördlichen und gerichtlichen Verfahren.

Das er Moslem mit sunnitischer Glaubensausrichtung ist, ergibt sich aus den Aussagen vor der Polizei und der Behörde.

Die Feststellungen hinsichtlich seiner Arbeitstätigkeit des BF1 ergeben sich aus der Vorlage seiner Unterlagen. Diese waren mehrheitlich in Kopien und in englischer Sprache abgefasst, doch liegt der Verdacht nahe, dass BF1 tatsächlich als „Interpreteter“ in der Zeit vom Dez. 2011 bis Juni 2012 gearbeitet hat. Das er Installateur war, ergibt sich aus der Vorlage eines Arbeitszeugnisses (sh dazu Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.).

Dass er gesund ist ergibt sich aus seiner Aussagen. Das er mit der afghanischen Kultur verbunden ist, ergibt sich dadurch, dass er in Afghanistan, in Kabul aufgewachsen ist und lediglich die letzten 5 Jahre in Österreich verbracht hat. Es ist damit von einer großen Bindung in sein Heimatland auszugehen.

Die Feststellungen zur familiären Situation des BF beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit beruht auf den Angaben des BF, welche durch Einsicht in den aktuellen Strafregisterauszug verifiziert wurden.

3.2.    Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer brachte als fluchtauslösendes Ereignis im Wesentlichen vor, dass er durch einen Drohbrief von den Taliban verfolgt werden würde (sh dazu Punkt 1.10.1 – Vorbringen vor dem Gericht).

Wörtlich gab er in der freien Rede an:

„R: Schildern Sie bitte nochmals im Detail, warum Sie Afghanistan verlassen mussten. Nehmen Sie sich dazu Zeit und bleiben Sie bei der Wahrheit!

(Beginn der freien Erzählung)

BF2: Mein Bruder war Dolmetscher und hat für die Amerikaner und Deutschen gearbeitet. Ich habe selbst auch ein Jahr in einer amerikanischen Firma gearbeitet.

(Ende der freien Erzählung)

R: Wurden Sie jemals bedroht?

BF2: Ja, mein Bruder hat als Dolmetscher für die Amerikaner gearbeitet und ich habe auch für die Amerikaner gearbeitet und wir sind bedroht worden.

R: Erzählen Sie mir davon.

BF2: Einmal ist er bedroht worden, er war bei der Arbeit und das zweite Mal war die Bedrohung durch einen Brief, der uns am Abend zu Haus erreichte.“

Dabei fällt zuerst einmal auf, dass er kaum genauere Angaben von sich aus selbst gemacht hat. Er meinte lediglich auf die Frage, warum er denn Afghanistan verlassen habe, dass er bei einer amerikanischen Firma gearbeitet hat. Erst im Laufe der weiteren Befragung (sh dazu oben) meinte er durch den Brief bedroht worden zu sein. Damit legte er den Verdacht nahe, dass er nicht in furcht un Unruhe versetzt wurde, die Anlass geboten hätte, sein Land zu verlassen. Wäre dies der Fall gewesen hätte er sogleich von sich aus selbst die Fluchtgeschichte bzw eine Bedrohung vorgebracht.

Dem Fluchtvorbringen fehlt es an jedweder Stringenz und Plausibilität. Das BVwG konnte in der öffentlichen mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck gewinnen, dass der BF über etwas Erlebtes referiert. Es ist davon auszugehen, dass sich der BF einer konstruierten Geschichte bedient, die in keiner Weise die Mindestanforderungen eines glaubhaften Fluchtvorbringens erfüllt. Auf diese Feststellung gelangte das Gericht durch drei wesentliche Punkte:

?        Wie dem Richter von Amts wegen bekannt, werden auch gefälschte Drohbriefe vorgelegt oder werden auf solche Verwiesen, um einen konkreten Verfolgungstatbestand durch die Taliban vorzugeben. Dies kann hier weder ausgeschlossen noch bestätigt werden. Dem BF ist ebenso bekannt, dass es gefälschte Drohbriefe gibt und diese im Umlauf sind. Das bedeutet für den gegenständlichen Drohbrief, der 2015 die Mutter erreicht hätte, dass es einen solchen nicht gab und sich die BF auf einen solchen berufen könnten.

?        Die Bedrohungen, die sich aus dem Drohbrief ergeben, hätte der BF (und auch sein Bruder) lediglich vom „Hören-Sagen“ seiner Mutter bzw seiner Schwester, die den angeblichen Drohbrief übersetzt hätte, erhalten. Der BF selbst hat den Drohbrief nicht zu Gesicht bekommen. Die Mutter hätte den Drohbrief zerrissen. Damit ist der Beweis, den der BF vorbringt ein sehr ausgedünnter, denn er flüchtete aufgrund eines Briefes, den er nie gesehen hat und dessen Inhalt er von seiner Schwester erfuhr.

Für den Richter ist es nicht nachvollziehbar, weswegen die beiden Brüder, aufgrund eines Briefes, den sie nie gesehen haben, das Leben in Afghanistan aufgeben, ca 14.000.- USD für die Flucht in eine Ungewissheit zahlen, wenn sie einfach die Arbeit auch hätten niederlegen können. Somit hätten sie den Druck der Taliban nachgeben können – denn dieser bestand darin, dass sie Leute umbringen werden die für die Amerikaner arbeiten - und wären nicht mehr mit dem „umbringen bedroht worden“ (sh dazu Seite 11 der gerichtlichen Niederschrift). Stattdessen behaupten Sie, dass sie einen Drohbrief erhalten hätten, und reisen damit nach Österreich. Das ist mit den logischen Denkgesetzen nicht vereinbar.

?        Der BF1 war nur ein halbes Jahr Dolmetscher. Die erste Bedrohung richtete sich nicht direkt an ihn, sondern an alle Dolmetscher im Camp. Danach – nämlicher erst drei Jahre später – hätten die Taliban einen Brief an seine Wohnadresse in Kabul gerichtet. Zu dieser Zeit war er aber kein Dolmetscher mehr, sondern „Projekt Manager“. Er arbeitete zwar auch für die US-Streitkräfte, aber jedenfalls nicht mehr als Dolmetscher. Nachdem er nur ein halbes Jahr als Dolmetscher gearbeitet hat, konnte er nicht so eine besondere Stellung einnehmen, sodass die Taliban noch nach drei Jahren ihn einen Drohbrief zukommen lassen.

?        BF2 selbst war lediglich Installateur für eine Firma die für die US Streitkräfte (Shindand Airbase Afghansitan) arbeitete. Auch er hatte keine besondere Stellung und nur alleine das er dort gearbeitet hat erfüllt noch nicht den Fluchttatbestand nach der GFK.

?        Zusätzlich brachte der BF2 vor der Behörde vor (sh AS 113, OZ 1, BF2), dass sein Bruder zwischen 07.00 Uhr und 08.00 Uhr kontaktiert worden wäre. Dies steht im deutlichen Widerspruch zu den folgenden Aussagen, denn BF1 gab an, zwischen 14.00 Uhr und 15.00 Uhr angerufen worden zu sein (sh Seite 15 der gerichtlichen Niederschrift).

Aufgrund seines Vorbringens ist es dem BF nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität, die ihre Ursache in einem der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

3.3.    Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Betreffend das Privatleben und insbesondere die Integration des Beschwerdeführers in Österreich wurden dessen Angaben in der Beschwerdeverhandlung sowie die vorgelegten und unbestrittenen Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt.

Die Feststellungen zur Dauer und Qualität des Aufenthaltes des Beschwerdeführers lassen sich zweifelsfrei auf den Verwaltungsakt und ergangenen behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen rückführen.

Die Feststellungen hinsichtlich der Integrationstiefe ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen (sh dazu insbes. Punkt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.).

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

3.4.    Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Kabul, wo seine Familie lebt, ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten. Aus sicherheitsrelevanter Sicht ergibt sich, dass er im Falle einer Rückkehr nicht verfolgt werden würde, denn das ursprüngliche Fluchtvorbringen ist an sich unglaubwürdig. Wenn er zu Zeitpunkt des Verlassens von Afghanistan nicht verfolgt wurde, entsteht eine solche auch nicht im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan.

Die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung durch die Rückkehrhilfe ergeben sich aus den Länderberichten.

Das Alter des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Akt.

Die Feststellung zur Anpassungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich daraus, dass er bereits einjährige Erfahrung als Installateur und mehrjährig als Straßenverkäufer gearbeitet hat. Überdies hat er 12 Jahre die Schule besucht, spricht Dari, und Deutsch.

Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit oder gegen eine Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers sprechen.

Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass die Stadt Kabul derzeit als relativ sicher gilt und unter der Kontrolle der Regierung steht. Diese ist auch durch den internat Flughafen erreichbar. Die Versorgung der Bevölkerung ist in dieser Stadt grundlegend gesichert.

Der Beschwerdeführer ist mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert. Er kann sich daher in der Stadt Kabul zurechtfinden, zumal er dort auch zumindest 18 Jahre gelebt hat. Der Beschwerdeführer verfügt über eine 12-jährige Schulbildung, ist zudem im erwerbsfähigen Alter, gesund, volljährig, anpassungsfähig und arbeitsfähig. Er hat 8 Geschwister eine unbestimmte Anzahl an Cousinen und Cousins die ihn unterstützten könnten. Er könnte wieder bei seiner Mutter in Kabul wohnen.

Anhaltspunkte für eine lebensbedrohliche Gefährdung des Beschwerdeführers durch den COVID-19 Virus (Corona) in der Stadt Kabul, bestehen - trotz einzelner Medienberichte, dass das Virus auch in Afghanistan aktiv ist - ebenfalls derzeit nicht. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie zB. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck, chronische Lungenkrankheiten, aktive Krebserkrankungen; siehe auch COVID-19 Risikogruppe-Verordnung, BGBl. II Nr. 203/2020) auf.

Als körperlich gesunden jungen Mann, der keine Immunsystem beeinträchtigenden Vorerkrankungen hat, droht dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr einer lebensgefährdenden Erkrankung im Falle einer Ansteckung durch das Corona-Virus.

3.5.    Zu den Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, be

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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