TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/8 W251 2162101-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.01.2021
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Entscheidungsdatum

08.01.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W251 2162101-2/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch den Rechtsanwalt Edward W. DAIGNEAULT gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.07.2018, Zl. 1047465509 - 140258143, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird insoweit abgewiesen, als der Beschwerdeführerin keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz erteilt wird.

III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird insoweit stattgegeben, als die Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und der Beschwerdeführerin gemäß § 58 Abs. 2 iVm 55 Abs. 2 und 54 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt wird.

IV. In Erledigung der Beschwerde wird der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine weibliche Staatsangehörige Somalias, stellte am 07.12.2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag fand vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdiensts die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführerin statt. Dabei gab sie zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass ihr erster Ehemann und Vater ihrer drei Kinder von Al Shabaab Leuten entführt worden sei und sie ihn seitdem nicht mehr gesehen habe. Ihr Vater sei nach Bosasso gegangen, um dort zu arbeiten und auch er sei verschwunden. Sie habe daraufhin die Familie versorgt und Al Shabaab Mitglieder hätten sie mit einem Mitglied der Gruppe verheiraten wollen. Zudem hätte die Al Shabaab ihr mit Vergewaltigung gedroht für den Fall, dass sie sich geweigert hätte. Ihre Mutter habe ihr daraufhin geraten, zu flüchten und ihre drei Kinder seien bei ihrer Mutter unter der Versicherung, dass diese auf sie aufpassen werde, geblieben. Nach ihren Rückkehrbefürchtungen befragt gab sie an, dass sie Angst habe, von der Al Shabaab zwangsverheiratet und vergewaltigt zu werden.

3. Am 02.03.2017 erhob die Beschwerdeführerin durch ihre Rechtsvertretung Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl. Begründend führte sie aus, dass sie seit 15 Monaten in Österreich sei, ihr Antrag noch nicht behandelt worden sei und die Entscheidungsfrist von 15 Monaten gemäß § 22 Abs. 1 AsylG daher abgelaufen sei.

4. Am 12.04.2017 fand die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt.

5. Mit Bescheid vom 26.05.2017 wies das Bundesamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen. Gegen die Beschwerdeführerin wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

6. Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde.

7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.06.2017 wurde der angefochtene Bescheid vom 26.05.2017 aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur neuerlichen Befragung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverwiesen, da die Beschwerdeführerin beim Bundesamt zwingend von einer weiblichen Organwalterin und einer weiblichen Dolmetscherin einvernommen hätte werden müssen.

8. Am 15.09.2017 wurde die Beschwerdeführerin ein zweites Mal beim Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Nach ihren Fluchtgründen befragt gab sie an, dass bewaffnete Al Shabaab Mitglieder zu ihrem Haus gekommen seien und ihren Mann entführt hätten. Auch die Beschwerdeführerin sei von Al Shabaab Männer entführt, neun Tage lang in einem Haus gefangen gehalten und körperlich misshandelt worden. Erst als die Al Shabaab Mitglieder sie mit dem Auto in eine Sackgasse gebracht hätten und dort ein Schusswechsel mit anderen bewaffneten Männern stattgefunden habe, hätte die Beschwerdeführerin flüchten können. Ihr Vater sei von denselben Al Shabaab Mitgliedern, die die Beschwerdeführerin entführt hätten, ermordet worden. Zudem brachte sie vor, wegen ihrer Clanzugehörigkeit diskriminiert worden zu sein.

9. Mit Bescheid vom 02.07.2018 wies das Bundesamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen. Gegen die Beschwerdeführerin wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamt aus, dass die Beschwerdeführerin ihren Fluchtgrund aufgrund zahlreicher Widersprüche nicht glaubhaft machen konnte und sie tatsächlich keiner asylrelevanten Verfolgung in Somalia ausgesetzt sei. Zudem wurde festgestellt, dass keine individuellen Umstände vorliegen, die dafür sprechen würden, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in eine extreme Notlage geraten würde, die eine unmenschliche Behandlung gemäß Art. 3 EMRK darstellen würde. Zudem habe die Beschwerdeführerin kein gesichertes Aufenthaltsrecht, ihr Aufenthalt sei somit unsicher gewesen und es sei in Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht erforderlich gewesen, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob während des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin ein Privatleben entstanden sei.

10. Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde. Sie wiederholte im Wesentlichen ihr Fluchtvorbringen und beanstandete, dass das Bundesamt zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass ihre Schilderungen widersprüchlich und erfunden seien und ihr das Bundesamt auch völlig zu Unrecht vorwerfe, dass ihre Erzählung deckungsgleich mit der einer anderen Asylwerberin sei. Zudem sei die Beschwerdeführerin als alleinstehende Frau, die aus dem Westen zurückkehre einer weiteren Gefahr ausgesetzt. Ihr drohe aufgrund der Hungerlage und der schlechten Chancen am Arbeitsmarkt ein Eingriff in Art. 2 und 3 EMRK. In Kismayo würden derzeit Kämpfe zwischen der Al Shabaab, dem Staat und diversen Warlords stattfinden.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.06.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin eine mündliche Verhandlung durch.

12. Mit Stellungnahme vom 12.09.2019 brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie ein Kind von ihrem in Österreich asylberechtigten Mann erwarte, sowie, dass sie im Falle einer Rückkehr auf sich alleine gestellt wäre, da ihre gesamte Familie Somalia verlassen habe und in Äthiopien lebe. Die Beschwerdeführerin müsste somit für ihre drei minderjährigen Töchter und ihr Baby alleine sorgen. Sie wäre vor gewalttätigen Übergriffen aufgrund ihrer Stellung als alleinstehende, alleinerziehende Frau nicht sicher. Sie könne keinen Schutz durch männliche Verwandte erhalten und ihr drohe daher in Somalia geschlechtsspezifische Gewalt von hoher Intensität.

13. Am 28.09.2019 kam der Sohn der Beschwerdeführerin zur Welt. Mit Bescheid vom 18.10.2019 wurde diesem, abgeleitet von seinem Vater, der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

14. Mit Beschwerdenachreichung vom 24.03.2020 informierte das Bundesamt darüber, dass die Beschwerdeführerin mit 01.03.2020 wieder in die Grundversorgung des Landes Salzburg aufgenommen wurde.

15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.06.2020 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin eine zweite mündliche Verhandlung durch.

16. Den Parteien wurden Länderinformationen zur Stellungnahme bis 22.12.20.20 übermittelt und den Parteien aufgetragen bekannt zu geben, ob sich seit der letzten Verhandlung etwas an den Angaben des Beschwerdeführers in der Verhandlung, an der Situation des Beschwerdeführers in Österreich bzw. im Herkunftsland oder an der Situation in Somalia geändert hat.

Die Beschwerdeführerin brachte in einer Stellungnahme vom 22.12.2020 vor, dass sich die Versorgungslage in Somalia verschlechtert habe. Es sei zu Stürmen, Überflutungen und einer Heuschreckenplage gekommen. Zudem habe sich die Versorgungslage aufgrund der Dürresituation der letzten Jahre und der Auswirkungen durch die Covid-19-Pandemie verschlechtert. Davon sei insbesondere Süd-Somalia betroffen. Die Beschwerdeführerin verfüge in Somalia über keinen Schutz und sei als alleinstehende Frau von sexueller Ausbeutung betroffen. Als alleinstehende Frau sei die Beschwerdeführerin besonders vulnerabel.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Sie ist somalische Staatsangehörige, bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und spricht Somali als Muttersprache.

Die Beschwerdeführerin wurde im Distrikt XXXX geboren, da ihre Mutter ebenfalls aus XXXX stammt und in ihrer Schwangerschaft zu ihren Eltern zurückgegangen ist. Die Beschwerdeführerin ist in Lower Juba in einer Siedlung neben der Stadt Kismayo aufgewachsen, in der sie gelebt hat, bis sie mit 14 Jahren geheiratet hat. Die Familie hatte Kühe und Schafe. Sie verkaufte Milch und hatte einen eigenen Esel zum Milchtransport. Die Familie konnte ein gutes Leben führen. Die Beschwerdeführerin hat die Tiere gehütet und wurde vier Jahre von einem Koranlehrer unterrichtet. Sie hat keinen Beruf erlernt. Bis zu ihrer Heirat wurde die Beschwerdeführerin von ihrer Familie versorgt (AS 3; AS 95; AS 751; AS 755; Protokoll vom 04.06.2019 = VP I S. 11).

Im Jahr 2009 hat die Beschwerdeführerin in Somalia ihren ersten Ehemann traditionell geheiratet. Mit diesem hat sie drei minderjährigen Töchtern, die derzeit bei der Mutter der Beschwerdeführerin in der Stadt Kismayo leben. Nach ihrer Heirat ist sie von der Nomadensiedlung in den Bezirk XXXX in die Stadt Kismayo gezogen. Ihr Mann hat in Kismayo als Mechaniker in einer Werkstatt gearbeitet (AS 3; AS 95; AS 751; AS 755; VP I S. 11). Die Beschwerdeführerin hat von 2009 bis 2014 in Kismayo gelebt (AS 753). Die Beschwerdeführerin hat mit ihrem Mann ein Zimmer in einem Haus gemietet (AS 755, VP I S. 11). Der erste Ehemann und die Beschwerdeführerin haben sich im Jahr 2012 in Somalia getrennt.

Die Beschwerdeführerin hat im Jahr 2013 begonnen, als Putzfrau in Kismayo zu arbeiten. Diese Tätigkeit hat sie bis 2014 ausgeübt (AS 97, 1. VP S. 11).

Die Beschwerdeführerin hat in Österreich nach der Scharia traditionell einen somalischen Asylberechtigten geheiratet. Mit diesem hat sie einen Sohn, der am XXXX in Österreich geborenen wurde (AS 1, AS 95, AS 751, Protokoll vom 04.06.2019 = VP I S. 10 und 12, Protokoll vom 18.06.2020 = VP II S. 5 – 6, Beilage ./B). Ihr Sohn ist ebenfalls in Österreich asylberechtigt (OZ 12, S. 3ff).

Die Mutter, der Vater, die Geschwister und die drei Töchter der Beschwerdeführerin leben alle in Kismayo in Somalia. Eine Tante arbeitete als Gemüseverkäuferin und half mit, die Familie zu versorgen. Die Tante lebte in XXXX , 15 km von Kismayo entfernt (AS 97, VP II S. 12). Seit Mai 2019 lebt eine Tante in Kanada (VP II S. 12). Eine Tante väterlicherseits der Beschwerdeführerin ist verstorben (VP II S. 6). Die Beschwerdeführerin steht in Kontakt zu ihren Familienmitgliedern (VP II S. 7). Zudem hat die Beschwerdeführerin einen Großonkel mütterlicherseits (AS 107). Der Bruder ihres Vaters ist schon verstorben, die Schwester ihres Vaters ist vermisst. Die Schwester ihrer Mutter lebt in Kanada (VP II S. 7, AS 755). Die Beschwerdeführerin hat Cousins von ihrem Onkel väterlicherseits, weiß jedoch nicht, wo sich diese aufhalten (AS 755).

Die Beschwerdeführerin ist keine Angehörige des Clans der Tumal (AS 1, AS 97, VP II S. 6) oder eines anderen Minderheitenclans. Die Beschwerdeführerin ist Angehörige eines Mehrheitsclans. Es kann nicht festgestellt werden, welchem Mehrheitsclan die Beschwerdeführerin tatsächlich angehört. Die Beschwerdeführerin kann von ihrem Clan unterstützt werden.

Die Beschwerdeführerin ist am 11.02.2014 aus Somalia ausgereist (AS 9; AS 99, AS 755). Ihre Ausreise wurde von ihrer Familie finanziert.

Die Beschwerdeführerin ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und sie stellte am 07.12.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (AS 1 ff).

Die Beschwerdeführerin leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, sie ist gesund und arbeitsfähig. Sie hat an einer XXXX gelitten. All diese Erkrankungen waren nicht lebensbedrohlich und sind mittlerweile ausgeheilt.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Das von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Fluchtvorbringen konnte nicht festgestellt werden.

1.2.1. Der erste Mann der Beschwerdeführerin wurde nicht von der Al Shabaab bedroht, körperlich misshandelt und entführt. Er hatte keine Probleme mit der Al Shabaab aufgrund einer Tätigkeit als Automechaniker und der Reparatur eines Regierungsautos gegeben. Weder er noch die Familie der Beschwerdeführerin wurden jemals von der Al Shabaab bedroht.

1.2.2. Die Beschwerdeführerin wurde nicht von der Al Shabaab entführt. Sie wurde von dieser nicht bedroht, angegriffen, entführt oder gefangen gehalten. Ihr wurde auch nicht mit Zwangsverheiratung und Vergewaltigung durch die Al Shabaab gedroht. Die Beschwerdeführerin hatte keine Probleme mit der Al Shabaab aufgrund der Tätigkeit ihres Mannes. Sie hatte auch keine sonstigen Probleme mit der Al Shabaab und wird von dieser nicht bedroht oder verfolgt.

1.2.3. Der Vater der Beschwerdeführerin wurde nicht von Al Shabaab Männern ermordet. Der Vater der Beschwerdeführerin hatte keine Probleme mit der Al Shabaab aufgrund der beruflichen Tätigkeit seines Schwiegersohnes. Der Vater der Beschwerdeführerin ist nicht bei einem Anschlag der Al Shabaab auf einen Autobus ums Leben gekommen. Der Vater der Beschwerdeführerin hat auch keine sonstigen Probleme mit der Al Shabaab und wird von dieser nicht bedroht bzw. verfolgt. Der Vater der Beschwerdeführerin lebt weiterhin in Kismayo.

Die Mutter, fünf Geschwister und drei Töchter der Beschwerdeführerin mussten nicht aufgrund von Problemen des Mannes der Beschwerdeführerin mit der Al Shabaab das Land verlassen. Ihre Familie hat auch keine sonstigen Probleme mit der Al Shabaab und wird von dieser nicht bedroht bzw. verfolgt. Ihre Familie lebt weiterhin in Kismayo.

1.2.4. Die Beschwerdeführerin ist in Somalia allein aufgrund ihres Geschlechts keinen psychischen oder physischen Eingriffen in die körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt.

Die Beschwerdeführerin verfügt in Somalia über Familienangehörige, sodass sie über ein soziales und familiäres Netzwerk verfügt. Die Beschwerdeführerin müsste bei einer Rückkehr nach Somalia nicht in ein IDP-Lager gehen, sondern kann bei ihrem Clan und ihrer Familie Schutz, Unterkunft und Verpflegung vorfinden.

Der Beschwerdeführerin droht keine sexuelle Ausbeutung durch die Al Shabaab.

1.2.5. Die Beschwerdeführerin wurde in Somalia kein Opfer häuslicher Gewalt durch Mitglieder ihrer Familie.

1.2.6. Bei der Beschwerdeführerin ist kein auf Eigenständigkeit bedachter Lebensstil zu erkennen, der bei einer Rückkehr nach Somalia einen nachhaltigen und wesentlichen Bruch mit den dortigen Gegebenheiten und Sitten darstellen würde. Der Beschwerdeführerin droht aufgrund ihres in Österreich ausgeübten Lebensstils in Somalia weder Lebensgefahr noch psychische oder physische Gewalt.

Der Beschwerdeführerin ist es möglich, sich wieder in das somalische Gesellschaftssystem zu integrieren.

1.2.7. Der Beschwerdeführerin droht in Somalia kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit aufgrund einer Genitalverstümmelung oder einer Reinfibulation (Wiederverschließung).

1.2.8. Die Beschwerdeführerin hat Somalia weder aus Furcht vor Eingriffen in ihre körperliche Unversehrtheit noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Im Falle einer Rückkehr nach Somalia droht der Beschwerdeführerin weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Angehörige der Al Shabaab noch durch andere Personen.

1.2.9. Die Beschwerdeführerin hatte in Somalia selber keine konkret und individuell gegen sie gerichtete Probleme aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in den Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführerin droht bei einer Rückkehr in die Stadt Kismayo kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit.

Die Beschwerdeführerin kann in Kismayo grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die Beschwerdeführerin ist mit den Gepflogenheiten in Somalia vertraut und spricht Somali als Muttersprache. Sie kann lesen und schreiben. Sie ist jung, arbeitsfähig und selbsterhaltungsfähig. Sie verfügt über ein familiäres Netzwerk in Kismayo. Sie kann zumindest anfänglich von ihren Familienangehörigen in Somalia, insbesondere von ihren Eltern, ihren Geschwistern und ihrem Großonkel, unterstützt werden und dann selber für ihr Auskommen und Fortkommen sorgen. Sie kann wieder bei ihrer Familie in Somalia wohnen. Sie kann zudem auch auf die Unterstützung ihres Clans zurückgreifen und auf Rückkehrunterstützung zurückgreifen.

Es ist der Beschwerdeführerin möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Somalia in Kismayo wieder Fuß zu fassen und dort ihr Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführerin in Österreich:

Die Beschwerdeführerin ist seit ihrer Antragsstellung am 07.12.2014 aufgrund einer vorübergehenden Asylberechtigung nach dem AsylG in Österreich durchgehend aufhältig.

Die Beschwerdeführerin hat mehrere Deutschkurse für die Stufe A1 besucht und die ÖSD-Prüfung für die Stufe A1 bestanden (AS 289 – 301; Beilage ./C). Sie hat auch einen Deutschkurs für die Stufe A2 Teil 1 besucht (Beilage ./D). Sie verfügt über geringe Deutschkenntnisse. Die Beschwerdeführerin hat zudem einen Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds besucht (Beilage ./E).

Die Beschwerdeführerin geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und konnte auch keine Einstellungszusage vorweisen (VP II S. 8). Sie lebt von der Grundversorgung sowie dem Verdienst ihres Ehemannes. Ihr Ehemann hat vor Verlust seines Arbeitsplatzes (aufgrund der Corona-Krise) 1.200 bis 1.3000 EUR verdient. Aktuell erhält er pro Tag 34,50 EUR Arbeitslosengeld. Ihr Mann ist auch dazu bereit, sie weiterhin finanziell zu unterstützen und zu versorgen (VP II S. 13).

Sie ist am österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert. Sie hat für ein Römisch-Katholisches Pfarramt freiwillig verschiedene Hilfsdienste ausgeübt. Diese erbrachte die Beschwerdeführerin zuverlässig und man konnte sich mit ihr sehr gut verständigen. Sie hat in bescheidener und höflicher Art nachgefragt, ob sie sich irgendwie nützlich machen könnte (Beilage ./F). Zudem hat sie in ihrem Wohnheim unentgeltlich Reinigungstätigkeiten erbracht, für ihre Mitbewohnerinnen gekocht und bei Bedarf Hilfe angeboten. Dabei war sie hilfsbereit und zuvorkommend (Beilage ./H).

Die Beschwerdeführerin konnte in Österreich einige freundschaftliche Beziehungen knüpfen. Zudem leben ihr Ehemann und ihr 2019 geborener Sohn in Österreich, mit denen sie im gemeinsamen Haushalt lebt (VP I S. 7).

Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Somalia basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 17.09.2019 (LIB),

-        FFM Report Somalia, Sicherheitslage in Somalia, August 2017 (FFM),

-        Focus Somalia Clans und Minderheiten vom 31.05.2017 (Focus Somalia),

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Somalia: Auswirkungen der Covid-19-Pandemie: Ausgangs- und Reisebeschränkungen, Versorgungslage, medizinische Versorgung, Umgang mit Erkrankten vom 07.08.2020 (COVID-19)

-        FSNAU - Somalia Food Security Outlook Oktober bis Dezember 2020 (FSNAU)

-        Famine Early Warning Systems Network – Key Message Update aus September 2020 (FEWSN 09/20)

-        Famine Early Warning Systems Network – Key Message Update aus November 2020 (FEWSN 11/20)

1.5.1. Politische Situation

Somalia ist faktisch zweigeteilt in die somalischen Bundesstaaten und Somaliland, einen selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird, aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (LIB Kapitel 2).

Seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 war Süd-/Zentralsomalia immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen. Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen „indirekten Staat“, in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (LIB Kapitel 2)

Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet. Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (LIB Kapitel 2).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (LIB Kapitel 2).

1.5.2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar. Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen. Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen. Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein. Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (LIB Kapitel 3).

Viele Städte stehen unter der Kontrolle somalischer Armee und AMISOM sowie der Regierung, wobei diese Städte oft vom Gebiet der Als Shabaab umgeben ist (LIB Kapitel 3).

1.5.3. Kismayo:

Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Ogadeni kooperieren auch mit anderen Clans und binden sie in die Struktur ein. Dadurch wurde die Machtbalance verbessert. Diese Inkorporation funktioniert auch weiterhin, die Verwaltung von Kismayo hat sich weiter gefestigt (LIB Kapitel 2).

KIsmayo wird von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert. Kismayo kann hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (LIB Kapitel 3.1.1.).

Die Bevölkerung von Kismayo ist in kurzer Zeit um 30% auf ca. 300.000 gewachsen. Der Aufbau der Polizei und Justiz wurde und wird international unterstützt. Es gibt eine klare Trennung zwischen Polizei und bewaffneten Kräften. Das verhängte Waffentrageverbot in der Stadt wird umgesetzt, die Kriminalität ist auf niedrigem Niveau, es gibt kaum Meldungen über Morde. Folglich lässt sich sagen, dass die Polizei in Kismayo entsprechend gut funktioniert. Die al Shabaab ist in Kismayo nur eingeschränkt aktiv, es kommt nur selten zu Anschlägen oder Angriffen. Die Stadt gilt als ruhig und sicher, auch wenn die Unsicherheit wächst (LIFOS 3.7.2019, S.27f). Zivilisten können sich in Kismayo frei und relativ sicher bewegen. Aufgrund der gegebenen Sicherheit ist Kismayo das Hauptziel für Rückkehrer aus Kenia. Der Stadt Kismayo – und damit der Regierung von Jubaland – wird ein gewisses Maß an Rechtsstaatlichkeit attestiert. Der Regierung ist es gelungen, eine Verwaltung zu etablieren. Regierungskräfte kontrollieren die Stadt, diese ist aber von al Shabaab umgeben; allerdings hat Jubaland die Front bis in das Vorfeld von Jamaame verschieben können. So ist al Shabaab zumindest nicht mehr in der Lage, entlang des Juba in Richtung Kismayo vorzustoßen. Trotzdem ist es der Gruppe möglich, punktuell auch in Kismayo Anschläge zu verüben (LIB Kapitel 3.1.1.).

1.5.4. Al-Shabaab:

Ziel der Al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß- Somalia ein islamisches Regime zu installieren. Je höher der militärische Druck auf al Shabaab anwächst, je weniger Gebiete sie effektiv kontrollieren, desto mehr verlegt sich die Gruppe auf asymmetrische Kriegsführung (Entführungen, Anschläge, Checkpoints) und auf Drohungen. Dabei ist auch die Al Shabaab in ihrer Entscheidungsfindung nicht völlig frei. Die Gruppe unterliegt durch die zahlreichen Verbindungen z.B. zu lokalen Clan-Ältesten auch gewissen Einschränkungen (LIB Kapitel 3.1.6.).

Die Al Shabaab zwangsrekrutiert in den von ihr kontrollierten Gebieten in Süd-/Zentralsomalia Kinder. Im Zeitraum Mai-August 2019 waren davon 187 Kinder betroffen. Die Gruppe führt zu diesem Zweck Razzien gegen Schulen, Madrassen und Moscheen durch. Außerdem wurden Älteste und Koranschullehrer in ländlichen Gebieten Süd-/Zentralsomalias wiederholt dazu aufgerufen, Kinder an die Gruppe abzugeben. Al Shabaab bedroht und erpresst Eltern, Gemeinden, Lehrer und Älteste, damit diese der Gruppe Schüler zuführen. Es kommt in diesem Zusammenhang auch zu Gewalt und Inhaftierungen. Eltern rekrutierter Kinder haben keine Möglichkeit Protest einzulegen, ihnen droht bei Widerstand Bestrafung oder sogar der Tod (LIB Kapitel 10.1).

(Zwangs-)Rekrutierung: Im Jahr 2017 begann al Shabaab noch intensiver, arbeitslose junge Männer zu rekrutieren. Es gibt sehr unterschiedliche Gründe, al Shabaab beizutreten: die Aussicht auf Gehalt und Status, Abenteuerlust und Rachegefühle. Jugendliche selbst geben an, dass der Hauptgrund zum Beitritt zu al Shabaab oder zur Armee das Einkommen ist. Meist erfolgt ein Beitritt zur al Shabaab aufgrund ökonomischer, sicherheitsbedingter und psycho-sozialer Motivation. Nur wenige der befragten Deserteure gaben an, al Shabaab aufgrund einer religiösen Motivation beigetreten zu sein; dahingegen maßen mehr als die Hälfte gesellschaftlichen Erwägungen eine besondere Rolle zu, darunter Status (inkl. Eheschließung) und Macht. Auch Abenteuerlust spielt eine große Rolle. Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab die Möglichkeit einer Rache an Angehörigen anderer Clans. Für Angehörige marginalisierter Gruppen bietet der Beitritt zu al Shabaab zudem die Möglichkeit, sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern. Die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet. Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen oft um eine Mischung aus Druck und Anreizen (LIB Kapitel 10.1).

Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch die al Shabaab (LIB Kapitel 10.1).

Sexualisierte Gewalt wird von al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt. Es kommt zu Zwangsehen, die diesbezügliche Zahl hat in jüngerer Vergangenheit zugenommen. Solche Zwangsehen gibt es nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten. Das Ausmaß ist unklar. Manchmal werden die Eltern der Braut bedroht. Zwangsehen der al Shabaab in städtischen Zentren sind nicht bekannt. Viele Eltern bringen ihre Töchter in Städte, um sie vor dem Zugriff durch al Shabaab in Sicherheit zu bringen. Die meisten Ehen mit Mitgliedern der al Shabaab werden jedoch freiwillig eingegangen, auch wenn der Einfluss von Eltern und Clan sowie das geringe Alter bei der Eheschließung nicht geringgeschätzt werden dürfen. Eine solche Ehe bietet der Ehefrau und ihrer Familie ein gewisses Maß an finanzieller Stabilität, selbst Witwen beziehen eine Rente (LIB Kapitel 18.1).

1.5.5. Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates:

Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen: traditionelles Recht (Xeer), islamisches Schariarecht (v.a. für familiäre Angelegenheiten) sowie formelles Recht. Bürger wenden sich aufgrund der Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung. Staatlicher Schutz ist in Gebieten der al Shabaab nicht verfügbar. Der Clan-Schutz ist in Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss von al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten (LIB Kapitel 4).

1.5.6. Clanstruktur:

In Somalia ist die Bevölkerung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans zersplittert, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeits-empfinden bestimmt. Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (LIB Kapitel 17.1.).

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalier. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt. Darum kennen Somalier üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem. Allerdings gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LIB Kapitel 17.1). In Mogadischu und anderen großen Städten ist es daher nicht automatisch nachvollziehbar, welchem Clan eine Person angehört. Die (Clan-)Zusammensetzung der Bevölkerung von Mogadischu ist sehr heterogen. Dort können sich Angehörige jedes Clans niederlassen (LIB Kapitel 19).

Als "noble" Clanfamilien gelten die traditionell nomadischen Hawiye, Darod, Dir und Isaaq sowie die sesshaften Digil und Mirifle/Rahanweyn. Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil/Mirifle stellen wohl je 20-25% der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger. Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen mit nichtsomalischer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben (LIB Kapitel 17.1).

Die Clanfamilien unterteilen sich weiter in die Ebenen der Clans, Sub(sub)clans, Lineages und die aus gesellschaftlicher Sicht bei den nomadischen Clans wichtigste Ebene, die sogenannte Mag/Diya (Blutgeld/Kompensation) zahlenden Gruppe (Jilib), die für Vergehen Einzelner gegen das traditionelle Gesetz (xeer) Verantwortung übernimmt (Focus, S. 8 f; LIB Kapitel 4).

Clanschutz bedeutet für eine Einzelperson die Möglichkeit vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Ein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Kompensation zu zahlen - oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind - insbesondere bei Kompensations-zahlungen (Mag/Diya). Generell - aber nicht überall - funktioniert Clanschutz besser als der Schutz durch Staat oder Polizei. Dementsprechend wenden sich viele Menschen bei Gewaltverbrechen eher an den Clan als an die Polizei. (LIB Kapitel 4).

Minderheiten

Die berufsständischen Gruppen stehen auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie der somalischen Gesellschaft. Sie unterscheiden sich in ethnischer, sprachlicher und kultureller Hinsicht nicht von der Mehrheitsbevölkerung, sind aber traditionell in Berufen tätig, die von den Mehrheitsclans als "unrein" oder "unehrenhaft" angesehen werden. Diese Berufe und andere ihrer Praktiken (z.B. Fleischverzehr) gelten darüber hinaus als unislamisch (Focus, S. 14).

Die Clans der berufsständischen Gruppen sind gleich strukturiert wie die Mehrheitsclans, mit dem einzigen Unterschied, dass sie ihre Abstammung nicht auf die Gründerväter Samaale bzw. Saab zurückverfolgen können, sondern "nur" auf den "Vater" ihres Clans. Gleich wie die Mehrheitsclans haben das Aufzählen der Väter (Abtirsiimo) und die Zugehörigkeit zu einem Clan eine große Bedeutung (Focus, S. 15 f).

Für die Berufsgruppen gibt es zahlreiche somalische Bezeichnungen, bei denen regionale Unterschiede bestehen. Häufig genannt werden Waable, Sab, Madhibaan und Boon. Die landesweit geläufige Bezeichnung Midgaan ist negativ konnotiert (er bedeutet "unberührbar" oder "ausgestoßen") und wird von den Berufsgruppen-Angehörigen als Beleidigung empfunden; sie bevorzugen Begriffe wie Madhibaan oder Gabooye. Der Ausdruck Gabooye wird besonders im Norden des somalischen Kulturraums als Dachbegriff benutzt. Der Begriff umfasst nicht alle Berufsgruppen, aber zumindest vier untereinander nicht verwandte Clans berufsständischer Gruppen: Tumaal, Madhibaan, Muse Dheriyo und Yibir. Der Begriff Gabooye kann auch als Begriff für einen eigenen Clan der berufsständischen Gruppen unter vielen gebraucht werden. Ursprünglich bezeichnete Gabooye nur einen Clan aus dem Süden, dessen Angehörige sich als Jäger betätigten. Madhibaan sind ursprünglich Jäger, heute aber als Färber, Gerber, Schuhmacher und in anderen Berufen tätig. Sie leben im ganzen somalischen Kulturraum (Focus, S. 16 f).

1.5.7. Grundversorgung:

Es gibt kein nationales Mindesteinkommen. Zugang zu Bildung und Arbeit stellt in vielen Gebieten eine Herausforderung dar, wohingegen der tertiäre Bildungsbereich in Mogadischu boomt. Aufgrund des Fehlens eines formellen Banksystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debt-credit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clan-Verbindungen eine wichtige Rolle – und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greissler anschreiben lassen (LIB Kapitel 21.1).

Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig. Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1%). 6,9% arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8% als Handwerker, 4,7% als Techniker, 4,1% als Hilfsarbeiter und 2,3% als Manager (LIB Kapitel 21.1).

Die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen sind limitiert. Eine Arbeit zu finden ist mitunter schwierig, verfügbare Jobs werden vor allem über Clan-Netzwerke vergeben. Generell ist das Clan-Netzwerk vor allem außerhalb von Mogadischu von besonderer Relevanz (LIB Kapitel 21.1).

Seitens der Regierung gibt es für Arbeitslose keinerlei Unterstützung. Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z.B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus. Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (LIB Kapitel 21.1).

Frauen stoßen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vor – etwa bei Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei. Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben. In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43% der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener (LIB Kapitel 21.1).

Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z.B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i.d.R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z.B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80%-90% des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft. Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin oder aber auch auf. Für Frauen gibt es auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z.B. können sie nicht Taxifahrer werden (LIB Kapitel 21.1).

Für viele Haushalte sind Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle. Diese Remissen, die bis zu 40% eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei und fördern die Resilienz der Haushalte (LIB Kapitel 21.1).

1.5.8. Aktuelle Grundversorgungslage (Nahrungsmittelversorgung, Dürre, Überflutung)

Aufgrund der kombinierten Auswirkungen von weit verbreiteten und schweren Überschwemmungen, der Heuschreckenplage in der Wüste, den sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 und den kumulativen Auswirkungen früherer Schocks wird erwartet, dass bis Dezember 2020 bis zu 2,1 Millionen Menschen in ganz Somalia mit Lücken beim Nahrungsmittelkonsum oder der Erschöpfung von Vermögenswerten, die auf eine Krise hindeuten (IPC-Phase 3), oder mit schlechteren Ergebnissen konfrontiert sein werden, wenn keine humanitäre Hilfe geleistet wird (FEWSN 09/20).

Die Auswirkungen des tropischen Wirbelsturms Gati im Nordosten, zusätzliche Überschwemmungen im Süden und der zunehmende Befall mit Wüstenheuschrecken verschärfen die Ernährungsunsicherheit in den betroffenen Gebieten (FEWSN 11/20).

Am 22. November landete der tropische Wirbelsturm Gati im Nordosten Somalias. Es fielen innerhalb von zwei Tagen mindestens 10 cm Niederschlag, was dem Jahresdurchschnitt 2000-2018 entspricht. Die rasche Ansammlung von Regen und starken Winden verursachte Sturzfluten in Küsten- und Binnengebieten, insbesondere im Bezirk Iskushuban in der Region Bari. Durch den Wirbelsturm wurden in den betroffenen Regionen Viehverluste, Zerstörung von Haushaltseigentum, Schäden an Wasser, Straße und Telekommunikationsinfrastruktur sowie Schäden an Schifffahrts- und Fischereiausrüstung hervorgerufen. Die meisten armen Haushalte im Nordosten Somalias hatten bereits vor dem Sturm Probleme, ihren Mindestnahrungsbedarf zu decken, da während der Dürreperioden 2016/17 und 2018/19 große Verluste an Viehbeständen zu verzeichnen waren und die COVID-19-Pandemie wirtschaftliche Auswirkungen auf die Fischerei-Branche hatte. Außerhalb der Region Bari brachte der zerstreuende Zyklon dringend benötigte Niederschläge in den weiteren Nordosten und Nordwesten. Aufgrund der unterdurchschnittlichen Deyr-Regenfälle wurden die Weide- und Wasserverfügbarkeit für Nutztiere zunehmend eingeschränkt, was den Lebensunterhalt der Hirtenhaushalte unter Druck setzte. Es wird jedoch erwartet, dass sich die Verfügbarkeit von Weiden und Wasser verbessert und die Tiergesundheit und Milchproduktion zu einem kritischen Zeitpunkt in der Produktionssaison unterstützt. Während des Deyr wurde im ganzen Land ein mittlerer bis hoher Anteil an Schaf- und Ziegengeburten sowie ein mittlerer Anteil an Kamel- und Rinderkalbungen gemeldet (FEWSN 11/20).

Die Aussichten für die Deyr-Pflanzenproduktion sind aufgrund der Auswirkungen von übermäßigem Niederschlag und Wüstenheuschrecke unterdurchschnittlich. Anfang November verstärkten starke Deyr-Niederschläge das Ausmaß der Überschwemmungen in den Flussgebieten Shabelle und Juba. Die meisten betroffenen armen Haushalte haben nicht genügend Nahrung und Einkommen, um ihren täglichen Kalorienbedarf zu decken, da die Überschwemmungen den Anbau in der Rezession weiterhin einschränken und die Nachfrage nach Arbeitskräften unterdrücken. Überschwemmungen traten auch in mehreren tief gelegenen agropastoralen Gebieten im Süden auf. Die Getreidekulturen in Bakool, Bay, Lower Shabelle sind jedoch in einem guten Zustand. Die Wüstenheuschrecke hat bisher nur begrenzte Schäden an Getreide im Süden verursacht. Der Befall mit Wüstenheuschrecken nimmt in zentralen agropastoralen und pastoralen Gebieten zu (FEWSN 11/20).

Die Preise für Grundnahrungsmittel zeigten im Oktober und November landesweit einen steigenden Trend, obwohl die Einzelhandelspreise in den meisten zentralen und nördlichen Märkten nahe dem Durchschnitt von 2019 und dem Fünfjahresdurchschnitt blieben. In einigen Teilen des Südens trugen jedoch starke Regenfälle und Unsicherheit zu einem moderaten Anstieg der Lebensmittelpreise bei. Beispielsweise führten hochwasserbedingte Störungen der Handelsströme im Bardheere-Distrikt von Gedo, im Beletweyne-Distrikt von Hiiraan und in Middle Shabelle zu einem Anstieg der Getreidepreise um 10 bis 21 Prozent im Vergleich zu Oktober 2019 und zu einem Anstieg von 13 bis 28 Prozent gegenüber dem fünf-Jahresdurchschnitt. Die Preise werden höchstwahrscheinlich bis Dezember überdurchschnittlich bleiben, bis die Marktzuführungsstraßen wieder geöffnet werden und die normalen Transportbewegungen wieder aufgenommen werden. In Baidoa of Bay kam es von September bis Oktober aufgrund der von den Aufständischen auferlegten Bewegungsbeschränkungen zu einem atypischen Preisanstieg von 11 Prozent (FEWSN 11/20).

Am meisten betroffen sind IDPs und marginalisierte Gruppen. Der humanitäre Bedarf ist nach wie vor hoch, Millionen von Menschen befinden sich in einer Situation akuter Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung. In Nord- und Zentralsomalia herrschen durchgehend moderate bis große Lücken in der Versorgung. Dort wird für August/September 2019 in einigen Teilen mit IPC 3 und IPC 4 gerechnet. Das gleiche gilt für den Süden, wo aufgrund einer unterdurchschnittlichen Ernte die Lebensmittelpreise steigen werden (LIB Kapitel 21.2).

Für die Bevölkerung in Lower Juba gilt überwiegend IPC-Stufe 1 (minimal) bis IPC-Stufe 2 (stressed). In Kismayo gilt für die urbane Bevölkerung IPC-Stufe 2(stressed), für Personen in IDP-Lagern die IPC-Stufe 3 (crisis) (FEWS 11/20; FSNAU).

1.5.9. Binnenflüchtlinge (IDPs):

IDPs gehören in Somalia zu den am meisten gefährdeten Personengruppen. Diese sind besonders benachteiligt, da sie kaum Schutz genießen und Ausbeutung, Misshandlung und Marginalisierung ausgesetzt sind. Ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen – aber auch staatlichen – Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkungen und Diskriminierung aufgrund von Clan-Zugehörigkeiten sind an der Tagesordnung; es kommt auch zu willkürlichen Tötungen, Vertreibungen und sexueller Gewalt. Für Vergewaltigungen sind bewaffnete Männer - darunter Regierungssoldaten und Milizionäre - verantwortlich. Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (LIB Kapitel 20).

IDPs sind über die Maßen von der Dürre und daher von Unterernährung betroffen (LIB Kapitel 20 und 21.2). Für sie ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20% der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen. Die Männer dieser Bevölkerungsgruppen arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel – v.a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LIB 21.1).

1.5.10. Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft. Die öffentlichen Krankenhäuser sind mangelhaft ausgestattet, was Ausrüstung/medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht. Der Standard von Spitälern außerhalb Mogadischus ist erheblich schlechter. In Mogadischu gibt es mindestens zwei Spitäler, die für jedermann zugänglich sind (LIB Kapitel 22).

Die Primärversorgung wird oftmals von internationalen Organisationen bereitgestellt und ist für Patienten kostenfrei. Allerdings muss manchmal für Medikamente bezahlt werden. Private Einrichtungen, die spezielle Leistungen anbieten, sind sehr teuer. Medikamente, die Kindern oder ans Bett gebundenen Patienten verabreicht werden, sind kostenlos (LIB Kapitel 22).

Es gibt nur fünf bei der WHO registrierte Zentren zur Betreuung psychischer Erkrankungen und nur drei Psychiater in Somalia. Diese befinden sich in Berbera, Bossaso, Garoowe, Hargeysa und Mogadischu. Von der Regierung gibt es so gut wie keine Unterstützung für diese Einrichtungen, sie sind von Spenden abhängig. Psychisch Kranken haftet meist ein mit Diskriminierung verbundenes Stigma an. Nach wie vor ist das Anketten psychisch Kranker eine weit verbreitete Praxis (LIB Kapitel 22).

Grundlegende Medikamente sind verfügbar, darunter solche gegen die am meisten üblichen Krankheiten sowie jene zur Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck, Epilepsie und von Geschwüren. Auch Schmerzstiller sind verfügbar. Medikamente können ohne Verschreibung gekauft werden. Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt in erster Linie über private Apotheken. Für Apotheken gibt es keinerlei Aufsicht (LIB Kapitel 22).

1.5.11. Bewegungsfreiheit:

Die Übergangsverfassung schützt das Recht auf Bewegungsfreiheit im Land und das Recht zur Ausreise. Diese Rechte sind in einigen Landesteilen eingeschränkt.

Reisende sind durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren einer Gefahr ausgesetzt. Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen. Viele der Hauptstraßen werden nur teilweise von AMISOM und Armee kontrolliert. Trotzdem bereisen Zivilisten und Wirtschaftstreibende tagtäglich die Überlandverbindungen. Bei Reisen von Gebieten der Regierung in jene von al Shabaab besteht das Risiko, von beiden Seiten der Kollaboration verdächtigt zu werden (LIB Kapitel 19).

In Mogadischu gibt es keine Probleme bei der Bewegungsfreiheit (LIB Kapitel 19).

Innerstaatliche Fluchtalternativen bestehen für einen Teil der somalischen Bevölkerung mit Sicherheit. Üblicherweise genießen Somalis den Schutz ihres eigenen Clans, weshalb man davon ausgehen kann, dass sie in Gebieten, in denen ihr Clan Einfluss genießt, grundsätzlich in Sicherheit sind.

Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen. Mogadischu kann international (mit Ethiopian Airlines und Turkish Airlines) erreicht werden (LIB Kapitel 19).

1.5.12. Rückkehrer:

Schon nach den Jahren 2011 und 2012 hat die Zahl der aus der Diaspora nach Süd-/Zentralsomalia zurückkehrenden Menschen stark zugenommen. Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft. Im Jahr 2017 sind 245 Personen aus der EU und anderen europäischen Staaten nach Somalia zurückgebracht worden. Im ersten Halbjahr 2018 waren es 208. Bis Juli 2019 sind insgesamt 90.058 Somalis über AVR-Programme des UNHCR zurückgeführt worden, mehrheitlich aus Kenia, aber auch aus Dschibuti, Libyen und dem Jemen (LIB Kapitel 23).

Rückkehrer werden nicht von somalischen Behörden misshandelt. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer. Rückkehrer werden vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt. Am Flughafen kann es zu einer Befragung von Rückkehrern durch das RMO hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort kommen. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete Minderjährige und andere Rückkehrer (LIB Kapitel 23).

Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie). Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Für Rückkehrer ohne Netzwerk oder Geld gestaltet sich die Situation schwierig. Ein Netzwerk ist z.B. hinsichtlich Arbeitssuche wichtig (LIB Kapitel 21.3).

Rückkehrer nach Mogadischu haben dort einen guten Zugang zu Geld- oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen. Hinzu kommen Remissen von Verwandten im Ausland. Hingegen erhalten IDPs vergleichsweise weniger Remissen (LIB Kapitel 21.3).

Die Zurverfügungstellung von Unterkunft und Arbeit ist bei der Rückkehrunterstützung nicht inbegriffen und wird von den Rückkehrern selbst in die Hand genommen. Diesbezüglich auftretende Probleme können durch ein vorhandenes Netzwerk abgefedert werden. Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIB Kapitel 21.3).

Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das in der Regel enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen (LIB Kapitel 21.3).

Allein die Tatsache, dass eine Person nach Somalia zurückkehrt, macht diese nicht zum Ziel - auch nicht für die Al Shabaab. Rückkehrern in Gebiete der Al Shabaab könnte vorgeworfen werden, als Spione zu dienen. Ob ein Rückkehrer zum Ziel der Al Shabaab wird, hängt maßgeblich von seinem eigenen Verhalten ab. Alleine die Tatsache, dass eine Person aus dem Westen zurückgekehrt ist, spielt bei einer Rückkehr in das Gebiet der Al Shabaab keine Rolle. Viel wichtiger sind die Zugehörigkeit zu Familie und Clan und die Beziehungen dieser beiden Entitäten zur Al Shabaab. Al Shabaab richtet sich nicht gegen Rückkehrertransporte oder –Lager (LIB Kapitel 23).

1.5.13. Zur aktuellen Covid-19-Pandemie:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 07.01.2021, 371.983 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 6.568 Todesfälle (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Neuartiges-Coronavirus-(2019-nCov).html); in Somalia wurden mit Stand vom 21.12.2020 4.726 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 130 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://covid19.who.int/region/emro/country/so).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf.

Somalia hat am 15. März 2020 die Einreise von Passagieren verboten, die sich in den vorangegangenen 14 Tagen in China, Iran, Italien oder Südkorea aufgehalten hätten. Am 18. März 2020 hat die Regierung Flugbeschränkungen für zunächst 15 Tage umgesetzt. Ausreise und Einreise entlang der Küste sind ebenso beschränkt worden. Am 28. März 2020 ist das Verbot internationaler Flüge ausgeweitet worden. Für Transportflüge mit Nahrungsmitteln und medizinischen Gütern ist 24 Stunden vor Abflug eine besondere Erlaubnis nötig. Lastwägen dürfen nur einreisen, wenn sie Nahrungsmittel oder medizinische Güter transportieren. Bereits am 29. März hat Somalia Inlandsflüge ausgesetzt. Am 6. April 2020 ist das Verbot internationaler Flüge um weitere 30 Tage verlängert worden. Am 10. April 2020 haben die lokalen Behörden in Gedo nach Verordnungen der Regierung die Grenzübergänge zu Kenia und Äthiopien bis auf Weiteres geschlossen. Die Grenzübergänge in El Wak und Bila Hawo sowie in Doolow sind geschlossen worden (COVID-19).

Die somalische Regierung hat im April 2020 in Mogadischu eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Ab 15. April 2020 ist die Ausgangssperre zwischen 20 Uhr abends und fünf Uhr morgens gültig. Die Ausgangssperre betrifft den Verkehr und Geschäfte. Krankenhäuser, Apotheken und Geschäfte, die Nahrungsmittel („dry foods“) verkaufen, sind nicht davon betroffen (COVID-19).

50 der 67 Covid-19-Regelungen, die seit 16. März 2020 verkündet wurden, sind mit Stand 22. Juli 2020 weiterhin in Kraft. Am 5. Juli 2020 sind Inlandsflüge in Somalia wiederaufgenommen worden, nachdem sie am 18. März 2020 ausgesetzt wurden. Moscheen und religiöse Zentren haben ihre Tätigkeiten wieder voll aufgenommen, nachdem die Schließungsmaßnahmen jedoch nie gänzlich umgesetzt worden sind. Einige Bundesstaaten haben teilweise Schulen wieder geöffnet. Es wird erwartet, dass am 1. August 2020 alle Schulen wieder geöffnet werden (COVID-19).

Die Handelstage an der äthiopisch-somalischen Grenze wurden von zwei Tagen auf einen Tag verringert. Im Distrikt Belet Xaawo in der Region Gedo ist der grenzübergreifende Handel zwischen Äthiopien und Somalia weiterhin eingestellt. Diese Einschränkungen haben zu steigenden Nahrungsmittelpreisen in den Distrikten Luuq, Doolow und Belet Xaawo für unter anderem Kartoffeln und Tomaten geführt. In Galmudug und Somaliland ist der grenzüberschreitende Handel mit Äthiopien aktiv. Der Handel über alle anderen Grenzen ist aktiv (COVID-19).

Nach einer viereinhalbmonatigen Unterbrechung wurden am 3. August 2020 internationale Flüge in Somalia wiederaufgenommen. Somalische Inlandsflüge sind am 5. Juli wiederaufgenommen worden. Die somalische Regierung hat zudem mit 15. August die Wiedereröffnung von Schulen und Universitäten angeordnet (COVID-19).

In Somalia spüren sowohl die Aufnahmegemeinschaften als auch die Vertriebenen, wie MigrantInnen und Binnenvertriebene, unverhältnismäßig die Auswirkungen der Pandemie. Die Gründe dafür sind die geschwächten Strukturen zur sozialen Unterstützung, düstere sozio-ökonomische Aussichten, ungleicher Zugang zu Gesundheitsversorgung und grundlegenden sozialen Diensten, prekäre Wohnverhältnisse, dürftige Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Anfälligkeit für Falschinformation und gesellschaftliche Stigmatisierung, Bedrohung durch Ausbeutung und Misshandlung. Dies führt in weiterer Folge zu einem steigenden Level von Unsicherheit und Not und zur Instabilität von Personen, Familien und Gemeinschaften. Es gibt nur eingeschränkt Bereitstellung von und Zugang zu Unterstützungsleistungen für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung. Durch Falschinformationen hervorgerufene gesellschaftliche Stigmatisierung kann möglicherweise Auswirkungen auf gefährdete Gruppen wie MigrantInnen, vertriebene Gemeinschaften und zuvor von Covid-19 betroffene Personen haben (COVID-19).

Der Großteil der Flüchtlinge, Asylwerber und Rückkehrer lebt in armen städtischen Gebieten mit eingeschränkten öffentlichen Gesundheitseinrichtungen, schlechter Wasser- und Sanitärversorgung, unangemessenen Unterkünften sowie eingeschränkten sozialen Sicherungssystemen und ist mit bestimmten Hindernissen und Gefährdungen konfrontiert, die aufgrund der Covid-19-Lage ihre Vulnerabilität erhöhen würden (darunter auch genderbasierte Gewalt). Viele Flüchtlinge und Asylwerber werden vernachlässigt, stigmatisiert und sind mit Schwierigkeiten beim Zugang zu Gesundheitsdiensten, sozialen Schutz und anderen Diensten, die für die allgemeine Bevölkerung verfügbar sind, konfrontiert (COVID-19).

Die Kapazitäten der IDP-Lager sind erschöpft und viele vertriebene Familien daher gezwungen, informell auf privatem Land zu wohnen, wo sie ständig von Zwangsräumungen betroffen sind. Sowohl städtische als auch weiter abseits gelegene Binnenvertriebenenlager sind aufgrund von Überbelegung und engen Lebensverhältnissen weiterhin von Covid-19-Übertragung bedroht (COVID-19).

Die Kapazität Somalias, eine globale Gesundheitsbedrohung zu verhindern, zu erkennen und darauf zu reagieren, ist im Jahr 2016 mittels des Health Emergency Preparedness Index mit sechs von 100 bewertet worden. Auf 100.000 Personen kommen zwei MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen, im Vergleich zum globalen Standard von 25 pro 100.000 Personen. Krankheitsausbrüche wie der seit Dezember 2017 andauernde Choleraausbruch belasten die Gesundheitssysteme des Landes. Weniger als 20

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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