TE Vwgh Erkenntnis 1997/4/22 96/04/0252

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Veröffentlicht am 22.04.1997
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Index

50/01 Gewerbeordnung;

Norm

GewO 1994 §356 Abs3;
GewO 1994 §75 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde des HP und des GP, beide in S, beide vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 30. April 1996, Zl. 318.309/1-III/A/2a/95, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einem Verfahren gemäß § 77 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: X-Gesellschaft in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem allein den Gegenstand seines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bildenden Spruchpunkt I. seines Bescheides vom 30. April 1996 wies der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten die Berufung der Beschwerdeführer gegen den im Namen des Landeshauptmannes von Kärnten erlassenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau zurück. Zur Begründung führte der Bundesminister aus, mit Bescheid der Erstbehörde vom 28. Juni 1995 sei der mitbeteiligten Partei die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Betriebsanlage auf näher bezeichneten Grundstücken unter Vorschreibung von Auflagen erteilt worden. Gleichzeitig seien die Anträge der Beschwerdeführer auf Zuerkennung der Parteistellung zurückgewiesen worden. Die Erstbehörde habe in Anwendung des § 335a GewO 1994 im Hinblick auf § 334 Z. 7 GewO 1994 im Namen des Landeshauptmannes als Gewerbebehörde erster Instanz entschieden. Die Zurückweisung der Parteistellung habe sich darauf gegründet, daß die Anwesen der Beschwerdeführer 180 m bzw. 200 m von der Betriebsanlage entfernt lägen und damit keine Verletzung der Interessen des § 74 Abs. 2 möglich wäre. Die Beschwerdeführer hätten gegen diesen Bescheid Berufung erhoben. Nach Darstellung des Inhaltes der Bestimmungen der §§ 8 AVG und 75 Abs. 2 GewO 1994 führte der Bundesminister weiter aus, aus dem Akteninhalt gehe hervor, daß die Anwesen der Beschwerdeführer 180 bzw. 200 m von der Betriebsanlage entfernt seien. Auf Grund dieser Entfernung sei nicht mit Beeinträchtigungen durch Abgasimmissionen, herrührend von auf der Betriebsanlage durchgeführten Kfz- bzw. im speziellen Lkw-Fahrten zu rechnen. Die Frage der Lärmimmissionen sei bereits im Gutachten des beigezogenen Sachverständigen behandelt worden. Aus diesem gehe hervor, daß eine geringfügige Erhöhung (1 bis 2 dB) der derzeit vorhandenen Lärmimmissionen zu erwarten sei. Darüberhinaus seien im Rahmen des bisherigen Verfahrens Berechnungen für einige der Betriebsanlage näher gelegene Liegenschaften durchgeführt worden, und zwar sowohl für solche Liegenschaften, die zum Teil durch den nördlich der Betriebsanlage geplanten ca. 2,5 m hohen Erdwall abgeschirmt werden sollen, als auch für solche Liegenschaften, die durch diesen Wall keine Abschirmwirkung mehr erfahren würden. Aus den im Akt erliegenden Luftbildern gehe hervor, daß zwischen der Betriebsanlage und den in Rede stehenden "Berufungsliegenschaften" ebenes, durch landwirtschaftliche Betriebe (niederer Bewuchs) genütztes Gelände liege. Darüberhinaus werde im Gutachten des Sachverständigen erwähnt, die in Betracht gezogenen Liegenschaften hätten jeweils die gleiche Entfernung zu einem der wesentlichen Umgebungsgeräuscherzeuger, nämlich der Autobahn A 10. Wenn auch auf den Liegenschaften der Beschwerdeführer eine geringfügige Erhöhung (1 bis 2 dB) der Lärmimmissionen erwartet werden könne, so sei dies derartig niedrig, daß sie nicht als geeignet bezeichnet werden könne, die Nachbarn zu belästigen oder gar zu gefährden. Es sei daher die Nachbar- und damit die Parteistellung nicht gegeben.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluß vom 24. September 1996, Zl. B 1974/96-3, ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift mit einem gleichartigen Antrag.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich die Beschwerdeführer in dem Recht auf sachliche Erledigung einer gegen einen Bescheid der Gewerbebehörde erster Instanz erhobenen Berufung sowie im besonderen in dem Recht auf Zuerkennung der Parteistellung in einem gewerbebehördlichen Betriebsanlagenverfahren als Nachbarn und auf Stattgebung der von ihnen gegen eine geplante gewerbebehördliche Betriebsanlage erhobenen Einwendungen im Sinne einer Abweisung der Genehmigung der Betriebsanlage wegen gesundheitsschädlicher und belästigender Immissionen, die von der Betriebsanlage auf die Grundstücke der Beschwerdeführer einwirkten, verletzt. In Ausführung des so formulierten Beschwerdepunktes machen sie geltend, entgegen der Bestimmung des § 356 Abs. 1 GewO 1994 sei in ihren Häusern die Augenscheinsverhandlung erster Instanz nicht kundgemacht worden. Sie seien also rechtswidrigerweise zur Augenscheinsverhandlung nicht geladen worden, weshalb der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grunde mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet sei. Sie hätten nachträglich Einwendungen erhoben, weshalb ihnen im Sinne des § 356 Abs. 3 GewO 1994 Parteistellung zuzuerkennen und über ihre Einwendungen sachlich im Sinne einer Abweisung des gestellten Antrages auf Betriebsanlagengenehmigung zu erkennen gewesen wäre. In der Zwischenzeit seien durch die Anlage bzw. durch deren Ausführung und deren Betrieb die Grundwasser- und Abwasserverhältnisse so geändert worden, daß der Wasserabfluß auf Grund des um 2 m erhöhten Grundwasserspiegels gehemmt sei. Dies habe zur Folge gehabt, daß an näher bezeichneten Tagen es zu einer Überschwemmung und einem Wasseraustritt in den Kellern mehrerer Häuser gekommen sei, deren Ursache in der Führung der Betriebsanlage liege. Auch bedinge die Errichtung der Betriebsanlage durch verstärkte Reflexionen der Schallwellen und einer erhöhten Resonanz eine Erhöhung des durch die Tauernautobahn verursachten Lärms. Darauf habe die belangte Behörde nicht Bedacht genommen. Auffallend sei auch, daß die belangte Behörde sich nur mit der Einwendung der Lärmsituation auseinandergesetzt habe und den Standpunkt vertrete, die geringfügige Erhöhung der Lärmimmission sei wegen des geplanten 2,5 m hohen Erdwalls zumutbar. Dem könne nicht beigepflichtet werden, weil durch die besondere Form der Betriebsanlage die bereits erwähnte verstärkte Resonanz des Lärms auf das Grundstück der Beschwerdeführer einwirke und die damit verursachte Lärmpegelerhöhung von dem Sachverständigen bisher nicht berücksichtigt worden sei. Keinesfalls sei es richtig, daß lediglich 1 bis 2 dB Lärmerhöhung eingetreten seien. Mangels Gewährung des Parteiengehörs seien die Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen, im Detail ihre Einwendungen in bezug auf das Beweisergebnis des Verfahrens zu spezifizieren und darauf hinzuweisen, wie durch Gase, durch Wassereinwirkung und durch Lärm- und Staubeinwirkungen sie in ihrer Gesundheit gefährdet und somit ihre Grundstücke sehr massiv durch Immissionen beeinträchtigt würden.

Gemäß § 356 Abs. 3 GewO 1994 sind im Verfahren betreffend die Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage unbeschadet des folgenden Satzes nur jene Nachbarn Parteien, die spätestens bei der Augenscheinsverhandlung Einwendungen gegen die Anlage im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1, 2, 3 oder 5 erheben, und zwar vom Zeitpunkt ihrer Einwendungen an. Weist ein Nachbar der Behörde nach, daß er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach dem ersten Satz zu erlangen, so darf er seine Einwendungen gegen die Anlage im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1, 2, 3 oder 5 auch nach Abschluß der Augenscheinsverhandlung und bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Angelegenheit vorbringen und ist vom Zeitpunkt seiner Einwendungen an Partei; solche Einwendungen sind vom Nachbarn binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses für ihre Erhebung bei der Behörde einzubringen, die die Augenscheinsverhandlung anberaumt hat, und von dieser oder von der Berufungsbehörde in gleicher Weise zu berücksichtigen, als wären sie in der mündlichen Verhandlung erhoben worden.

Nach § 75 Abs. 2 GewO 1994 sind Nachbarn im Sinne dieses Bundesgesetzes alle Personen, die durch die Errichtung, den Bestand oder den Betrieb einer Betriebsanlage gefährdet oder belästigt oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte gefährdet werden könnten.

Die belangte Behörde verneinte im vorliegenden Fall die Parteistellung und damit das Berufungsrecht der Beschwerdeführer deshalb, weil sie meinte, es komme ihnen nicht die Eigenschaft eines Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO 1994 zu. Ausgehend von dem von der belangten Behörde hiezu festgestellten Sachverhalt vermag der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsansicht nicht zu teilen.

Aus dem oben wiedergegebenen Wortlaut des § 75 Abs. 2 GewO 1994 ergibt sich, daß die Nachbareigenschaft schon dann gegeben ist, wenn die bloße Möglichkeit besteht, daß die betroffene Person durch die Errichtung, den Bestand oder den Betrieb einer Betriebsanlage gefährdet oder belästigt oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte gefährdet werden könnte.

Nach dem von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt handelt es sich bei dem in Rede stehenden Projekt um eine Betriebsanlage, von der Lärm- und Abgasemissionen als Folge von Lkw-Fahrten ausgehen und zwischen dieser Betriebsanlage und den Liegenschaften der Beschwerdeführer liegt ebenes, durch landwirtschaftliche Betriebe (niederer Bewuchs) genütztes Gelände. Davon ausgehend vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, daß schon von vornherein nicht die Möglichkeit einer durch die Errichtung, den Bestand oder den Betrieb der in Rede stehenden Betriebsanlage bedingte Gefährdung oder Belästigung der Beschwerdeführer gegeben gewesen wäre. Daran vermag der Umstand, daß im Zuge des Verfahrens der beigezogene Sachverständige eine durch den Betrieb dieser Betriebsanlage bedingte Erhöhung der Lärmimmissionen - unter Berücksichtigung eines geplanten Lärmschutzwalles - mit nur 1 bis 2 dB errechnete, nichts zu ändern.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996040252.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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