TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/13 W282 2227864-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.01.2021
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Entscheidungsdatum

13.01.2021

Norm

BFA-VG §18
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4

Spruch


W282 2227864-1/40E

Im Namen der Republik!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Ergehen einer Beschwerdevorentscheidung am XXXX , Zl. XXXX , und Stellung eines Vorlageantrages, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.07.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II., IV. und V. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung in diesem Umfang bestätigt.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird teilweise Folge gegeben und die Beschwerdevorentscheidung dahingehend abgeändert, dass in Spruchpunkt III. die Dauer des Einreiseverbotes auf 4 Jahre herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.




Text


Entscheidungsgründe:

I.             Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist kosovarischer Staatsangehöriger und im Bundesgebiet mehrfach strafrechtlich vorbestraft, u.a. wegen erheblicher Gewaltdelikte. In der am 04.09.2019 durchgeführten Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge auch kurz „Bundesamt“) zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er sei in Österreich geboren und seine Verfehlungen würden ihm leidtun. Er habe seine Fehler allesamt eingesehen und werde sein Leben ändern. Vor seiner Inhaftierung habe er mit seinen Eltern und Geschwistern im gemeinsamen Haushalt gelebt. In Österreich verfüge der Beschwerdeführer über einen Onkel sowie eine Tante väterlicherseits und Cousins und Cousinen. Im Kosovo würden seine Großmutter, sein Onkel väterlicherseits mit dessen Familie sowie seine Tanten wohnen. Der Beschwerdeführer stehe in Kontakt mit seinen im Kosovo aufhältigen Familienangehörigen. Zudem besitze sein Vater ein Haus im Kosovo. Der Beschwerdeführer werde durch seine Eltern finanziell unterstützt, zumal er selbst immer nur kurz gearbeitet habe.

2. In der weiteren Einvernahme vor dem Bundesamt am 16.10.2019 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei sehr konservativ erzogen worden und in seiner Familie sei die Frau immer untergeordnet gewesen. Zu seinen Verurteilungen gab er unter anderem an, es sei sehr viel Eifersucht im Spiel gewesen. Der Beschwerdeführer absolviere eine Therapie. Gefragt, was seiner Meinung nach gegen eine Rückkehr in den Kosovo spreche, antwortete der Beschwerdeführer, dass er die Sprache nicht so richtig beherrsche und eine Zukunft dort fast unmöglich wäre. Er würde in dem Haus seines Vaters leben und wahrscheinlich noch schwerer eine Arbeit finden als in Österreich. Der Beschwerdeführer erteilte seine Zustimmung zur Einholung medizinischer Auskünfte über den Anstaltsarzt bzw. die Anstaltsärztin.

3. Am 16.10.2019 ersuchte das Bundesamt die Justizanstalt um Übermittlung der medizinischen Unterlagen des Beschwerdeführers.

4. Mit Bescheid vom XXXX wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in den Kosovo zulässig sei (Spruchpunkt I.-II.). Gegen den Beschwerdeführer wurde ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.) und eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt V.).

Begründend führte das Bundesamt zusammengefasst aus, der Beschwerdeführer werde aufgrund der Risikoeinschätzung weiterhin in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angehalten. Seine vom gerichtlichen Gutachter festgestellte narzisstische Persönlichkeitsstörung und insbesondere seine sich im partnerschaftlichen Kontext manifestierende, patriarchalische Wertehaltung, männliche Dominanz- und Machtansprüche sowie seine erhöhte sexualisierte Aggressions- und Gewaltbereitschaft rechtfertige die Annahme, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit massiv gefährde. Die Erlassung eines Einreiseverbotes sei zur Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen dringend geboten. Der Beschwerdeführer sei von der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (in Folge auch kurz „BEST“) des Bundesministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz (nunmehr: Bundesministerium für Justiz) in der Stellungnahme vom XXXX .2019 einer Hochrisikogruppe von Tätern im Hinblick auf die Wiederverurteilung mit Gewalt- bzw. Sexualdelikten zugeordnet worden. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers sei über einen langen Zeitraum gesetzt worden und liege noch nicht so lange zurück, dass aufgrund des bisher verstrichenen Zeitraums eine zuverlässige Prognose über ein zukünftiges Wohlverhalten gestellt werden könnte. Schon im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit von Sexual-, Körperverletzungs- und Eigentumsdelikten sei die Erlassung eines Einreiseverbotes auch bei ansonsten zuzugestehender sozialer Integration des Fremden dringend geboten, weil das maßgebliche öffentliche Interesse in diesem Fall unverhältnismäßig schwerer wiege, als gegenläufige private und familiäre Interessen des Fremden. Der Beschwerdeführer sei zweifellos in der Lage, sich im Kosovo, wo er über Unterstützung und Obdach durch seine Angehörigen verfüge, eine neue soziale und wirtschaftliche Existenz aufzubauen.

5. Mit der am 07.01.2020 eingelangten Beschwerde erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid. Dabei brachte er nach einer kurzen Sachverhaltsdarstellung im Wesentlichen vor, unter Berücksichtigung seiner sonstigen Lebensumstände sei jedenfalls vom Überwiegen seines Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK auszugehen: Er sei in Österreich geboren, halte sich nunmehr seit nahezu XXXX Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf, habe in Österreich die Schule besucht und sei kurz beruflich integriert gewesen. Zurzeit sei der Beschwerdeführer als Tischler in der Justizanstalt beschäftigt und habe aufgrund der Haftbesuche seiner Angehörigen regelmäßig Kontakt mit seiner Familie. Der Beschwerdeführer kenne sein Heimatland lediglich von Kurzbesuchen und könnte ihn seine Großmutter, die nur eine geringe Pension beziehe, nur schwer unterstützen. Das Haftübel und die Therapie hätten den Beschwerdeführer dazu veranlasst, ein geordnetes Leben, frei von Straftaten, zu führen. Ein fünfjähriges befristetes Verbot zur Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten sei unverhältnismäßig. Dem Beschwerdeführer wäre es demnach nicht mehr möglich mit seiner Familie ein Familienleben in Österreich zu führen. Dies wäre ein erheblicher Eingriff in das garantierte Grundrecht auf das Privat- und Familienleben gemäß Art. 8 EMRK. Abschließend wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG angeregt und eine mündliche Verhandlung beantragt.

6. Mit Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes vom XXXX wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und dabei im Wesentlichen ausgeführt, es würden nach wie vor Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat Kosovo bestehen. Er beherrsche die dort übliche Sprache und sei mit den Gepflogenheiten vertraut. Es sei davon auszugehen, dass er nach seiner Haftentlassung im Kosovo einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne, um ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Aufgrund der gravierenden Straffälligkeit des Beschwerdeführers sei dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung ein sehr großes Gewicht beizumessen, zumal er zuletzt wiederholt wegen Gewalt- und Sexualdelikten verurteilt worden sei. Ferner habe die in der Beschwerde angeführte kurze berufliche Integration nicht verifiziert werden können. Der Beschwerdeführer sei in Österreich niemals einer regelmäßigen beruflichen Tätigkeit nachgegangen und habe hauptsächlich und langjährig von der Unterstützung seiner Familie gelebt. Aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet niemals einer Beschäftigung nachgegangen sowie wiederholt gerichtlich verurteilt worden sei und sich beharrlich weigere, Gesetze und Werte zu respektieren, gelange das Bundesamt auch im Beschwerdevorentscheidungsverfahren zu der Ansicht, dass bislang keine positive Verhaltens- bzw. Charakterentwicklung stattgefunden habe und der Beschwerdeführer eine solche jedenfalls durch ein mehrjähriges Wohlverhalten in Freiheit zu beweisen habe. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung sei auch im Beschwerdevorentscheidungsverfahren nicht zu beanstanden gewesen. Einem allfälligen Vorlageantrag gemäß § 15 Abs. 2 Z 1 VwGVG komme von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung zu.

7. Gegen diese Beschwerdevorentscheidung brachte der Beschwerdeführer fristgerecht einen Vorlageantrag ein.

8. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 04.03.2020 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung G313 abgenommen und der Gerichtsabteilung W282 neu zugewiesen.

9. Am 13.05.2020 ersuchte das erkennende Gericht das Landesgericht XXXX um Mitteilung, ob es seit der letzten Begutachtung für die Fortsetzung des Maßnahmenvollzugs eine weitere Überprüfung gegeben habe, und um Übermittlung näher genannter Unterlagen. Daraufhin wurde am 25.05.2020 der Aktenbestandteil vom XXXX .2019 (Äußerung der BEST nach § 152 Abs. 2 StVG) übermittelt.

10. Mit Aktenvermerk vom 04.06.2020 wurde festgehalten, dass der Soziale Dienst der Justizanstalt XXXX telefonisch nachgefragt habe, ob eine Eingabe hinsichtlich der anberaumten Videokonferenzeinvernehmung des Beschwerdeführers am 06.07.2020 gemacht werden könnte. Dem Sozialen Dienst wurde mitgeteilt, dass es ihm freistünde, eine entsprechende Eingabe zu machen.

11. Mit Stellungnahme des Fachteams des Departments Maßnahmenvollzug der Justizanstalt XXXX vom 09.06.2020 wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Umstand, dass die engere Familie des Beschwerdeführers, die ihn unterstütze und mit der er regelmäßigen Kontakt pflege, in XXXX wohnhaft sei, würde aus risikoprognostischer Sicht dafürsprechen, dass er nach einer bedingten Entlassung wieder nach XXXX zurückkehre. Der Beschwerdeführer absolviere in der Justizanstalt eine Lehre, um die berufliche Integration nach einer bedingten Entlassung zu gewährleisten. Er zeige sich dort engagiert und motiviert. Auch in Bezug auf ein gutes berufliches Fortkommen, das sich aus fachlicher Sicht risikovermindernd auswirke, sei eine bedingte Entlassung nach XXXX empfehlenswert, da dort die Berufschancen als deutlich besser eingeschätzt würden als in Kosovo. Ebenfalls für den Weiterverbleib in Österreich nach einer bedingten Entlassung spreche die Möglichkeit der Unterstützung und Überwachung der Reintegration des Beschwerdeführers sowohl durch das Maßnahmenteam vor der Entlassung, als auch nach der Entlassung durch eine Probezeit gemäß § 48 Abs. 2 StGB mit entsprechenden gerichtlichen Weisungen und Auflagen. Zusammenfassend sei im Falle der Aufrechterhaltung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme von einem erhöhten Rückfallrisiko auszugehen, da in diesem Fall die Unterstützung und Überwachung, die in Österreich möglich sei, nach einer bedingten Entlassung und Abschiebung in den Kosovo nicht gegeben wäre.

Zu dieser Stellungnahme wurde dem Beschwerdeführer Parteiengehör eingeräumt und ihm die Möglichkeit gegeben, eine Stellungnahme – entweder bis zum 01.07.2020 schriftlich oder in der Verhandlung mündlich – abzugeben.

12. Am 15.06.2020 beantragte der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung die Einvernahme seines Vaters sowie seiner Schwester als Zeugen.

13. Am 06.07.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an der der Beschwerdeführer selbst per Videokonferenz aus der Justizanstalt XXXX teilnahm sowie in deren Rahmen der die Schwester und der Vater des Beschwerdeführers als Zeugen einvernommen wurden.

14. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.07.2020 wurde ein allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für das Fachgebiet der Klinischen Psychologie gem. § 52 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG in der gegenständlichen Beschwerdesache bestellt. Dem Sachverständigen wurde aufgetragen, bis 23.10.2020 ein schriftliches Gutachten zu konkreten Fragen im Hinblick auf die Gefährlichkeit bzw. Rückfallswahrscheinlichkeit des Beschwerdeführers zu erstatten. Das Gutachten des Sachverständigen langte am 13.11.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde dem Beschwerdeführer am selben Tag im Wege seiner Rechtsvertretung zur Kenntnis- und Stellungnahme binnen 3 Wochen übermittelt. Weiters wurde mitgeteilt, dass eine mündliche Gutachtenserörterung unter Beiziehung des bestellten Sachverständigen im Zuge einer fortgesetzten Verhandlung binnen selbiger Frist beantragt werden könne. Bis zum Ergehen des ggst. Erkenntnisses wurde weder eine Stellungnahme erstattet noch eine Gutachtenserörterung beantragt.

15. Aufgrund des Übergangs der gesetzlichen Rechtsberatung gemäß § 52 BFA-VG auf die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) mit 01.01.2021, löste der Verein Menschenrechte Österreich die bis dahin bestehende Vertretungsvollmacht zum 31.12.2020 auf. Eine neue Vertretungsvollmacht zugunsten der BBU langte bis zum Ergehen des ggst. Erkenntnisses nicht ein und teilte die BBU auch auf Anfrage am 12.01.2021 mit, dass ihr keine Vertretungsvollmacht vorliege.

II.         Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.             Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers und seinem (Privat)Leben in Österreich:

Der Beschwerdeführer führt die im Spruch genannte Identität (Name und Geburtsdatum) und ist kosovarischer Staatsangehöriger. Er wurde in Österreich geboren und ist ledig. Er spricht Deutsch und ist auch mit der albanischen Sprache vertraut. Der Beschwerdeführer befindet sich seit XXXX .2017 in Haft und wird seit XXXX .2018 im Maßnahmenvollzug gemäß § 21 Abs. 2 StGB angehalten (zur Straffälligkeit des Beschwerdeführers siehe Pkt. II.1.2.), wo er seit März 2019 an einer wöchentlichen Einzelpsychotherapie teilnimmt. Der Beschwerdeführer leidet an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheit. Es wurde bei ihm allerdings eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und dissozialen Komponenten, die auf einer höhergradigen seelisch-geistigen Abnormität beruht, festgestellt. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.

Im Jahr 1998 wurde dem Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft XXXX eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck „Familiengemeinschaft ausgenommen unselbständiger Erwerb“ erteilt.

Bis zu seiner Inhaftierung hat der Beschwerdeführer in Österreich im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern sowie Geschwistern gelebt. Die Erziehung des Beschwerdeführers war sehr konservativ geprägt; die Frau war in der Familie stets untergeordnet. Bereits im Hauptschulalter ergaben sich beim Beschwerdeführer erste Hinweise auf aggressive und gewalttätige Verhaltensweisen. Er war im Besitz eines Schlagringes und trug auch oft ein Messer bei sich. Im Jahr 2017 wurde gegen ihn ein Waffenverbot verhängt. Der Beschwerdeführer verfügt weder über einen Pflichtschulabschluss, noch ging er in Österreich vor seiner Inhaftierung jemals einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach. Er bestritt seinen Lebensunterhalt durch die finanzielle Unterstützung seiner Eltern. In der Justizanstalt absolviert der Beschwerdeführer eine Lehre als Tischler.

Die Mutter des Beschwerdeführers ist im Juli 2019 verstorben. Der Beschwerdeführer wird in der Justizanstalt von seiner Familie besucht; zudem verfügt er über einen Freundeskreis im Bundesgebiet.

Neben den Eltern und Geschwistern des Beschwerdeführers, darunter zwei ältere Schwestern und ein jüngerer Bruder, leben ebenfalls sein Onkel und seine Tante väterlicherseits sowie Cousins und Cousinen in Österreich. Im Kosovo sind hingegen die Großeltern des Beschwerdeführers und weitere Tanten sowie ein Onkel väterlicherseits mit dessen Familie aufhältig. Der Vater des Beschwerdeführers besitzt in XXXX , Kosovo, zudem ein Haus, das von der Großmutter bewohnt wurde und in dem der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr auch wohnen könnte. Zu seinen Verwandten im Kosovo steht der Beschwerdeführer in sporadischem Kontakt. Der BF hat sich im Kosovo primär zum Zweck von Verwandtenbesuchen bzw. zu Urlaubszwecken aufgehalten. Der BF hat sich letztmalig vor 5 bis 6 Jahren im Kosovo aufgehalten. Der BF spricht gebrochen albanisch, kann sich jedoch grundlegend verständigen. Eine finanzielle Unterstützung des BF durch seine Familie ist im Fall der Rückkehr in den Kosovo in gewissem Umfang möglich.

Der BF ist körperlich gesund und erwerbsfähig, er ist nicht auf Medikamente angewiesen. Der BF hat eine Freundin, die er zu einem Zeitpunkt kennengelernt hat, als er bereits im Maßnahmenvollzug angehalten wurde.

1.2.    Zur Straffälligkeit des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich bereits mehrfach straffällig und wie folgt gerichtlich (rechtskräftig) verurteilt:

Mit seit XXXX .2016 rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen Urkundenfälschung, Entfremdung unbarer Zahlungsmittel, Sachbeschädigung, Diebstahl, versuchter Erschleichung einer Leistung und Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 200 Tagsätzen zu je 5,00 EUR verurteilt. Mit seit XXXX 2016 rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX erfolgte eine Zusatzstrafe wegen versuchter Nötigung von einem Monat unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, die anschließend aufgrund der folgenden Verurteilung auf fünf Jahre verlängert wurde. Der BF beging diese Delikte zum Nachteil seiner damaligen Freundin XXXX ., indem er sie während der Dauer der Beziehung mit einem Kochlöffel schlug, ihr ihr Mobiltelefon wegnahm, ihre Kleidung zerriss bzw. zerstörte und in ihrem Besitz befindliche Einrichtungsgegenstände zerstörte. Weiters versuchte er sie zu nötigen, ihre Arbeitsstelle aufzugeben und drohte ihr mit der Veröffentlichung von ihr angefertigter Nacktfotos, wenn sie ihren Facebook-Account nicht lösche.

Mit seit XXXX 2016 rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen versuchter Nötigung, dauernder Sachentziehung und Urkundenunterdrückung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt, wobei die verhängte Probezeit der vorhergenannten Verurteilung auf fünf Jahre verlängert wurde. Auch dies Verurteilung erfolgte wegen Taten, die der BF zum Nachteil seiner damaligen Freundin XXXX . beging. Der BF nahm ihr u.a. ihren Reisepass und ihr Mobiltelefon weg, um sie so zu nötigen wieder mit ihm zusammen zu ziehen und eine gegen ihn erstatte Anzeige wegen der zuvor abgeurteilten Gewaltdelikte wieder zurückzuziehen.

Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit seit XXXX .2018 rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs. 1 StGB, der Verbrechen der teils versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 202 Abs. 1, 15 StGB, der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs. 1 Z 1 und 2, Abs. 4 Z 3 lit. a und b StGB und der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs. 1 Z 3 StGB unter Bedachtnahme auf § 28 Abs. 1 StGB und unter Anwendung des § 19 Abs. 1 JGG nach § 202 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Zudem verfügte das Landesgericht gemäß § 21 Abs. 2 StGB die Einweisung des Beschwerdeführers in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Als mildernd wertete das Gericht, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, der Beschwerdeführer bei Begehung der Taten zwar das 18., jedoch das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, die durch seine Persönlichkeitsstörung eingeschränkte Dispositionsfähigkeit sowie das teils reumütige Geständnis. Hingegen wertete es die zwei auf derselben schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen, den äußerst raschen Rückfall, die Tatbegehungen innerhalb offener Probezeiten und das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und Vergehen als erschwerend. Der Verurteilung lag unter anderem folgender strafbarer Sachverhalt zugrunde (Auszug aus dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen):

„[…]

Der Angeklagte drückte den Kopf der […] gegen die Kante eines Geländers, würgte und stieß sie gegen die Wand. Ab diesem Zeitpunkt kam es öfter zu Übergriffen durch den Angeklagten. […]

Im […] 2016 oder […] 2016 nötigte er sie in […] durch Versetzen von Schlägen mit der flachen Hand gegen das Gesicht, durch die Androhung weiterer Schläge sowie damit, ihr seinen Namen in ihren Gesäßbereich zu ritzen, für ca eineinhalb Stunden nackt auf einem Bein zu stehen. Er erklärte, er wolle ihr Gehorsam beibringen, da sie ohne seine Zustimmung duschen gegangen war. Wenn sie hinfiel, verpasste er ihr einen Schlag mit der flachen Hand gegen das Gesicht und sie musste sich wieder hinstellen, bis sie ihm nicht mehr widersprach.

Zu einem anderen Zeitpunkt in […] packte er sie am Hals und warf sie gegen einen Zaun. Der Angeklagte riss […] in zumindest zwei Vorfällen an den Haaren und riss ihr sogar Haarbüschel aus. Er versetzte ihr auch Kniestöße.

Einmal konfrontierte sie ihn damit, dass er mit einer anderen Frau SMS schreibe, woraufhin er mit den Fäusten gegen ihren Rücken und ihren Hinterkopf schlug, wodurch sie Hämatome erlitt. Dann warf er sie aus der Wohnung in […]. Er packte sie am Hals und warf sie gegen die Wand, zerrte sie wiederum in die Wohnung und schlug weiter auf sie ein; selbst als sie schon am Boden lag. […]

Im Zeitraum […] 2016 bis […] 2016 drohte der Angeklagte vielfach mit der Veröffentlichung der Nacktaufnahmen und erreichte dadurch, dass das Opfer ihm weitere Nacktbilder von sich übersandte.

[…] Bei einem Telefonat drohte der Angeklagte […] weiters, dass er sie vergewaltigen lasse, sollte sie nicht mit einem anderen Mann Sex haben. Dieser Forderung kam sie jedoch nicht nach.

[…]“

Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX 2019 wurde festgestellt, dass die weitere Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher notwendig sei. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund der forensischen Stellungnahme der Anstaltsleitung der Justizanstalt sowie der Stellungnahme der BEST, dem noch ungeklärten Aufenthaltsstatus und im Hinblick darauf, dass zwar durchaus Fortschritte beim Beschwerdeführer erkennbar seien, jedoch die Therapie noch nicht abgeschlossen sei und auch noch keine vollzugslockernden Maßnahmen getätigt worden seien, sei derzeit nicht davon auszugehen, dass beim Beschwerdeführer die einweisungsrelevante Gefährlichkeit, gegen die sich die Maßnahme richte, bereits in ausreichendem Ausmaß abgebaut sei.

1.3. Zur Gefährlichkeit des Beschwerdeführers und zum eingeholten Sachverständigengutachten

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.07.2020 wurde ein allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für das Fachgebiet der Klinischen Psychologie gem. § 52 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG in der gegenständlichen Beschwerdesache bestellt. Dem Sachverständigen wurde aufgetragen, bis 23.10.2020 ein schriftliches Gutachten zu erstatten, um folgende Fragen zu beantworten:

1)       Wie ist in risikoprognostischer Hinsicht die Gefährlichkeits- und Rückfallsprognose des Beschwerdeführers auf Basis der bisherigen vorliegenden Beweismittel bzw. Beweisergebnisse iSe Zusammenschau der vorliegenden Gutachten und der Behandlungsunterlagen derzeit zu beurteilen? Soweit deren Ausdruck in risikoprognostischen facheinschlägigen Indizes möglich erscheint (z.B. Violence Risk Scale, Static 99 o.ä.), sind auch diese Werte anzugeben.

2)       Welche Rolle spielt in sachverständiger Hinsicht – im Hinblick auf die Gefährlichkeits-und Rückfallsprognose – der soziale Empfangsraumfaktor „prosoziale familiäre Unterstützung“ sowie „berufliche Integrierbarkeit“ des Beschwerdeführers, wenn dieser aus dem Maßnahmenvollzug entlassen wird?

3)       Welche Auswirkungen sind risikoprognostischer Hinsicht zu erwarten, wenn eine Person in der Situation des Beschwerdeführers im Hinblick auf den sozialen Empfangsraumfaktor „prosoziale familiäre Unterstützung“, bei der Entlassung in eine Sozialumgebung zurückkehrt, die seine Taten maßgeblich relativiert bzw. überwiegend den Opfern die Verantwortung für die Tathandlungen zuweist?

4)       Welche Auswirkungen sind in risikoprognostischer Hinsicht auf die Gefährlichkeits- und Rückfallsprognose des Beschwerdeführers zu erwarten, wenn (unter Einbeziehung der Situation gemäß Länderinformationsblatt Kosovo) dieser dort eine im Hinblick auf berufliche Integrierbarkeit und therapeutischen Möglichkeiten sowie im Hinblick auf ein soziales Unterstützungsnetzwerk ungünstigere Situation vorfinden würde)? Dabei sind folgende Determinanten maßgeblich zu berücksichtigen: Bestehen nur von Grundkenntnissen der Landessprache geringe Chance auf berufliche Integrierbarkeit durch allgemeine schlechtere wirtschaftliche Situation des Aufenthaltsstaates, nur eingeschränkt mögliche familiäre Unterstützung, unzureichender Zugang zu und geringwertigere Qualität von psychotherapeutischen Therapieressourcen. Soweit möglich sind diese Änderungen wiederum indexbasiert (vgl. Frage 1) zu quantifizieren.

Dieses Gutachten langte am 13.11.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die an den Sachverständigen gestellten Fragen wurden wie folgt beantwortet:

1)       Bei der Anwendung des VRAG wurde ein Summenwert von 8 erreicht, was der Risikokategorie 6 entspricht. Unter den Straftätern der Entwicklungsstichprobe wiesen 31% einen höheren Summenwert auf und ca. 44% der Straftäter, die derselben Risikokategorie wie der Beschwerdeführer zugeordnet wurden, wurden innerhalb von durchschnittlich 7 Jahren nach Entlassung in die Freiheit erneut wegen eines Gewaltdeliktes (einschließlich Sexualdelikten) angeklagt oder verurteilt. Innerhalb von 10 Jahren waren es 58%. Bei diesem Instrument lassen sich jedoch Veränderungen (z.B. durch eine Psychotherapie) nicht abbilden. Aus diesem Grund wurde FOTRES eingesetzt, da dieses einerseits aktuarische Daten, aber auch eine individuelle Delikthypothese, sowie die Folgen der Behandlung und den Faktor Zeit einberechnet. Im Ergebnis findet sich, dass das Basis-Risiko für erneute Delikte als „sehr hoch“ eingestuft wird. Die Basis-Beeinflussbarkeit wurde mit einem Wert von 2,5 berechnet (moderat bis deutlich), weshalb die Behandlungsaussichten als günstig zu beurteilen sind. Bei entsprechender Risikokonstellation ist eine Therapie aufgrund der günstigen Erfolgsaussicht klar empfehlenswert. Einschränkend ist zu sagen, dass das Aktuelle Risiko mit einem Wert von 2,5 ebenfalls als „moderat bis deutlich“ einzustufen ist. Der BF hatte der BF zu Beginn der Behandlung ein sehr hohes Risiko. Aufgrund der mittlerweile erworbenen Kontrollfähigkeiten sind die Behandlungsaussichten aufgrund der moderaten Beeinflussbarkeit aber günstig und eine Weiterführung der (Psycho-) Therapie ist zu empfehlen.

2)       Aus forensisch-psychologischer Sicht spielt der „soziale Empfangsraum“ eine bedeutende Rolle, da dieser die Erfolge der bisherigen Behandlung stabilisieren und die Fortsetzung erleichtern könnte. Die derzeit fehlende berufliche Integration ist ein weiterer Belastungsfaktor. Die bisher erzielten Erfolge in der Arbeit (unter Haftbedingung) sind nicht als ausreichend stabil zu bewerten, um angesichts der vor dem Delikt liegenden Arbeitshaltung auf Dauer bestehen zu können. Auch aus diesem Grund erscheint eine sehr intensive Nachbetreuung nach Entlassung indiziert.

3)       Bei Bagatellisierung der Problematik durch die Kernfamilie könnte – auch aufgrund der Bedeutung der Familie für den Beschwerdeführer – die bisherigen Erfolge konterkarieren. Der Beschwerdeführer werde durch seine Familie weder zu einer Berufsausbildung motiviert, noch wurden im familiären Rahmen offensichtlich die Delikte besprochen oder in ihrer Tragweite erfasst. Vielmehr wurde z.B. den Opfern die (Mit-) Schuld gegeben – was aus fachlicher Sicht eine massiv gefährdende Bagatellisierung darstellt. Der Einfluss der Familie des Beschwerdeführers ist nicht zu unterschätzen.

4)       Die Ergebnisse des VRAG und des FOTRES weisen darauf hin, dass das Risiko des BF, erneut eine Straftat zu begehen, auch jetzt deutlich ist. Dies trotz laufender Behandlung im Rahmen der Inhaftierung bzw. Unterbringung im Maßnahmenvollzug. Die vorzeitige Entlassung in den Kosovo, die den Abbruch der Behandlung mit sich brächte, ist aus forensisch-psychologischer Sicht daher nicht zu empfehlen. Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdeführer die Landessprache nicht spricht und sich daher in einem Therapiesetting nicht verständigen könnte. Auch ist zu befürchten, dass die forensische Nachbetreuung nicht in annähender Qualität zu Verfügung steht. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Kosovo aufgrund seiner Qualifikation ebenfalls keine Arbeit finden wird, was die Re-Integration zusätzlich erschwert.

Der Beschwerdeführer stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in sein gewohntes familiäres Umfeld könnte die bereits in geringem Umfang erworbenen Therapieerfolge konterkarieren. Seitdem sich der Beschwerdeführer im Maßnahmenvollzug befindet, haben sich seine Behandlungsaussichten gebessert.

1.3.    Zur Situation im Kosovo:

1.3.1. Der Kosovo gilt als sicherer Herkunftsstaat.

1.3.2. Politische Lage:

Die am 15. Juni 2008 in Kraft getretene Verfassung sieht eine parlamentarische Demokratie mit Gewaltenteilung vor. Die politische Macht konzentriert sich beim Ministerpräsidenten. Ein umfassender Schutz der anerkannten Minderheiten ist gewährleistet. Durch die Verfassung als ethnische Minderheit anerkannt sind Serben, Roma, Ashkali, Ägypter, Türken, Bosniaken und Gorani. Im Parlament stehen diesen 20 von 120 Sitzen zu, wobei 10 Sitze für Repräsentanten der serbischen Minderheit reserviert sind. Die Republik Kosovo ist international von mehr als 110 Staaten anerkannt, nicht jedoch von Serbien. Das ungeklärte Verhältnis zu Serbien behindert die Annäherung Kosovos an EU und NATO. Seit 2011 vermittelt die EU einen politischen Dialog zwischen den beiden Ländern mit dem Ziel einer ehestmöglichen und umfassenden Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen. Inzwischen wurden mehrere wichtige Vereinbarungen erzielt, die zu einer deutlichen Entspannung geführt haben. In Kosovo sind einige internationale Missionen tätig: Die NATO-Mission KFOR mit ca. 3500 Soldaten, die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission (EULEX), die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (UNMIK) sowie die OSZE-Mission (OmiK).

Generell werden die Konsolidierung der Demokratie im Kosovo sowie deren Effizienz und Reaktionsfähigkeit im politischen Prozess durch eine Reihe von Faktoren wie beispielsweise eine mangelnde Rechenschaftspflicht der politischen Klasse untergraben. Die demokratischen Institutionen werden oftmals als undurchsichtig und wenig kooperativ in der Zusammenarbeit wahrgenommen. Trotzdem ist etwa ein Drittel der Bevölkerung mit Regierung und Parlament zufrieden. In den letzten vier Jahren konnte - wenngleich von einem niedrigen Niveau ausgehend - doch eine deutliche Verbesserung verzeichnet werden. Eine Umfrage der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) aus dem Jahr 2010 ergab, dass 75% der Kosovaren eine positive Einstellung zur Demokratie haben. Die hohe Zustimmung zur Demokratie hat unter den sozioökonomischen Veränderungen, dem Versöhnungsprozess der Regierung mit Serbien und den serbischen Gemeinden im Kosovo und den 2015 von der Opposition organisierten Straßenprotesten gelitten.

Am 5.10.2019 fanden im Kosovo vorgezogene Parlamentswahlen statt. Diese Wahl war erforderlich geworden, weil der amtierende Ministerpräsident und ehemalige UCK-Kommandeur Ramush Haradinaj wegen einer Vorladung zum Sondertribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag vom Amt als Regierungschef zurückgetreten war. Die Wahlen wurden – bei einer Wahlbeteiligung von 44% - von den bisherigen Oppositionsparteien gewonnen. Den Kampf um den ersten Platz und damit um den Regierungsauftrag entschied mit knapp 25,6% der Stimmen die groß-albanische, nationalistische und EU-kritische Oppositionspartei Vetëvendosje (Selbstbestimmung) mit ihrem Spitzenkandidaten Albin Kurti, für sich. Dicht dahinter folgte mit 24,9% der Stimmen die moderat-konservative Demokratische Liga des Kosovo (LDK) mit ihrer Spitzenkandidatin Vjosa Osmani. Den dritten Platz belegte mit 21,1% die – von Staatspräsident Hashim Thaci dominierte - Demokratische Partei des Kosovo (PDK). Die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) des nur zwei Jahre amtierenden Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj kam auf 11,6% der Stimmen.

Der Wahlausgang wurde als Signal gegen Korruption und Stillstand gewertet und bedeutete zunächst das Ende der langjährigen Dominanz der PDK von Staatspräsident Hashim Thaci über die kosovarische Politik. Mehr als die Hälfte aller Stimmen konnten zwei Politiker auf sich vereinen, deren Karriere nicht in der UCK begann und die für einen klaren Bruch mit dem Klientelsystem des politischen Establishments stehen. Wie von Beobachtern erwartet, kam es zu einem Regierungsbündnis zwischen den nunmehr siegreichen bisherigen Oppositionsparteien unter Führung von Kurti und Osmani. Beide kündigten an, die grassierende Korruption bekämpfen und den Rechtsstaat stärken zu wollen.

Nach nur etwa 50 Tagen im Amt wurde die Regierung von Ministerpräsident Albin Kurti per Misstrauensvotum gestürzt. Hintergrund war ein Streit um Verhandlungen mit Serbien, das die Unabhängigkeit des Kosovo bis heute nicht anerkennt. Während Kurti baldige Neuwahlen favorisierte, forderte Präsident Hashim Thaci die Bildung einer Einheitsregierung; dies hätte zu einer Regierungsbeteiligung der oppositionellen Demokratischen Partei des Kosovo, der PDK, führen können, jener Partei, die Thaci bis zur Übernahme der Präsidentschaft vor vier Jahren geleitet hatte. Ein vorläufiges Dekret von Präsident Thaci, mit dem ein Politiker der Mitte-Rechts-Partei LDK den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hatte, wurde jedoch vom Verfassungsgericht ausgesetzt, womit die Regierungsbildung bis zu einer endgültigen Gerichtsentscheidung nunmehr auf Eis liegt.

1.3.3. Sicherheitslage:

Ethische Spannungen konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Beziehungen zwischen der serbischen Minderheit und der albanischen Mehrheit. Zu differenzieren sind dabei die Beziehungen zu den im Norden in einem zusammenhängenden Gebiet lebenden Serben und jenen Serben, die im restlichen Kosovo in kleineren versprengten Gemeinden wohnen. Letztere unterhalten relativ gute Beziehungen zu den kosovo-albanischen Autoritäten und beteiligen sich an der gesellschaftspolitischen Ausgestaltung im Rahmen der kosovarischen Institutionen. Ganz anders ist hingegen die Situation im Nordkosovo. Die hier lebenden Serben weigern sich, die Unabhängigkeit des Kosovo und zum Teil die Institutionen des neu geschaffenen Staates anzuerkennen. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Zusammenarbeit. Besonders problematisch sind speziell Fragen der Grenze zwischen dem Kosovo und Serbien, zumal diese von den im Norden lebenden Serben nicht anerkannt wird (GIZ 9.2018a).

Somit bleibt die Lage im Norden des Kosovo (Gemeinden Zubin Potok, Leposavic, Zvecan und Nord-Mitrovica) angespannt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch künftig zu isolierten sicherheitsrelevanten Vorkommnissen kommt, die die allgemeine Bewegungsfreiheit einschränken.

Mit der Ausnahme des Nordkosovo gilt die Sicherheitslage allgemein als entspannt. Allerdings kann es zu punktuellen Spannungen kommen.

In Pristina und anderen Städten des Landes kann es gelegentlich zu Demonstrationen und damit zu einer Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit kommen. In allen anderen Landesteilen Kosovos ist die Lage grundsätzlich ruhig und stabil. Teilweise gewalttätige Protestaktionen der Opposition gegen die Regierung haben sich seit dem ersten Halbjahr 2016 nicht mehr ereignet, das Potential für solche Proteste besteht aber weiterhin.

Eine Studie des angesehenen Kosovo Center for Security Studies zum Sicherheitsgefühl der Kosovaren aus dem Jahr 2018 ergab, dass sich 85,5% der Befragten in ihrem Zuhause (Wohnung, Haus), 78,8% in ihrer Stadt und 52,4% im Kosovo sicher fühlten. Albanische und nicht-serbische Minderheitenangehörige fühlen sich im Kosovo sicherer als Serben.

1.3.4. Rechtsschutz / Justizwesen:

Die gesetzgebende Gewalt wird vom kosovarischen Parlament ausgeübt, die exekutive Gewalt von der Regierung (Premierminister, Minister) und die richterliche Gewalt von den Gerichten, einschließlich des Obersten Gerichtshofs, der höchsten richterlichen Behörde, und des Verfassungsgerichts. Die Exekutive hat sich jedoch wiederholt (informell) in die Arbeit von Legislative und Judikative eingemischt und das Parlament wurde immer wieder dafür kritisiert, dass es sein verfassungsmäßiges Mandat zur Kontrolle der Regierung nicht ausübt. Die parlamentarischen Ausschüsse in der Versammlung wurden von der Exekutive ignoriert, wodurch ihre parlamentarische Kontrollfunktion wesentlich geschmälert wurde. Die Kontrolle und Ausgewogenheit der demokratisch gewählten Institutionen ist zwar formell festgelegt, in der Realität jedoch schwach und ineffizient.

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, aber diese Unabhängigkeit wird nach wie vor durch politische Autoritäten und ein hohes Maß an Korruption beeinträchtigt. EULEX und seine kosovarischen Pendants haben einige Fortschritte in Bezug auf Nachhaltigkeit, Rechenschaftspflicht, Freiheit von politischer Einmischung und Multiethnizität, einschließlich der Einhaltung europäischer Best Practices und internationaler Standards, erzielt. Dennoch hat eine 2016 durchgeführte Umfrage über die Wahrnehmung des Justizsystems durch die Bürger ergeben, dass nur 12,3% die Gerichte für unabhängig hielten, während 61,2% der Ansicht waren, dass Personen mit politischen Verbindungen weniger wahrscheinlich bestraft würden. 50,5% meinten, dass Justizbeamte Bestechungsgelder erhielten oder verlangten und nur 36% konnten jüngste Verbesserungen im Justizsystem feststellen, während 24,4% davon überzeugt waren, dass keine Verbesserungen erzielt wurden.

Die Effizienz bei der Fallbearbeitung hat sich verbessert, aber es gibt immer noch einen beachtlichen Rückstau an offenen Fällen. Ein Disziplinarverfahren gegen Richter und Staatsanwälte ist zwar vorhanden, aber ineffizient. Eine unabhängige staatliche Rechtshilfekommission stellt kostenlose Rechtshilfe für Personen mit niedrigen Einkommen zur Verfügung; diese ist jedoch nicht adäquat finanziert und funktioniert nicht wie vorgesehen. Bei Verletzung der Prozessrechte können sich Geschädigte an den Verfassungsgerichtshof wenden.

Die Verfahren werden nicht immer ordnungsgemäß abgewickelt. Nach Angaben der Europäischen Kommission, der NGOs und der Institution der Ombudsperson ist die Justizverwaltung langsam und es fehlen die Mittel, um die Rechenschaftspflicht der Justizbeamten zu gewährleisten. Die Justizstrukturen sind politischer Einflussnahme ausgesetzt, mit umstrittenen Ernennungen und unklaren Mandaten. Die lokale Rechtsprechung sieht sich Einflüssen von außen, v.a. seitens der Exekutive, ausgesetzt und sorgt nicht immer für faire Prozesse.

Im Laufe des Jahres 2019 förderte das Justizministerium Änderungen eines Gesetzes von 2010 über die disziplinarische Verantwortung von Richtern und Staatsanwälten, mit denen die Unparteilichkeit des kosovarischen Justizwesens erreicht werden sollte. Darüber hinaus wurden Register zur Erfassung von Beschwerden gegen Richter auf Ebene der Gerichte und des KJC, des „kosovarischen Justizrates“, fertiggestellt und allen Gerichten zur Überprüfung übergeben. Im Einklang mit der Disziplinarordnung wählte die KJC 70 von den Gerichtspräsidenten empfohlene Richter für die Mitgliedschaft in Gremien aus, die für die Untersuchung von Disziplinarbeschwerden zuständig sind. Ihr Mandat ist gestaffelt, um Kontinuität zu gewährleisten: 25 Richter wurden nach dem Zufallsprinzip für eine Amtszeit von einem Jahr, 23 für eine zweijährige und 22 für eine dreijährige Amtszeit ausgewählt. Jährlich sollen neue Mitglieder ausgewählt werden, um eine volle Besetzung von 70 zu gewährleisten. Seit Inkrafttreten des neuen Disziplinarverfahrens sind bei den Gerichtspräsidenten als den zuständigen Behörden 75 Beschwerden gegen Richter eingegangen; der kosovarische Justizrat setzte ein entsprechendes Untersuchungsgremium ein.

Manchmal versäumen es die Behörden, gerichtlichen Anordnungen u.a. auch des Verfassungsgerichts nachzukommen, insbesondere wenn die Urteile Minderheiten begünstigen, wie in zahlreichen Fällen der Rückgabe von Eigentum an Kosovo-Serben. Keiner der Beamten, die 2019 an der Nichtumsetzung von Gerichtsbeschlüssen beteiligt waren, wurde sanktioniert.

Das Gesetz sieht faire und unparteiische Verfahren vor und trotz gravierender Mängel im Justizsystem wie etwa politischer Einmischung, wird das Recht im Allgemeinen umgesetzt. Die Prozesse sind öffentlich, die Angeklagten haben ein Recht auf die Unschuldsvermutung, auf unverzügliche Information über die gegen sie erhobenen Anklagen und auf ein faires, öffentliches Verfahren, bei dem sie sich in ihrer Muttersprache an das Gericht wenden können. Sie haben das Recht, zu schweigen oder sich der Aussage zu entschlagen, Beweise einzusehen, einen eigenen Rechtsbeistand zu haben und gegen Urteile zu berufen. Das Kosovo wendet keine Geschworenenprozesse an.

Die "Free Legal Aid Agency“ (FLAA) ist von der Regierung beauftragt, Personen mit niedrigem Einkommen kostenlosen Rechtsbeistand zu gewähren und führt entsprechende Kampagnen durch, die sich an benachteiligte und marginalisierte Gemeinschaften richteten. Im Mai 2019 finanzierten die Vereinten Nationen das Zentrum für Rechtshilfe, welches über NGOs Frauen kostenlosen Rechtsbeistand in Fällen wie der Überprüfung von Eigentumsrechten, Klagen wegen sexueller Gewalt und Rentenansprüchen aus Serbien garantiert.

Kosovo befindet sich in einem Frühstadium in Bezug auf die Anwendung des aquis communautaire und europäischer Standards im Justizbereich. Ein gewisses Ausmaß an Fortschritt wurde erreicht, unter anderem bei der Untersuchung hochrangiger Korruptionsfälle. Korruption ist dennoch weit verbreitet und bleibt ein problematischer Themenbereich. Die Verabschiedung verschiedener Rechtsdokumente im Bereich Korruptionsbekämpfung stellt einen wichtigen Schritt dar, wesentlich ist nun die konsequente Umsetzung.

Am 8.6.2018 hat der Rat beschlossen, das Mandat der Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, EULEX Kosovo, neu auszurichten. Die Mission hatte seit ihrer Einrichtung vor 10 Jahren zwei operative Ziele: das Ziel der Beobachtung, Anleitung und Beratung durch Unterstützung der Rechtsstaatlichkeitsinstitutionen des Kosovo und des Dialogs zwischen Belgrad und Pristina und zweitens ein exekutives Ziel, nämlich die Unterstützung verfassungs- und zivilrechtlicher gerichtlicher Entscheidungen sowie strafrechtlicher Ermittlungen und gerichtlicher Entscheidungen in ausgewählten Strafsachen. Mit dem Beschluss wird der justizielle exekutive Teil des Mandats der Mission beendet und das Kosovo nimmt nun die Verantwortung für alle übertragenen Ermittlungen, Strafverfolgungen und Gerichtsverfahren wahr. Seit dem 14.6.2018 konzentrierte sich EULEX darauf, ausgewählte Fälle und Gerichtsverfahren in den Straf- und Zivilrechtsinstitutionen des Kosovos zu beobachten, den Justizvollzugsdienst des Kosovos zu beobachten, anzuleiten und zu beraten und die operative Unterstützung für die Umsetzung der von der EU geförderten Dialogvereinbarungen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo fortzusetzen. Der Ratsbeschluss sieht vor, dass das überarbeitete Mandat bis zum 14.6.2020 gilt.

1.3.5. Sicherheitsbehörden:

Die innere Sicherheit der Republik Kosovo beruht auf drei Komponenten: der Kosovo Polizei (KP), den unterstützenden internationalen EULEX-Polizeikräften (EU-Rechtstaatlichkeitsmission, Anm.) und den KFOR-Truppen (mit 3.500 Soldaten).

Als eine ihrer Operationslinien unterstützt die KFOR Aufbau und Training der multiethnischen und zivil kontrollierten, leicht bewaffneten Sicherheitskräfte „Kosovo Security Force“ (KSF), die nach dem bisherigen Gesetzesrahmen nicht mehr als 2.500 Mitglieder und maximal 800 Reservisten hatten. Die KSF übernimmt derzeit primär zivile Aufgaben wie Krisenreaktion, Sprengmittelbeseitigung und Zivilschutz. Das am 14.12.2018 mit überwältigender parlamentarischer Mehrheit verabschiedete Gesetzespaket zur Transition in reguläre, defensiv ausgerichtete Streitkräfte unterwirft die KSF einem 10-jährigen Übergangsprozess, an dessen Ende ca. 5.000 leicht bewaffnete Defensivkräfte stehen sollen. Die kosovarische Regierung hat der NATO gegenüber schriftlich die volle Transparenz des Prozesses, die Bewahrung des multiethnischen Charakters der KSF sowie das Festhalten an den Bedingungen von UNSCR 1244 und dem KFOR-Mandat bekundet.

Die Polizei (Kosovo Police, KP) hat derzeit eine Stärke von ca. 9.000 Personen. Der Frauenanteil in der KP beträgt 14%; der Anteil der Angehörigen von Minderheiten liegt bei 16%. EULEX-Polizisten beraten und unterstützen Polizeidienststellen im gesamten Land. Für die parlamentarische Kontrolle der Sicherheitskräfte ist im Parlament der Ausschuss für Inneres, Sicherheitsfragen und Überwachung der KSF zuständig. Weiterhin sollen die Polizeistrukturen im Kosovo vereinheitlicht und Mitglieder serbischer Sicherheitskräfte in die kosovarische Polizei integriert werden. Die Polizeikräfte im serbischen Norden sollen die Bevölkerungsverhältnisse widerspiegeln und unter Führung eines kosovo-serbischen Regionalkommandanten stehen. Es gibt 436 Polizeibeamte (Angehörige der KP) pro 100.000 Einwohner. Dies übertrifft den EU-Durchschnitt, der sich im Jahr 2016 gemäß Eurostat auf 318 Beamte belief. Die Polizei ist relativ gut ausgebildet und ausgerüstet. Sie verfügt über moderne IT-Infrastruktur. Die „Kosovo Academy for Public Safety“ gewährleistet eine gute Ausbildung für Polizeibeamte und andere Angehörige des Sicherheitsapparats (Zollbeamte, Beamte des Strafvollzugs) sowohl im Bereich der Grundausbildung als auch im Bereich der berufsbegleitenden Weiterbildung. Die Kapazität der Polizei zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist gut, jedoch unterliegt die Polizei immer noch Korruption und politischem Druck.

1.3.6. Folter und unmenschliche Behandlung:

Das Verbot der Folter sowie der grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe wird im Artikel 27 der kosovarischen Verfassung verankert. Artikel 199 des Strafgesetzbuches kriminalisiert Folter in voller Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsnormen. Die Gesetze werden aber uneinheitlich umgesetzt und es gab anhaltende Vorwürfe, dass Gefangene von der Polizei und in geringerem Maße auch vom Personal des Strafvollzugsdienstes gefoltert und misshandelt wurden. Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nahm in seinem letzten Bericht über den Besuch in Serbien und Kosovo mit großer Besorgnis zahlreiche Anschuldigungen wegen Folter und Misshandlungen durch die Polizei zur Kenntnis. In erwähntem Papier wird über Misshandlungen von Gefangenen sowie verbale und psychologische Drohungen berichtet. Auch besteht ein Mangel an Aufsicht in der Untersuchungs- und Verhörphase der Inhaftierung, was angeblich zu erzwungenen Geständnissen führt.

Die Ombudsperson des Kosovo (KOI) verfügt in ihrer Eigenschaft als Nationaler Präventionsmechanismus gegen Folter (National Preventive Mechanism against Torture – NPMT) über sieben Mitarbeiter. Darunter sind ein Arzt, ein Psychiater, ein Sozialarbeiter und zwei Anwälte, die sich hauptberuflich mit der Verhütung von Folter befassen. Im Jahr 2018 unterzog sich der NPMT einem intensiven vom Europarat finanzierten Schulungsprogramm, um seine Kapazitäten zu verbessern. Auch führte er in Gefängnissen, Haftanstalten, psychiatrischen Einrichtungen und Polizeistationen Inspektionen durch. Gefangene und Inhaftierte können den NPMT über Rechtsanwälte, Familienangehörige, internationale Organisationen, direkte Telefonanrufe oder über Briefkästen in Haftanstalten, die nur für Mitarbeiter der KOI zugänglich sind, kontaktieren. Die KOI berichtete zwar über Beschwerden gegen die Polizei und den Strafvollzugsdienst; darunter Vorwürfe der körperlichen Misshandlung von Gefangenen, aber keine Folterhandlungen.

Das Kosovo-Rehabilitationszentrum für Folteropfer (KRCT), die führende NGO des Landes in Fragen der Folter, gab ebenfalls an, im Laufe des Jahres keine glaubwürdigen Berichte über Folterungen erhalten zu haben, obwohl die Misshandlung von Gefangenen nach wie vor ein Problem darstellt.

1.3.7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten:

Zahlreiche heimische und internationale Menschenrechtsorganisationen konnten ohne Einschränkungen seitens der Regierung ihren Aufgaben nachgehen, Menschenrechtsfälle untersuchen und die Ergebnisse darüber publizieren, sind dabei aber gelegentlich Druck seitens der Regierung ausgesetzt, Kritik an derselben zu beschränken.

Ca. 6.000 Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) sind im Kosovo registriert, wovon allerdings nur 10% als aktiv gelten. Im Kosovo gibt es durchaus eine zumindest jüngere Tradition der Zivilgesellschaft, die eine bedeutende Rolle in der kosovarischen Parallelgesellschaft der 1990er Jahre sowie während des Konflikts und in der folgenden Phase der Soforthilfe und des Wiederaufbaus einnahm. Hervorzuheben ist dabei die Rolle der „Mutter Teresa Gesellschaft“. Die zivilgesellschaftliche Szene ist aufgrund des hohen Anteils an Jugendlichen in der Gesellschaft hochdynamisch, aber weitestgehend unpolitisch. Die größte Anzahl der aktiven NGOs konzentriert sich auf die Zentren, wohingegen die Anzahl aktiver NGOs in ländlichen Gebieten gering ist. Die Gewerkschaften im Kosovo haben ca. 60.000 Mitglieder und sind mit einem Organisationsgrad von ca. 90% Abdeckung im öffentlichen Sektor ein gewichtiger Sozialpartner.

1.3.8. Ombudsmann:

Die Institution der Ombudsperson hat die Befugnis, Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen sowie den Missbrauch von staatlicher Autorität zu untersuchen und agiert als nationaler Präventionsmechanismus gegen Folter (National Preventive Mechanism against Torture – NPMT). Sie ist überdies die wichtigste Einrichtung zur Überwachung der Gefängnisse und kann, wenn ihre Empfehlungen nicht befolgt werden, die Fälle vor Gericht bringen. Weiters kann die Ombudsperson Empfehlungen zur Vereinbarkeit von Gesetzen und anderen untergesetzlichen oder administrativen Rechtsakten, Richtlinien und Praktiken abgeben. Die Institution der Ombudsperson nimmt ihr Mandat weiterhin wahr, schützt fundamentale Rechte und Freiheiten für alle, und stärkt ihre Kapazitäten, um Fälle effizient bearbeiten zu können. Sie bleibt jene Institution im Kosovo, der am meisten Vertrauen geschenkt wird. Die Implementierung der Empfehlungen der Ombudsperson durch andere Institutionen hat sich verbessert.

1.3.9. Wehrdienst und Rekrutierungen:

Es gibt im Kosovo keinen verpflichtenden Militärdienst.

1.3.10. Allgemeine Menschenrechtslage:

Das Bekenntnis zu unveräußerlichen Menschenrechten ist in der Verfassung verankert. Nach Art. 22 der Verfassung gelten viele internationale Menschenrechtsabkommen unmittelbar und haben Anwendungsvorrang. Seit November 2000 gibt es die Einrichtung einer Ombudsperson, die für alle Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen oder Amtsmissbrauch durch die zivilen Behörden im Kosovo zuständig ist, Hinweisen auf Menschenrechtsverletzungen nachgeht und in einem Jahresbericht an das Parlament Empfehlungen für deren Behebung gibt. Im Juli 2015 hat das Parlament ein neues Gesetz zur Ombudsperson verabschiedet, das die Ombudsperson zum nationalen Präventionsmechanismus (NPM) ernannt und die Unabhängigkeit dieser Institution und ihre Rolle als unabhängiger Beobachter und Hüter der Grundrechte und Grundfreiheiten im Kosovo gestärkt hat.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen garantieren den Schutz der Menschenrechte sowie der fundamentalen Rechte gemäß europäischen Standards. Es sind jedoch weitere Anstrengungen zur Durchsetzung nötig. Die Anwendung der menschenrechtlichen Gesetzgebung und Strategien wird oft durch unzureichende finanzielle Mittel oder Mangel an anderen Ressourcen, durch fehlende politische Priorisierung und schlechte Koordination unterminiert. Die existierenden Mechanismen zur Koordination und Implementierung von Menschenrechten sind ineffizient. Es besteht eine starke Abhängigkeit von ausländischen Gebern.

1.3.11. Haftbedingungen:

Die Situation in kosovarischen Haftanstalten ist unzureichend und trotz Verbesserungen (insbesondere in Hinblick auf schwere Menschenrechtsverletzungen) werden internationale Standards verfehlt.

Probleme stellen insbesondere Gewalt zwischen den Häftlingen, Korruption, Kontakt mit radikalen religiösen oder politischen Ansichten sowie eine unterdurchschnittliche medizinische Versorgung dar. In einigen Teilen des überfüllten Gefängnisses von Dubrava sind die physischen Bedingungen nach wie vor minderwertig. Im Laufe des Jahres 2019 gingen beim KRCT („Kosovo Rehabilitation Center for Torture Victims“) Beschwerden von Häftlingen ein, die behaupteten, Opfer von Belästigung bzw. körperlicher Misshandlung durch Vollzugsbeamte geworden zu sein, vor allem in den Gefängnissen von Dubrava und Lipjan/Lipljan. Auch haben sich mehrere Häftlinge Verletzungen zugefügt, um auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen.

Aufgrund mangelhafter Ausbildung und unzureichender Personalausstattung üben die Behörden nicht immer die Kontrolle über Einrichtungen oder Häftlinge aus. Ungefähr 30% der Insassen kommen mit einer Drogenabhängigkeit ins Gefängnis. Es gab keine Drogenbehandlungsprogramme innerhalb des Strafvollzugssystems, und das KRCT berichtet, dass regelmäßig illegale Drogen in die Einrichtungen geschmuggelt werden. Das KRCT dokumentierte Verzögerungen und Fehler bei der medizinischen Versorgung der Gefangenen sowie einen Mangel an spezialisierter Behandlung. Häufig sehen sich Gefangene gezwungen, benötigte Medikamente aus privaten Quellen zu beschaffen. Das KRCT beobachtete Lücken im Gesundheitsversorgungssystem des Gefängnisses in der Einrichtung in Dubrava und berichtet über eine unzureichende Zahl von psychiatrischen Fachkräften. Anwälte beschuldigen die Regierung, regelmäßig Untersuchungshäftlinge mit diagnostizierter geistiger Behinderung zusammen mit anderen Untersuchungshäftlingen unterzubringen. Die Untersuchungshäftlinge werden getrennt von den verurteilten Häftlingen untergebracht. Das Gesetz schreibt jedoch vor, dass verurteilte Kriminelle mit nachgewiesenen psychischen Problemen in Einrichtungen für psychische Gesundheitsfürsorge inhaftiert werden müssen. Aufgrund der Überbelegung solcher Einrichtungen ist dies oftmals nicht möglich. Betroffene erhalten Medikamente und können regelmäßige Konsultationen bei einem Psychiater wahrnehmen, bekommen aber darüber hinaus keinerlei Unterstützung und Behandlung.

Die Behörden führen nicht immer ordnungsgemäße Untersuchungen von Misshandlungsvorwürfen durch. Außerdem funktioniert der gesetzlich vorgeschriebene interne Beschwerdemechanismus nicht, da die Häftlinge Misshandlungen oft aus Mangel an Vertraulichkeit und aus Angst vor Vergeltung nicht melden. Das KRCT stellt auch fest, dass die Behörden keine schriftlichen Entscheidungen zur Rechtfertigung der Einzelhaft vorlegen. Die Regierung gestattet Besuche unabhängiger Menschenrechtsbeobachter, aber nur die nationale Institution der Ombudsperson und EULEX hatten das ganze Jahr über kontinuierlichen und ungehinderten Zugang zu den Haftanstalten. Das KRCT und das Zentrum für die Verteidigung der Menschenrechte und Freiheiten sind verpflichtet, Besuche 24 Stunden im Voraus anzukündigen. Zu den Verbesserungen, die 2019 vorgenommen wurden, gehören die Einstellung von 120 neuen Vollzugsbeamten, die teilweise Eröffnung des neuen Haftzentrums in Pristina, die Durchführung eines Pilotprogramms für Bewertungs- und Klassifizierungseinheiten und ein Verfahren, das es einigen Häftlingen ermöglicht, über Skype mit ihren Familien zu kommunizieren.

Die Lebensbedingungen in den Gefängnissen gelten insgesamt als sehr schlecht. Der Informationsgrad unter Häftlingen über deren Rechte ist gering.

1.3.12. Todesstrafe:

Die Todesstrafe ist im Kosovo seit 2002 gesetzlich verboten.

Das Verbot der Anwendung der Todesstrafe ist in der Verfassung verankert.

1.3.13. Religionsfreiheit:

Die Republik Kosovo ist gemäß Verfassung ein säkularer Staat und verhält sich in religiösen Angelegenheiten neutral. Religionsfreiheit wird nach Art. 38 der Verfassung garantiert. Einschränkungen der Religionsfreiheit sind nicht bekannt. Weder Apostasie oder Konversion noch Mission stehen unter Strafe. Weiters verbietet die Verfassung jegliche Diskriminierung aufgrund der Religion.

Das Gesetz erlaubt es religiösen Gruppen nicht, sich als juristische Personen registrieren zu lassen, was ihnen bei der Führung ihrer Geschäfte Steine in den Weg legt. Während religiöse Gruppen angeben, dass sie im Allgemeinen kooperative Beziehungen zu den Kommunalverwaltungen unterhalten, erklären einige Gruppen, dass die Kommunalverwaltungen religiöse Organisationen in Eigentumsfragen, einschließlich Baugenehmigungen, nicht gleich behandeln. Vertreter der Serbisch-Orthodoxen Kirche (SOC) sagten, die Regierung habe deren Eigentumsrechte verletzt, unter anderem durch die Weigerung, Gerichtsentscheidungen zugunsten der SOC umzusetzen oder Bautätigkeiten in besonderen Schutzzonen auszusetzen.

1.3.14. Religiöse Gruppen:

Über 95% der kosovarischen Bevölkerung (Albaner, Gorani, Türken, Bosniaken sowie ein Teil der Roma, Ägypter und Ashkali) bekennen sich zum islamischen Glauben, wobei die Mehrheit der Muslime der hanafi-sunnitischen Schule angehört. Auch Derwisch-Orden wie eine Sufi-Tarikat- und eine Sufi-Bektashi-Gemeinschaft bestehen, jeweils mit einer geringen Zahl an Anhängern. Schätzungsweise etwa 2% der albanischen Kosovaren bekennen sich zum römisch-katholischen Glauben. Die katholische Gemeinde erfährt in jüngster Zeit zunehmende Popularität und konzentriert sich auf die größeren Städte Djakova, Peja und Prizren, laut USDOS auch auf Janjevo, Klina und Pristina. Die serbische Bevölkerung gehört in der überwiegenden Mehrzahl der Serbisch-Orthodoxen Kirche an (ca. 100.000 Mitglieder). Es gibt kleine jüdische Gemeinden in Prizren und Pristina. Die Anzahl von Personen jüdischen Glaubens beläuft sich auf weniger als 100 Personen. Die evangelisch-protestantische Bevölkerung ist über das ganze Land verteilt und konzentriert sich in Pristina und Gjakove/Djakovica.

Allenthalben kam es in den vergangenen Jahren zu religiös motivierten Konflikten. Polizeiberichten zufolge griffen Demonstranten serbisch-orthodoxe Pilger an und verhinderten die Abhaltung von Gottesdiensten in Gjakove/Djakovica und Istog/Istok. Auch protestierten ethnische Albaner vor der örtlichen serbisch-orthodoxen Kirche in Gjakove/Djakovica gegen geplante Pilgerfahrten.

1.3.15. Radikaler Islamismus:

Nur wenige Muslime praktizieren ihren Glauben, sondern befolgen nur einige Aspekte (z.B. religiöse Feste) und dies häufig auch nicht sehr streng.

Nur eine sehr kleine Minderheit folgt einem radikalen, fundamentalistischen oder gewaltbereiten Islam und Tendenzen eines sich radikalisierenden Islam, wie aus Bosnien-Herzegowina bekannt, sind bislang eher ein überschaubares Phänomen. Allerdings richtet der sogenannte Islamische Staat (IS) seine Rekrutierungsversuche unter anderem direkt an Muslime in der Region. Die Bekämpfung von (religiösem) Extremismus ist zu einer der Prioritäten der Regierung Kosovos geworden. Dem deutschen Auswärtigen Amt liegen keine Hinweise auf versuc

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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