TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/15 W152 2130068-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.01.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.01.2021

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z20c
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs5
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
FPG §2 Abs4 Z11
FPG §52 Abs2
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W152 2130068-1/37E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Walter KOPP über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.05.2016, Zl. 1036751006-140082657, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.11.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 54 Abs. 5 AsylG 2005 idgF iVm § 2 Abs. 1 Z 20c AsylG 2005 idgF und gemäß § 52 Abs. 2 letzter Satz FPG idgF iVm § 2 Abs. 4 Z 11 FPG idgF ersatzlos behoben.

III. Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG idgF ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG idgF nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer reiste am 17.10.2014 (illegal) in das Bundesgebiet ein und stellte am 19.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, worauf er am 21.10.2014 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes und am 24.10.2014 und 18.04.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen wurde.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , Außenstelle XXXX , wies dann den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit Bescheid vom 23.05.2016, Zahl: 1036751006-140082657, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde weiters hiebei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV).

Gegen diesen Bescheid erhob der Asylwerber fristgerecht Beschwerde.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.07.2019, GZ: W152 2130068-1/12E, wurde in Erledigung der Beschwerde der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 06.12.2019, Ra 2019/18/0327-4, wurde der mit Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Mit Schriftsatz vom 23.11.2020 erstattete die Vertreterin des Beschwerdeführers nach der am 13.11.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Verhandlung eine Stellungnahme zu den in der Verhandlung vorgehaltenen Länderberichten, wobei insbesondere vorgebracht wurde, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie, jedenfalls in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation gerate.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Feststellungen (Sachverhalt):

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, trägt den Namen XXXX und wurde in XXXX in der Provinz Ghazni in Afghanistan geboren, wo er bis zu seinem sechzehnten Lebensjahr lebte. Er verließ dann Afghanistan und reiste innerhalb von zwei Monaten nach Österreich. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und gehört der Religionsgemeinschaft der Schiiten an. Hiezu wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher Merkmale alleine aus dem Umstand, dass er der Volksgruppe der Hazara angehört und sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt, in seinem Herkunftsstaat keiner Verfolgung ausgesetzt ist. Eine individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers in Afghanistan konnte der Entscheidung jedoch nicht zugrunde gelegt werden. Die vom Beschwerdeführer im Verlauf des Verfahrens relevierten individuellen Fluchtgründe erweisen sich als unglaubwürdig bzw. als nicht (mehr) asylrelevant. Hinsichtlich der in der Verhandlung relevierten Gefährdung „verwestlichter“ Rückkehrer nach Afghanistan wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer ohnedies keine besonders hervorstechenden Merkmale einer „Verwestlichung“ aufweist. So bezeichnete sich der Beschwerdeführer in der Verhandlung (weiterhin) als Schiit und gab hiebei an, dass er weder Alkohol trinke noch rauche. Daher ist im gegenständlichen Fall vor dem Hintergrund der diesbezüglichen Länderfeststellungen – so sind dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthaltes in Europa Opfer von Gewalttaten wurden – in diesem Zusammenhang von keiner Gefährdung des Beschwerdeführers auszugehen.

Der Beschwerdeführer konnte keine relevante schwerwiegende bzw. lebensbedrohende Krankheit ins Treffen führen. So befindet er sich derzeit weder in ärztlicher Behandlung noch nimmt er spezielle Medikamente ein.

Der Beschwerdeführer, der in Afghanistan vom fünften bis zum achten Lebensjahr auch eine Grundschule besuchte, absolviert seit 02.05.2018 eine Kochlehre in Österreich, wobei er bereits die zweite Fachklasse für den Lehrberuf Koch erfolgreich abgeschlossen hat. Derzeit ist er im XXXX , XXXX , XXXX , als Kochlehrling angestellt, wobei vom seinem Arbeitgeber auch ein Empfehlungsschreiben vorliegt und er monatlich € 1.305,01 netto (Oktober 2020) ins Verdienen bringt, wodurch die Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers in Österreich gewährleistet ist. Aufgrund seiner Kochausbildung ist daher auch von der Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers in Afghanistan auszugehen.

Der Dari sprechende Beschwerdeführer verfügt über ausgezeichnete Deutschkenntnisse, die er auch im Rahmen der Verhandlung unter Beweis stellte. So wurde der Beschwerdeführer in der zweiten Fachklasse für den Lehrberuf Koch der Landesberufsschule XXXX im Pflichtgegenstand „Deutsch und Kommunikation“ mit „gut“ beurteilt.

Ein (auch) bereits erwachsener Bruder des Beschwerdeführers lebt weiterhin in Ghazni in Afghanistan, wobei der Beschwerdeführer mit diesem auch Kontakt pflegt.

Es besteht für den Beschwerdeführer jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif.

Der Beschwerdeführer ist nunmehr seit 04.01.2019 mit der rumänischen Staatsangehörigen XXXX (nunmehr XXXX ), geb. XXXX , verheiratet, wobei keinerlei Anzeichen für das Eingehen einer Scheinehe vorliegen. Der Beschwerdeführer führt mit seiner Ehegattin an der Adresse XXXX , XXXX , wo er auch seit 01.02.2018 gemeldet ist, einen gemeinsamen Haushalt. Die Ehegattin des Beschwerdeführers verfügt über eine mit 22.08.2019 datierte Anmeldebescheinigung für unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger/-innen. Somit handelt es sich beim Beschwerdeführer nunmehr um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen (iSd AsylG 2005 und FPG).

Feststellungen zur Lage in Afghanistan:

Asylrelevante Tatsachen

Staatliche Repressionen

In Afghanistan gibt es keine systematische, staatlich organisierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung. Die Regierung ist allerdings häufig nicht in der Lage, ihre Schutzverantwortung effektiv wahrzunehmen. Die Zentralregierung hat seit jeher nur beschränkten Einfluss auf lokale Machthaber und Kommandeure, die häufig ihre Macht missbrauchen. In vielen Regionen Afghanistans besteht auf lokaler und regionaler Ebene ein komplexes Machtgefüge aus Ethnien, Stämmen, sogenannten Warlords und privaten Milizen, aber auch Polizei- und Taliban-Kommandeuren.

Die Lebensbedingungen der jeweiligen Person hängen häufig von der Stellung im örtlich herrschenden Machtgefüge sowie dem Verhältnis zu den jeweils daran beteiligten Gruppierungen ab und werden von der Stabilität der örtlichen Machtverhältnisse beeinflusst. Ob eine Person bedroht ist, kann laut UNHCR demnach nur unter Berücksichtigung regionaler und lokaler Gegebenheiten und unter Einbeziehung sämtlicher individueller Aspekte des Einzelfalls wie Ethnie, Konfession, Geschlecht, Familienstand und Herkunft beurteilt werden.

Die staatlichen Sicherheitskräfte Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) bestehen aus Afghan National Army (ANA), Afghan Border Force (ABF), Afghan Border Police (ABP), Afghan National Police (ANP), Afghan National Civil Order Police (ANCOP), Afghan Local Police (ALP), Afghan Special Security Forces (ASSF) und dem National Direc- torate of Security (NDS). Daneben existiert eine Vielzahl bewaffneter Milizen. Diese werden in der Regel von lokalen Machthabern oder Warlords angeführt. Zwischen ihnen kommt es immer wieder zu Kämpfen um Einfluss.

Diesen Gruppen werden regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Zudem gibt es vor allem über die ALP kritische Berichte. Ihre Mitglieder werden durch die lokalen Dorfführer bestellt. Sie sollen Gemeinden vor Angriffen schützen, wichtige Strukturen bewachen und Gegenangriffe gegen regierungsfeindliche Milizen führen. Die Mitglieder erhalten ein geringeres Gehalt als Mitglieder der ANA oder der ANP und müssen in vielen Fällen ihre Ausrüstung selbst beschaffen. Der ALP werden häufig Korruption sowie Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

Der NDS ist der afghanische Inlandsgeheimdienst, der von den oben genannten Sicherheitsbehörden getrennt ist, aber sowohl nachrichtendienstliche als auch polizeiliche Aufgaben wahrnimmt. Er ist daher auch befugt, Festnahmen durchzuführen und betreibt eigene Gefängnisse.

Die afghanischen Gerichte sind weitgehend unabhängig von offizieller staatlicher Einflussnahme, aber personell schlecht ausgestattet und wiederholten Berichten zufolge besonders korruptionsanfällig. Die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung hat kein Vertrauen in die Justiz.

Politische Opposition

Regierung und Opposition sind in Afghanistan nicht ohne Weiteres voneinander zu trennen. Kriterien wie Ethnie und Stammeszugehörigkeit spielen eine wichtigere Rolle als ideologische Aspekte. Politische Allianzen werden schnell geschlossen, gehen aber ebenso schnell wieder auseinander. Die RNE wird regelmäßig aus verschiedenen Lagern scharf kritisiert. Auch Mitglieder der Regierung kritisieren diese zum Teil öffentlich, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen. Auf lokaler Ebene gab es allerdings Berichte von Übergriffen bis hin zur Verhaftung durch lokale Polizeieinheiten nach Kritik an lokalen Machthabern.

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit

Versammlungsfreiheit

Die Versammlungsfreiheit ist in Art. 36 der Verfassung festgeschrieben und in Afghanistan grundsätzlich gewährleistet. Es gibt regelmäßig - genehmigte wie spontane - Demonstrationen, v. a. gegen soziale Missstände, die schlechte Sicherheitslage oder auch für die Gewährleistung von Frauen- und Minderheitenrechten. Beispielsweise wurde im Juni 2019 eine Demonstration eines Zusammenschlusses oppositioneller Präsidentschaftskandidaten (Council of Presidential Candidates) gegen die Fortsetzung der Präsidentschaft Ghanis von der Regierung genehmigt.

Trotz erheblicher Anstrengungen ist die Regierung jedoch nicht immer in der Lage, die Sicherheit der Teilnehmenden zu gewährleisten. So kam es bei Versammlungen wiederholt zu tödlichen Zwischenfällen. Das Bewusstsein um dieses Risiko spielt eine erhebliche Rolle bei der Entscheidung darüber, ob eine Versammlung oder Demonstration als Mittel der Meinungsäußerung gewählt wird. Zu größeren Demonstrationen kam es zuletzt kaum. Die Frage, wie eine sichere Veranstaltung gewährleistet werden kann, prägte die Vorbereitung der oben genannten Demonstration des Council of Presidential Candidates erheblich. Damit wird die grundsätzlich gewährleistete Versammlungsfreiheit de facto durch die Angst vor Anschlägen eingeschränkt.

Vereinigungsfreiheit

Die afghanische Verfassung erlaubt in Art. 35 die Gründung von Vereinigungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen. Gemäß entsprechendem Gesetz von 2009 müssen sich politische Parteien beim Justizministerium registrieren. Dafür müssen sie nachweisen, dass sie den Zielen und Werten des Islam und der Verfassung verpflichtet sind, und ihre Organisationsstrukturen und Finanzen offenlegen. Ferner dürfen afghanische Parteien und Organisationen nicht von ausländischen Parteien oder ausländischer Finanzierung abhängen. Die Gründung und Tätigkeit einer Partei auf ethnischer, geographischer, sprachlicher und islamischrechtlicher Basis (mazhabe fiqhi) ist nicht zulässig. In den letzten Jahren wurden die Anforderungen zur Registrierung erhöht: So muss eine Partei mindestens 10.000 Mitglieder vorweisen und lokale Büros in mindestens 20 Provinzen eröffnen. Militärische und paramilitärische Organisationen fallen nicht unter die Vereinigungsfreiheit.

Meinungs- und Pressefreiheit

Die afghanische Verfassung garantiert in Art. 34 Meinungs- und Pressefreiheit. Die Freiheiten sind in einem Maß verwirklicht, das im regionalen Vergleich grundsätzlich positiv hervorsticht.

In den vergangenen Jahren hat die afghanische Medienlandschaft unregelmäßige Entwicklungen erfahren. Während der Boomjahre 2007 bis 2012 sind mehr Medien entstanden als der afghanische Markt erhalten kann. Laut Angaben des Ministeriums für Information und Kultur gibt es derzeit 248 Radiostationen, 116 TV-Stationen und 72 Nachrichtenagenturen in Afghanistan. Nur die größten Sender und die Kanäle lokaler Mäzene können dem wirtschaftlichen Druck standhalten. Sicherheitserwägungen, eine konservative Medienpolitik und religiöse Forderungen schränken die Medienfreiheit ein. Zugleich übernehmen afghanische Medienvertreter zunehmend politische Verantwortung und gehen bewusst Risiken ein, um Missstände anzuprangern.

Journalisten beklagen eine wachsende Kontrolle des Staates über die Berichterstattung. Zwar stieg Afghanistan in der Rangliste der Pressefreiheit stetig bis auf Platz 118 von 180 im Jahr 2018, musste 2019 aber drei Plätze einbüßen (Press Freedom Index der Organisation „Reporter ohne Grenzen“). Einflussnahme und Drohungen durch Parlamentarier, Regierungsmitarbeiter und Sicherheitsorgane sowie lokale Machthaber sind weiter an der Tagesordnung. Es gibt Berichte, denen zufolge Regierungsmitarbeiter Journalisten aktiv an Recherchen hinderten.

Neben inhaltlichen Einschränkungen stellt die Sicherheitslage eine besondere Herausforderung dar. Laut „Reporter ohne Grenzen“ zählt Afghanistan zu den Staaten mit der höchsten Bedrohungslage für Journalisten weltweit. Besonders gefährlich sei die Situation für Journalistinnen, die neben der Bedrohungslage auch gesellschaftlichen Anfeindungen und Ausgrenzungen, teilweise sogar durch ihre Familien, ausgesetzt seien.

Laut Mitteilung des Afghan Journalists Safety Committee hat die Anzahl der Übergriffe auf Medienschaffende 2018 (insg. 121 Fälle) gegenüber dem Vorjahr etwas nachgelassen (insg. 169 Fälle). Gleichzeitig war laut Reporter ohne Grenzen die höchste Rate an Ermordungen (17) seit 2001 zu beklagen. Journalisten sind weiterhin Ziel von Angriffen durch militante Gruppen wie den Taliban oder dem sog. Islamischen Staat in der Provinz Khorasan (ISKP). So wurden am 30. April 2018 zehn Medienschaffende getötet, von denen neun einem doppelten Bombenanschlag in Kabul und ein BBC-Journalist einem Angriff in Khost zum Opfer fielen.

Eine systematische Politik der Einschränkung der Arbeit von Menschenrechtsverteidigern oder zivilgesellschaftlichen Akteuren von Seiten der Regierung gibt es in Afghanistan nicht. Gleichwohl sind sie regelmäßig Behinderungen bei ihrer Arbeit ausgesetzt; ihre Beteiligung an wichtigen Vorhaben (Gesetzesentwürfe, Ratsversammlungen/ Jirgas) wird nicht selten nur auf internationalen Druck ermöglicht. Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen Afghan Women ‘s Network berichtet von Behinderungen der Arbeit ihrer Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen aus konservativen und religiösen Kreisen.

Internetseiten mit nach afghanischem Verständnis unmoralischen oder pornographischen Inhalten sind gesperrt. Darunter fallen tatsächlich pornographische Seiten ebenso wie Webangebote für homo-, bi-, inter- oder transsexuelle User und Kennenlernportale bis hin zu Verkaufsseiten mit Alkoholangebot.

Minderheiten

Der Anteil der Volksgruppen im Vielvölkerstaat Afghanistan wird in etwa wie folgt geschätzt (zuverlässige Zahlen liegen hierzu nicht vor): Paschtunen ca. 40 %, Tadschiken ca. 25 %, Hazara ca. 10 %, Usbeken ca. 6 % sowie zahlreiche kleinere ethnische Gruppen (Aimak, Turkmenen, Belutschen, Nuristani, Kuchi u.a.). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status dort eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser anderen Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri.

Der Gleichheitsgrundsatz aller Bürger Afghanistans ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert (Art. 6, 22), wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert.

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert. Ihre Zahl wird landesweit auf etwa drei Millionen geschätzt. Hauptsiedlungsgebiet der Hazara ist das zentrale Hochland in der Region um Bamyan. Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind allerdings in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Sie gehören, anders als die übrigen ethnischen Gruppen Afghanistans, überwiegend der schiitischen Konfession an. Das hat zur Folge, dass Hazara regelmäßig Opfer von Anschlägen des ISKP werden. Am 15. August 2018 verübte ein Selbstmordattentäter einen Anschlag auf eine hauptsächlich von Schiiten genutzte Bildungseinrichtung in Kabul. ISKP reklamierte den Anschlag, bei dem 48 Personen getötet und 67 weitere verletzt wurden, für sich. Nur drei Tage später kamen in der Provinz Paktia 39 Menschen bei einem Angriff auf eine schiitische Moschee ums Leben, mindestens 80 weitere wurden verletzt; die Tat wird ebenfalls ISKP zugeschrieben.

Die ca. 1,5 Millionen Nomaden (Kutschi), die mehrheitlich Paschtunen sind, leiden in besonderem Maße unter ungeklärten Boden- und Wasserrechten. Dies schließt die illegale Landnahme durch mächtige Personen ein - ein mangels funktionierenden Katasterwesens in Afghanistan häufiges und alle Volksgruppen betreffendes Problem. Die Kutschi sind in besonderem Maße von Spannungen mit dem Nachbarland Pakistan betroffen. Die zunehmenden Grenzbefestigungen und teilweisen Grenzschließungen durch Pakistan entlang der DurandLinie hindern Teile der Kutschi daran, die gewohnten Routen zu ihren Weidegründen beizubehalten. Dies hat erhebliche Auswirkungen darauf, ob sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

De facto kommt es immer wieder zu Diskriminierungen dieser Gruppe, da sie aufgrund ihres nomadischen Lebensstils als Außenseiter gelten. Nomaden werden öfter als andere Gruppen auf bloßen Verdacht hin einer Straftat bezichtigt und verhaftet, sind aber oft auch rasch wieder auf freiem Fuß. Angehörige der Nomadenstämme sind aufgrund bürokratischer Hindernisse dem Risiko der (faktischen) Staatenlosigkeit ausgesetzt. Die Verfassung sieht in Art. 14 vor, dass der Staat Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensgrundlagen von Nomaden ergreift. Einzelne Kutschi sind als Parlamentsabgeordnete oder durch politische und administrative Ämter Teil der Führungselite Afghanistans. Auch Staatspräsident Ghani wird der Bevölkerungsgruppe der Kutschi zugerechnet. Im Parlament ist eine feste Anzahl an Sitzen für die Kutschi vorgesehen, allerdings beklagten gerade die Kutschi erhebliche Unregelmäßigkeiten während der Parlamentswahlen.

Zu den am stärksten marginalisierten Gruppen gehört die ethnische Minderheit der Jat, die die Gemeinschaften der Jogi, Chori Frosh und Gorbat umfasst. Die Jat sind wie die Kutschi eine nomadische Minderheit. Es gibt unbestätigte Berichte, wonach Mitglieder dieser Gruppen Schwierigkeiten haben, Tazkiras (vglb. Personalausweis) zu erhalten und damit nur beschränkten Zugang zu staatlichen Einrichtungen haben.

Religionsfreiheit

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Die Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert (Art. 2).

Nach offiziellen Schätzungen sind 80 % der Bevölkerung sunnitische und 19 % schiitische Muslime, einschließlich Ismailiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha‘i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1 % der Bevölkerung aus.

Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind jedoch allesamt im Lichte des generellen Scharia-Vorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen. Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionswahl beinhaltet, gilt daher de facto in Afghanistan nur eingeschränkt. Gleiches gilt für die Möglichkeit der Religionsausübung für Nicht-Muslime, da es in Afghanistan keine oder nur vereinzelte Gebetsstätten für Angehörige anderer Glaubensrichtungen gibt.

Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Allerdings sind dem Auswärtigen Amt in jüngerer Vergangenheit keine Fälle bekannt, in denen die Todesstrafe aufgrund von Apostasie verhängt wurde. Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld.

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die hanafitische Rechtsprechung (eine der Rechtsschulen des sunnitischen Islams) für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrer Religion.

Am 8. Juli 2019 bekannten sich auch hochrangige Vertreter der Taliban in der Erklärung der Teilnehmer am Intra-Afghanischen Dialog in Doha zu den (nicht näher spezifizierten) „Rechten von religiösen Minderheiten“. Die Erklärung hat keinen rechtsverbindlichen Charakter.

Schiiten

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema) als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe. Allerdings werden seit Anfang 2016 immer wieder Anschläge gezielt gegen schiitische religiöse Einrichtungen wie bspw. Moscheen ausgeführt.

Hindus und Sikhs

Verlässliche Angaben über die Anzahl von Hindus und Sikhs in Afghanistan gibt es nicht. Verschiedene Erhebungen verorten die Größe der Gruppe bei 1.300 Personen bzw. bis zu 300 Familien. Diese sind vor allem auf die Provinzen Nangarhar, Kabul und Ghazni konzentriert. Es liegen keine Hinweise auf eine staatliche Diskriminierung vor. Vielmehr äußerte Staatspräsident Ghani seine Absicht, Sikhs und Hindus weiter zu unterstützen, nachdem im Juli 2018 nach einem Anschlag vom ISKP gegen eine Gruppe Sikhs 17 Personen getötet wurden, die sich auf dem Weg zu einer Wahlveranstaltung befanden.

In der Wolesi Jirga (Unterhaus) ist ein Sitz für Hindus und Sikhs reserviert. Das Amt des Staatspräsidenten ist laut Verfassung von einem Muslim zu besetzen. Auch ansonsten bleibt dieser Gruppe der Weg in öffentliche Ämter schon aufgrund fehlender Patronage-Netzwerke in den meisten Fällen verschlossen. Von großen Teilen der muslimischen Bevölkerung werden sie als Außenseiter wahrgenommen.

Es gibt zwei aktive Gurudwaras (Gebetsstätte der Sikhs) in Kabul und vier Hindu-Tempel landesweit, davon zwei in Kabul sowie je einen in Jalalabad und Helmand. Viele Muslime lehnen insbesondere Feuerbestattungen ab, die im Hinduismus und Sikhismus das zentrale Begräbnisritual darstellen. Die afghanische Regierung hat darauf reagiert, indem sie den Sikhs und Hindus einen Shamshan (Feuerbestattungsstätte) zur Verfügung gestellt hat.

Christen

Die Zahl afghanischer Christen kann nicht verlässlich angegeben werden. Sie beträgt aber wohl weit weniger als 1 % der Bevölkerung. Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird.

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der Italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NROs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen.

Baha‘i

1966 entstand die erste Baha‘i-Gemeinde in Kabul. Viele ihrer Anhänger wurden während der Taliban-Herrschaft verhaftet oder mussten das Land verlassen. Inzwischen sind einige von ihnen nach Afghanistan zurückgekehrt.

Durch eine Fatwa des Obersten Afghanischen Gerichts aus dem Mai 2007 wurde die Glaubensrichtung Baha’i als nicht-islamisch eingeordnet. Die Religionsausübung erfolgt seither fast nur im Verborgenen. Auch werden vom Islam zum Baha’i Konvertierende als Abtrünnige betrachtet. Dem Auswärtigen Amt ist bislang kein Fall einer entsprechenden strafrechtlichen Verurteilung bekannt geworden.

Der UNHCR schätzte die Zahl der Baha‘i 2013 landesweit auf 2.000 ein. Jüngere offizielle Zahlen sind nicht bekannt.

Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis

Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die systematisch nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung diskriminiert, ist nicht erkennbar. Laut EASO kommt es insbesondere in paschtunischen Siedlungsräumen weiter auch zu traditionellen Formen privater Strafjustiz, bis hin zu Blutfehden. Darüber hinaus sind Fälle von Sippenhaft durch die Taliban bekannt. Zur Verhängung von Sippenhaft durch andere regierungsfeindliche Organisationen liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse vor.

Verwaltung und Justiz sind trotz Fortschritten nur eingeschränkt wirkmächtig. Hier zeigt sich auch der stete Drahtseilakt zwischen Islamvorbehalt in der Verfassung, tradierten Moralvorstellungen und ratifizierten internationalen Abkommen, deren Umsetzung ebenfalls in der Verfassung festgeschrieben ist. Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt. Einflussnahme durch Verfahrensbeteiligte oder Unbeteiligte und Zahlung von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems. Personen in Machtpositionen können sich oft der strafrechtlichen Verfolgung entziehen. Der Großteil der Bevölkerung fasst unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen, sozialen oder religiösen Gruppe nur sehr langsam Vertrauen in die afghanischen Sicherheitskräfte und Justizorgane. Vor allem die afghanische Polizei wird häufig als korrupt und zum Teil auch gefährlich wahrgenommen, weshalb ihre Hilfe selbst in Notfällen oft nicht in Anspruch genommen wird. Es gibt kein zentrales Strafregister in Afghanistan. Ein Doppelbestrafungsverbot ist in Artikel 24 des Strafgesetzbuchs von 2017 verankert und wird nach Kenntnis des Auswärtigen Amts auch eingehalten.

Militär- und Polizeidienst

Das afghanische Recht sieht keine Wehrpflicht vor. Die Tätigkeit als Soldat oder Polizist stellt für einen großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten dar, sodass grundsätzlich kein Anlass für Zwangsrekrutierungen zu staatlichen Sicherheitskräften besteht.

Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Rekrutierung beträgt 18 Jahre. Die Vereinten Nationen berichten (Report of the Secretary-General on Children and armed Conflict, S/2018/465) über die Rekrutierung von Minderjährigen durch staatliche afghanische Sicherheitskräfte (Polizei und Armee, drei Fälle im ersten Halbjahr 2019, siehe auch Absatz II. 1.7. Diese Zahlen werden von der Regierung allerdings bestritten).

Fahnenflucht und unerlaubtes Wegbleiben vom Arbeitsplatz im Militär- und Polizeibereich kann gemäß Gesetz mit bis zu fünf Jahren Haft, in besonders schweren Fällen mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen es zu einer strafrechtlichen Verurteilung oder disziplinarischen Maßnahmen gekommen ist. Ein gängiges Phänomen ist, dass Soldaten und Polizisten, die z. B. fern ihrer Heimat eingesetzt sind, das Militär bzw. den Polizeidienst vorübergehend verlassen, um zu ihren Familien zurückzukehren. Diese „Deserteure“ werden schon aufgrund der sehr hohen Schwundquote (sog. „attrition rate “) nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen. Fälle strafrechtlicher Verfolgung sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. In einigen Fällen wurden Angehörige der ANDSF, die im Rahmen von Kampfhandlungen durch die Taliban gefangen genommen wurden, unter der Voraussetzung wieder freigelassen, nicht zu den ANDSF zurückzukehren.

Handlungen gegen Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren insgesamt verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der TalibanHerrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika).

Laut UNAMA-Berichten sank im ersten Halbjahr 2019 die Gesamtzahl der konfliktbedingt getöteten oder verletzten Kinder gegenüber dem Vorjahr um 13 %, (327 Todesfälle, 880 Verletzte).

Die Beteuerungen regierungsfeindlicher Gruppen, Gewalt gegen Zivilisten und insbesondere Kinder abzulehnen, werden immer wieder durch ihre Aktionen konterkariert. Beispielsweise wurden Angriffe auf ein Logistiklager der ANDSF in Kabul am 1. Juli 2019 sowie auf ein

NDS-Kommando in Ghazni am 7. Januar 2019 in geringem Abstand zu Schulen durchgeführt, sodass sich auch viele Kinder unter den Opfern befanden.

Für Parlaments- wie Präsidentschaftswahlen wurden bzw. werden u. a. Schulen für Wählerregistrierung und Stimmabgabe genutzt. Als Wahleinrichtungen sind auch diese einem besonderen Anschlagsrisiko ausgesetzt.

Die Volljährigkeit beginnt in Afghanistan mit dem 18. Geburtstag. Die Zwangsverheiratung auch von Kindern unter dem gesetzlichen Mindestalter der Ehefähigkeit - 18 Jahre für Männer, 16 für Frauen (mit Zustimmung des Vaters 15 Jahre) - ist weit verbreitetet.

Das Problem der Rekrutierung von Kindern durch regierungsfeindliche Gruppen oder afghanische Sicherheitskräfte besteht weiter fort. Die Vereinten Nationen (Report of the Secre- tary-General on Children and armed conflict, S/2018/465 vom 16. Mai 2018) berichten über die Rekrutierung, einschließlich Zwangsrekrutierung sowie Entführungen und sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch bewaffnete Gruppen (Taliban, ISKP, Afghan Local Police (ALP), Milizen, Warlords oder kriminelle Banden).

In Bezug auf die afghanischen Sicherheitskräfte ist die Rekrutierung von Minderjährigen zum einen auf fehlende Mechanismen zur Überprüfung des Alters von Rekruten zurückzuführen. Zum anderen setzt sich die Praxis einiger Distrikt-Kommandeure fort, die formale Rekrutierungsvorschriften bewusst umgehen, um Minderjährige in die Sicherheitskräfte einzugliedern - zum Teil, um sich an ihnen sexuell zu vergehen. Die afghanische Regierung bemüht sich, diese Art von Rekrutierung zu unterbinden und hat die Rekrutierung Minderjähriger mit Präsidialdekret unter Strafe gestellt. Es ist am 2. Februar 2015 in Kraft getreten, die Umsetzung verläuft schleppend. Laut UNAMA wurden im ersten Halbjahr 2019 mindestens drei Jungen zwischen zwölf und 17 Jahren von afghanischen Sicherheitskräften und 23 Jungen von den Taliban rekrutiert.

In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen, da die Mehrheit der Vorfälle nicht angezeigt wird. UNAMA konnte in den ersten sechs Monaten 2019 aufgrund der mit dem Thema verbundenen gesellschaftlichen Befindlichkeiten lediglich vier Fälle von sexueller Gewalt gegen Minderjährige überprüfen und dokumentieren. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen ist durch das afghanische Gesetz unter Strafe gestellt, die strafrechtliche Verfolgung scheint nur in Einzelfälle stattzufinden.

Missbrauchte Kinder werden oft von armen Familien verkauft, von den Käufern sexuell missbraucht, weiter gehandelt oder auch getötet.

Eine in Afghanistan praktizierte Form der Kinderprostitution ist Bacha Bazi (sog. „Tanzjungen“ auch „Knabenspiel“), was in der afghanischen Gesellschaft in Bezug auf Jungen nicht als homosexueller Akt erachtet wird und als Teil der gesellschaftlichen Norm empfunden wird. Mit einer Ergänzung zum Strafgesetz, die am 14. Februar 2018 in Kraft trat, wurde die Bacha Bazi-Praxis erstmalig in einem Kapitel (Kapitel 5) explizit unter Strafe gestellt. Aber auch hier verläuft die Durchsetzung des Gesetzes nur schleppend und Straflosigkeit der Täter ist weiterhin verbreitet. Missbrauchte Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung ausgeschlossen und stigmatisiert; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt.

Der Verkauf von Kindern gilt als sozial akzeptierte Bewältigungsstrategie in einer wirtschaftlichen Notlage. In Folge der schwerwiegenden Dürre 2018 wurde von einer Zunahme des

Verkaufs von Kindern v. a. in den Lagern der Dürrevertriebenen im Westen des Landes berichtet.

Afghanistan hat die VN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children’s Situation Summary Report) vom 14. Dezember 2014) 51,8 % der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt Programme, die es Kindern erlauben sollen, neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) sind gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten Gefahren ausgesetzt. Viele Kinder sind unterernährt. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt.

Geschlechtsspezifische Verfolgung

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt verbessert hat, können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung, durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte.

Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Sorgerecht, Erbschaft und Bewegungsfreiheit.

Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50 % (17 Sitze) für Frauen bestimmt, diese Vorgabe wird derzeit aber nicht eingehalten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 68 der 250 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit wird die Quote mit 69 Frauen leicht übertroffen.

Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von mind. 25 % in den Provinzräten vor. Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission, IEC) für Frauen vorgesehen, die mit Hawa Alam Nooristani erstmals eine Frau als Vorsitzende hat. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern). Die Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (IARCSC) hat sich die Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst von 22 % auf 24 % für das Jahr 2019 und 26 % im Jahr 2020 zum Ziel gesetzt. Gemäß Quartalsbericht der IARCSC soll der Anteil von Frauen 2019 schon 27,33 % betragen haben. Eine Erläuterung der Berechnungsgrundlage steht jedoch weiterhin aus.

Im Justiz- und Polizeisektor bleiben Frauen weiterhin unterrepräsentiert. So stellen Richterinnen nur etwa 15 % der Richterschaft.

Aktuell sind rund 3.500 Polizistinnen in der Afghan National Police (ANP) tätig - knapp 3 % aller Polizeibeschäftigten. Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen. Diese sind oft mit Mangel an Respekt und Anerkennung sowohl im Kollegenkreis als auch bei der männlichen Bevölkerung konfrontiert. Es gibt zahlreiche Berichte über den sexuellen Missbrauch von Frauen in der afghanischen Polizei, durch Kollegen und durch Vorgesetzte.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist unabhängig von der Ethnie weit verbreitet und kaum dokumentiert. EASO geht laut Bericht von Dezember 2017 davon aus, dass 87 % der Frauen Gewalt erfahren; 62 % mehrfach. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90 % innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord. In der Zeit von August 2015 bis Dezember 2017 dokumentierte UNAMA 280 Fälle von (Ehren-)Morden an Frauen, in 50 Fällen (18 %) davon wurde ein Täter verurteilt und inhaftiert.

Insbesondere durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, das Eliminating Violence Against Women (EVAW) Gesetz, im Jahr 2009 wurde eine wichtige Grundlage geschaffen, Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt - unter Strafe zu stellen. Das durch Präsidialdekret erlassene Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Scharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt.

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-Sicherheitsratsresolution 1325 zum Schutz der Frauenrechte auf den Weg gebracht, allerdings fehlt es bisher am notwendigen Budget für die Umsetzung.

UNAMA dokumentierte 2017 insgesamt 58 Fälle (36 Tote, 22 Verletzte), in denen Zivilistinnen Opfer gezielt gegen sie gerichteter Gewalt durch regierungsfeindliche Gruppen wurden. Hintergrund ist häufig die soziale Ablehnung von Frauen in Rollen außerhalb der traditionellen Normen. Berufstätige Frauen sind häufig Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit und ist den Umfrageergebnissen der Asia Foundation 2016 zufolge unter den Hazara am höchsten (84,6 %), gefolgt von Usbeken (82,6 %) und Tadschiken (75,6 %), unter Paschtunen dagegen am niedrigsten (66,2 %). Entsprechend tragen in der zentralen Hochlandregion laut Umfrageergebnissen der Asia Foundation 2018 52,4 % der Frauen durch Erwerbsarbeit zum Haushaltseinkommen bei; in den östlichen, südwestlichen und nordöstlichen Regionen dagegen sind es zwischen 12 % und 16 %.

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Beispielsweise werden viele Frauen in Fällen häuslicher Gewalt darauf verwiesen, zu ihrem Ehemann zurückzukehren, um Ehre und Frieden in der Familie zu erhalten. Darüber hinaus werden häufig Frauen, die entweder eine Straftat zur Anzeige bringen oder aber von der Familie aus Gründen der „Ehrenrettung“ angezeigt werden, wegen sog. Sittenverbrechen (wie z.B. „zina“ - außerehelicher Geschlechtsverkehr - im Fall einer Vergewaltigung) verhaftet oder wegen „Von-zu-Hause-Weglaufens“ (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der „zina “ gewertet) inhaftiert.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren auch die im Zusammenhang mit „zina“-Anklagen oft einhergehenden, gesetzlich abgeschafften, aber in der Praxis weiterhin durchgeführten, erzwungenen „Jungfräulichkeitstests“. Auch Männer werden wegen „zina“-Anschuldigungen strafrechtlich verfolgt. Zum Teil ergehen in diesen Fällen Morddrohungen der beiden Familien gegen beide Partner. Für nähere Einzelheiten hierzu wird auf den EASO-Bericht „EASO Country of Origin Information Report - Afghanistan, Individuals targeted under societal and legal norms“ von Dezember 2017 verwiesen.

Traditionelle diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter. Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet. Die Datenlage hierzu ist sehr schlecht. Eine Erhebung des zuständigen Ministeriums von 2006 zeigt, dass über 50 % der Mädchen unter 16 Jahren verheiratet wurden und dass 60 - 80 % aller Ehen in Afghanistan unter Zwang zustande kamen.

Das Recht auf Familienplanung wird nur von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, so nutzen jedoch nur etwa 22 % (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter.

In der Tradition des Paschtunwali (paschtunischer Ehrenkodex) werden Frauen als Objekt der Streitbeilegung („baad‘ und „ba‘adaf") missbraucht, obgleich dies explizit durch das EVAW-Gesetz verboten ist. Die Familie des Schädigers bietet der Familie des Geschädigten ein Mädchen oder eine Frau zur Begleichung der Schuld an, womit die Frau zugleich indirekt zum Symbol der Tat wird, oder Familien tauschen Frauen aus. Dies ist nach afghanischem Recht verboten und wird zum Teil auch strafrechtlich verfolgt, jedoch insbesondere in traditionell paschtunischen Gebieten im Süden und Osten Afghanistans, aber auch in den Provinzen Kabul, Parwan und Panj shir weiterhin praktiziert. Zeitungsberichten zufolge haben einzelne Stammesälteste in Balkh, Khost und Paktika die Tradition des „baad‘ verboten.

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Daneben werden nach UN-Angaben aus dem Jahr 2017

16       Family Guidance Centers (FGCs) von zivilgesellschaftlichen Organisationen betrieben, wo Frauen bis zu einer Woche unterkommen können, bis eine längerfristige Lösung gefunden wurde oder sie nach Hause zurückkehren. Frauen aus ländlichen Gebieten ist es logistisch allerdings nur selten möglich, eigenständig ein Frauenhaus oder FGC zu erreichen. Zudem sind die Frauenhäuser in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für „unmoralische Handlungen“ und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden.

Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste „Generation“ von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben.

Genitalverstümmelung

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich.

Situation für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle (LGBTTI)

Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review -Verfahrens (UPR) des VN-Menschenrechtsrats in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) im Januar 2014 zurück. Beim UPR Afghanistans im Januar 2019 standen LGBTTI nicht auf der Agenda.

Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Leben werden von der breiten Gesellschaft abgelehnt und können daher nicht in der Öffentlichkeit gelebt werden.

Laut Art. 247 des afghanischen Strafgesetzbuchs werden neben außerehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z. T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Organisationen, die sich für den Schutz der sexuellen Orientierung einsetzen, arbeiten im Untergrund.

Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe ist nicht nachweisbar, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Über die Durchführung von Strafverfahren gegen LGBTTI liegen dem Auswärtigen Amt deshalb keine Erkenntnisse vor. Es wird allerdings von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Die Betroffenen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem und müssen bei „Entdeckung“ den Verlust ihres Arbeitsplatzes und soziale Ausgrenzung fürchten, können aber auch Opfer von Gewalt werden. Daneben kommt es - v. a. aufgrund der starken Geschlechtertrennung - zu freiwilligen und erzwungenen sexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern.

Zudem gibt es zahlreiche traditionelle Praktiken, die nicht offiziell anerkannt sind, aber teilweise im Stillen geduldet werden. So werden sexuelle Handlungen von Männern an Bacha Bazi (sog. „Tanzjungen“) nicht als homosexueller Akt betrachtet. Auch gibt es z. B. die so genannten „Bacha Push“. Dies sind junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um eine bestimmte Bildung genießen zu können, alleine außer Haus zu gehen oder Geld für die sohnoder vaterlose Familie zu verdienen. Dies ist in der Regel keine transsexuelle, sondern eine indirekt gesellschaftlich bedingte Lebensweise. Bei Entdeckung droht Verfolgung durch konservative oder religiöse Kreise, da ein Mädchen bestimmte Geschlechtergrenzen überschritten und sich in Männerkreisen bewegt habe.

Aufgrund des Scharia-Vorbehalts im afghanischen Recht gibt es keine dem deutschen Transsexuellengesetz vergleichbare Regelung. Unter der Scharia ist bereits die Annäherung des äußeren Erscheinungsbilds an das andere Geschlecht, etwa durch Kleidung, verboten. Die Scharia verbietet daher auch die Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit transsexueller Personen.

Exilpolitische Aktivitäten

Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht bekannt. Einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Staatspräsident Ghani selbst verbrachte die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil.

Repressionen Dritter

Ergänzend zu den folgenden Ausführungen wird auf den Bericht Afghanistan Security Situa- ton - Country of Origin Information Report, Stand Juni 2019 des European Asylum Support Office (EASO) verwiesen, der die Sicherheitslage nach Akteuren und Provinzen aufgeschlüsselt darstellt.

Bedrohungslage für afghanische Sicherheitskräfte, Amtsträger und lokale Mitarbeiter internationaler Organisationen

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Die öffentliche Erklärung der Taliban-Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive vom 12. April 2019 verlautbarte, dass die Operation Al- Fath - wie in den Vorjahren - amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zum Ziel haben sollte. Nach Start der Operation wurden die Taliban landesweit am stärksten in den Provinzen Helmand, Farah und Ghazni aktiv.

Die ANDSF konzentrierten ihre Operationen gegen regierungsfeindliche, militante Kräfte, insbesondere die Taliban, seit Beginn der Frühjahrsoffensive vor allem auf Südafghanistan, Nangarhar im Osten, Farah im Westen sowie Kunduz, Takhar und Baghlan im Nord-Osten. Die Aktivitäten des sog. Islamischen Staats in der Provinz Khorasan (ISKP) konzentrieren sich auf den Osten Afghanistans, insbesondere auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Trotz bedeutender Gebietsverluste 2018, als die ISKP-Präsenz im Nordwesten zerschlagen wurde, hat ISKP seit Januar 2019 diverse Offensiven gegen Bereiche unter Kontrolle der Taliban unternommen und dabei in Kunar kleine Erfolge erzielen können.

Die Anzahl von Anschlägen auf high profile Ziele ging deutlich zurück. Die UN zählte bis Juni 2019 acht Selbstmordattentate im Vergleich zu 26 Attacken im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Vor allem die Hauptstadt Kabul und Jalalabad sind immer wieder Ziele von Anschlägen.

Gegen Polizei- und Militärfahrzeuge werden insbesondere in Kabul Anschläge mit sog. magnetischen improvisierten Sprengvorrichtungen (magnetic improvised explosive device, MIED) verübt. Zudem werden besonders medienwirksame, größere Ziele der Sicherheitskräfte angegriffen. Landesweit sind insbesondere Einrichtungen der Sicherheitskräfte sowie polizeiliche Kontrollpunkte Ziele von Angriffen.

Afghanische Regierungsmitarbeiter und sonstige Amtsträger stehen ebenfalls im Fokus der Aufständischen und sonstiger krimineller Organisationen. Dabei kommt es den Angreifern nicht darauf an, ausschließlich hochrangige Regierungsmitarbeiter zu treffen.

Afghanische Mitarbeiter von nationalen und internationalen Hilfsorganisationen sind ebenfalls Ziel von Anschlägen regierungsfeindlicher Gruppen. Auch Angriffe durch Milizen politischer Gegner stellen eine Bedrohung dar. So wurden am 6. Juli 2019 erneut zwei Mitarbeiter des Anti-Corruption Justice Center (ACJC) in Kabul von Unbekannten angegriffen, einer von ihnen starb.

Bedrohungslage für afghanische Zivilisten

Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien, improvisierten Sprengkörpern, Blindgängern und Munitionsrückständen, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. UNAMA veröffentlicht seit 2008 eigene Berichte zum „Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt“, die Schätzungen von zivilen Opfern der Auseinandersetzungen enthalten. UNAMA nimmt ausschließlich Fälle in die Statistik auf, über die von mindestens drei voneinander unabhängigen Quellen berichtet wurde. Für Vorfälle in für die Berichterstattung wenig zugänglichen Gebieten ist daher von einer Dunkelziffer auszugehen.

2018 gab es in Afghanistan nach UNAMA-Angaben 10.993 zivile Opfer (+5 % im Vergleich zu 2017), davon 7.189 Verletzte (+2 % im Vergleich zu 2017) und 3.804 Tote (+11 % im Vergleich zu 2017) bei einer konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von etwa 27 Millionen (andere Schätzungen gehen von 32 Millionen Einwohnern aus). 2018 waren etwa 10 % der zivilen Opfer Frauen (350 Tote; 802 Verletzte) und fast 28 % Kinder (927 Tote; 2.135 Verletzte). Das Aufwachsen der Opferzahlen wird vor allem auf Anschläge regierungsfeindlicher Elemente, insbesondere von ISKP, zurückgeführt. Auch waren mehr Zivilisten durch Luftschläge betroffen, die durch die ANDSF oder die ANDSF unterstützenden internationalen Kräften durchgeführt wurden.

Während die Regierungsgegner laut UNAMA in 2018 weiterhin mit 63 % für die meisten zivilen Opfer verantwortlich waren (37 % zu Lasten der Taliban; 20 % zu Lasten des ISKP, 6 % zu Lasten anderer regierungsfeindlicher Gruppen), wurden 14 % den Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF), 6 % internationalen Kräften, sowie 4 % weiteren regierungsfreundlichen Gruppen zugeordnet. 13 % fielen nicht zuzuordnendem Kreuzfeuer zwischen den verschiedenen Gruppen zum Opfer.

Im ersten Halbjahr 2019 zählte UNAMA 3.812 zivile Opfer (1.366 Tote, 2.446 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang von 27 % im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2018. Die Entwicklung wird insbesondere der Abnahme von Opfern von Selbstmordattentaten und Bodenkämpfen zugeschrieben, während jedoch die Zahl ziviler Opfer bei Luftschlägen und Suchaktionen anstieg. Die Hauptursachen für zivile Opfer sind Bodenkämpfe (33 %), improvisierte Sprengfallen (28 %) und Luftangriffe (14 %). 52% der Opfer im ersten Halbjahr 2019 gingen zu Lasten regierungsfeindlicher Gruppierungen (38% Taliban, 11% ISKP, 3% andere) während 18% der Opfer zu Lasten der ANDSF, 12% internationalen Kräften, 2% weiteren regierungsfreundlichen Gruppen zugeordnet wurden. 12% fielen nicht zuzuordnendem Kreuzfeuer zum Opfer.

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Taliban zivile Opfer zwar in Stellungnahmen ablehnen, sie aber zumindest billigend in Kauf nehmen. Anschläge des ISKP richten sich immer wieder auch direkt gegen Zivilisten. Einer erhöhten Gefährdung sind zudem diejenigen ausgesetzt, die öffentlich gegen die Taliban Position beziehen, wie zum Beispiel Journalisten und Menschenrechtsverteidiger, oder die in ihrer Lebensweise erkennbar von ihrer islamistischen

Ideologie abweichen, wie zum Beispiel Konvertiten, Angehörige sexueller Minderheiten oder berufstätige Frauen.

In der (nicht rechtlich bindenden) Erklärung zum Intra-Afghanischen Dialog in Doha (8. Juli 2019) bekannten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter auch ranghohe Mitglieder der Taliban und Vertreter der Regierung, dazu, dass die Konfliktparteien „die folgenden Schritte unternehmen sollten, um die Parteien von den Folgen des Krieges zu schützen (...): die Garantie der Sicherheit aller öffentlicher Einrichtungen, wie religiöser Einrichtungen, Krankenhäuser, Schulen und Ausbildungszentren, Marktplätze, Wasserdämme und Arbeitsplätze im ganzen Land.“ Ob diese politische Absichtserklärung eine mäßigende Wirkung auf Kriegshandlungen haben wird, ist noch fraglich und dürfte maßgeblich vom weiteren Verlauf des politischen Prozesses abhängen.

Kampfhandlungen am Boden finden vor allem im paschtunisch besiedelten Süden Afghanistans (vor allem Helmand, Kandahar, Uruzgan), im Osten des Landes (Nangarhar), im Westen (Farah) und Nordosten (Kunduz, Takhar, Baghlan) statt. Entsprechend sind die von UNAMA dokumentierten Zahlen ziviler Opfer in diesen Regionen vergleichsweise hoch.

Laut einer Umfrage der Asia Foundation („Afghanistan in 2018 - A Survey of the Afghan People“) fürchten 71,8 % der Befragten (2017: 70,7 %) um ihre persönliche Sicherheit, der höchste Wert seit 2006.

Während zivile Opfer in ländlichen Gebieten vor allem auf Kampfhandlungen, Landminen, improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nicht-staatlichen Gruppen zurückzuführen sind, stellen für die städtische Bevölkerung vor allem Selbstmordanschläge, komplexe Angriffe, gezielte Tötungen und Entführungen Bedrohungen dar. Dies gilt besonders für die Stadt Kabul, wo sich der Hauptsitz der Zentralregierung, ihrer Repräsentanten und zahlreicher staatlicher Einrichtungen und damit klassische und medienwirksame Ziele der Taliban befinden. Die Provinz Kabul wies 2018 die höchste absolute Opferzahl unter den afghanischen Provinzen auf; mit geschätzt 4,4 Millionen Einwohnern hat Kabul allerdings auch die höchste Einwohnerzahl. Die Bedrohungslage für Zivilisten in Kabul lag mit vier zivilen Opfern auf 10.000 Einwohner im Jahr 2018 leicht über dem landesweiten Durchschnitt, war aber dennoch weniger angespannt als in der südlichen oder der östlichen Region.

Im Gegensatz zu den Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen der Taliban richten sich vom sogenannten ISKP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) durchgeführte Anschläge auch unmittelbar gegen Zivilisten, insbesondere gegen die schiitische Minderheit der Hazara, die auch wegen der Teilnahme afghanischer Schiiten am Kampf gegen den IS auf Seiten des syrischen Regimes im Brennpunkt des ISKP steht. Landesweit schreibt UNAMA dem ISKP 2.181 zivile Opfer (681 Tote und 1.500 Verletzte) im Jahr 2018 zu. Die Opferzahlen, die dem ISKP zugeschrieben werden, sind damit gegenüber 2017 um 118 % gestiegen. Der Großteil der Anschläge ereignete sich in verschiedenen Distrikten Nangarhars (102 Sicherheitsvorfälle), gefolgt von Angriffen inn

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten