TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/22 W115 2189867-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.01.2021
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Entscheidungsdatum

22.01.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §34 Abs2 Z1
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs6
B-VG Art133 Abs4
StGB §107 Abs1
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W115 2189867-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Gemeinsam mit ihm reisten seine damalige (traditionell angetraute) Ehegattin, seine drei minderjährigen Söhne sowie sein Bruder in das Bundesgebiet ein, welche am genannten Datum ebenso Anträge auf internationalen Schutz stellten. Für einen am XXXX im Bundesgebiet geborenen weiteren Sohn des Beschwerdeführers und seiner damaligen Ehegattin wurde am XXXX ebenfalls ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Die Verfahren der genannten Angehörigen des Beschwerdeführers sind ebenfalls beim Bundesverwaltungsgericht unter den Geschäftszahlen XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX anhängig.

1.1.    Im Verlauf der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zusammengefasst an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sei und der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehöre. Seine Muttersprache sei Dari. Er sei in der Provinz Bamyan geboren und habe dort auch bis zu seiner Ausreise gelebt. Befragt zu seinen Familienverhältnissen gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater und seine Mutter schon verstorben seien. In Afghanistan verfüge er über keine Verwandten mehr. Seine Ehefrau, seine Söhne sowie sein Bruder würden sich ebenfalls in Österreich aufhalten. Befragt zu seiner Schul- und Berufsausbildung gab der Beschwerdeführer an, dass er in Afghanistan eine Koranschule besucht habe. Von klein auf bis zu seiner Ausreise im Jahr XXXX habe er als Hirte gearbeitet. Er habe den Herkunftsstaat vor rund zwei Jahren in einem Kleinbus Richtung Iran verlassen, wo er mit seiner Familie bis einen Monat zuvor gelebt habe. Vom Iran seien sie schlepperunterstützt über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn nach Österreich gereist.

Zum Grund seiner Flucht führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass es in seinem Heimatort einen namentlich bezeichneten Machthaber gegeben habe, mit welchem er Streit gehabt habe. Dieser Machthaber habe die Tiere des Beschwerdeführers nicht in der Nähe seines Hauses haben wollen. Zwei Tage später habe der Beschwerdeführer sich mit seinen Tieren auf einem Berg befunden, als er den Sohn des Machthabers blutend auf dem Boden liegend vorgefunden habe. Er habe diesen versorgt und anschließend mitgenommen. Unterwegs sei dieser aufgrund seiner schweren Verletzungen verstorben. Der Beschwerdeführer habe dem Machthaber dann seinen toten Sohn nach Hause gebracht, welcher in der Folge beerdigt worden sei. Der Machthaber sei bewaffnet und habe eigene Soldaten bzw. Sicherheitsleute. Er habe den Beschwerdeführer festgenommen und behauptet, dass er seinen Sohn getötet hätte. Der Beschwerdeführer habe aus dem Stall, in dem er festgehalten worden sei, flüchten können und sei sofort zu seiner Familie zurückgegangen, mit der er gemeinsam in den Iran geflüchtet sei. Im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland würde der Machthaber seines Dorfes ihn bestimmt töten.

1.2.    Eine EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer.

1.3.    Nach Zulassung des Verfahrens durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte wurde der Beschwerdeführer am XXXX vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Kurzbezeichnung BFA; in der Folge belangte Behörde genannt) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, bislang wahrheitsgemäße Angaben erstattet zu haben, welche mit Ausnahme seiner Herkunftsprovinz, bei der es sich richtigerweise um die Provinz Daikundi handeln würde, korrekt protokolliert worden seien. Zu seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, Probleme mit den Nieren zu haben und wegen Nierensteinen operiert worden zu sein. Er sei in der Provinz Daikundi geboren, habe dort 29 Jahre lang gelebt und ab dem Alter von 16 oder 17 Jahren als Schäfer gearbeitet. Weiters habe er zwei Jahre eine Schule, in der er den Koran gelernt habe, besucht und könne lesen und schreiben.

Befragt zu seinen Familienverhältnissen gab der Beschwerdeführer an, dass er verheiratet sei und vier Kinder mit seiner Ehefrau habe. Auch diese würden sich in Österreich aufhalten. Weiters lebe in Österreich noch sein Bruder, der ebenfalls mit ihnen geflüchtet sei. Seine Eltern seien bereits verstorben. In Afghanistan verfüge er über keine Verwandten mehr. Befragt zu seiner Ehe gab der Beschwerdeführer an, dass es sich bei dieser um eine arrangierte Ehe gehandelt habe. Es sei eine traditionelle afghanische Hochzeit gewesen.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass in ihrem Dorf ein namentlich bezeichneter alter Mann gelebt habe, welcher dort Machthaber gewesen sei. Zwei bis drei Tage vor seiner Ausreise habe er mit diesem wegen der Schafe gestritten. Am dritten Tag habe der Beschwerdeführer eine Person gesehen, welche zu Boden gefallen sei und am Kopf geblutet hätte. Bei dieser Person habe es sich um den etwa 16- oder 17-jährigen Sohn des Machthabers gehandelt. Er habe ihn auf seinem Esel mitgenommen. Der Junge sei jedoch unterwegs gestorben. Daraufhin habe ihn der Machthaber beschuldigt, am Tod seines Sohnes Schuld zu sein. Daraufhin habe er ein paar Mitarbeiter zum Beschwerdeführer geschickt, welche ihn mitgenommen hätten. Er sei in einen Stall gebracht und geschlagen worden. Sie hätten vom Machthaber den Auftrag erhalten, den Beschwerdeführer zu töten. Sie hätten ihn ein bis zwei Stunden geschlagen, bis er ohnmächtig geworden sei. Als er wieder aufgewacht sei, habe er gesehen, dass seine Füße und Hände gefesselt gewesen wären. Er habe sich aber befreien können und als sein Bewacher eingeschlafen sei, habe er flüchten können. Er sei nachhause gekommen und habe seine Familie mitgenommen und sie hätten die Ausreise Richtung Iran angetreten. Im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat würde es große Probleme für ihn und seine Kinder geben. Sie würden vom vorhin erwähnten Machthaber umgebracht werden.

Weiters wurden dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde Länderfeststellungen zu Afghanistan vorgehalten und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer gab diesbezüglich an, dass er sich dazu nicht äußern wollen würde.

Im Zuge der Einvernahme wurden vom Beschwerdeführer integrationsbescheinigende Unterlagen sowie medizinische Unterlagen in Vorlage gebracht.

1.4.    Mit dem im Spruch genannten Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm unter Spruchpunkt III. gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer zwar glaubhaft gemacht habe, in seinem Heimatort Probleme mit der von ihm erwähnten Privatperson gehabt zu haben und es sei aus diesem Grund eine Gefährdungslage in Bezug auf seine unmittelbare Heimatprovinz, nicht jedoch in Bezug auf das gesamte afghanische Staatsgebiet, festzustellen gewesen. Es habe hingegen nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer Verfolgung durch staatliche Organe oder einer solchen aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung unterliegen würde. Die Diskriminierung der schiitischen Hazara erreiche nicht ein solches Ausmaß, welches eine Gruppenverfolgung begründen würde.

Wegen des Fehlens familiärer Anknüpfungspunkte in Afghanistan sowie der gesundheitlichen Beeinträchtigung des jüngsten Sohnes des Beschwerdeführers lägen jedoch subjektive Umstände vor, aufgrund derer nicht auszuschließen sei, dass der Beschwerdeführer selbst bei Niederlassung in einer relativ sicheren Provinz in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde, sodass ihm - wie auch seiner Ehefrau und seinen vier Kindern sowie seinem Bruder -der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen sei.

1.5.    Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom XXXX wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

1.6.    Gegen Spruchpunkt I. des im Spruch genannten Bescheides wurde mit einem für den Beschwerdeführer, dessen damalige Ehegattin, dessen Söhne sowie dessen Bruder gleichlautenden Schriftsatz vom XXXX durch die damals bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben, in welcher - betreffend die Person des Beschwerdeführers - im Wesentlichen ausgeführt wurde, die belangte Behörde habe den relevanten Sachverhalt aufgrund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens und einer mangelhaften Beweiswürdigung unrichtig festgestellt. Wie auch von der belangten Behörde erkannt, habe der Beschwerdeführer eine Verfolgung durch einen lokalen Machthaber aufgezeigt, welcher mit den Taliban zusammengearbeitet hätte, sodass für den Beschwerdeführer aufgrund der guten Vernetzung der Taliban keine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben sei. Verwiesen wurde zudem auf näher angeführtes Berichtsmaterial, welches die Probleme aufgrund der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Volksgruppe der Hazara verdeutlichen würde. Da der Beschwerdeführer sich im wehrfähigen Alter befände, der religiösen Minderheit der Schiiten sowie der ethnischen Minderheit der Hazara angehöre, lange im Ausland gelebt und sich den dortigen westlichen Werten angepasst habe, würde dieser unter näher angeführte Risikoprofile der UNHCR-Richtlinien fallen. Es liege daher eine asylrelevante Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur religiösen und ethnischen Gruppe der schiitischen Hazara sowie aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Afghanen, die lange im Ausland gelebt hätten und welchen dadurch eine talibanfeindliche politische Gesinnung unterstellt werden würde, sowie durch die erkannte Verfolgung durch den Machthaber, welcher gute Kontakte zu den Taliban hätte, vor.

2.       Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.

2.1.    Mit rechtskräftigem Urteil eines österreichischen Landesgerichtes vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt, welche unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

2.2.    Nach Anberaumung einer Beschwerdeverhandlung gab die damals bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation mit Schreiben vom XXXX bekannt, dass sich seine Ehefrau vom Beschwerdeführer habe scheiden lassen und die Durchführung einer von diesem getrennten Beschwerdeverhandlung beantrage.

Dem Schreiben war eine Kopie der Scheidungsurkunde beigelegt.

2.3.    Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer, sein damals bevollmächtigter Vertreter und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde hatte mit Schreiben vom XXXX mitgeteilt, auf eine Teilnahme an der Verhandlung zu verzichten.

Im Rahmen der Verhandlung brachte der Beschwerdeführer nach Erläuterung des bisherigen Verfahrensganges und des Akteninhaltes im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass seine bisherigen Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara an, sei schiitischer Moslem und spreche muttersprachlich die Sprache Dari/Farsi. Er könne in seiner Muttersprache ein bisschen Lesen und Schreiben. Er habe in der Moschee Unterricht gehabt, habe jedoch keine offizielle Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Er habe seit seiner Kindheit als Hirte und in der Landwirtschaft gearbeitet. Er stamme aus der Provinz Daikundi und sei ungefähr im Jahr XXXX gemeinsam mit seiner Familie aus Afghanistan ausgereist und habe im Anschluss zwei Jahre im Iran gelebt. Seine Eltern seien bereits verstorben und er verfüge in Afghanistan über keine Verwandten mehr. In Österreich würden seine Ex-Frau, seine Kinder sowie sein Bruder leben. Im Jahr XXXX sei die Trennung von seiner Frau erfolgt, eine offizielle Scheidung durch ein österreichisches Gericht habe es nicht gegeben, jedoch seien sie nach islamischem Recht geschieden. Der Kontakt zu seiner Ex-Frau sei derzeit normal, jeder würde sein Leben leben und sie würden sich nicht in die Angelegenheiten des anderen einmischen. Zu seinen Kindern habe er Kontakt; diese kämen am Wochenende zu ihm und sie hätten auch telefonischen Kontakt zueinander. Er sei in deren Erziehung involviert, indem er mit diesen spreche und ihnen Ratschläge gebe.

Seine Frau sei bei der Heirat 15 Jahre alt gewesen, er selbst 18 oder 19 Jahre. Die Ehe sei von seiner Mutter und der Großmutter seiner Ex-Frau arrangiert worden. Gefragt nach den Gründen, warum sich seine Ehefrau von ihm habe scheiden lassen, gab der Beschwerdeführer an, seine Frau habe eine „westliche Denkweise“ entwickelt. Sie habe ein modernes Leben führen, sich modern bekleiden und ohne Hijab hinausgehen wollen. Er sei dagegen gewesen und deshalb sei es zur Scheidung gekommen. Befragt, ob er seiner Ex-Frau gegenüber in der Vergangenheit gewalttätig geworden sei, gab der Beschwerdeführer an, in der Vergangenheit sei Vieles passiert. Im Jahr XXXX habe er Bier getrunken und dann habe er seine Frau geschlagen. Im Jahr XXXX habe seine Frau sich beschwert, dass er ihr gedroht hätte. Es sei ihm damals sehr schlecht gegangen, er sei wegen der drohenden Scheidung unter Druck gestanden. Jetzt ginge es ihm gut, er arbeite und versuche, den Kindern eine gute Zukunft zu bieten. Zum aktuellen Zeitpunkt arbeite er als Plastikschweißer in einem Unternehmen. Er und seine Arbeitskollegen seien wie eine Familie. Auf Befragung des bevollmächtigten Vertreters gab der Beschwerdeführer ergänzend an, dass er sich in seiner Freizeit mit Freunden treffe, Alkohol trinke und auch Schweinefleisch esse.

Zum Grund seiner Flucht schilderte der Beschwerdeführer, in einem namentlich bezeichneten Dorf gelebt zu haben, in welchem es einen Dorfältesten gegeben hätte. Eines Tages habe der Beschwerdeführer Schafe gehütet und sei mit diesen durch die Felder des Dorfältesten gegangen, welcher daraufhin mit dem Beschwerdeführer geschimpft und diskutiert hätte. Drei Tage später habe der Beschwerdeführer die Schafe wieder auf die Berge gebracht. Nach etwa einer Stunde habe er einen jungen Mann, der der Sohn des Dorfältesten gewesen wäre, am Boden wahrgenommen, welcher voller Blut gewesen wäre. Der Beschwerdeführer habe versucht, diesem zu helfen. Er habe seinen Puls gefühlt und ihn anschließend auf einem Esel ins Dorf getragen. Der Beschwerdeführer sei beschuldigt worden, den jungen Mann getötet zu haben und sei dann gefangen genommen worden. Gegen zwei Uhr in der Früh habe er aber fliehen können. Über nähere Befragung gab der Beschwerdeführer an, dass dieser Dorfälteste auch mit den Taliban Kontakt gehabt hätte. Er sei in der Gefangenschaft insofern misshandelt worden, als sie ihn sehr oft geschlagen hätten. Sie hätten ihm mit dem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen, sodass er bewusstlos geworden wäre. An Verletzungen habe er eine blutende Wunde am Kopf und überall blaue Flecken davongetragen. Afghanistan habe er verlassen, da sein Leben und das seiner Familie in Gefahr gewesen wäre. Sie hätten seine Familie und ihn getötet und sie überall in Afghanistan gefunden. Andere Gründe für seine Flucht habe es nicht gegeben. Nachgefragt, befürchte er zum jetzigen Zeitpunkt immer noch von dem erwähnten Mann verfolgt zu werden. Dieser halte sich in Afghanistan auf, er wisse jedoch nicht, wo innerhalb des Landes. Der Dorfälteste habe sowohl zur Regierung als auch zu den Taliban Kontakt gehabt und sei immer bewaffnet gewesen. Jeder habe dessen Befehle befolgt und habe Angst vor ihm gehabt. Keiner hätte gewusst, was dieser wirklich mache. Dieser sei zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers etwa 62/63 Jahre alt gewesen.

Nach Erörterung jener Länderberichte, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden, gaben der Beschwerdeführer und sein bevollmächtigter Vertreter an, dass auf eine Stellungnahme dazu verzichtet werde.

Vom Beschwerdeführer wurden eine mit XXXX datierte Arbeitsbestätigung sowie Fotos, die ihn im Kreise seiner Arbeitskollegen zeigen, in Vorlage gebracht.

2.4.    Weiters wurde vom Bundesverwaltungsgericht eine Kopie der Niederschrift der mündlichen Verhandlung der belangten Behörde übermittelt. Eine Stellungnahme dazu wurde von dieser nicht erstattet.

2.5.    Mit Schreiben vom XXXX wurde vom bevollmächtigten Vertreter mitgeteilt, dass die erteilte Vollmacht per 31.12.2020 zurückgelegt wird.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer trägt den im Spruch genannten Namen und ist am XXXX geboren. Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an. Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Daikundi geboren und aufgewachsen. Er arbeitete seit seiner Kindheit als Hirte sowie in der Landwirtschaft und hat mit Ausnahme der Teilnahme am Koranunterricht, in welchem er Lesen und Schreiben grundlegend erlernte, keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Im Alter von etwa 18 bis 19 Jahren schloss er nach islamischem Recht die - von Verwandten arrangierte - Ehe mit der damals fünfzehnjährigen afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geb. XXXX (nunmehrige Beschwerdeführerin zu Geschäftszahl XXXX ).

Im Jahr XXXX verließ der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau, den drei gemeinsamen Söhnen, seinem jüngeren Bruder und seiner Mutter Afghanistan und zog in den Iran, wo er in den folgenden Jahren lebte. Seine Mutter verstarb im Iran. Sein Vater ist bereits vor der Ausreise in Afghanistan verstorben. In Afghanistan hat der Beschwerdeführer keine Angehörigen mehr.

Der Beschwerdeführer hat im Jahr XXXX den Iran gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau, seinen Söhnen und seinem Bruder verlassen und reiste schlepperunterstützt nach Österreich ein. Er gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und hat dort am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Am XXXX wurde der vierte Sohn des Beschwerdeführers und seiner damaligen Ehefrau im Bundesgebiet geboren.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.). Diese wurde zuletzt von der belangten Behörde bis zum XXXX verlängert.

Anfang des Jahres XXXX trennte sich die Ehefrau und Mutter der gemeinsamen Kinder vom Beschwerdeführer und nahm mit den gemeinsamen minderjährigen Söhnen getrennt von diesem Wohnsitz.

Mit rechtskräftigem Urteil eines österreichischen Landesgerichts vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt, welche unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Dem Schuldspruch lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im XXXX seine damalige Ehegattin mit der Zufügung einer Körperverletzung gefährlich bedroht hatte, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Mit Beschluss eines österreichischen Bezirksgerichts vom XXXX wurde die Klage der ehemaligen Ehefrau des Beschwerdeführers wegen Ehescheidung zurückgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass mangels Vorlage einer öffentlichen Heiratsurkunde nicht vom Vorliegen einer in Österreich gültigen Ehe auszugehen sei. In der Folge wurde die Ehe nach islamischem Recht geschieden.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Datum zu Geschäftszahl XXXX wurde der ehemaligen Ehefrau des Beschwerdeführers und Mutter der gemeinsamen Kinder aufgrund einer festgestellten individuellen asylrelevanten Gefährdung der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Datum zu den Geschäftszahlen XXXX , XXXX , XXXX und XXXX wurde den vier minderjährigen Söhnen des Beschwerdeführers der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Begründend wurde ausgeführt, dass im Falle der minderjährigen Söhne eine individuelle asylrelevante Gefährdung nicht habe festgestellt werden können, diesen jedoch im Wege eines Familienverfahrens der gleiche Schutzumfang wie ihrer Mutter zuzuerkennen gewesen sei.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hat seinen Herkunftsstaat seinen Angaben zufolge im Jahr XXXX wegen eines Konflikts mit dem Dorfältesten seines Heimatortes verlassen. Der Beschwerdeführer schilderte, während seiner Tätigkeit als Hirte eines Tages den verletzten Sohn des Dorfältesten am Boden liegend vorgefunden zu haben und diesen ins Dorf zu seinem Vater gebracht zu haben. Nachdem der Sohn des Dorfältesten seinen Verletzungen erlegen war, wurde der Beschwerdeführer vom Dorfältesten beschuldigt, diesen umgebracht zu haben. Der Beschwerdeführer wurde daraufhin von Mitarbeitern des Dorfältesten gefangen genommen und in einen Stall gesperrt, wo er geschlagen wurde. Die Mitarbeiter hatten nach den Angaben des Beschwerdeführers den Auftrag, diesen zu töten. In der Nacht konnte der Beschwerdeführer fliehen und hat daraufhin sogleich gemeinsam mit seiner Familie die Flucht Richtung Iran angetreten.

Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ist der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung durch den erwähnten Dorfältesten oder die Taliban ausgesetzt.

Dem Beschwerdeführer droht auch wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams keine konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Glaubensrichtung des Islams in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund einer „Verwestlichung“ in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

1.3.    Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Aufgrund der mit dem Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erörterten Erkenntnisquellen zur Lage in Afghanistan werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.3.1.  Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, in der Fassung vom 21.07.2020:

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle - ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten - Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück (UNGASC 17.3.2020).

Sicherheitslage im Jahr 2019:

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen - speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen - blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer:

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte - insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite - insbesondere der Taliban - sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

[…]

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich - dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs):

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten:

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):

Taliban:

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk:

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP):

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020). Jahrelange konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2020).

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (UNGASC 17.3.2020).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen (BBC 25.3.2020). Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (NYT 2.12.2020).

Der ISKP verurteilt die Taliban als „Abtrünnige“, die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen:

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Daikundi:

Daikundi liegt in der Zentralregion Hazarajat und grenzt an Ghor im Norden und Westen, Bamyan im Osten, Ghazni im Südosten, Uruzgan im Süden und Helmand im Südwesten (UNOCHA 4.2014). Daikundi gehörte früher zur Provinz Uruzgan und ist mittlerweile eine eigenständige Provinz (PAJ 1.2.2014; vgl. UNDP 5.2.2017). Neben der Provinzhauptstadt Nili besteht Daikundi aus den folgenden Distrikten: Ishterlai, Pato, Kejran, Khedir, Kiti, Miramor, Sang-e-Takht und Shahristan (CSO 2019; vgl. IEC 2018). Der Distrikt Gizab/Pato wechselte in der Vergangenheit zwischen Uruzgan und Daikundi (AAN 31.10.2011). Im Juni 2018 wurde Pato ein eigenständiger Distrikt (AAN 27.1.2019). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) führte Pato 2019 als „temporären“ Distrikt von Daikundi (CSO 2019). „Temporäre“ Distrikte sind Distrikte, die nach Inkrafttreten der Verfassung im Jahr 2004 vom Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, jedoch (noch) nicht vom Parlament bestätigt wurden (AAN 16.8.2018). Der von Hazara dominierte Distrikt Nawamish wurde auf Anordnung des Präsidenten im März 2016 vom mehrheitlich paschtunischen Distrikt Baghran in der Provinz Helmand abgespalten. Im Juni 2017 wurden die administrativen Angelegenheiten von Nawamish Daikundi zugeordnet (AAN 16.8.2018), bzw. beschloss die Regierung 2018, dass Nawamish Teil von Daikundi werden würde (Mobasher 2019). Zeitungsberichte vom Mai und Juli 2019 zählten Nawamish wieder zu Daikundi (RY 11.7.2019; vgl. PAJ 10.5.2019). Eine Quelle berichtet, dass es sich hierbei um einen Konflikt entlang ethnischer Grenzen handelt: Während Paschtunen fordern, dass Nawamish Teil von Daikundi sein soll, sprechen sich Hazara für eine Zugehörigkeit zu Helmand aus (Mobasher 2019).

Im November 2018 erkannte Präsident Ashraf Ghani die Beförderung von Daikundi zu einer Provinz zweiter Klasse an, was eine höhere Mittelvergabe an die Provinz ermöglicht (MENA FN 10.11.2018).

Nach Schätzungen der CSO für den Zeitraum 2019-20 leben 507.610 Menschen in Daikundi (CSO 2019). Als Teil des Hazarajats (UNOCHA 4.2014) wird Daikundi mehrheitlich von Hazara bewohnt, wobei es eine Minderheit an Paschtunen, Belutschen und Sayeds/Sadats gibt (NPS o.D.).

In Daikundi gibt es nur eine gepflasterte Straße, einen Flughafen, der jedoch nach Angaben des Provinzgouverneurs keine Standards erfüllt und nur von kleinen Flugzeugen angeflogen werden kann (TN 6.4.2018). Von und nach Daikundi gibt es keinen Linienflugbetrieb (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

[…]

Daikundi wird als eine relativ sichere Provinz erachtet (AAN 27.1.2019; vgl. KP 29.7.2018; TN 6.4.2018), wobei der Mangel an Infrastruktur ein großes Problem für die Bevölkerung darstellt (TN 6.4.2018; vgl. TN 15.11.2016). Im Juli 2018 wurde von einer Zunahme an Fällen von Gewalt gegen Frauen berichtet (KP 29.7.2018).

Die Taliban waren 2018 und im ersten Halbjahr 2019 in der Provinz aktiv, wobei ACLED in diesem Zeitraum insgesamt 21 bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Aufständischen und regierungsfreundlichen Kräften zählte. Die Vorfälle fanden hauptsächlich in den Distrikten Kejran, Gizab bzw. Pato und Nili statt (ACLED 12.7.2019). Gemäß einem Bericht vom März 2019 werden manche Gegenden in Pato von den Taliban kontrolliert (PAJ 30.3.2019).

Bewohner von Daikundi machten im April 2019 politische Parteien, bzw. „ungesunden“ Wettbewerb zwischen diesen größtenteils für die Unsicherheit in der Provinz verantwortlich. Politische Gruppierungen, welche Teil von Jihadistengruppen seien, versuchten demnach, schwächere Rivalen zu unterdrücken (PAJ 14.4.2019).

Ghani ordnete im Herbst 2018 die Errichtung eines militärischen Bataillons in Daikundi an (MENA FN 10.11.2018). Daikundi liegt im Verantwortungsbereich des 205. ANA Atal Corps (USDOD 6.2019; KP 3.8.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - South (TAAC-S) untersteht, welches von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

[…]

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 70 zivile Opfer (44 Tote und 26 Verletzte) in der Provinz Daikundi. Dies entspricht einer Steigerung von 71% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate), gefolgt von Kämpfen am Boden und Luftoperationen (UNAMA 2.2020).

Die Regierungskräfte führten 2018 und 2019 Operationen in Daikundi durch (z.B. KP 3.8.2019; MOD 29.6.2019; PAJ 27.12.2018). Die Taliban griffen beispielsweise Kontrollposten der Regierung im Distrikt Kejran an (AAN 27.1.2019; XI 28.6.2019; vgl. PAJ 28.6.2019).

Im Oktober 2018 kam es zu sicherheitsrelevanten Vorfällen; unter anderem interpretierten Beamte Taliban-Angriffe auf Kontrollposten im Distrikt Kejran und den Bombenanschlag Mitte Oktober 2018 als Versuch, die Anwohner von einer Beteiligung an der Parlamentswahl abzuhalten. Größere Angriffe dürften nach diesen Vorfällen nicht zustande gekommen sein, da die Taliban in Kejran erhebliche Verluste erlitten hatten (AAN 27.1.2019). Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2018 blieben Wahllokale in den Distrikten Kejran und Pato, die an Helmand und Uruzgan grenzen, angeblich aufgrund von Sicherheitsrisiken und einer möglichen Talibanpräsenz geschlossen (AAN 27.1.2019).

Rechtsschutz / Justizwesen:

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind (Casolino 2011). In islamischen Rechtsfragen lässt sich der Präsident von hochrangigen Rechtsgelehrten des Ulema-Rates (Afghan Ulama Council - AUC) beraten (USDOS 29.5.2018). Dieser Ulema-Rat ist eine von der Regierung unabhängige Körperschaft, die aus rund 2.500 sunnitischen und schiitischen Rechtsgelehrten besteht (REU 24.11.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.: Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (APE 3.2017). Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen - einschließlich Menschenrechtsverträge - vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (APE 3.2017; vgl. UNAMA 22.2.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle, als auch das islamische Recht anzuwenden (APE 3.2017).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht (USIP 3.2015).

Gemäß dem allgemeinen Scharia-Vorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, sodass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem, islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits, zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und stehen Fortschritten im Menschenrechtsbereich entgegen (AA 2.9.2019). Wenn keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht durch. Was oft zu einer Diskriminierung von Frauen führte. Es gibt einen Mangel an qualifiziertem Justizpersonal und manche lokale und Provinzbehörden, darunter auch Richter, haben nur geringe Ausbildung und fundieren ihre Urteile auf ihrer persönlichen Interpretation der Scharia, ohne das staatliche Recht, Stammesrecht oder örtliche Gepflogenheiten zu respektieren. Diese Praktiken führen oft zu Entscheidungen, die Frauen diskriminieren (USDOS 11.3.2020). Trotz erheblicher Fortschritte in der formellen Justiz Afghanistans, bemüht sich das Land auch weiterhin für die Bereitstellung zugänglicher und gesamtheitlicher Leistungen; weit verbreitete Korruption sowie Versäumnisse vor allem in den ländlichen Gebieten gehören zu den größten Herausforderungen (CR 11.2018). Auch ist das Justizsystem weitgehend ineffektiv und wird durch Drohungen, Befangenheit, politische Einflussnahme und weit verbreitete Korruption beeinflusst (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 2.9.2019, FH 4.2.2019). Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten durchgesetzt (USDOS 11.3.2020). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent (AA 2.9.2019).

Dem Gesetz nach gilt für alle Bürgerinnen und Bürger die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Obwohl die Verfassung das Recht auf öffentliche Prozesse vorsieht, finden nur in einigen Provinzen solche öffentlichen Prozesse statt. Auch verlangt das Gesetz von Richter/innen eine Vorankündigung von fünf Tagen vor einer Verhandlung. Nicht alle Richter/innen folgen diesen Vorgaben und viele Bürger beschwerten sich über Gerichtsverfahren, die sich oft über Jahre hinziehen. Beschuldigte werden von der Staatsanwaltschaft selten rechtzeitig über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informiert. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt - sofern es die Ressourcen erlauben - sich auf öffentliche Kosten von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt. Dem Justizsystem fehlen die Kapazitäten, um die große Zahl an neuen oder veränderten Gesetzen zu absorbieren. Der Zugang zu Gesetzestexten wurde verbessert, jedoch werden durch die schlechte Zugänglichkeit immer noch einige Richter und Staatsanwälte in ihrer Arbeit behindert (USDOS 11.3.2019).

Das Justizsystem leidet unter einem Mangel an Richtern - insbesondere in unsicheren Gebieten; weswegen viele Fälle durch informelle, traditionelle Mediation entschieden werden (USDOS 11.3.2020). Die Unsicherheit im ländlichen Raum behindert eine Justizreform, jedoch ist die Unfähigkeit des Staates, eine effektive und transparente Gerichtsbarkeit herzustellen, ein wichtiger Grund für die Unsicherheit im Land (CR 11.8.2018).

Die Rechtsprechung durch unzureichend ausgebildete Richter (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019) basiert in vielen Regionen auf einer Mischung aus verschiedenen Gesetzen (FH 4.2.2019). Ein Mangel an Richterinnen - insbesondere außerhalb von Kabul - schränkt den Zugang von Frauen zum Justizsystem ein, da kulturelle Normen es Frauen verbieten, mit männlichen Beamten zu tun zu haben (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 2.9.2019). Nichtsdestotrotz sind in Afghanistan 257 Richterinnen tätig (13% - insgesamt 2.029 Richterinnen und Richter) (USODS 13.3.2020). Der Großteil von ihnen arbeitet in Kabul; aber auch in anderen Provinzen wie in Herat, Balkh, Takhar und Baghlan (FMF 18.4.2019).

Sowohl Angeklagte, als auch deren Rechtsanwälte haben das Recht, vor den Verhandlungen Beweise und Dokumente im Zusammenhang mit den Verfahren zu prüfen. Nichtsdestotrotz sind Gerichtsdokumente trotz des Ersuchens der Verteidiger vor der Verhandlung oft nicht zur Prüfung verfügbar (USDOS 11.3.2020). Richter und Anwälte erhalten oft Drohungen oder Bestechungen von örtlichen Machthabern oder bewaffneten Gruppen (FH 4.2.2019). Die Richterschaft zeigt sich respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern, jedoch kommt es immer wieder zu Übergriffen auf und Bedrohung von Strafverteidigern durch die Staatsanwaltschaft oder andere Dienststellen der Exekutive (USDOS 11.3.2020). Anklage und Verhandlungen weisen eine Reihe von Schwächen auf: dazu zählen das Fehlen einer angemessenen Vertretung, übermäßige Abhängigkeit von unverifizierten Zeugenaussagen, einem Mangel an zuverlässigen forensischen Beweisen, willkürlichen Entscheidungen sowie Gerichtsentscheidungen, die nicht veröffentlicht werden (FH 4.2.2019).

Einflussnahme durch Verfahrensbeteiligte oder Unbeteiligte sowie Zahlung von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems (AA 2.9.2019). Es gibt eine tief verwurzelte Kultur der Straflosigkeit in der politischen und militärischen Elite des Landes (FH 4.2.2019; vgl. AA 2.9.2019). Im Juni 2016 wurde auf Grundlage eines Präsidialdekrets das „Anti-Corruption Justice Center“ (ACJC) eingerichtet, um gegen korrupte Minister, Richter und Gouverneure vorzugehen (AJO 10.10.2017). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (ATL 9.3.2017; vgl. TN 22.4.2019). Das ACJC, zu dessen Aufgaben auch die Verantwortung für große Korruptionsfälle gehört, verhängte Strafen gegen mindestens 67 hochrangige Beamte, davon 16 Generäle der Armee oder Polizei sowie sieben Stellvertreter unterschiedlicher Organisationen, aufgrund der Beteiligung an korrupten Praktiken (TN 22.4.2019). Alleine von 1.12.2018-1.3.2019 wurden mehr als 30 hochrangige Personen der Korruption beschuldigt und bei einer Verurteilungsrate von 94% strafverfolgt. Unter diesen Verurteilten befanden sich vier Oberste, ein stellvertretender Finanzminister, ein Bürgermeister, mehrere Polizeichefs und ein Mitglied des Provinzialrates (USDOD 6.2019).

Alternative Rechtsprechungssysteme:

Das formelle Justizsystem ist in urbanen Zentren stärker ausgeprägt, wo es näher an der Zentralregierung ist, jedoch schwächer in ländlichen Gebieten (USDOS 11.3.2020). In den Großstädten entschieden die Gerichte in Strafverfahren auch weiterhin im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Zivilrechtsfälle werden oft durch informelle Systeme wie beispielsweise staatliche Mediation über das Huquq-Büro des Justizministeriums oder durch Verhandlungen zwischen den Streitparteien beigelegt: diese Mediationen werden von Gerichtspersonal oder privaten Rechtsanwälten geführt. Nachdem das formelle Rechtssystem in ländlichen Gebieten oft nicht vorhanden ist (USDOS 13.3.2019), nutzen Bewohner des ländlichen Raumes lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras (beratschlagende Versammlungen, normalerweise von Männern, die von der Gemeinde nominiert werden) und Jirgas häufiger als die städtische Bevölkerung (AF 4.12.2018; vgl. USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.2.2019). Diese Streitschlichtungsmechanismen werden sowohl bei kriminellen Vergehen, als auch bei zivilen Disputen, einberufen (USDOS 11.3.2020). In diesen Shuras oder Jirgas werden eine Mischung aus Varianten des staatlichen Rechts und der Scharia (islamisches Recht) angewandt (FH 4.2.2019). Es kommt insbesondere in paschtunischen Siedlungsräumen weiter auch zu traditionellen Formen privater Strafjustiz, bis hin zu Blutfehden (AA 2.9.2019).

Informelle Justizmechanismen werden von vielen Personen auch wegen ihrer schnelleren und meist weniger kostenintensiven Tätigkeit bevorzugt (AF 4.12.2018). Der Großteil der Bevölkerung hat unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen, sozialen oder religiösen Gruppe kein Vertrauen in die afghanischen Sicherheitskräfte und die Justizorgane. Sie werden als korrupt und zum Teil auch gefährlich wahrgenommen, weshalb ihre Hilfe in Notfällen oft nicht in Anspruch genommen wird (AA 2.9.2019; vgl. AF 4.12.2018). In entlegenen Gebieten Afghanistans macht es die zunehmende Kontrolle der Taliban der afghanischen Regierung beinahe unmöglich, Gerichte in Distrikten zu betreiben, in welchen die Taliban stark präsent sind (DW 15.3.2017).

Die Taliban haben ihr eigenes Rechtswesen in den Gebieten unter ihrer Kontrolle eingerichtet (FH 4.2.2019). Die Parallelregierung der Taliban ist bei einigen Afghanen beliebt. So berichteten Bewohner in Logar über das Gerichtssystem der Gruppierung, dass es eine bessere, schnellere und weniger korrupte Justiz bietet als staatliche Gerichte. In zunehmendem Maße wenden sich Menschen an die Taliban, um Eigentums- und Familienstreitigkeiten beizulegen, da Richter und Staatsanwälte oft Bestechungsgelder verlangen (CBC 24.12.2018). Zusätzlich beri

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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