TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/25 W102 2182841-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.01.2021
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Entscheidungsdatum

25.01.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W102 2182841-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 01.12.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.11.2020 zu Recht:

A)       

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 19.09.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 19.09.2015 gab der Beschwerdeführer an, er stamme aus Daikundi und habe seit seiner Kindheit in Pakistan gelebt. Mutter und Bruder würden noch dort leben. Zum Fluchtgrund befragt gab er im Wesentlichen an, die wirtschaftliche Lage in Pakistan sei schlecht. Der Vater sei bei einem Selbstmordanschlag ums Leben gekommen, für afghanische Flüchtlinge sei es dort unmöglich zu leben.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 06.11.2017 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, der Vater habe Feindschaften gehabt, deswegen hätten sie Afghanistan verlassen und seien nach Pakistan gegangen. Es gebe eine Volksgruppe namens „Tolemir“, mit denen habe der Vater eine Feindschaft gehabt. Genaueres wisse er nicht. Der Vater sei bei einer Bombenexplosion im Jahr 2013 gestorben, in diese sei er durch Zufall geraten. In Pakistan würden täglich Hazara getötet.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 01.12.2017, zugestellt am 15.12.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die Feindschaften des Vaters seien nicht glaubhaft, eine konkrete persönliche Verfolgung oder Bedrohung habe der Beschwerdeführer nie vorbringen können. Der Beschwerdeführer habe nur die allgemein schlechte Lage für Hazara geschildert, jedoch keine persönliche Verfolgung vorbringen können, eine Gruppenverfolgung ergebe sich nicht aus den vorliegenden Länderinformationen. Pakistan sei nicht der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers. Die Herkunftsprovinz sei relativ friedlich, jedoch könnte die Versorgungslage mit Schwierigkeiten verbunden sein. Die Versorgungslage sei jedoch grundsätzlich gesichert. Aufgrund der besseren Erreichbarkeit und der höheren Anzahl an Arbeitsmöglichkeiten werde jedoch eine Rückkehrentscheidung nach Kabul erlassen. Der Beschwerdeführer werde in Kabul zumutbare Lebensbedingungen vorfinden.

3.       Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.12.2017 richtet sich die am 11.01.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe die Wahrheit gesagt. Er sei wegen der Feindschaften des Vaters ausgereist. Die Behörde habe keine Ermittlungen zur Gruppe der „Tolemir“ unternommen. Schiitische Hazara würden generell gesellschaftlich diskriminiert, in letzter Zeit komme es zu immer mehr Vorfällen durch die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte. Die Sicherheitslage sei schlecht, eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 12.10.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

Mit Ladung vom 05.11.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 30.11.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und ergänzte, er sei Atheist.

Am 03.12.2020 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in der ausgeführt wird, der Beschwerdeführer sei aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten und fühle sich der strengen Auslegung des Islam, wie sie in Afghanistan vorliege, nicht zugehörig. Er sei nicht bereit, sich Zwängen und Pflichten des Islam zu unterwerfen und fühle sich keiner Religion zugehörig. Die westliche Lebens- und Denkweise des Beschwerdeführers stimme nicht mit den traditionell-konservativen Wertvorstellungen und Vorschriften in Afghanistan überein. Der Abfall vom Glauben sei ein Kapitelverbrechen und werde mit dem Tode bestraft. Die westliche Denk- und Lebensweise und die Abkehr vom Islam seien für den Beschwerdeführer wesentlicher Bestandteil seiner Identität, es könne nicht erwartet werden, diese in Afghanistan zu unterdrücken.

Mit Schreiben vom 23.12.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht nochmals aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Teilnahmebestätigungen für Deutsch- und Alphabetisierungskurse

?        Teilnahmebestätigung für Werte- und Orientierungskurs

?        Teilnahmeurkunden für Sportevents

?        Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten

?        Meldung der Beschäftigungsaufnahme

?        Dienstzettel

?        Beschäftigungsbewilligung

?        Lohn/Gehaltsabrechnungen

?        Mehrere Empfehlungsschreiben

?        Bestätigung über den Austritt aus einer Religionsgemeinschaft

?        Medizinische Unterlagen

?        Einstellungszusage

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren am XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer war von 14.12.2019 bis 20.12.2019 wegen einer Magenperforation („Magendurchbruch“) in stationärer Behandlung im Krankenhaus. Von 24.10.2020 bis 28.10.2020 war der Beschwerdeführer wegen einer akuten Appendizitis („Blinddarmentzündung“) in stationärer Behandlung im Krankenhaus. Seither ist er wieder gesund.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Daikundi geboren, reiste aber im Alter von etwa fünf Jahren mit seiner Familie nach Pakistan aus.

Der Beschwerdeführer hat noch in Afghanistan ein Jahr die Koranschule besucht. In Pakistan war sein Vater als Taxifahrer tätig und hat so das Familieneinkommen erwirtschaftet. Nach dem Tod des Vaters vermietete die Familie das Taxi des Vaters an einen Fahrer und lebte von diesen Einnahmen.

Mutter und Bruder des Beschwerdeführers leben noch in Pakistan, der Beschwerdeführer steht zu ihnen in Kontakt. Die Mutter des Beschwerdeführers arbeitet im Austausch für eine Unterkunft als Haushaltshilfe.

Angehörige in Afghanistan hat der Beschwerdeführer nicht.

Im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer Deutsch- und Alphabetisierungskurse, sowie einen Werte- und Orientierungskurs besucht. Er hat allerdings Schwierigkeiten beim Schreiben lernen. Außerdem hat der Beschwerdeführer unterschiedliche ehrenamtliche Tätigkeiten geleistet, so hat er im Freiwilligenzentrum XXXX bei Veranstaltungen und anderen Tätigkeiten mitgeholfen und war für die kommunalen Dienste seiner Wohnsitzgemeinde bei der Sperrmüllsammlung, der Unkrautbeseitigung und in den Bereichen der Splittabkehrung und Laubsammlung eingesetzt. Im Jahr 2019 war der Beschwerdeführer einige Monate in einem Bauunternehmen unselbstständig erwerbstätig. Seit Juni 2020 arbeitet der Beschwerdeführer zwei Mal in der Woche ehrenamtlich in einem Kinderschutzverein mit.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Ausreise des Beschwerdeführers im Kindesalter im Familienverband erfolgte wegen einer Feindschaft des Vaters. Dass dem Beschwerdeführer deshalb im Fall der Rückkehr Übergriffe drohen, kann nicht festgestellt werden.

Der Vater des Beschwerdeführers kam im Jahr 2013 in Pakistan bei einem Bombenanschlag ums Leben, dessen Opfer er durch einen unglücklichen Zufall wurde.

Eine Abwendung des Beschwerdeführers vom schiitischen Islam aus innerer Überzeugung wird nicht festgestellt.

Ein Bruch der vom Beschwerdeführer angestrebten Lebensweise mit afghanischen, an Männer gestellten Rollenbildern ist nicht ersichtlich.

Es kommt zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen auf Personen, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Betroffene wurden etwa bedroht, gefoltert oder getötet, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen gemacht und „Ausländer“ geworden seien oder als Spione oder auf andere Weise ein westliches Land oder die Regierung unterstützen würden.

Heimkehrer aus westlichen Ländern sind mit Misstrauen der örtlichen Gemeinschaft aber auch von Staatsbeamten konfrontiert.

Für Männer ist das Risiko, als „verwestlicht“ wahrgenommen zu werden, im Allgemeinen gering und hängt von den individuellen Umständen ab.

Die Minderheit der schiitischen Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung Afghanistans aus. Sie leben unter anderem in in Kabul (Stadt), Herat (Stadt) und Mazar-e Sharif.

Hazara bekleiden prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind allerdings in der öffentlichen Verwaltung unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen. Die Hazara haben seither auch erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht.

Hinweise auf von staatlichen Akteuren ausgehende Misshandlungen gibt es nicht.

Der ISKP verfügt in Afghanistan über sehr begrenzte territoriale Kontrolle, seine landesweite Mannesstärke lag im November 2019 bei etwa 4.000 für 5.000 Kämpfern. „Zellen“ des ISKP sind in ganz Afghanistan präsent, auch in Kabul (Stadt). Er ist in der Lage, in unterschiedlichen Teilen des Landes Angriffe durchzuführen. Der ISKP zielt darauf ab, konfessionelle Gewalt zu fördern, indem er seine Angriffe gegen Schiiten richtet. Es kommt zu Angriffen durch den ISKP auf schiitische Hazara, etwa in Kabul. Ziel sind insbesondere Orte, an denen Schiiten zusammenkommen, etwa Moscheen, politische Demonstrationen oder Hazara-dominierte Wohnviertel. Diese Angriffe stehen im Zusammenhang mit der schiitischen Glaubenszugehörigkeit der Hazara sowie mit deren – nach Wahrnehmung des ISKP – Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen den IS in Syrien.

Es kommt zu Entführungen und Tötungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara auf den Straßen durch regierungsfeindliche Kräfte, insbesondere durch die Taliban. Es gibt Vorfälle, bei denen Hazara-Reisende ausgesondert und getötet oder entführt werden. Hierfür kann jedoch häufig ein anderer Grund als deren Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit identifiziert werden, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter. Die Taliban führen Angriffe auf religiöse Stätten und Führer durch, die die Legitimität der Taliban anzweifeln.

Die schiitische Religionszugehörigkeit gehört zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara, Ethnien- und Religionszugehörigkeit sind in Afghanistan häufig untrennbar verbunden.

1.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Balkh zählte zuletzt zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes. Für die gesamte Provinz sind für das Jahr 2019 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) verzeichnet, eine Steigerung von 22% gegenüber 2018. Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, improvisierte Sprengkörper und gezielte Tötungen. Im Zeitraum 01.01.-30.09.2020 sind 553 zivile Opfer (198 Tote, 355 Verletzte) dokumentiert, was mehr als eine Verdopplung gegenüber derselben Periode im Vorjahr ist. In Mazar-e Sharif kam es von 01.01. bis 30.09.2020 der Globalincidentmap zufolge zu einem sicherheitsrelevanten Vorfall, nach ACLED kam es zu 9 sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer. Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher und steht unter Regierungskontrolle. 2019 fanden beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern statt. Deren Ziel waren oftmals Sicherheitskräfte, doch gab es auch zivile Opfer. Kriminalität stellt ein Problem dar, insbesondere bewaffnete Raubüberfälle. Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften. Mazar-e Sharif verfügt über einen internationalen Flughafen.

Der durch die afghanische Regierung geleistete Menschenrechtsschutz ist trotz ihrer ausdrücklichen Verpflichtungen, nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, inkonsistent. Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden unabhängig von der tatsächlichen Kontrolle über das betreffende Gebiet durch den Staat und seine Vertreter, regierungsnahe Gruppen und regierungsfeindliche Gruppierungen statt. Straflosigkeit ist weit verbreitet. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen sind insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet. Das formale Justizsystem ist schwach ausgeprägt, Korruption, Drohungen, Befangenheit und politische Einflussnahme sind weit verbreitet, es mangelt an ausgebildetem Personal und Ressourcen. Die Sicherheitskräfte wenden unverhältnismäßige Gewalt an, Folter ist in Haftanstalten weit verbreitet.

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. In urbanen Gebieten leben rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank Covid-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus.

Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit, sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. Die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung liegt auf hohem Niveau und dürfte wegen der Covid-19-Pandemie wieder steigen. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen.

Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert nicht. Ein Mangel an Bildung korreliert mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind.

Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten. Die Arbeitsmarktsituation ist auch In Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden. In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden.

Die COVID-19-Krise führte in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Preise scheinen seit April 2020, nach Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, Durchsetzung von Anti-Preismanipulations-Regelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Lebensmittelimporte, wieder gesunken zu sein.

Der Finanzsektor in Afghanistan entwickelt sich, zur Eröffnung eines Bankkontos ist ein Ausweisdokument (Tazkira), zwei Passfotos und 1.000 bis 5.000 AFN als Mindestkapital erforderlich, zudem sind Überweisungen aus dem Ausland über das Hawala-System möglich.

Afghanistan ist von der COVID-Pandemie betroffen, die Zahl der Fälle geht seit Juni 2020 kontinuierlich zurück. Die Versorgung Erkrankter ist mangelhaft, es mangelt an Kapazitäten. Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der allgemeine Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert.

Die Verfügbarkeit und Qualität der medizinischen Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. In großen Städten ist die medizinische Versorgung grundsätzlich sichergestellt.

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Die Rolle sozialer Netzwerke – Familie, Freunde, Bekannte – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen erschwert die Integration und Existenzgründung. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Muttersprache, sowie Lebensverhältnissen im Herkunftsstaat beruhen auf den gleichbleibenden und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die belangte Behörde hegte keine Zweifel an den meisten diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers. Zur Religionszugehörigkeit wird auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen verwiesen.

Die Feststellungen zu den Krankenhausaufenthalten des Beschwerdeführers beruhen auf den vorgelegten medizinischen Unterlagen (OZ 8), wobei aus diesen kein längerfristiger Behandlungsbedarf hervorgeht. Aus dem Kurzarztbrief von 20.12.2019 geht zwar hervor, dass im Februar 2020 eine Gastrokopiekontrolle angesetzt ist, allerdings wurden keine weiteren medizinischen Unterlagen vorgelegt und auch kein Vorbringen zum Gesundheitszustand erstattet. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer wieder gesund ist.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Dass Mutter und Bruder in Pakistan verblieben sind und Kontakt besteht, hat der Beschwerdeführer gleichbleibend angegeben. Zu deren Lebensverhältnissen hat der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 06.11.2017 überdies detaillierte Angaben (insbesondere AS 31) gemacht.

Im Hinblick auf Angehörige in Afghanistan hat der Beschwerdeführer gleichbleibend angegeben, er habe keine Angehörigen in Afghanistan, von denen er wisse und zu denen Kontakt bestehe (etwa AS 31) und wiederholte auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30.11.2020, dass er in Afghanistan keine Angehörigen hat und diese in Pakistan leben (OZ 11, S. 3). Die belangte Behörde zieht diese Angaben des Beschwerdeführers lediglich in einer spekulativen Scheinbegründung in Zweifel, in dem sie dem Beschwerdeführer diesbezüglich „zahlreiche Widersprüche“ unterstellt, ohne diese jedoch konkret ins Treffen zu führen und in der Folge behauptet, es sei „geradezu notorisch, dass auch Personen aus Afghanistan fast immer über weitschichtige Verwandte verfügen“ würden, „die den Traditionen entsprechend auch weitere Verwandte bei auftretender Notlage […] unterstützen“ würden (AS 152). Allerdings bestätigt das vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 23.12.2020 (OZ 14) in das Verfahren eingebrachte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, 16.12.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt), dass Rückkehrer, die eine lange Zeit im Ausland gelebt oder zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen haben, wahrscheinlich keine lokalen Netzwerke mehr haben oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist (Kapitel 24. Rückkehr). Damit ist – nachdem der Beschwerdeführer als Fünfjähriger mit seiner Familie nach Pakistan ausgereist ist und seither dort gelebt hat – das „notorische Wissen“ der belangten Behörde mit den Länderberichten nicht in Einklang zu bringen.

Auch ihre Zweifel an Bildungs- und Lebensweg des Beschwerdeführers begründet die belangte Behörde lediglich mit Spekulationen. So ist aus den vom Beschwerdeführer beschriebenen Lebensverhältnissen in Pakistan schlicht nicht ableitbar, dass der Beschwerdeführer die Schule besucht haben muss. Dies gilt auch dafür, dass der Beschwerdeführer bei der Einvernahme seine Unterschrift unter das Protokoll setzen konnte, woraus ebenso nicht abgeleitet werden kann, dass der Beschwerdeführer kein Analphabet ist bzw. bereits gut in seiner Muttersprache schreiben kann. So hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30.11.2020 glaubhaft angegeben, dass er insbesondere mit dem Schreiben Schwierigkeiten habe (OZ 11, S. 3). Insbesondere steht der Umstand, dass der Beschwerdeführer noch keine Deutschprüfung (zu der auch Schreiben gehört) abgelegt hat, in offenkundigem Widerspruch zu seiner ansonsten vorbildlichen Integration, ist jedoch ohne weiteres damit plausibel erklärt, dass der Beschwerdeführer noch nicht gut genug schreiben kann. Weiter ist plausibel, dass der eigene Name bzw. die eigene Unterschrift das ist, was ein Analphabet zu aller erst zu schreiben lernt. Zudem trägt das Erstbefragungsprotokoll vom 19.09.2015 offenkundig einen Daumenabdruck als Unterschrift. Insgesamt sind die Spekulationen der belangten Behörde zum weit besseren Bildungsniveau des Beschwerdeführers damit nicht haltbar. Im Hinblick auf die dem Beschwerdeführer ebenso unterstellte Berufserfahrung wird überdies am Rande angemerkt, dass der Beschwerdeführer achtzehnjährig in das Bundesgebiet eingereist ist und eine als Minderjähriger allenfalls sogar in Form von Kinderarbeit gesammelte Berufserfahrung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ohnehin nicht weiter ins Gewicht fällt. Hierauf war folglich nicht weiter einzugehen.

Zu seinen Kursen im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer Bestätigungen vorgelegt, ebenso zu seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten und seiner beruflichen Tätigkeit.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer angegebene Ausreise im Kindesalter wegen einer Feindschaft des Vaters ist den Länderberichten zu entnehmen, dass sogenannte „Blutfehden“ und „Rachemorde“ in Afghanistan weit verbreitet und die Gewaltbereitschaft allgemein hoch ist. So führt sowohl die EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge EASO Country Guidance), als auch die UNHCR Richtlinien zur Feststellung des Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) – beide vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 05.11.2020 (OZ 7) in das Verfahren eingebracht – ein Risikoprofil an, dass von Blutfehden betroffene Personen erfasst und zahlreiche Gründe für die Entstehung derartiger Feindschaften nennt (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 18. Individuals involved in blood feuds and land disputes, S. 71 ff.; UNHCR-Richtlinien, Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 14. In Blutfehden verwickelte Personen, 110 ff.). Aus beiden Berichten geht jedoch auch hervor, dass die individuelle Gefährdung von den Umständen des Einzelfalles abhängt. Diese konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht konkret schildern, sondern gab in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 06.11.2017 viel mehr an, er wisse nichts Genaueres und es werde nicht darüber gesprochen (AS 33). Damit kann der Beschwerdeführer die näheren Umstände nicht hinreichend konkret darlegen. Weiter führte der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30.11.2020 die „Feindschaft“ des Vaters im Zusammenhang mit einer möglichen Rückkehr nicht mehr als Problem an (OZ 11, S. 3). Insgesamt konnten der Beschwerdeführer daher nicht glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat wegen der „Feindschaft“ des Vaters Übergriffe drohen.

Dass sein Vater bei einem Bombenanschlag in Pakistan ums Leben kam, gibt der Beschwerdeführer gleichbleibend an, bestätigt jedoch auch, dass der Vater durch Zufall in diese Explosion geraten ist (AS 33) und erstattet sonst kein weiteres Vorbringen einer hieraus resultierenden Gefährdung für den Fall der Rückkehr nach Afghanistan.

Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30.11.2020 brachte der Beschwerdeführer zudem vor, er sei Atheist und fühle sich keiner Religion zugehörig (OZ 11, S. 4) und legte in der Folge eine Bestätigung über den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft vor (OZ 12). Hierzu ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer dieses Vorbringen im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht relativ spät und nicht aus eigenem Antrieb erstattete. So war der Beschwerdeführer schon im Hinblick auf seine Befürchtungen im Fall der Rückkehr nach Afghanistan befragt worden und hatte hierzu lediglich auf Probleme bei der Suche nach Unterkunft und Arbeit verwiesen und auf seine mangelnde Vertrautheit mit den dortigen Gepflogenheiten (OZ 11, S. 3). Eine allfällige Änderung seiner religiösen Überzeugung fand dagegen noch keinerlei Erwähnung. Erst über konkrete Befragung seines Rechtsberaters, welcher Religion er nun angehöre, gab der Beschwerdeführer an, er sei Atheist und fühle sich keiner Religion zugehörig (OZ 11, S. 4). Diese Antwort des Beschwerdeführers erweist sich zudem als kurz und floskelhaft und schien auch dem persönlichen Eindruck nach nicht von einer Überzeugung des Beschwerdeführers getragen. Eine weitere Darlegung etwa zu den Gründen für seine neue Überzeugung oder allenfalls hieraus resultierende Gefahren unternahm der Beschwerdeführer nicht, sondern erweckte viel mehr den Eindruck, er habe bei der vorhergehenden Frage des Rechtsberaters – die er ebenso floskelhaft, allgemein und dem Anschein nach eingeübt beantwortet hatte – lediglich vergessen, den Religionsaspekt zu erwähnen. Insgesamt konnte der Beschwerdeführer den erkennenden Richter des Bundesverwaltungsgerichts nicht von einer ernstlichen Abwendung vom schiitischen Islam aus innerer Überzeugung überzeugen, diese wurde entsprechend nicht festgestellt und zudem unter 1.1. die bisherige Religion (schiitischer Islam) festgestellt.

Die behauptete Apostasie stellt der Beschwerdeführer zudem in seiner schriftlichen Stellungnahme (OZ 12) in den Zusammenhang einer „westlichen Lebens- und Denkweise“ die er im Zuge seines Aufenthaltes im Bundesgebiet angenommen haben will. Die „westliche Lebens- und Denkweise“ benützt der Beschwerdeführer allerdings als bloße Worthülle, die er nicht mit konkreten Bezügen zu seiner eigenen Lebensführung auszufüllen vermag. So beschränkte er sich im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht auf insbesondere frauenspezifische Gefahren in Afghanistan betreffen und führt – abgesehen vom bereits gewürdigten Vorbringen einer Apostasie – nicht aus, welche konkreten Änderungen seine Lebens- und Denkweise erfahren haben soll. Er gibt an, er habe in Österreich die Chance, zu arbeiten und habe eine Freundin gehabt, die nicht die letzte gewesen sein solle. Er könne sich in der Gesellschaft frei bewegen und über sein Leben selbst bestimmen (OZ 11, S. 4). Hierzu ist dem Länderinformationsblatt zu entnehmen, dass in Afghanistan traditionell der Mann als Ernährer der Familie betrachtet wird (Kapitel 19. Relevante Bevölkerungsgruppen, Unterkapitel 19.1. Frauen, Abschnitt Berufstätigkeit von Frauen). Lediglich für Frauen wird berichtet, dass diese gesellschaftliche Probleme im Hinblick auf den Arbeitsmarktzugang hätten. Der Wunsch des Beschwerdeführers, zu arbeiten, steht damit im Einklang mit den gesellschaftlichen Erwartungen in Afghanistan. Im Hinblick auf die Bewegungsfreiheit werden zwar allgemeine Sicherheitsbedenken angeführt, sowie die Beschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen aufgrund gesellschaftlicher Sitten. Eine Vergleichbare Situation für Männer wird nicht angeführt. Damit ist ein Bruch der vom Beschwerdeführer angestrebten Lebensweise mit afghanischen, an Männer gestellte Rollenbilder nicht ersichtlich.

Die Feststellungen zur Situation von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland beruhen auf den UNHCR-Richtlinien, Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe i) Als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen, S. 52-53, sowie der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 13. Individuals perceived as ,Westernised‘, S. 65-66). Letztere berichtet insbesondere, dass das Risiko für Männer, als „verwestlicht“ wahrgenommen zu werden, gering ist.

Die Feststellungen zu den Siedlungsgebieten der schiitischen Hazara beruhen auf dem vom Länderinformationsblatt. So geht das traditionelle Besiedelungsgebiet der Hazara, zu dem Teile der Provinz Balkh zählen, aus Kapitel 18. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 18.3. Hazara, hervor, das auch von „Hazara-Vierteln“ in Kabul berichtet. Im Hinblick auf Herat zählt das Länderinformationsblatt die Hazara ebenso als eine der wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz auf und erwähnt im Hinblick auf Herat (Stadt) eine beträchtliche Hazara-Minderheit (Kapitel 2.13. Herat).

Die Feststellungen zur gesellschaftlichen Lage der Hazara beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 18. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 18.3. Hazara, sowie auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69-70, sowie Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70). Auch die UNHCR-Richtlinien berichten einerseits von gesellschaftlicher Diskriminierung, Erpressung durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, körperliche Misshandlung und Inhaftierung, aber auch von erheblichen wirtschaftlichen und politischen Fortschritten der Hazara seit dem Ende des Taliban-Regimes (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 106-107).

Hinweise auf Misshandlungen der schiitischen Hazara durch den Staat sind der EASO Country Guidance zufolge nicht ersichtlich (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69).

Die Feststellungen zum ISKP und dessen Angriffe auf die Hazara beruhen auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69-70, sowie Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70), wobei auch das Länderinformationsblatt im Wesentlichen übereinstimmend von Angriffen auf schiitische Hazara durch den ISKP berichtet (Kapitel 18. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 18.3. Hazara). Dieses berichtet auch, dass der ISKP den Großteil seines Territoriums verloren hat (Kapitel 5. Sicherheitslage, Abschnitt Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)). Der vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 05.11.2020 (OZ 7) in das Verfahren eingebrachte EASO COI Report: Afghanistan. Anti-Government Elements (AGEs) von August 2020 berichtet, dass es weiterhin zu Angriffen des ISKP auf schiitische Hazara kommt (Kapitel 3. Islamic State Khorasan Province (ISKP), Unterkapitel 3.6.1 Hazara Shia, S. 34), ihm sind die Feststellungen zur aktuellen Präsenz und Stärke des ISKP in Afghanistan entnommen (insbesondere Kapitel 3.2 Strength, presence, territorial control, capacity, S. 30 ff). Von relevanter territorialer Kontrolle wird hier (weiterhin) nicht berichtet.

Der EASO COI Report: Afghanistan. Anti-Government Elements (AGEs) von August 2020 führt Schiiten und Hazara hinsichtlich der Taliban nicht gesondert als „Targeted individuals“ an. Die UNHCR-Richtlinien berichten allgemein von Fällen von Schikanen, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban, den Islamischen Staat und andere regierungsfeindliche Kräfte, wobei den Fußnoten im Hinblick auf konkrete Vorfälle zu entnehmen ist, dass dem IS insbesondere Terror-Anschläge auf die schiitische Minderheit zuzurechnen sind. Im Hinblick auf die Taliban werden insbesondere Entführungen erwähnt, ihnen werden jedoch auch Anschläge zugeschrieben (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 107, sowie Unterkapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Abschnitt Schiiten, S. 69.-70). Der EASO COI Report: Afghanistan. Anti-Government Elements (AGEs) von August 2020 führt ebenso Anschläge der Taliban gegen religiöse Stätten und Führer an, bringt diese jedoch in Zusammenhang mit einer Infragestellung der Legitimität der Taliban (Kapitel 2. The Taliban, Unterkapitel 2.6. Targeted individuals, Unterkapitel 2.6.2.4 Religious leaders, S. 27-28). Die EASO Country Guidance berichtet im Hinblick auf Entführungen konkret, es würde Vorfälle geben, wo Hazara-Zivilisten auf Reisen entlang der Straßen entführt und getötet würden, jedoch auch, dass dies häufig mit anderen Motiven als der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit in Zusammenhang stehe, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69-70, sowie Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70).

Im Hinblick auf die Verbundenheit von Ethnie und Religion berichtet das Länderinformationsblatt, die schiitische Religionszugehörigkeit würde wesentlich zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara zählen (Kapitel 18. Relevante ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel 18.3. Hazara). Auch die UNHCR-Richtlinien berichten von einer häufig untrennbaren Verbundenheit von Ethnie und Religionszugehörigkeit, weswegen eine eindeutige Unterscheidung zwischen einer Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der Religion einerseits oder der ethnischen Zugehörigkeit andererseits oftmals nicht möglich sei (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Unterabschnitt Schiiten, S. 69-70). Auch die EASO Country Guidance spricht die Verknüpfung an (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69).

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum internationalen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 16.12.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt), der EASO Country Guidance und den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Balkh und insbesondere Mazar-e Sharif beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.5. Balkh. Die Feststellung zum Flughafen beruht ebenso auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.35. Erreichbarkeit, Abschnitt Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif.

Die Feststellungen zur Menschenrechtslage beruhen auf den UNHCR-Richtlinien, Kapitel II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Unterkapitel C. Die Menschenrechtssituation, S. 26 ff., sowie dem damit übereinstimmenden Länderinformationsblatt, Kapitel 6. Rechtsschutz/Justizwesen, 8. Folter und unmenschliche Behandlung und 12. Allgemeine Menschenrechtslage. Mangels konkreter Anhaltspunkte im Vorbringen des Beschwerdeführers wurden genauere Feststellungen zu den jeweiligen Themenkreisen nicht getroffen.

Die Feststellungen zur Wirtschaftslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Grundversorgung. Dort finden sich auch Informationen zum Finanzsektor.

Die Feststellungen zur COVID-Pandemie beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. COVID-19, die Feststellungen zur medizinischen Grundversorgung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 23 Medizinische Versorgung.

Die Feststellungen zur Situation von Rückkehrern beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 24. Rückkehr.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.1.  Zur Ausreise wegen einer „Feindschaft“ des Vaters

Der Verwaltungsgerichtshof bejaht in seiner ständigen Rechtsprechung grundsätzlich die Asylrelevanz einer Verfolgung wegen Blutrache unter dem GFK-Anknüpfungspunkt der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der „von Blutrache bedrohten Angehörigen der Großfamilie“, sofern sich die Verfolgungshandlungen gegen Personen richten, die in die Rache gegen den unmittelbar Betroffenen bloß aufgrund ihrer familiären Verbindungen zu diesem einbezogen werden (Vgl. etwa Ra 2014/18/0011, 13.11.2014).

Der Beschwerdeführer konnte jedoch wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt nicht glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr Übergriffe aufgrund der Feindschaft des Vaters drohen. Eine Verfolgungsgefahr im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist damit nicht glaubhaft.

3.1.2.  Zur behaupteten Apostasie und der behaupteten „westlichen Lebens- und Denkweise“

Nach dem gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 AsylG unmittelbar anwendbaren Art. 10 Abs. 1 lit. b) Statusrichtlinie umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Geschützt ist demnach die Entscheidung aus innerer Überzeugung religiöse zu leben, aber auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jegliche religiöse Betätigung zu unterlassen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht. § 3, K40). Auch der Verwaltungsgerichtshof hat zum Religionsbegriff der GFK unter Verweis auf die oben zitierte Bestimmung der Statusrichtlinie bereits ausgesprochen, dass dieser auch atheistische Glaubensüberzeugungen umfasst (VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395).

Asylrelevant kann demnach nicht nur die Konversion zu einer anderen Religion sein, sondern auch die bloße Abkehr von einer Glaubensgemeinschaft, ohne sich hernach einer anderen Glaubensgemeinschaft anzuschließen. Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft machen, dass er sich aus innerer Überzeugung vom Islam abgewandt hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können zudem Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten „westlich“ orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0459). Weiter hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthaltes in Österreich, die im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu führt, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte. Die in der Rechtsprechung behandelte Verfolgung von Frauen westlicher Orientierung wird darin gesehen, dass solche Frauen, obwohl ihr westliches Verhalten oder ihre westliche Lebensführung ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dieses Verhalten unterdrücken müssten (VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0303).

Im Hinblick auf die „Lebens- und Denkweise“ des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass dieser im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung relevante Aspekte bereits nicht vorbringt. So bricht der Wunsch des Beschwerdeführers, zu arbeiten und sich frei zu bewegen zunächst nicht an Männer in Afghanistan gestellten Rollenerwartungen. Im Hinblick auf die Ausführungen, dass der Beschwerdeführer eine Freundin haben will (OZ 11, S. 4), wird angemerkt, dass hierin eine Inanspruchnahme von Grundrechten im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die Teil der Identität geworden ist, ist nicht ersichtlich. Dass der Beschwerdeführer bereits in der Vergangenheit mit diesem Aspekt afghanischer Tradition in Konflikt geraten wäre, wurde dagegen nicht behauptet, weswegen auch für den Rückkehrfall Anhaltspunkte nicht ersichtlich sind. Weiter ist anzumerken, dass bereits bei Frauen nicht jede Änderung des Lebensstiles zur Asylgewährung führt.

Im Hinblick auf die festgestellten Angriffe auf Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, sowie den Umstand, dass das Risiko, als „verwestlicht“ wahrgenommen zu werden, für Männer sehr gering ist, ist nicht ersichtlich, dass mit der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs erforderlichen Regelmäßigkeit Maßnahmen gezielt gegen Dritte gerichtet werden (VwGH 03.08.2020, Ra 2020/20/0034), die die Eigenschaft einer Rückkehr nach längerem Aufenthalt im westlichen Ausland mit dem Beschwerdeführer teilen. Die Annahme einer Gruppenverfolgung (Vgl. VwGH 26.03.2020, Ra 2019/14/0450) erscheint damit nicht gerechtfertigt.

Allfällige risikoerhöhende individuelle Umstände waren jedoch nicht ersichtlich und wurden auch nicht konkret dargelegt.

Dass ebenso festgestellte Misstrauen der örtlichen Gemeinschaft und von Staatsbediensteten erreicht dagegen die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes definierte Intensitäts-Schwelle (VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002) nicht.

3.1.3.  Zu einer Verfolgungsgefahr wegen der Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers

Im Hinblick auf eine Verfolgungsgefahr im Zusammenhang mit der Volksgruppen- Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers wird in der Beschwerde vorgebracht, schiitische Hazara würden generell gesellschaftlich diskriminiert, in letzter Zeit komme es zu immer mehr Vorfällen durch die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden, sondern auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten. Diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (jüngst etwa VwGH 26.03.2020, Ra 2019/14/0450). Eine Eingriffsintensität im Sinne eines „Genozids“ muss nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nicht vorliegen, um eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zu bejahen (VwGH 03.08.2020, Ra 2020/20/0034).

Gegenständlich konnte der Beschwerdeführer – wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt – glaubhaft machen, dass der zu den schiitischen Hazara gehört. Auch kommt es – so wie in der Beschwerde vorgebracht – zu Vorfällen durch die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte.

Hinsichtlich des ISKP ist zwar – nachdem dieser Angriffe auf schiitische Hazara durchführt, die mit deren schiitischer Glaubenszugehörigkeit, sowie einer zumindest unterstellten Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen IS in Syrien in Zusammenhang stehen – ersichtlich, dass dieser zielgerichtete Maßnahmen gegen Schiiten und damit auch gegen schiitische Hazara setzt. Dem ISKP kommt jedoch lediglich eine beschränkte territoriale Reichweite und Stärke zu.

Durch die Taliban kommt es zwar ebenso zu Angriffen auf Angehörige der schiitischen Hazara, jedoch ist diesbezüglich ein systematisches Vorgehen nicht ersichtlich und stehen diese Angriffe häufig in einem anderen Kontext als jenem der Volkgruppen- oder Religionszugehörigkeit.

Eine Gruppenverfolgung von Seiten des ISKP, sowie der Taliban im Sinne der oben zitierten Judikatur ist damit bereits mangels zielgerichteter Maßnahmen zu verneinen, weswegen eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob staatliche Schutz bestünde, unterbleiben konnte.

Hinweise auf Misshandlungen von Seiten des Staates konnten dagegen nicht festgestellt werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist weiter nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002).

Zwar gibt es Hinweise auf Diskriminierungen der schiitischen Hazara etwa auf dem Arbeitsmarkt, soziale Diskriminierung und eine Unterrepräsentation in der Verwaltung, jedoch wurde ebenso die Beteiligung von Hazara an nationalen Institutionen festgestellt, sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Fortschritte. Diskriminierende Maßnahmen gegen alle Angehörigen der Volksgruppe der Hazara im Sinne einer „Verfolgung“ nach der oben zitierten Rechtsprechung sind damit nicht ersichtlich. Eine individuelle Betroffenheit des Beschwerdeführers wurde dagegen nicht konkret vorgebracht.

Auch der Verwaltungsgerichthof nahm in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan an (jüngst etwa VwGH 07.02.2020, Ra 2019/18/0400). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ging zuletzt davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara – unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit – nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

Im Übrigen geht auch EASO im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam nicht von einer Gruppenverfolgung aus, sondern stellt auf individuelle Elemente des Betroffenen ab, nämlich etwa die Herkunftsregion insbesondere im Hinblick auf die dortige Präsenz des ISKP, die Teilnahme an religiösen Praktiken, sowie politischer Aktivismus (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70). Auch im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara stellt EASO auf individuelle Merkmal ab, nämlich ebenso die Herkunftsregion, das Arbeitsgebiet, den Beruf und politischen Aktivismus (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 70).

Derartige individuelle Aspekte wurden jedoch nicht konkret dargetan und waren auch nicht ersichtlich. Dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit im Fall der Rückkehr Verfolgung droht, wurde damit nicht glaubhaft gemacht.

3.1.4.  Zum auf Pakistan bezogenen Vorbringen

Soweit sich das fluchtkausale Vorbringen des Beschwerdeführers auf Ereignisse in Pakistan bezieht, ist ihm entgegen zu halten, dass § 3 Abs. 1 AsylG die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nur vorsieht, wenn dem Fremden im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht. Der Herkunftsstaat ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt; nur im Falle der Staatenlosigkeit gilt der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes als Herkunftsstaat. Auf Grund der afghanischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers kann somit – nachdem in den auf Pakistan bezogenen Ausführungen mögliche Auswirkungen auf die Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht erkennbar sind – das Vorbringen im Hinblick auf Pakistan außer Betracht bleiben (vgl. VwGH 02.03.2006, 2004/20/0240).

Im Ergebnis war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides daher abzuweisen.

3.2.    Zur Stattgebung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides (Subsidiärer Schutz)

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes spiegelt der Prüfmaßstab der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative den Umstand wieder, dass ein Asylwerber, der nicht in seine Herkunftsprovinz zurückkehren kann, in der Regel in einem Gebiet einer vorgeschlagenen innerstaatlichen Fluchtalternative nicht über dieselben finanziellen und infrastrukturellen Ressource sowie lokale Kenntnisse und soziale Netzwerke verfügen wird, wie an seinem Herkunftsort und somit eine zusätzliche Prüfung stattzufinden hat, ob die Ansiedelung in dem vorgeschlagenen Gebiet auch zumutbar ist. Insofern unterscheiden sich Asylwerber, die aufgrund einer möglichen asylrelevanten Verfolgung oder einer drohenden Verletzung des Art. 3 MRK nicht auf ihre Herkunftsprovinz verwiesen werden können, nicht von jenen, die über keine solche verfügen. Bei Asylwerbern, die keine Herkunftsprovinz haben, ist daher ebenfalls eine Prüfung vorzunehmen, ob ihnen im Herkunftsstaat eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht, was auch eine Zumutbarkeitsprüfung inkludiert (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0221).

Im gegenständlichen Verfahren konnte zwar festgestellt werden, aus welcher Provinz der Beschwerdeführer stammt und hat der Beschwerdeführer in der Provinz Daikundi auch die ersten Jahre seines Lebens verbracht. Bedingt durch die Ausreise im Kindesalter und den Umstand, dass er mittlerweile keinerlei soziale Verbindungen mehr nach Afghanistan hat, befindet der Beschwerdeführer sich jedoch hinsichtlich seiner „Herkunftsprovinz“ Daikundi ebenso in der der eben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Situation, nämlich, dass er weder in der „Herkunftsprovinz“, noch in einem anderen allenfalls zur Ansiedelung vorgeschlagenen Gebiet über finanzielle und infrastrukturelle Ressourcen sowie lokale Kenntnisse und soziale Netzwerke verfügt. Daikundi kann daher mangels tatsächlicher Nahebeziehung nicht als Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers im Sinne der eben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verstanden werden.

Sohin ist, der eben zitierten Judikatur folgend ohne Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich einer Herkunftsprovinz die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu prüfen.

3.2.1.  Zur Nichverfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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