TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/4 W174 1412120-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.02.2021
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Entscheidungsdatum

04.02.2021

Norm

AsylG 2005 §9 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
AsylG 2005 §9 Abs4
AVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §17
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W174 1412120-2/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK, als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Helmut BLUM und als Erwachsenenvertretung der Verein VertretungsNetz, dieser vertreten durch den Erwachsenenvertreter Dr. Harald Ristl, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2016, Zl. 483739709-160233463

A)

beschlossen:

I. Das Verfahren wird gemäß § 38 AVG iVm § 17 VwGVG fortgesetzt.

zu Recht erkannt:

II. Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Antrag des Beschwerdeführers, eines afghanischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vom 20.03.2009 wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.02.2010, Zl. 09 03.463-BAT, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen, gleichzeitig der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt und die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis 26.02.2012 erteilt.

Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 05.06.2012, GZ C1 412120-1/2010/19E, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

2. Mit Urteil vom 05.10.2011, 142Hv74/11k, wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung (§ 202 Abs. 1 StGB) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB eingewiesen.

3. Am 01.02.2016 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt oder belangte Behörde) der Antrag des gerichtlich bestellten Vereinssachwalters auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers gemäß § 8 Abs. 4 AsylG für die Dauer von zwei Jahren ein.

4. Am 16.2.2016 wurde durch das Bundesamt ein Aberkennungsverfahren eingeleitet und dem Sachwalter des Beschwerdeführers am 22.02.2016 unter Einräumung einer Stellungnahmefrist eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme übermittelt.

In der am 08.03.2016 bei der belangten Behörde eingelangten Stellungnahme wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer seit 5.10.2011 in der vorbeugenden Maßnahme befinde. Wie aus der fachärztlichen Stellungnahme zur Prüfung einer bedingten Entlassung vom 13.7.2015 hervorgehe, habe sich der Beschwerdeführer zunehmend stabilisiert, sei einsichtig bezüglich der Notwendigkeit einer psychopharmakologischen Therapie und habe an komplikationslos verlaufenden Einzel- sowie mehreren Gruppenausgängen teilgenommen. Aufgrund der weiteren Verbesserung des psychopathologischen Zustandsbildes und der bisher problemlos durchgeführten Einzeltrainings sei geplant, zur weiteren sozialen Rehabilitation Unterbrechungen der Unterbringung durchzuführen. Dazu werde die ärztliche Stellungnahme der Justizanstalt vom 13.07.2015 beigelegt.

Über eine bedingte Entlassung aus der Maßnahme sei noch nicht rechtskräftig entschieden worden.

Zu den in der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme abgefragten Sachverhaltselementen wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner mehrjährigen Anhaltung in der vorbeugenden Maßnahme keine Integrationsschritte in die österreichische Gesellschaft habe setzen können. Im Maßnahmenvollzug habe er jedoch seine Deutschkenntnisse weiter verbessert, sei in der Wäscherei der Justizanstalt zur vollen Zufriedenheit des Personals tätig gewesen und zudem im Umgang mit Mitpatienten oder auch dem Personal unproblematisch freundlich und habe keinerlei selbst- oder fremdaggressive Verhaltensweisen gesetzt. Die geplante Unterbrechung der Unterbringung könne als klarer Ausdruck einer positiven Kriminalprognose gesehen werden, was bedeute, dass aus fachärztlicher Sicht die Begehung eines weiteren Delikts nicht zu erwarten sei, wie die beigelegte Stellungnahme zeige.

Daraus folge, dass die Voraussetzungen für die Aberkennung des subsidiären Schutzes nicht vorlägen, weil vom Beschwerdeführer keine Gefährdung ausgehe und entsprechend der fachärztlichen Stellungnahme eine günstige Zukunftsprognose vorliege. Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich stelle somit keine Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik dar.

Der Beschwerdeführer verfüge über keinerlei Familie in Österreich, über den Verbleib seiner Angehörigen in Afghanistan sei ihm nichts Konkretes bekannt. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, islamischen Glaubens und habe vor seiner Flucht im Süden des Landes gelebt. Im Falle einer Rückkehr würde er über keinerlei absichernde familiäre Strukturen verfügen.

Wegen seiner vorliegenden psychiatrischen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (F20.X gem. ICD-10) benötige der Beschwerdeführer regelmäßige psychiatrische Behandlung und Medikation, welche im notwendigen Umfang in Afghanistan in keiner Weise gegeben sei, sodass im Falle einer Rückkehr von einer massiven Verschlechterung seines Gesundheitszustandes auszugehen wäre.

5. Mit dem gegenständlich bekämpften Bescheid wurde dem Beschwerdeführer der ihm zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer die damals zuerkannte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 9 Abs. 2 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan unzulässig sei (Spruchpunkt III.).

In der Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit und daher nicht schuldhaft gehandelt habe. Dieser Umstand könne jedoch bei der Prüfung einer möglichen Aberkennung des subsidiären Schutzes nicht berücksichtigt werden.

Im Falle des Beschwerdeführers sei wegen seiner Verurteilung nach § 202 Abs. 1 StGB und der Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB die Voraussetzung von § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG erfüllt und dem Beschwerdeführer daher der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen. Gemäß § 9 Abs. 4 AsylG sei die noch bestehende befristete Aufenthaltsberechtigung zu entziehen gewesen.

Im Falle des Beschwerdeführers liege ein Abschiebungshindernis vor, weil derzeit eine Rückführung nach Afghanistan im Zusammenhang mit der dortigen allgemeinen Lage eine unzumutbare Gefährdung der Person des Beschwerdeführers darstelle.

6. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sich der Beschwerdeführer seit 05.10.2011 in einer vorbeugenden Maßnahme in einer Justizanstalt befinde und zurzeit über die bedingte Entlassung entschieden werde. Der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt der Tatbegehung aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht zurechnungsfähig gewesen, sodass das Landesgericht für Strafsachen Wien keine Verurteilung ausgesprochen habe, sondern eine Einweisung in die vorbeugende Maßnahme gemäß § 21 Abs. 1 StGB auf unbestimmte Zeit angeordnet worden sei. Aus dem vorliegenden Akteninhalt werde klar, dass der Beschwerdeführer im Tatzeitpunkt aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Somit sei er gemäß § 11 StGB unzurechnungsfähig gewesen, habe daher nicht schuldhaft gehandelt und sei vor diesem Hintergrund gemäß § 4 StGB nicht strafbar.

7. Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 08.06.2016, 21 Ba 153/16b, wurde der Beschwerdeführer gemäß § 47 Abs. 1 und 2 StGB mit 1.9.2016 bedingt aus dem Maßnahmenvollzug entlassen und die Probezeit gemäß § 48 Abs. 2 StGB mit fünf Jahren bestimmt. Zudem wurden dem Beschwerdeführer gemäß § 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 und 3 StGB die Weisungen erteilt, weiterhin bei einem näher genannten Verein zu wohnen und zu arbeiten sowie die psychiatrische Behandlung (erforderliche Therapien und Medikation) fortzusetzen und eine Bestätigung darüber dem Erstgericht jeweils am Beginn eines Quartals nachzuweisen.

Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass das psychiatrische Sachverständigengutachten den psychiatrischen Zustandsbefund des am 26.01.2016 Untersuchten in seinem äußeren Erscheinungsbild als gepflegt, in der Art der Kontaktaufnahme neutral, situationsadäquat vorsichtig, zugewandt beschreibe. Sein Bewusstsein und seine Orientierung seien unbeeinträchtigt, Aufmerksamkeit, Auffassung, Konzentration weitgehend unbeeinträchtigt, Merkfähigkeit nicht gravierend beeinträchtigt. Der Ductus sei formal geordnet, das Denken formal und inhaltlich unbeeinträchtigt, die sprachliche Äußerung ausreichend reichhaltig, mäßig differenziert, wenig plastisch und problemlos nachvollziehbar, die Grundintelligenz durchschnittlich, es würden keine Hinweise auf Abbauzeichen, keine Wahnphänomene oder Sinnestäuschungen und keine Hinweise auf eine Ich-Störung vorliegen. Es bestehe keine aktuelle Selbst- oder Fremdgefährdung. Laut der PCL-R erreiche der Beschwerdeführer einen Punktwert von acht, aus dem statistisch eine niedrigere Rückfallwahrscheinlichkeit in ein schweres Gewaltdelikt ableitbar sei. Im Sex Offender Risk Appraisal Guide erreiche der Beschwerdeführer einen Punktewert von -10. Aufgrund dessen komme der Sachverständige zu seinem Gutachten, nachdem in psychopathologischer Hinsicht ein weitgehend unauffälliger Zustandsbefund zu erheben, diagnostisch ein geringgradig ausgeprägtes schizophrenes Residuum ( F 20.5 nach ICD-10) festzustellen sei, womit ein chronisches Stadium im Verlauf einer schizophrenen Erkrankung bezeichnet werde, bei dem sogenannte „negative Symptome“, wie psychomotorische Verlangsamung, verminderte Aktivität, Affektverflachung, Passivität und Initiativmangel, Verarmung hinsichtlich Menge und Inhalt des Gesprochenen, geringe nonverbale Kommunikation, Vernachlässigung der Körperpflege und Reduktion der sozialen Leistungsfähigkeit, vorherrschen würden. Der bisherige Verlauf der auf eine bedingte Entlassung hinarbeitenden Rehabilitationsbemühungen sei durchaus erfolgreich, die Auseinandersetzung mit den Anlasstaten zwar unvollständig, allerdings sei angesichts der schweren psychotischen Dekompensation, verbunden mit einer damals bestehenden Denkverworrenheit zu den Tatzeitpunkten nicht mit einer realitätsgerechten Erinnerung zu rechnen. Die verlässliche Bewältigung der in der Justizanstalt angebotenen Arbeitsmöglichkeit in der anstaltseigenen Wäscherei, das kooperative Verhalten in der Wohnsituation, die verlässliche Mitarbeit bei den Unterbrechungen der Unterbringung würden das aggressionsfreie Verhalten in einer Situation, in der der Beschwerdeführer fachgerecht medizinisch psychiatrisch behandelt und störungsbedingten sonstigen Defiziten entsprechend sozial betreut werde, belegen. Die diesbezügliche Gefährlichkeit sei daher nahezu vollständig abgebaut. Die aktuarischen und damit prinzipiell unveränderbaren Risikofaktoren bezogen auf das Delikt und die bisherige Biografie würden ein eher niedriges, höchstens moderates Rückfallrisiko in ein schweres Gewaltdelikt ergeben. Die veränderbaren, auf die Gegenwart bezogenen klinischen Variablen und auf die Zukunft bezogenen Risikovariablen würden ebenfalls zu einem eher geringen, höchstens moderaten Rückfallrisiko in ein schweres Gewaltdelikt führen. Bei verständiger Lesart komme der Sachverständige daher grundsätzlich zum Schluss, dass die spezifische Gefährlichkeit unter den aktuellen Behandlungsbedingungen nicht handlungswirksam werde, wobei die Rehabilitationsbemühungen noch nicht ausreichend erprobt seien. Angesichts der bisher sehr guten Fortschritte und des anhaltenden Wohlverhaltens sowie der Akzeptanz der notwendigen Behandlung und Betreuung sei empfehlenswert, den vollständigen Abbau der spezifischen Gefährlichkeit bereits nach Ablauf von weiteren sechs Monaten zu überprüfen.

Das Oberlandesgericht führte dazu aus, gemäß § 47 Abs. 2 StGB sei eine bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen sei, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richte, nicht mehr bestehe. Auch wenn nach den dargelegten Erkenntnisquellen keine hohe Wahrscheinlichkeit der Prognosetat mehr anzunehmen sei, müsse bedingt entlassen werden.

8. In einem ergänzenden Schriftsatz vom 29.07.2016 übermittelte die Vereinssachwalterin des Beschwerdeführers ein Schreiben des XXXX betreibt und bei dem der Beschwerdeführer laut Auflage des Beschlusses des Oberlandesgerichtes Wien vom 8.6.2016 zu wohnen und zu arbeiten hat. Demnach lebe der Beschwerdeführer seit Jänner 2016 im Rahmen von vorübergehenden Unterbrechungen der Anhaltung in der Maßnahme in einem betreuten Wohnplatz und habe sich dieses Betreuungsverhältnis gut stabilisiert.

9. Am 28.05.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht bezugnehmend auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 08.6.2020 eine Stellungnahme des gewillkürten Vertreters des Beschwerdeführers ein.

Mit Schriftsatz vom 7.05.2020 wurden beim Bundesverwaltungsgericht folgende Unterlagen vorgelegt: Bericht der Bewährungshilfe vom 28.04.2020; Schreiben des XXXX vom 24.04.2020; Bestätigung des XXXX über die Teilnahme an der Beschäftigungsinitiative vom 24.04.2020; Medikationsplan; zwei (Deutsch-) Kursbesuchsbestätigungen; Bericht der Erwachsenenvertretung vom 20.04.2020; Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 5.10.2011; Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 8.06.2016; Beschwerde der Sachwalterschaft vom 6.5.2016.

10. Am 08.06.2020 hielt das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu zur Klärung der Fragen betreffend die Sachverhaltsermittlung eine öffentliche mündliche Verhandlung ab.

Demnach stamme der Beschwerdeführer aus Kunduz, sei ledig, Paschtune, sunnitischer Moslem und seit 2017 mit der in Afghanistan aufhältigen Tochter seines Onkels mütterlicherseits verlobt. Sein Vater wäre verstorben, in Afghanistan befänden sich noch seine Mutter, zwei jüngere Brüder und fünf Schwestern. Der Vater habe ein Geschäft gehabt sowie landwirtschaftliche Felder, die Familie von den Einnahmen und der Ernte gelebt. Der letzte Kontakt des Beschwerdeführers sei vor ca. zwei Monaten zu seiner Mutter gewesen, die sich nach wie vor in Kunduz befinde. Zwei der Schwestern lebten bei der Mutter, die anderen zwei seien verheiratet, der Onkel mütterlicherseits schaue auf die Familie.

In Österreich habe der Beschwerdeführer keine Angehörigen, derzeit besuche er einen Deutschkur A2. Seit seiner Entlassung lebe er in einem Heim, gearbeitet habe er in dieser Zeit nur eine oder zwei Wochen. Wegen seines fehlenden Bescheides dürfe er nicht arbeiten, beim AMS sei er auch erst 2020 gemeldet worden.

Jeden Monat erhalte der Beschwerdeführer eine Spritze und nehme jeden Abend Tabletten. Sein Wohnheim dürfe er alleine verlassen, wenn er eine oder mehrere Nächte fernbleibe, zum Beispiel, weil er bei Freunden nächtige, müsse er Bescheid geben. Der Beschwerdeführer habe viele Freunde, sowohl afghanische als auch österreichische.

11. Da zu der in diesem Fall zu lösenden Rechtsfrage, ob eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher für den Fall, dass der Betroffene bei Zurechnungsfähigkeit wegen eines Verbrechens verurteilt worden wäre, der Verurteilung wegen eines Verbrechens im Sinne des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 gleich zuhalten sei, zu diesem Zeitpunkt noch keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes existierte und zu diesem Thema zwei Revisionen anhängig waren, wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 15.10.2020, GZ W174 1412120-2/12Z, gemäß § 38 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Zahlen BVwG, GZ I403 1411815-3/4E und BVwG, GZ W233 2217583-1/31E ausgesetzt.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stammt aus der Provinz Kunduz, ist ledig, Paschtune und sunnitischer Moslem.

Sein Antrag auf internationalen Schutz vom 20.3.2009 wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 220.2.2010, Zl. 09 03.463-BAT, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen, gleichzeitig der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt und die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis 26.2.2012 erteilt.

Mit Urteil vom 05.10.2011, 142Hv74/11k, wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung (§ 202 Abs. 1 StGB) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB eingewiesen.

Mit Bescheid 13.04.2016, Zl. 483739709-160233463 wurde dem Beschwerdeführer der ihm zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer die damals zuerkannte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 9 Abs. 2 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan unzulässig sei (Spruchpunkt III.).

Mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 08.06.2016, GZ 21 Bs 153/16b, wurde nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers am 01.09.2016 ausgesprochen. Grund dafür war, dass gemäß § 47 Abs. 2 StGB eine bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme zu verfügen ist, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtete, nicht mehr besteht. Laut dem zitierten Gutachten bestand zu dem Zeitpunkt bereits keine aktuelle Selbst- oder Fremdgefährdung mehr und wies der Beschwerdeführer eine niedrige Rückfallwahrscheinlichkeit in ein schweres Gewaltdelikt auf. (vgl. Punkt I.7.).

Seit seiner Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug vor über fünf Jahren lebt der Beschwerdeführer in einem XXXX .

Laut Bericht der Bewährungshilfe vom April 2020 zeigt sich der Beschwerdeführer äußerst kooperativ, ist sich der Notwendigkeit der kontinuierlichen psychiatrischen Versorgung für seine gesundheitliche Stabilität bewusst, hat sich positiv entwickelt und weist eine mittlerweile gefestigte Stabilität auf. Auch seitens seines Wohnprojektes wird er als kooperativ, aufgeschlossen freundlich und hilfsbereit beschrieben. Demnach nimmt er sämtliche Termine verlässlich war und bemüht sich, alle notwendigen Schritte für seine Zukunft zu befolgen.

Insgesamt wird der Beschwerdeführer seit seiner Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug im Juni 2016 sowohl von fachärztlicher, insbesondere psychiatrischer Seite als auch von den ihm betreuenden Bewährungshelfer dahingehend beschrieben, dass nicht mehr davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt.

2.       Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbestrittenen Inhalt der vorgelegten Verfahrensakten des Bundesamtes sowie der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes, aus dem bekämpften Bescheid, dem Beschwerdeschriftsatz und den im Akt befindlichen weiteren Schriftsätzen, dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.10.2011, 142Hv74/11k, dem Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 08.06.2016, GZ 21 Bs 153/16b und dem darin wiedergegeben Inhalt des psychiatrischen Sachverständigengutachtens vom 26.01.2016, den Berichten der Bewährungshilfe und des Wohnprojektes aus dem Jahr 2020 sowie dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und verfahrensrechtliche Grundlagen:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt gegenständlich die Zuständigkeit der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte ist mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts durch das Verwaltungsgerichtsverfahrens (VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG idgF bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zweck des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG idgF sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

3.2. Zu Spruchpunkt A)

3.2.1.Spruchpunkt I.

§ 38 AVG lautet:

„§ 38. Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.“

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.10.2011, 142 Hv 74/11k, gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Er hatte zwei Verbrechen gemäß § 202 Abs. 1 StGB (geschlechtliche Nötigung) im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankung (Erkrankung des schizophrenen Formkreises F20.X) begangen.

Da zu diesem Zeitpunkt betreffend die zu lösende Rechtsfrage, ob eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher für den Fall, dass der Betroffene bei Zurechnungsfähigkeit wegen eines Verbrechens verurteilt worden wäre, der Verurteilung wegen eines Verbrechens im Sinne des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 gleich zuhalten sei, noch keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes existierte und zu diesem Thema eine ordentliche Revision zum Erkenntnis GZ I403 1411815-3/4E sowie eine außerordentliche Revision zum Erkenntnis GZ W233 2217583-1/31E beim Verwaltungsgerichtshof anhängig waren, wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 15.10.2020, GZ W174 1412120-2/12Z, gemäß § 38 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in dem zu den Zahlen BVwG, GZ I403 1411815-3/4E und BVwG, GZ W233 2217583-1/31E ausgesetzt.

Wegen der mittlerweile zu dieser Rechtsfrage erlassenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (s.u. Punkt II.3.2.2.) war das gegenständliche Verfahren fortzusetzen.

3.2.2.Spruchpunkt II.

§ 9 AsylG 2005 lautet:

„Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1.         die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2.         er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3.         er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1.         einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2.         der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3.         der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.

(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.“

Dass der Gesetzgeber auch jene Personen als des subsidiären Schutzes nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 unwürdig hätte einstufen wollen, denen ihr strafbares Handeln nicht schuldhaft vorwerfbar ist, ist den Erläuterungen zur Änderung des § 9 AsylG 2005, mit der (auch) der hier in Rede stehende Ausschlussgrund (mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 - FrÄG 2009, BGBl. I Nr. 122/2009) geschaffen wurde, nicht zu entnehmen. Es ergibt sich sohin kein Hinweis dafür, dass der Gesetzgeber mit der in § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 enthaltenen Wendung "von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist" auch die Anordnung einer Unterbringung nach § 21 Abs. 1 StGB hätte verstanden wissen wollen (vgl. VwGH 22.10.2020, Ro 2020/20/0001). (VwGH 20.11.2020, Ra 2020/01/0109).

Bei der im Einzelfall vorzunehmenden Beurteilung, ob eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 gegeben ist, ist zu prüfen, ob sich nach Art und Schwere der Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden ziehen lässt. Da es insoweit nach der Rechtsprechung um die Vornahme einer Gefährdungsprognose geht, wie sie auch in anderen asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften grundgelegt ist, steht der Bejahung einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung nicht entgegen, dass er sein Verhalten nicht schuldhaft zu vertreten hat (VwGH 20.11.2020, Ra 2020/01/0109).

Ob der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt (§ 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005), erfordert eine Gefährdungsprognose, wie sie in ähnlicher Weise auch in anderen asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften zugrunde gelegt ist (vgl. etwa § 6 Abs. 1 Z 3 und § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005; §§ 53 und 66 Abs. 1 FrPolG 2005). Dabei ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt (VwGH 22.10.2020, Ra 2020/20/0274).

Der Status des subsidiär Schutzberechtigten als das vorübergehende, verlängerbare Einreise- und Aufenthaltsrecht, das Österreich Fremden nach den Bestimmungen des AsylG 2005 gewährt, ist von der gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 zusätzlich zu erteilenden Berechtigung zu unterscheiden. Der VwGH hat jüngst im Hinblick auf einen Antrag auf "Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten" festgehalten, dass es sich dabei nur um die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, nicht aber um die Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten handelt (vgl. VwGH 30.10.2019, Ro 2019/14/0007). Mit der Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter ist ein rechtmäßiger Aufenthalt gemäß § 31 Abs. 1 Z 4 FrPolG 2005 verbunden (vgl. zu einer Konstellation, in der ein Fremder zwar über den Status des subsidiär Schutzberechtigten, jedoch nicht über eine befristete Aufenthaltsberechtigung verfügte VwGH 12.5.2010, 2006/20/0766; 7.12.2019, Ra 2019/18/0281).

Im konkreten Fall wurde dem Beschwerdeführer mit dem gegenständlich bekämpften Bescheid der ihm zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 9 Abs. 2 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan unzulässig sei (Spruchpunkt III.).

Wie auch die belangte Behörde in ihrer Begründung zutreffend ausführte, handelte der Beschwerdeführer im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit und daher nicht schuldhaft, weshalb auch die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB verfügt worden war. Entsprechend der jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist in einem solchen Fall – im Gegensatz zur Rechtsansicht der belangten Behörde – der subsidiäre Schutz nicht nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 abzuerkennen.

Jedoch ist bei der im Einzelfall vorzunehmenden Beurteilung, ob eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 gegeben ist, zu prüfen, ob sich nach Art und Schwere der Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden ziehen lässt. Da es insoweit nach der Rechtsprechung um die Vornahme einer Gefährdungsprognose geht, wie sie auch in anderen asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften grundgelegt ist, stünde der Bejahung einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung nicht entgegen, dass er sein Verhalten nicht schuldhaft zu vertreten hat.

Der objektive Tatbestand des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung gemäß § 202 Abs 1 StGB umfasst jede sonstige, nicht unter § 201 fallende Nötigung mit Gewalt oder gefährlicher Drohung zur Erreichung der Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung. Demgemäß umfasst der Begriff der geschlechtlichen Handlung jede nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene Handlung, die sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer von einiger Erheblichkeit ist und damit eine unzumutbare, sozial störende Rechtsgutbeeinträchtigung im Intimbereich darstellt (vgl. Phillip in Höpfel/Ratz, WK2, StGB § 202, Rz. 2, 9 (Stand 27.4.2020, rdb.at).

Demzufolge handelt es sich bei Handlungen, die den Tatbestand des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung mit Gewalt oder Drohung um solche, die den Schluss nicht ausschließen, dass vom Täter eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ausgehen könnte.

Der Beschwerdeführer hatte zum Zeitpunkt der Begehung dieser Handlungen im April 2011 erst kürzlich das 19. Lebensjahr vollendet und befand sich wegen seiner psychischen Erkrankung im Maßnahmenvollzug aus dem er am 01.09.2016 bedingt entlassen wurde. Wie in den Feststellungen dargelegt, ergibt sich nicht nur aus dem vorliegenden psychiatrischen Sachverständigengutachten, auf dessen Basis der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2016 bedingt aus dem Maßnahmenvollzug entlassen wurde, sondern auch aus den mittlerweile erstatteten und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Berichten und Stellungnahmen seines Wohnprojektes sowie der Bewährungshilfe aus dem Jahr 2020 und der Tatsache, dass der Beschwerdeführer seit seiner Entlassung vor über fünf Jahren nicht mehr delinquent war, dass von ihm keine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich mehr ausgeht.

Somit liegen die Voraussetzungen für eine Aberkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 9 Abs. 2 AsylG nicht vor, weshalb der bekämpfte Bescheid ersatzlos zu beheben war.

3.3. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Zudem ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen oder es steht in vielen Punkten die Tatfrage im Vordergrund.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 2 Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung Gefährdungsprognose Maßnahmenvollzug psychische Erkrankung Rechtsanschauung des VwGH Sexualdelikt Verfahrensfortsetzung Zurechnungsfähigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W174.1412120.2.00

Im RIS seit

12.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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