TE Bvwg Beschluss 2021/2/5 W175 2239138-1

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Veröffentlicht am 05.02.2021
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Entscheidungsdatum

05.02.2021

Norm

AsylG 2005 §4a
AsylG 2005 §57
B-VG Art133 Abs4
FPG §61 Abs1 Z1
FPG §61 Abs2
VwGVG §28 Abs3

Spruch


W175 2220084-2/2E

W175 2220085-2/2E

W175 2220086-2/2E

W175 2239138-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichter über die Beschwerde 1.) der XXXX syrische Staatsangehörigkeit alias staatenlos, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.12.2020 zur Zahl: 1.) 1225379410-190353444, sowie vom 10.12.2020 zu den Zahlen: 2.) 1225378903-190353452 und 3.) 1225379007-190353465:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung einer neuerlichen Entscheidung an die Behörde zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichter über die Beschwerde XXXX , syrische Staatsangehörigkeit alias staatenlos, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.12.2020 zur Zahl: 1249683305-191062316:

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Erstverfahren der BF1 bis BF3

1. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) ist die Mutter und gesetzliche Vertreterin der Zweit- und des Drittbeschwerdeführers (BF2 und BF3) und stellte am 06.04.2019 für sich und die beiden anderen BF die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Hierbei gab sie an, dass die BF in Dänemark anerkannte Flüchtlinge seien, die Konventionsreisepässe wären bei einem Bekannten in XXXX . Aus Dänemark seien sie geflüchtet, da sie nach Syrien zurückgeschoben hätte werden sollen, wo ihr seitens ihrer Familie und ihres Ex-Mannes der Tod drohe.

Aufgrund dieser Angaben und eines Eurodac-Treffers (DK1 … vom 12.04.2015) richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 11.04.2019 ein Auskunftsersuchen gemäß Art. 34 Dublin III-VO an Dänemark.

Die dänischen Behörden teilten mit Schreiben vom 26.04.2019 mit, dass die BF (sowie zwei weitere Kinder der BF1) am 12.05.2014 in Dänemark Anträge auf internationalen Schutz gestellt hätten. Am 26.05.2014 sei der BF1 ein Aufenthaltstitel aufgrund Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, gültig bis 26.05.2019 erteilt worden. Den in diesem Schreiben genannten Kindern der BF1 seien im Zuge der Familienzusammenführung am 10.10.2015 Aufenthaltstitel bis 10.10.2016, verlängert am 06.02.2017 bis 26.05.2019, erteilt worden.

Um Verlängerungen der diversen Titel sei nicht angesucht worden

Laut Mail vom 07.05.2019 erstattete die BF1 gegen ihren Ex-Mann Anzeige wegen gefährlicher Drohung, Vergewaltigung, schwerer Nötigung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Sie sei von Ihrem Mann in Dänemark mehrmals vergewaltigt worden, bis sie sich im Juni 2017 von ihm habe scheiden lassen. Er habe Kontakt zur Mafia in Dänemark gehabt, sei dann untergetaucht und nach Syrien zurückgekehrt. Er habe der BF1 (zu einem aus dem Akt nicht ersichtlichen Zeitpunkt) Videos gesendet, auf denen er ihr mit dem Tod drohe. Die Videos wurden behördlich gesichtet, der Sachverhalt wurde dem LVT XXXX übermittelt, weitere Ermittlungen würden in Absprache durchgeführt.

Am 15.05.2019 legte die BF1 (laut Anmerkung in der Niederschrift, Kopien befinden sich nicht im Akt) dem BFA „Konventionsreisepässe“ und eine (nicht übersetzte) Bestätigung einer dänischen Frauenorganisation vor, wonach sie Opfer von Gewalt seitens ihres Ex- Mannes geworden sei. Weitere nicht übersetzte Unterlagen in Dänisch und Arabisch wurden kopiert und beigelegt, darunter laut BF1 eine Bestätigung, dass die BF staatenlos seien. Die BF1 gab niederschriftlich an, dass sie in Dänemark aus Angst vor ihrer Familie nicht einmal zur Polizei habe gehen können. Beantragt wurde eine PSY-III Untersuchung der BF1 und der BF2.

2. Mit Bescheiden vom 29.05.2019, zugestellt am 03.06.2019, wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 4a AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich die BF nach Dänemark zurückzubegeben hätten (Spruchpunkt I.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Dänemark gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Im Bescheid wurde zusammengefasst festgehalten, dass die BF in Dänemark internationalen Schutz erhalten hätten. Es könne nicht festgestellt werden, dass die BF1 in Dänemark systematischen Misshandlungen beziehungsweise Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder diese dort zu erwarten hätte; sie sei kein Opfer von Gewalt. Schwere psychische Störungen oder sonstige Erkrankungen könnten nicht festgestellt werden.

Gegen die oben genannten Bescheide des BFA wurde am 13.06.2019 durch einen gewillkürten Vertreter sowie am 14.06.2019 durch die ARGE Rechtsberatung fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter anderem wurde moniert, dass der Schutzstatus der BF nicht mehr bestehe.

3. Mit Beschluss vom 19.06.2019 wurden die Bescheide der BF1, der BF2 und des BF3 gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG behoben:

Obwohl aus dem Schreiben der dänischen Behörden vom 26.04.2019 hervorgeht, dass der BF1 am 26.05.2019 subsidiärer Schutz und aufgrund dessen ein Aufenthaltstitel gültig bis 26.05.2019 erteilt worden sei, wurden der BF2 und dem BF3 hingegen „im Zuge der Familienzusammenführung“ am 10.10.2015 Aufenthaltstitel bis 10.10.2016, verlängert am 06.02.2017 bis 26.05.2019, erteilt. Daraus lässt sich im Zusammenhang mit den in den Länderfeststellungen des BFA zu Dänemark angeführten Rechtnormen eine Zuerkennung des Schutzstatus an die BF2 und an den BF3 nicht erkennen.

Unberücksichtigt blieben die Angaben der BF zu ihrer Staatenlosigkeit, zu den Vorfällen in Dänemark, zur Bedrohung durch Familienangehörige in Dänemark, die vorgelegten – nicht übersetzten - Unterlagen, die vorgelegten Videos, die aus dem Akt ersichtliche Korrespondenz der PI XXXX mit dem LVT und die Frage, ob in Österreich eine gerichtlich strafbare Handlung vorliegen könnte (mit der Konsequenz, dass § 57 AsylG zu prüfen wäre).

Weshalb die Behörde zu der Ansicht gekommen sei, keine PSY-III Untersuchung durchzuführen, beziehungsweise worauf sich die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF stützten, wurde ebenfalls nicht begründet.

Zweitverfahren der BF1 bis BF3

1. Das BFA befragte die BF1 neuerlich am 23.10.2020, wobei diese angab, derzeit bei einem Facharzt für Psychiatrie in Behandlung zu sein und Paroxat, Quetiapin und Trittico einzunehmen. Sie seien staatenlos, da sie als Kurden nicht die syrische Staatsangehörigkeit erhielten.

Sie sei laut vorgelegter Scheidungsurkunde 2017 in Dänemark von ihrem Ehemann geschieden worden. Im Zuge der Scheidung sei ihr die Obsorge über die gemeinsamen Kinder übertragen worden. Der Ex-Mann halte sich in Syrien auf. Nach der Scheidung habe der Mann nicht mehr im gemeinsamen Haushalt gelebt, er habe von den dänischen Behörden ein Hausverbot erhalten. Er sei aber freiwillig nicht mehr gekommen, da er befürchte habe, sie würde ihn erneut anzeigen. Er habe sie seit Ende 2018 nicht mehr bedroht. Die später bei der Befragung gestellte konkrete Frage, ob sie sich wegen der Drohungen an die dänischen Behörden gewandt habe, verneinte die BF1, der Mann habe gemeint, er werde die Schwester töten, wenn sie zur Polizei gehe. Sie habe erstmals in XXXX Anzeige erstattet.

Die BF1 und eine weitere Tochter (diese und ein weiterer Sohn seien derzeit in Dänemark) hätten in Dänemark Asyl bekommen. Die anderen Kinder seien mit dem Ex-Mann „im Rahmen der Familienzusammenführung“ nachgekommen. Die BF2 und der BF3 seien gemeinsam mit ihr nach Österreich weitergereist, die BF4 sei am 13.10.2019 nachgekommen. Die Aufenthaltstitel der Kinder seien abgelaufen, Verlängerungsanträge seien offen. Die BF4 sei deshalb nach Österreich gekommen, da sie keine Grundversorgung mehr erhalten habe.

2. Eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 08.10.2019 ergab, dass die BF1 an einer Anpassungsstörung leide, es geben keinen Hinweis auf körperliche Erkrankungen, Antidepressiva würden empfohlen, seien jedoch nicht zwingend erforderlich. Eine Verschlechterung sei bei einer Überstellung nicht sicher auszuschließen, aktuelle Suizidalität liege nicht vor.

3. Einem Schreiben der Landespolizeidirektion XXXX vom 24.11.2020 ist zu entnehmen, dass die Voraussetzungen gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 und 3 AsylG nicht gegeben seien. Es würden keine Strafverfahren in Österreich geführt.

4. Am 07.07.2020 übermittelte das BFA eine Anfrage an die Staatendokumentation, wonach um Nachfrage bei den dänischen Behörden ersucht wurde, ob die BF1 in Dänemark subsidiär schutzberechtigt sei, beziehungsweise welchen Aufenthaltsstatus sie habe und welche Identitätsdokumente sie in Dänemark vorgelegt habe, aus denen Aufklärung über die Staatsangehörigkeit hervorgehe. Weiters wurde um Aufklärung hinsichtlich der Möglichkeit ersucht, ob sie als in Syrien geborene Kurdin die syrische Staatsagenhörigkeit erhalten könne.

Eine gleichlautende Anfrage findet sich in den Akten der BF2 und des BF3, aus denen hervorgeht, das die BF2 und der BF3 einen dänischen Fremdenpass vorgelegt hätten, Kopien befinden sich nicht in den jeweiligen Akten.

5. In einem Schreiben vom 22.08.2020 teilten die dänischen Behörden auf eine „Anfrage vom 09.07.2020“ mit, dass die BF1 in Dänemark subsidiär schutzberechtigt sei und dass ihr eine bis 26.05.2019 gültige Aufenthaltsbewilligung nach Aliens Act Section 7 (2) erteilt worden sei.

Der Schutzstatus sei aufrecht, nachdem die BF1 bei Ablauf nicht in Dänemark aufhältig gewesen sei. Bei Rückkehr nach Dänemark könne sie das Verfahren wieder aufnehmen. Sie habe im Verfahren eine syrische Identitätskarte vorgelegt.

Auf die anderen BF wurde in diesem Schreiben nicht Bezug genommen.

Hinsichtlich der anderen BF befindet sich kein derartiges Schreiben in den vorgelegten Akten(teilen).

Verfahren der BF4

1. Die BF4 ist die nunmehr volljährige Tochter der BF3 und stellte am 18.10.2019 als Minderjährige einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

In der Erstbefragung am 18.10.2019 legte sie einen dänischen Fremdenpass vor, dessen Gültigkeit mit 26.05.2019 endete. Sie gab an, syrische Staatsagehörige zu sein und mit einem Visum nach Dänemark gelangt zu sein, wo sie sich vier Jahre mit einem „gültigen Status“ aufgehalten habe. Da ihr Antrag auf Verlängerung abgewiesen worden sei, sei sie zu ihrer Mutter nach Österreich geflogen. Aus der Kopie des Fremdenpasses geht hervor, dass die BF4 in Dänemark als syrische Staatsagenhörige angesehen wurde.

Am 06.02.2020 gab die BF4 bei einer Befragung vor dem BFA niederschriftlich an, in Dänemark noch einen Bruder zu haben, der einen humanitären Aufenthaltstitel erhalten habe, der zwischenzeitlich abgelaufen sei. Die Schwester habe ebenfalls einen zweijährigen Titel, dieser sei noch gültig.

Sie legte die Kopie eines Schreibens der dänischen Einwanderungsbehörde vom 10.10.2014 vor, wonach ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach Aliens Act Section 9 (1) (ii) (familiy reunification) gültig von 10.10.2014 bis 10.10.2016 erteilt wurde. Ihre Staatsangehörigkeit wird ebenfalls mit syrisch angeführt. Eine der Grundvoraussetzungen für diesen Aufenthaltstitel sei laut Schreiben die Minderjährigkeit der BF4.

Ihr Titel sei laut BF4 nicht mehr verlängert worden, da sich ihre Mutter nicht mehr in Dänemark aufhalte. Weshalb der Titel der Mutter nicht verlängert worden sei, wisse sie nicht.

Auch diesem Akt ist ein Umschlag mit nummerierten und nichtnummerierten Unterlagen angeschlossen. Der Umschlag enthält ebenso eine Anfrage an die Staatendokumentation hinsichtlich der Staatsangehörigkeit und des Aufenthaltsstaus in Dänemark. Auch in diesem Fall befindet sich keine Beantwortung im Akt.

2. Mit Bescheid vom 10.12.2020 wurde der Antrag der BF4 auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 4a AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich die BF nach Dänemark zurückzubegeben hätte (Spruchpunkt I.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Dänemark gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Hinsichtlich des Aufenthaltsstaus der BF4 wurde auf das Schreiben der dänischen Behörden betreffend die BF1 vom 22.08.2020 verwiesen.

Gegen den Bescheid wurde mit 13.01.2021 Beschwerde im Familienverfahren erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

II.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetz 2005 idgF (AsylG) lauten:

„§ 4a (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat.

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1.       der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2.       …

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1.

wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2.

zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3.

wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:
„§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.“

§ 28 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) idgF lautet:

„§ 28 (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

…“

Der Verwaltungsgerichtshof (Ra 2016/18/0049, 03.05.2016) hat festgehalten, dass nach dem klaren Wortlaut des § 4a AsylG für die Beurteilung der Frage, ob ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß dieser Bestimmung zurückzuweisen ist, darauf abzustellen ist, ob dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Dass der Fremde dort zudem über einen aufrechten Aufenthaltstitel verfügen muss, lässt sich dem § 4a AsylG nicht entnehmen. Weiters ergibt sich aus dem Wortlaut der soeben zitierten Bestimmung, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz nach § 4a AsylG - im Gegensatz zu jener nach § 4 AsylG - keine Prognoseentscheidung zu treffen ist. Während nämlich gemäß § 4 AsylG eine Prognose dahingehend zu treffen ist, ob der Fremde in dem in Frage kommenden Drittstaat Schutz vor Verfolgung finden kann (Hinweis E vom 6. Oktober 2010, 2008/19/0483; vgl. auch ErlRV 952 BlgNR 22. GP 33), stellt § 4a AsylG unmissverständlich darauf ab, ob dem Fremden von einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten bereits zuerkannt wurde. Ob der Fremde bei Rückkehr in den nach Ansicht Österreichs zuständigen Staat eine Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung erlangen würde können oder ihm etwa die Aberkennung seines in der Vergangenheit zuerkannten Schutzstatus drohen könne, ist daher gemäß § 4a AsylG nicht zu prüfen.

Bei einer Zurückweisung nach § 4a AsylG 2005 handelt es sich um eine Entscheidung außerhalb des Anwendungsbereichs der Dublin III-VO (VwGH Ra 2016/19/0072, 30.06.2016 mit Hinweis auf Ra 2016/18/0049, 03.05.2016).

Die seit dem 01.01.2014 anwendbare Dublin III-VO geht, wie sich aus der Legaldefinition in ihrem Art. 2 lit. f ergibt, nunmehr von einem einheitlichen Status für Begünstigte internationalen Schutzes aus, welcher gleichermaßen Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte umfasst. Auf Personen, denen bereits in einem Mitgliedstaat Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt wurde und deren Asylverfahren zu beiden Fragen rechtskräftig abgeschlossen ist, findet die Dublin III-VO im Fall eines neuerlichen Antrages auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat keine Anwendung.

Vorauszuschicken ist, dass der Akt der BF1, welcher dem BVwG übermittelt wurde, aus zwei gebundene Teilakten besteht, welche getrennt nummeriert wurden. Aus beiden Akten wurden Ordnungszahlen entfernt und ungeordnet durchgemischt in einem Umschlag den beiden Teilakten beigelegt. Die im Bescheid angeführten „Anfragebeantwortungen vom 07.10.2020 und vom 10.08.2020“ konnten trotz mehrfacher Durchsicht nicht vorgefunden werden. Ebenso wenig konnten Anfragebeantwortungen der dänischen Behörden zu den Kindern der BF1 vorgefunden werden. Das Schreiben der dänischen Behörden vom 22.08.2020 bezieht sich lediglich auf die BF1.

Das BVwG kann weder mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Akten vollständig vorgelegt wurden, noch wurden laut Aktenlage erforderliche Ermittlungen durchgeführt.

Aus dem Akteninhalt geht hervor, dass der BF1 in Dänemark am 26.05.2014 subsidiärer Schutz erteilt wurde, aufgrund dessen ihr ein Aufenthaltstitel gültig bis 26.05.2019 erteilt wurde.

Unklar ist jedoch nach wie vor, welchen Status die BF2, der BF3 und nun auch die BF4 haben oder hatten.

Der BF2 und dem BF3 seien laut Auskunft der dänischen Behörden „im Zuge der Familienzusammenführung“ am 10.10.2015 Aufenthaltstitel bis 10.10.2016, verlängert am 06.02.2017 bis 26.05.2019, erteilt worden. Nach der in den Länderfeststellungen des BFA zu Dänemark angeführten Regelungen werden seit 2016 „Aufenthaltstitel bei internationalem Schutz auf zwei Jahre erteilt, bei subsidiärem Schutz zuerst um ein Jahr und erst nach drei Jahren um 2 Jahre verlängert. Mit einem befristeten Aufenthalt sind auch Einschränkungen beim Zugang zu Familienzusammenführung verbunden.“ Daraus lässt sich eine Zuerkennung des Schutzstatus an die BF2 und an den BF3 nicht zwingend erkennen. Kopien der „Fremdenpässe“ sind aus dem Akt nicht ersichtlich und können daher auch nicht zur Entscheidungsfindung herangezogen werden.

Laut einem Schreiben der dänischen Einwanderungsbehörde vom 10.10.2014 betreffend die BF4, wurde ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach Aliens Act Section 9 (1) (ii) (familiy reunification) gültig von 10.10.2014 bis 10.10.2016 erteilt wurde. Ihre Staatsangehörigkeit wird ebenfalls mit syrisch angeführt.

Im Aliens Act Section 7 werden Aufenthaltstitel bei Zuerkennung von Asyl oder subsidiärem Schutz geregelt. Ein solcher wurde ursprünglich der BF1 erteilt. In Section 9 sind weitere Aufenthaltstitel geregelt, unter anderem findet sich in Section 9 (1) (II) die Regelung zur Erteilung von Aufenthaltstitel für unverheiratete Kinder unter 15 im Rahmen der Familienzusammenführung.

Letztlich lässt sich weder aus den Angaben der BF (die von Asyl bis Familienzusammenführung einen breiten Spielraum für Vermutungen zulassen) noch aus den im Akt befindlichen Unterlagen, noch allein aus den herangezogenen dänischen Rechtsvorschriften mit ausreichender Sicherheit erkennen, dass die BF2 bis BF4 jemals den Status von subsidiär Schutzberechtigten hatten oder noch haben.

Das einzige dem BVwG vorgelegte Schreiben der dänischen Behörden vom 22.08.2020 betrifft lediglich die BF1. Ob die in den Akten befindlichen gleichlautenden Anfragen an die Staatendokumentation betreffend den Aufenthaltsstatus der anderen BF an die dänischen Behörden weitergeleitet wurden und ob diese geantwortet haben, ist aus den vorgelegten Akten(teilen) nicht ersichtlich. Es kann nicht festgestellt werden, ob dem BVwG der gesamte relevante Akteninhalt vorliegt.

Die vom BFA in den Bescheiden unter „herangezogene Beweismittel“ angeführten „Anfragebeantwortung Staatendokumentation – 07.10.2020 und 10.08.2020“ angeführten Unterlagen befinden sich weder in den (Teil)Akten noch in diversen Umschlägen.

Wie dargelegt, wurde in den gegenständlichen Verfahren der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehender Möglichkeit nach wie vor nicht ausreichend ermittelt, weshalb zwingend nach § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG beziehungsweise § 28 Abs. 3 VwGVG vorzugehen war.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Mitgliedstaat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W175.2239138.1.00

Im RIS seit

12.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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