TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/9 W251 2112155-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.02.2021
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Entscheidungsdatum

09.02.2021

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W251 2112155-2/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Mario ZÜGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.07.2018, Zl. 1049614107 - 180690737, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. des angefochtenen Bescheides wird abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkte IV. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Dem Beschwerdeführer wird gemäß §§ 55 iVm 58 Abs. 2 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III. Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides wird behoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 08.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) vom 08.07.2015 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 09.07.2016 erteilt. Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer über keinerlei soziale oder familiäre Netzwerke in Afghanistan verfüge und keinen Kontakt mehr zu seiner Familie habe. Die soziale Absicherung liege traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, würden auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet seien oder in einen solchen zurückkehren, stoßen, da ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen würde. Dem Beschwerdeführer sei daher in seinem Heimatland die Lebensgrundlage gänzlich entzogen. Eine Rückführung nach Afghanistan sei nicht zumutbar, weil eine Rückführung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde. Es liege somit ein Abschiebungshindernis vor.

3. Der Beschwerdeführer erhob hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, welche von diesem mit Erkenntnis vom 30.06.2016 als unbegründet abgewiesen wurde.

4. Nach entsprechendem Antrag des Beschwerdeführers wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid des Bundesamtes vom 20.07.2016 bis zum 09.07.2018 verlängert. Am 11.05.2018 brachte der Beschwerdeführer fristgerecht zuletzt den Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ein.

5. Er wurde dazu vom Bundesamt am 23.07.2018 niederschriftlich einvernommen.

6. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 24.07.2018 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG aberkannt (Spruchpunkt I.). Der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde abgewiesen (Spruchpunkt II.). Es wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte II.-V). Es wurde eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde ausgeführt, dass sich die subjektive Lage des Beschwerdeführers im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt als ihm subsidiärer Schutz gewährt wurde, geändert habe. Dem Beschwerdeführer stehe nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung und er könne auf eine Vielzahl an internationalen Einrichtungen zurückgreifen, die Rückkehrer unterstützen würden. Des Weiteren würden Afghanen, die nach Afghanistan zurückkehren nicht in besonderer Weise diskriminiert werden. Der Beschwerdeführer habe acht Jahre eine Schule besucht, und verfüge über jahrelange Arbeitserfahrung als Landwirt, Fliesenleger, Friseur und Taxifahrer und sei gesund. Er könne auch finanzielle Unterstützung von seinen in seiner Heimatprovinz aufhältigen Familienangehörigen erwarten. Auch die neu gewonnene Lebenserfahrung des Beschwerdeführers, die er in Österreich erhalten habe, könne ihm bei einer Ansiedelung in Afghanistan helfen. Er habe aufgrund seiner Kursbesuche in Österreich der „normalen“ afghanischen Bevölkerung nunmehr etwas voraus, zumal diese oftmals über keine Bildung verfügen würden.

7. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass die Aberkennung des subsidiären Schutzes in keiner Weise nachvollziehbar sei, zumal der Beschwerdeführer keine zumutbare Existenz in Afghanistan zu führen in der Lage wäre. Es könne im gegenständlichen Fall nicht einmal davon gesprochen werden, dass sich der Kenntnisstand des Bundesamtes geändert habe, lediglich divergiere die Interpretation der vorliegenden behördlichen Kenntnisse durch den zuständigen Organwalter mit der des damals entscheidenden Beamten. Von einer Dauerhaftigkeit der Verbesserung der Verhältnisse für den Beschwerdeführer könne keine Rede sein, insbesondere da nicht einmal irgendeine auch nur oberflächliche Verbesserung vorhanden sei. Für den Fall einer Abschiebung des Beschwerdeführers bestehe die reale Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung aufgrund der ausgesprochen schlechten Sicherheitslage in Afghanistan und weil er keine Familienangehörige habe, die ihn effektiv bei einer Rückkehr unterstützen könnten. Auch hinsichtlich seiner Integration sei eine Abschiebung nicht zulässig. Die Frage der Zulässigkeit der Aberkennung des subsidiären Schutzes, der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und Abschieben sei keiner adäquaten Beurteilung, insbesondere keiner aktuellen Beurteilung, unterzogen worden. Unter einem legte der Beschwerdeführer Unterlagen betreffend seine Integration in Österreich vor.

8. Mit Urkundenvorlage vom 27.02.2019 legte der Beschwerdeführer aktuelle Gehaltsabrechnungen vor.

9. Mit Schriftsatz vom 15.05.2019, welcher als Beschwerdeergänzung bezeichnet wurde, brachte der Beschwerdeführer vor, dass im angefochtenen Bescheid Feststellungen fehlen würden, welche Umstände genau sich seit Erlassung der Schutzentscheidung wesentlich und nicht nur vorübergehend verbessert haben. Eine nachhaltige und dauerhafte Änderung der Umstände liege nicht vor. So habe sich die Sicherheits- und Versorgungslage jedenfalls nicht nachhaltig verbessert. Der Beschwerdeführer habe nach wie vor kein tragfähiges Unterstützungsnetzwerk außerhalb seiner Herkunftsprovinz und er könne auch nicht mit finanzieller Unterstützung durch seine Familienangehörigen rechnen. Ein signifikanter Zugewinn an Schul- oder Berufsausbildung oder an Arbeitserfahrung sei auch während seines Aufenthalts in Österreich nicht eingetreten. Beim Beschwerdeführer handle es sich auch nicht um einen alleinstehenden jungen Mann, zumal er für afghanische Verhältnisse bereits im fortgeschrittenen Lebensalter sei und für seine Frau und acht Kinder sorgepflichtig sei. Es habe sich daher lediglich die rechtliche Bewertung der Sicherheits- und Versorgungslage durch die Judikatur der Höchstgerichte geändert. Eine solche vermag eine Durchbrechung der Rechtskraft der ursprünglichen Schutzentscheidung durch eine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG nicht zu tragen. Darüber hinaus sei jedenfalls eine Rückkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig zu erklären, zumal der Beschwerdeführer seit April 2017 durchgehend erwerbstätig und somit selbsterhaltungsfähig sei. Zudem habe er sich in Österreich bereits ein schützenswertes Privatleben aufgebaut.

10. Am 27.11.2019 fand eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, die vertagt wurde, weil der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers nicht anwesend war und der Beschwerdeführer einen Rechtsberater in der Verhandlung haben wollte.

11. Mit Stellungnahme vom 28.11.2019 brachte das Bundesamt vor, dass § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG das Ziel verfolge, sicherzustellen, dass nur jenen Fremden, die die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiären Schutz erfüllen, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Bestimmung ist für Interpretationen, wonach die Aberkennung nur bei bestimmten Fällen von Tatsachenunkenntnis der Behörde anzuwenden wäre, bestehe kein Raum. Von der Judikatur werde auch von einer weitreichenden Möglichkeit der Durchbrechung der Rechtskraft ausgegangen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen gegenständlich nicht vor, zumal keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers im gesamten Heimatstaat vorliege. Zudem sei auch der zweite Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG erfüllt, da der Beschwerde-führer wieder Kontakt zu seinen familiären Netzwerken habe aufnehmen können.

12. Mit Stellungnahme vom 30.11.2019 brachte der Beschwerdeführer vor, dass nur wesentliche Änderungen des maßgeblichen Sachverhalts, also jenen Umständen, die ursprünglich zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, zur Durchbrechung der Rechtskraft berechtigen würden. Es habe jedoch keine Änderung der maßgeblichen Umstände im Herkunftsstaat, sondern lediglich eine Änderung der rechtlichen Beurteilung gegeben. Es habe sich auch keine Änderung der „subjektiven Lage“ des Beschwerdeführers seit dem Zeitpunkt als ihm subsidiärer Schutz gewährt worden sei, ergeben. Der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG behandle nach dem klaren Wortlaut jene Konstellationen, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat, die Zuerkennungs-entscheidung also objektiv rechtswidrig gewesen sei. Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verleihe die österreichische Rechtsordnung auch solchen objektiv rechtswidrigen Entscheidungen Bestandkraft und lässt deren Durchbrechung nur in engen Grenzen (§§ 68-71 AVG) zu. Es seien daher nur nachträglich erkannte Fehler in der Sachverhaltsermittlung, die bei der Erlassung der Statusentscheidung unterlaufen seien, nicht jedoch in der rechtlichen Beurteilung, durch den ersten Fall von § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG gedeckt, die im Wege einer Aberkennung saniert werden können. Darüber hinaus liege eine innerstaatliche Fluchtalternative aktuell (immer noch) nicht vor, zumal es sich beim Beschwerdeführer um keinen jungen Mann handle und er für seine Frau und acht Kinder sorgepflichtig sei.

13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.12.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu sowie im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers und eines Vertreters des Bundesamtes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

14. Am 16.03.2020 wurden Unterlagen betreffend die Integration des Beschwerdeführers in Österreich vorgelegt.

15. Den Parteien wurden Länderinformationen zur Stellungnahme bis 22.12.20.20 übermittelt und den Parteien aufgetragen bekannt zu geben, ob sich seit der letzten Verhandlung etwas an den Angaben des Beschwerdeführers in der Verhandlung, an der Situation des Beschwerdeführers in Österreich bzw. im Herkunftsland oder an der Situation in Afghanistan geändert hat.

16. Sowohl das Bundesamt als auch der Beschwerdeführer erstatteten Stellungnahmen.

Das Bundesamt brachte im Wesentliche vor, dass sich durch die aktuellen Länderinformationen gegenüber dem gegenständlichen Beschied keine Änderungen ergeben haben. Der Beschwerdeführer würde bei einer Rückführung nach Afghanistan nicht in eine existentielle Notlage geraten, auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen durch die Cobid-19-Pandemie. Das Bundesamt beantragte die Beschwerde zur Gänze abzuweisen.

Der Beschwerdeführer gab im Wesentlichen an, dass sich seine persönlichen Verhältnisse seit der letzten Verhandlung nicht wesentlich verändert habe. Er sei seit 03.03.2017 durchgehend in Österreich beschäftigt und beziehe ein Netto-Einkommen von rund 1.600 EUR. Er habe zudem vom 13.11.2020 bis 15.11.2020 einen Kurs zum Hubstapelfahrer absolviert. Es sei auch noch das Asylverfahren seines in Österreich lebenden Sohnes offen. Auf eine Stellungnahe zu den übermittelten aktuellen Länderinformationen werde verzichtet.

Der Beschwerdeführer legte zudem Integrationsunterlagen vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtune an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben (Verhandlungs-protokoll vom 09.12.2019 = OZ 12, S. 6 f). Er spricht Paschtu als Muttersprache und spricht zudem Dari (OZ 21).

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Nangarhar, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen zwei Schwestern und zwei Brüdern aufgewachsen (OZ 12, S. 8 f; Niederschrift des Bundesamtes vom 27.04.2015 = NS 1, S. 4). Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan sechs Jahre lang die Schule besucht (OZ 12, S. 8; NS 1, S. 6 f; Niederschrift vom 23.07.2018 = NS 2, S. 2). Die finanzielle Situation des Beschwerdeführers und seiner Familie war sehr gut, sie gelten in Afghanistan als wohlhabend. Er hat gemeinsam mit seinem Vater drei Geschäfte in der Stadt XXXX betrieben, in denen sie Stoffe verkauft haben. Zudem verfügten sie über ein Grundstück im Ausmaß von 20 Jirib, die von einem beauftragten Bauern bewirtschaftet wurden. Die Familie des Beschwerdeführers hat aus den Einnahmen ihrer Landwirtschaft und den Geschäften den Lebensunterhalt bestritten (OZ 12, S. 10; Niederschrift der mündlichen Verhandlung zur Beschwerde betreffend Nichtzuerkennung des Asylstatus vom 02.06.2016 = VP 2016, S. 6, 12).

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und er hat acht Kinder (OZ 12, S. 7). Der Beschwerdeführer hat vor seiner Ausreise mit seiner Familie und seinem Vater in einem Eigentumshaus in seinem Heimatdorf gelebt (OZ 12, S. 8 f, 12).

Der Beschwerdeführer wurde nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund. Er nimmt weder Medikamente noch benötigt er eine Therapie (OZ 12, S. 20).

1.2. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest 08.01.2015 durchgehend in Österreich auf (OZ 12, S. 9). Er ist in Österreich aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer hat einen Alphabetisierungskurs und zwei Deutschkurse auf den Niveau A1 besucht, zumal er den ersten nicht positiv abgeschlossen hat. Er hat an einem Sprachkurs für Personenmit Berufswunsch im Bereich Gastronomie teilgenommen. Er besuchte zuletzt einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 (OZ 12, S. 16; Beilage zur Beschwerde und OZ 3). Er hat die ÖSD Deutschprüfung auf dem Niveau A1 am 22.11.2016 gut bestanden (Beilage zu OZ 3). Er verfügt über geringe Deutschkenntnisse.

Der Beschwerdeführer hat an einem fünfwöchigen (50-stündigen) Kompetenzcheck berufliche Integration für Männer ab 25 Jahren sowie einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen (Beilage zur Beschwerde und OZ 3).

Der Beschwerdeführer ist seit 30.03.2017 als Handelsarbeiter angestellt und verdient – abhängig von den Überstunden – durchschnittlich ca. brutto EUR 2.000,00 pro Monat (Beilage zur Beschwerde, zu OZ 2, OZ 3 und OZ 15). Davor hat er gemeinnützige Arbeit für die Gemeinde nach deren Bedarf über einen Zeitraum von sieben Monaten erbracht (OZ 12, S. 17). Der Beschwerdeführer geht nunmehr keiner ehrenamtlichen oder gemeinnützigen Arbeit mehr nach (OZ 12, S. 17). Der Beschwerdeführer hat im November 2020 einen Kurs zum Hubstapelfahrer gemacht (OZ 24).

Der älteste Sohn des Beschwerdeführers ist in Österreich aufhältig. Der Beschwerdeführer lebt mit diesem in keinem gemeinsamen Haushalt. Er trifft diesen ein bis zweimal im Monat (OZ 12, S. 18, 21). Der älteste Sohn des Beschwerdeführers ist am 23.06.2000 in Afghanistan geboren, dieser stellte am 10.10.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war der Sohn des Beschwerdeführers noch minderjährig.

Der Beschwerdeführer hat Bekanntschaften zu afghanischen Staatsangehörigen geknüpft, mit denen er in seiner Freizeit Volleyball spielt oder zusammen arbeitet (OZ 12, S. 20). Er konnte in Österreich freundschaftliche Kontakte zu einer Rumänin knüpfen. Er trifft diese ein- oder zweimal in der Woche in ihrer dreistündigen Pause von ihrer Arbeit als Altenpflegerin (OZ 12, S. 19). Der Beschwerdeführer hat auch freundschaftliche Kontakte zu einer Frau, die ein Hotel betreibt und dessen Lebensgefährte geknüpft (OZ 12, S. 20). Es besteht weder eine enge soziale Beziehung zu seinem Sohn oder seinen freundschaftlichen Kontakten noch ist er von diesen (finanziell) abhängig.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war zu keiner Zeit geduldet. Er war weder Zeuge noch Opfer von Gewalt oder anderen strafbaren Handlungen in Österreich, seine Anwesenheit ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen erforderlich. Es wurde nie eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen; es lag nie ein Sachverhalt vor, auf Grund dessen eine einstweilige Verfügung hätte erlassen werden können.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

1.3.1. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in die Provinz Nangahar aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

1.3.2. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedlung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif droht dem Beschwerdeführer, individuell und konkret, weder psychische noch physische Gewalt.

Weder der Beschwerdeführer noch seine Familienangehörigen sind in Afghanistan einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt. Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban weder aufgefordert ihnen Essen oder Geld zu überlassen noch verdächtigt ihre Geheimnisse an die Regierung verraten zu haben. Der Beschwerdeführer und seine Familie wurden von den Taliban auch nicht bedroht. Der älteste Sohn des Beschwerdeführers war ebenso keinen Verfolgungshandlungen durch die Taliban in Afghanistan ausgesetzt.

Dem Beschwerdeführer und seiner Familie droht in Afghanistan auch keine Verfolgung durch staatliche Organe. Der Beschwerdeführer wurde weder von staatlichen Organen verdächtigt mit den Taliban zusammenzuarbeiten noch festgenommen.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban, durch staatliche Organe oder durch andere Personen.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.

1.3.3. Der Beschwerdeführer verfügt in Afghanistan nach wie vor über ein Eigentumshaus, Grundstücke im Ausmaß von ca. 20 Jirib, die von ihm beauftragten Bauern bewirtschaftet werden, sowie drei Stoffgeschäfte und eine Kuh (OZ 12, S. 12; VP 2016, S. 20). Die Geschäfte des Beschwerdeführers werden nunmehr von seinem Schwager – dem Bruder seiner Frau – betrieben (OZ 12, S. 10 f; VP 2016, S. 7; NS Sohn, S. 4). Der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen sind in Afghanistan wohlhabend (OZ 12, S. 22 f; VP 2016, S. 20).

Die Eltern und beide Brüder des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. Die Ehefrau und sieben Kinder des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Eigentumshaus des Beschwerdeführers in seinem Heimatdorf. Ein Bruder der Ehefrau des Beschwerdeführers, der die Geschäfte des Beschwerdeführers betreibt, kümmert sich um die Familie des Beschwerdeführers. Die Familie des Beschwerdeführers bestreitet aus den Einnahmen der Geschäfte und der Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt (OZ 12, S. 10). Die Familie des Beschwerdeführers bezieht Milch von ihrer Kuh (OZ 12, S. 12). Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan (OZ 12, S. 10). Die Familie des Beschwerdeführers ist nicht auf finanzielle Unterstützung durch den Beschwerdeführer angewiesen (OZ 12, S. 21 ff). Der Beschwerdeführer stand seit seiner Ausreise immer in Kontakt mit seiner Familie.

Zwei Schwestern des Beschwerdeführers sind verheiratet und leben in der Provinz Nangahar, eine im Distrikt XXXX , die andere im Distrikt XXXX . Die ältere Schwester es Beschwerdeführers hat drei Söhne und eine Tochter, die jüngere Schwester hat zwei Töchter und einen Sohn (OZ 12, S. 11).

Die Eltern und mindestens drei Brüder und zwei Schwestern der Ehefrau des Beschwerdeführers leben in der Provinz Nangarhar im Distrikt XXXX (OZ 12, S. 11; Niederschrift des Sohnes des Beschwerdeführers = NS Sohn, S. 4). Der Bruder der Ehefrau des Beschwerdeführers, der die Geschäfte des Beschwerdeführers betreibt, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Die anderen Geschwister der Ehefrau des Beschwerdeführers sind ledig und haben keine Kinder (OZ 12, S. 11). Bei der Familie der Ehefrau des Beschwerdeführers handelt es sich ebenfalls um Angehörige der Paschtunen (OZ 12, S. 11)

Zwei Onkel mütterlicherseits und zwei Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers leben in der Provinz Nangarhar, im Distrikt XXXX in einem vom Heimatdorf des Beschwerdeführers entfernt gelegenen Dorf. Ein Onkle hat fünf Söhne und drei Töchter, ein anderer hat drei Töchter, seine zwei Söhne sind bereits verstorben (OZ 12, S. 11 f; VP 2016, S. 6).

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über Ersparnisse in Höhe von ca. EUR 6.600,00. Der Beschwerdeführer kann zudem auf die regelmäßigen Einnahmen aus seinen drei Stoffgeschäften sowie aus seiner Landwirtschaft und sein Vermögen (Grundstück, Eigentumshaus, Kuh, Auto) zurückgreifen und mit finanzieller Unterstützung durch seine Familie rechnen. Der Beschwerdeführer kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und konnte sich sowohl in Afghanistan, als auch in Österreich zurechtfinden. Er kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

1.3.4. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zum bisherigen Verfahrensablauf:

Der Beschwerdeführer stellte am 08.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 08.07.2015 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Im Bescheid wurden unter anderem folgende Feststellungen getroffen:

„[…] Sie führen in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Sie sind afghanischer Staatsangehöriger, gehören der Volksgruppe der Pashtunen an und sind sunnitischen Glaubens. Ihre Identität steht nicht fest.

In Ihrer Heimat lebten Sie gemeinsam mit Ihrer Gattin XXXX und den gemeinsamen 8 Kindern sowie Ihrem Vater in der Provinz Nangahar, Distrikt XXXX im Dorf XXXX . Sie haben 6 Jahre lang die Schule besucht.

Zuletzt haben Sie in XXXX 3 Stoffgeschäfte betrieben. Sie leiden nicht an lebensbedrohlichen Krankheiten. Sie werden vom österreichischen Staat versorgt. […]

Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass in Afghanistan eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, oder eine derartige humanitäre Katastrophe vorherrschte, dass das Überleben sämtlicher dort lebender Personen mangels Nahrung und Wohnraum tatsächlich in Frage gestellt wäre.

Es konnte aber festgestellt werden, dass Ihnen im Heimatland die Lebensgrundlage gänzlich entzogen ist, zumal Sie über keinerlei soziale oder familiäre Netzwerke verfügen. Weiters haben Sie angegeben, dass Sie in Afghanistan keinen Kontakt mehr zu Ihrer Familie haben. Eine Rückführung nach Afghanistan erscheint derzeit nicht zumutbar, weil sie mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde. Somit ist ein Abschiebungshindernis festzustellen. “ (Bescheid vom 08.07.2015, S. 13).

Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde wie folgt begründet:

„Hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, da ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Ihre Rückkehr nach Afghanistan erscheint daher derzeit unter den dargelegten Umständen als unzumutbar.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden Sie somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt sein, in Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt zu werden.“ (Bescheid vom 08.07.2015, S. 46 f).

„In Ihrem Fall ging die Behörde von einer realen Gefahr einer solchen Bedrohung aus, weil die Behörde zur Ansicht gelangt, dass aufgrund der allgemeinen Lage in Afghanistan in Verbindung mit Ihrem Vorbringen stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass Sie im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr laufen, in Afghanistan einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, womit festzustellen war, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nicht zulässig ist.“ (Bescheid vom 08.07.2015, S. 51).

Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wegen der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 30.06.2016 als unbegründet abgewiesen.

Nach entsprechendem Antrag des Beschwerdeführers wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid des Bundesamtes vom 20.07.2016 bis zum 09.07.2018 verlängert. Am 11.05.2018 brachte der Beschwerdeführer fristgerecht zuletzt den Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ein.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 24.07.2018 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt (Spruchpunkt I.). Der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde abgewiesen (Spruchpunkt II.). Es wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte II.-V). Es wurde eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid fristgerecht die gegenständliche Beschwerde.

1.5. Zur aktuellen Situation in Afghanistan:

Den Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat wurden folgende Länderinformationen zu Grunde gelegt:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 16.12.2020 (LIB)

-        UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR)

-        EASO Country Guidance zu Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)

-        Bericht EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018 (EASO Netzwerke)

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif)

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat)

-        ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif vom 16.10.2020 (ECOI Oktober 2020)

1.5.1. Sicherheitslage:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 4).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die Afghan National Defense Security Forces aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (LIB, Kapitel 5).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA (Afghanische Nationalarmee) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (LIB, Kapitel 7).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB, Kapitel 5).

1.5.2. Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 4).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (LIB, Kapitel 5).

Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen. Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der Regierung vor, ihren Teil der Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (LIB, Kapitel 4).

Im September starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (LIB, Kapitel 4). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt. Für den Berichtszeitraum 01.01.2020-30.09.2020 verzeichnete UNAMA 5.939 zivile Opfer. Die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 13% zurückgegangen, das ist der niedrigste Wert seit 2012. Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu. Die aktivsten Konfliktregionen sind in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gehen die Kämpfe in den Wintermonaten - Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück (LIB, Kapitel 5).

Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung, wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben. Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Doch bisher (Stand 10.2020) hat es keine Fortschritte gegeben, da sich die kriegführenden Seiten in Prozessen und Verfahren verzettelt haben, so diplomatische Quellen (LIB, Kapitel 4).

1.5.3. COVID-19

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 20 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen (60 Jahre oder älter) und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Bluthochdruck, Herz- und Lungenproblemen, Diabetes, Fettleibigkeit oder Krebs) auf., einschließlich Verletzungen von Herz, Leber oder Nieren (WHO).

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.02.2020 in Herat festgestellt. Offiziellen Zahlen der WHO zufolge gab es bis 16.11.2020 43.240 bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 1.617 Tote. Mit dem Herannahen der Wintermonate deutet der leichte Anstieg an neuen Fällen darauf hin, dass eine zweite Welle der Pandemie entweder bevorsteht oder bereits begonnen hat (LIB, Kapitel 3).

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind. Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden. Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet. Die Taliban erlauben in von ihnen kontrollierten Gebieten medizinischen Helfern den Zugang im Zusammenhang mit der Bekämpfung von COVID-19 (LIB, Kapitel 3).

1.5.4. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. UNOCHA erwartet, dass 2020 bis zu 14 Millionen Menschen (2019: 6,3 Mio. Menschen) auf humanitäre Hilfe (u. a. Unterkunft, Nahrung, sauberem Trinkwasser und medizinischer Versorgung) angewiesen sein werden. Auch die Weltbank prognostiziert einen weiteren Anstieg ihrer Rate von 55% aus dem Jahr 2016, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert wird. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Während in ländlichen Gebieten bis zu 60% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, so leben in urbanen Gebieten rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze (LIB, Kapitel 22).

Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 22).

Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibt eine zentrale Herausforderung für Afghanistan. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (LIB, Kapitel 22).

Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst. Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes. Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne. Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (LIB, Kapitel 3).

Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (LIB, Kapitel 22).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 22).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72 %, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86 % der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Der durchschnittliche Verdienst eines ungelernten Tageslöhners in Afghanistan variiert zwischen 100 AFN und 400 AFN pro Tag (LIB, Kapitel 22).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte normalerweise die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapital 4.2.). Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet (LIB, Kapitel 3).

1.5.5. Medizinische Versorgung

Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende medizinische Institutionen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer solchen Einrichtung entfernt. Eine weitere Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind. Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden (LIB, Kapitel 23).

Zahlreiche Staatsbürger begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich. Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar (LIB, Kapitel 23).

Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen. Um die Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung in den nördlichen Provinzen nachhaltig zu verbessern, zielen Vorhaben im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus auch auf den Ausbau eines adäquaten Gesundheitssystems ab - mit moderner Krankenhausinfrastruktur, Krankenhausmanagementsystemen sowie qualifiziertem Personal. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung. WHO und USAID zählten zwischen Jänner und August 2020 30 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen (LIB, Kapitel 23).

Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an. Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken, unter anderem das staatliche Herat Regional Hospital. In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken. Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patienten in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (LIB, Kapitel 23).

Mit Stand vom 21.09.2020 war die Zahl der COVID-19-Fälle in Afghanistan seit der höchsten Zahl der gemeldeten Fälle am 17.6.2020 kontinuierlich zurückgegangen, was zu einer Entspannung der Situation in den Krankenhäusern führte, wobei Krankenhäuser und Kliniken nach wie vor über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten berichten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19. Auch sind die Zahlen der mit COVID-19 Infizierten zuletzt wieder leicht angestiegen. In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult. UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist, wobei auch die Stigmatisierung die mit einer Infizierung einhergeht hierbei eine Rolle spielt. Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert. Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (LIB, Kapitel 3).

Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Es gibt keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan hoch stigmatisiert. Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existiert z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. Zwar sieht das Basic Package of Health Services (BPHS) psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Gemeindegesundheitszentren vor, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen oder psychosozialen Diensten aufgrund des Mangels an ausgebildeten Psychiatern, Psychologen, psychiatrisch ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern schwierig. Die WHO geht davon aus, dass in ganz Afghanistan im öffentlichen, wie auch privaten Sektor insgesamt 320 Spitäler existieren, an welche sich Personen mit psychischen Problemen wenden können. Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. In folgenden Krankenhäusern kann man außerdem Therapien bei Persönlichkeits- und Stressstörungen erhalten: Mazar-e -Sharif Regional Hospital: Darwazi Balkh; in Herat das Regional Hospital und in Kabul das Karte Sae Mental Hospital. Wie bereits erwähnt gibt es ein privates psychiatrisches Krankenhaus in Kabul, aber keine spezialisierten privaten Krankenhäuser in Herat oder Mazar-e Sharif. Dort gibt es lediglich Neuropsychiater in einigen privaten Krankenhäusern (wie dem Luqman Hakim Private Hospital) die sich um diese Art von Patienten tagsüber kümmern. In Mazare-e Sharif existiert z.B. ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB, Kapitel 23.1.).

1.5.6. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB, Kapitel 18).

1.5.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB, Kapitel 17).

1.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen engagiert sich politisch, kulturell und sozial und verleiht der Zivilgesellschaft eine starke Stimme. Diese Fortschritte erreichen aber nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Gerichten sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten. Korruption und begrenzte Kapazitäten schränken den Zugang der Bürger zu Justiz in Bezug auf Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen ein. In der Praxis werden politische Rechte und Bürgerrechte durch Gewalt, Korruption, Nepotismus und fehlerbehaftete Wahlen eingeschränkt. Beschwerden gegen Menschenrechtsverletzungen können an die Afghan Independent Human Rights Commission (AIHRC) gemeldet werden, welche die Fälle nach einer Sichtung zur weiteren Bearbeitung an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Die gemäß Verfassung eingesetzte AIHRC bekämpft Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber (LIB, Kapitel 12).
Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Unterdrückung von Kritik an Amtsträgern durch strafrechtliche Verfolgung von Kritikern im Rahmen der Verleumdungs-Gesetzgebung, Korruption, fehlende Rechenschaftspflicht und Ermittlungen in Fällen von Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch von Kindern durch Sicherheitskräfte, Gewalt durch Sicherheitskräfte gegen Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft sowie Gewalt gegen Journalisten. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Rechenschaftspflicht (LIB, Kapitel 12).

1.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Als zentrale Hürde für die Bewegungsfreiheit werden Sicherheitsbedenken genannt. Besonders betroffen ist das Reisen auf dem Landweg. Auch schränken gesellschaftliche Sitten die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ein. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten. Es gibt internationale Flughäfen in Kabul, Herat, Kandahar und Mazar-e Sharif, bedeutende Flughäfen, für den Inlandsverkehr außerdem in Ghazni, Nangharhar, Khost, Kunduz und Helmand sowie eine Vielzahl an regionalen und lokalen Flugplätzen (LIB, Kapitel 20).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet. Die Taliban erlauben in von ihnen kontrollierten Gebieten medizinischen Helfern den Zugang im Zusammenhang mit der Bekämpfung von COVID-19 (LIB, K

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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