TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/10 W232 2176955-5

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.02.2021
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Entscheidungsdatum

10.02.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W232 2176955-5/5E

W232 2176957-5/5E

W232 2176941-5/5E

W232 2176952-5/5E

W232 2188580-5/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , 5.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.01.2021, Zlen: 1) 1092668608-201004605, 2) 1092668706-201004619, 3) 1092669703-201004627, 4) 1092669605-201004643, 5) 1181824010-201004651, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. werden als unbegründet abgewiesen.

II. Im Übrigen wird den Beschwerden Folge gegeben und die Spruchpunkte II. und III. behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer ist Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin, beide sind Eltern der mj. Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer. Alle sind afghanische Staatsangehörige und Angehörige der turkmenischen Volksgruppe sowie des moslemischen Glaubens. Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer reisten am 28.10.2015 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag erstmals Anträge auf internationalen Schutz. Die Fünftbeschwerdeführerin wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren.

2. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin wurde am 29.10.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Hierbei gab der Erstbeschwerdeführer auf die Frage nach seinen Fluchtgründen zusammengefasst an, dass er der turkmenischen Minderheit in Afghanistan angehöre und von den Taliban bedroht und verfolgt worden sei, einige seiner Cousins seien bereits getötet worden und einem Onkel hätten die Taliban beide Beine abgeschnitten.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab auf die Frage nach ihren Fluchtgründen an, dass sie auch Mitglied der turkmenischen Minderheit in Afghanistan sei und sie und ihre Familie von den Taliban terrorisiert worden sei. Sie sei die Cousine ihres Mannes. Mitglieder ihrer Familie seien getötet worden.

3. Die Erst- und Zweitbeschwerdeführer wurden am 06.01.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen dieser Einvernahme gab der Erstbeschwerdeführer hinsichtlich seiner Fluchtgründe im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er Grundstücksstreitigkeiten gehabt habe. Sein Feind XXXX sei ein paar Mal mit seinen Leuten zu ihnen gekommen und habe seine Familie geschlagen. Einmal seien sie gekommen, als er mit seiner Familie im 2. Stock geschlafen habe. Er habe vom Fenster aus gesehen, dass XXXX seinen Onkel geschlagen und nach ihm gefragt hätte. Er sei dann ohne seine Frau und Kinder geflüchtet und habe am nächsten Tag erfahren, dass der Sohn seines Onkels erschossen worden wäre. Sein Onkel habe seiner Familie dann geraten, das Land zu verlassen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab hinsichtlich ihrer Fluchtgründe an, dass sie Feinde gehabt hätten. Ihr Schwiegervater habe viele Grundstücke besessen und habe deshalb große Probleme gehabt. Er sei schließlich von den Taliban umgebracht worden. Vor drei Jahren hätten XXXX und dessen Söhne ihr Haus gestürmt und ihren Onkel und sie geschlagen, als ihr Mann gerade auf dem Feld gewesen sei. Man habe sie gefragt, wo ihr Ehemann wäre. Sie sei bewusstlos geworden und wären die Personen, als sie aufgewacht sei, fort gewesen. Ihr Onkel habe bei diesem Vorfall ein Bein verloren. Ein anderes Mal hätten ihr Mann und sie geschlafen, als sie Stimmen gehört hätten. Sie habe zu ihrem Mann gesagt, dass er weggehen solle, da man ihn umbringen wolle. Ihr Mann sei dann aus dem Fenster gesprungen und geflüchtet. Als sie die Treppen hinuntergegangen wäre, habe sie erneut gesehen, wie man ihren Onkel zusammengeschlagen habe. Es sei zu einem Schusswechsel gekommen und sei dabei der Sohn des Onkels erschossen worden.

4. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.10.2017 bzw. 26.02.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz unter Darlegung näherer Ausführungen zusammenfassend damit, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer unglaubhaft sei, sodass ihnen die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden könne.

5. Gegen diese Bescheide wurde Beschwerde erhoben und darauf verwiesen, dass seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt worden sei. So habe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen. Die Feststellung, wonach eine potentiell mangelhafte Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit seitens der lokalen Sicherheitsbehörden nicht gegeben wären, sei unzutreffend. Zudem sei die Sicherheitslage in Afghanistan äußerst prekär. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Zweitbeschwerdeführerin als Frau sowie die unmündigen minderjährigen Beschwerdeführer besonders vulnerabel seien. Insgesamt betrachtet sei daher auszuführen, dass ihnen im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung ihrer Rechte gemäß Art. 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohen würde.

6. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.09.2018 wurden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die gegen Bescheide vom 24.10.2017 bzw. 26.02.2018 erhobenen Beschwerden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt, dass den Beschwerdeführern hinsichtlich ihres Vorbringens zu einer Verfolgungsgefährdung keine Glaubwürdigkeit zukomme. Zudem habe nicht festgestellt werden können, dass diese nach einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan Verfolgungshandlungen bzw. Bedrohungssituationen ausgesetzt wären. Selbst unter der Annahme einer weiteren Verfolgung durch Privatpersonen stünde den Beschwerdeführern eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat offen, da den Beschwerdeführern der Aufenthalt in diesen Städten zumutbar sei.

7. Die Beschwerdeführer haben in der Folge Österreich verlassen und am 04.10.2018 und 10.10.2018 in Deutschland um Asyl angesucht. Am 22.01.2019 stellten die Beschwerdeführer nach einer Rückübernahme aus Deutschland neuerlich Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Auf Vorhalt, dass ihre Verfahren am 25.09.2018 bereits rechtskräftig entschieden worden seien und auf die Frage, weshalb die Beschwerdeführer die neuerlichen Asylanträge stellen würden bzw. was sich seit der Rechtskraft konkret gegenüber den bereits entschiedenen Verfahren geändert habe, gab der Erstbeschwerdeführer im Rahmen der am selben Tag erfolgten Erstbefragung an, dass er keine neuerlichen Fluchtgründe habe. Die Gründe von ihm und seiner Familie seien seit dem ersten Asylantrag gleichgeblieben. Sie seien nach Deutschland gegangen und hätten dort um Asyl angesucht, weil sie in Österreich zweimal einen negativen Bescheid erhalten hätten.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Rahmen der Erstbefragung am selben Tag diesbezüglich ebenso an, dass sich ihre Fluchtgründe und die ihrer Familie seit ihrer ersten Asylantragstellung in Österreich nicht verändert hätten.

8. Im Rahmen der am 30.01.2019 erfolgten niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verneinte der Erstbeschwerdeführer die Frage, ob sich bezüglich seiner Ausreisegründe, die er im ersten Verfahren angegeben habe, etwas geändert habe. Weiters gab er an, dass er inzwischen nicht in Afghanistan gewesen sei, woher solle er neue Fluchtgründe haben. Als er in Deutschland gewesen sei, habe er auch dieselben Gründe angegeben. Andere Gründe habe er nicht. Weiters gab er an, dass seine Kinder dieselben Fluchtgründe hätten. Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes gab er an, gesund zu sein.

Im Rahmen der am 30.01.2019 erfolgten niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab die Zweitbeschwerdeführerin auf die Frage, weshalb sie einen neuerlichen Asylantrag stelle, an, dass sie bereits in Deutschland gewesen seien und die Polizei sie zurückgeschickt hätte. Die Frage, ob sich bezüglich der Ausreisegründe, die sie im ersten Verfahren angegeben habe, etwas geändert habe, verneinte sie.

9. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.02.2019 gab der Erstbeschwerdeführer nach dem Vorhalt, dass beabsichtigt sei, seinen Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, an, dass sie in Afghanistan Probleme hätten. Wenn sie nach Afghanistan zurückgeschickt würden, würde das bedeuten, dass sie getötet würden.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am selben Tag diesbezüglich an, dass sie keine neuen Gründe hätten und dies eine Tatsache sei. Sie gab an, dass es ihr psychisch nicht gut gehe, sie könne nicht schlafen und weine untertags ständig. Sie nehme Antidepressiva ein und habe wegen der Schlafstörungen und der Depressionen einen Termin bei einem Psychiater.

10. Mit jeweils mündlich verkündeten Bescheiden vom 12.02.2019 wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der faktische Abschiebeschutz betreffend die Beschwerdeführer gemäß § 12 AsylG 2005 gemäß § 12a Abs. 2 AyslG 2005 aufgehoben.

11. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.02.2019, Zl. W185 2176955-2/3E (ad 1.), Zl. W185 2176957-2/3E (ad 2.), Zl. W185 2176941-2/3E (ad 3.), Zl. W185 2176952-2/3E (ad 4.), Zl. W185 2188580-2/3E (ad 5.), wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und § 22 BFA-VG für nicht rechtmäßig erkannt und die zitierten Bescheide behoben.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass in den, den faktischen Abschiebeschutz aufhebenden Bescheiden sich die Behörde in keinster Weise mit der Situation minderjähriger Rückkehrer in die Provinz Herat auseinandersetze. Die Behörde gehe in den Bescheiden auf die Minderjährigkeit der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer nicht ein; sie habe vielmehr jegliche Auseinandersetzung mit den kinderspezifischen Länderberichten und der Frage, ob den derzeit zehn-, fünf- bzw. einjährigen Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe, unterlassen.

12. Mit Bescheiden vom 26.02.2019 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer vom 22.01.2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.), ihre Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.), Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Ab. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 6 FPG wurde jeweils nur gegen den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII. betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin). Weiters wurde den Beschwerdeführern gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 aufgetragen, von 22.01.2019 bis 12.02.2019 in einem namentlich genannten Quartier Unterkunft zu nehmen bzw. ab 15.02.2019 in einem namentlich genannten Quartier Unterkunft zu nehmen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführer ihre Folgeverfahren lediglich auf Gründe stützen würden, die bereits Gegenstand der ersten Asylverfahren gewesen seien. Es sei auch zu keiner entscheidungsrelevanten und zu berücksichtigenden Sachverhaltsänderung gekommen. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei auch vor dem Hintergrund möglich, dass es hinsichtlich der Lage in ihrem Herkunftsstaat zu keiner entscheidungswesentlichen Änderung gekommen sei. Auch seien in den Verfahren keine Hinweise auf das Vorliegen einer außergewöhnlichen Integration hervorgekommen, sodass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG weiterhin zulässig sei. Es sei nicht erkennbar, dass es seit Rechtskraft der Vorverfahren zu einer entscheidungsrelevanten Änderung gekommen sei.

13. Mit undatiertem Schriftsatz brachten die Beschwerdeführer durch ihren Rechtsberater am 11.03.2019 Beschwerde gegen die oben angeführten Bescheide ein. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Bescheide maßgeblich auf die aus Sicht der belangten Behörde unveränderte Sach- und Rechtslage stützen würden. Wie der belangten Behörde jedoch zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung bekannt gewesen sein dürfte, habe diese das Erstverfahren auf eine falsche Aktenlage gestützt. So seien dem Erstbeschwerdeführer mehrere Straftaten zur Last gelegt worden, die er tatsächlich nicht begangen hätte und wäre ihm darauf aufbauend vorgehalten worden, als Person unglaubwürdig zu sein. Tatsächlich sei ein falscher Strafregisterauszug verwendet worden, der sich auf eine andere Person mit ähnlichen Identitätsdaten bezogen hätte. Der Erstbeschwerdeführer sei tatsächlich unbescholten.

14. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.04.2019, Zl. W105 2176955-4/3E (ad 1.), Zl. W105 2176957-4/3E (ad 2.), Zl. W105 2176941-4/3E (ad 3.), Zl. W105 2176952-4/3E (ad 4.), Zl. W105 2188580-4/3E (ad 5.) wurden die Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2019 als unbegründet abgewiesen.

Rechtlich wurde zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführer keine neuerlichen Fluchtgründe hätten und die Fluchtgründe gegenüber ihren ersten Verfahren gleichgeblieben seien. Soweit in der Beschwerde vorgebracht werde, dass im vorangegangenen Verfahren dem Erstbeschwerdeführer fälschlicherweise die Begehung von Straftaten zur Last gelegt worden wäre und ein sich nicht auf seine Person beziehender Strafregisterauszug im Verfahren verwendet worden sei, sei dieser Umstand insofern für das gegenständliche Verfahren ohne Relevanz, als bereits vormals das BVwG die vermeintliche strafrechtliche Verurteilung des Erstbeschwerdeführers weder in Bezug auf die Glaubwürdigkeit der vorgebrachten Fluchtgründe noch hinsichtlich der Interessensabwägung im Rahmen der Rückkehrentscheidung als zentrales und maßgebliches Kriterium herangezogen habe, sodass dieses Beschwerdevorbringen zu keiner Neubewertung im gegenständlichen Verfahren führen könne. Auch im Hinblick auf Art. 3 EMRK sei nicht erkennbar, dass die Rückführung der Beschwerdeführer nach Afghanistan, hier in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif zu einem unzulässigen Eingriff führen würde und sie bei ihrer Rückkehr in eine Situation geraten würden, die eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK mit sich brächte oder ihnen jedwede Lebensgrundlage fehlen würde.

15. Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 23.09.2019 abgelehnt.

16. Am 14.10.2020 stellten die Beschwerdeführer einen weiteren (ihren dritten) Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der am selben Tag erfolgten Erstbefragung gab der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen an, dass sie nun seit fünf Jahren in Österreich leben würden und sich an das Leben gewöhnt hätten. Seine beiden Söhne würden in Österreich zur Schule gehen, sie würden auf Dari weder Schreiben noch Lesen können. Am 12.05.2020 habe seine Frau seine Tochter XXXX auf die Welt gebracht, welche am 27.06.2020 leider verstorben sei. Der Tod seiner Tochter habe Auswirkungen auf seine Psyche, die seiner Frau und seiner Kinder. Er nehme Antidepressiva. In Afghanistan herrsche Unruhe und Krieg. Weiters sei Corona dort stark verbreitet. Die ärztliche Versorgung sei nicht gegeben.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Wesentlichen an, dass sie und ihr Mann Antidepressiva und auch Schlaftabletten nehmen würden. Ihr gehe es derzeit sehr schlecht, sie sei immer am Weinen und ziehe sich zurück. Sie habe ihre Tochter in Österreich beerdigt, wenn sie zu ihrem Grab gehe, beruhige sie sich etwas, dies sei das Einzige was sie noch an ihr habe. Sie hätten sich an das Leben hier gewöhnt. Ihre Kinder würden hier zur Schule gehen. Sie habe in Österreich all ihre Freiheiten, welche sie in Afghanistan nicht habe. Wenn sie daran denke zurück nach Afghanistan zu müssen, habe sie nur Angst und es habe wieder starke Einflüsse auf ihre Psyche. Es gebe auch etwas, das sie noch nicht gesagt habe. Sie sei mit 12 Jahren zwangsverheiratet worden. Ihr Vater habe sie sozusagen „verkauft“. Ihr Mann und sie lebten in einem Haus mit einem Onkel. Dieser habe sie immer wieder belästigt. Sie habe Angst vor ihm gehabt. Er habe sie auch 2-3 Mal vergewaltigt.

17. Am 07.01.2021 fand die niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Der Erstbeschwerdeführer gab zunächst an, dass es ihm psychisch nicht gut gehe, weil seine Tochter verstorben sei. Er sei immer wieder beim Psychologen gewesen und nehme drei verschiedene Medikamente. Befragt, ob es etwas „Neues“ zu seinen bisher geprüften Fluchtgründen gebe, gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er seit fünf Jahren in Österreich wohne und nicht in Afghanistan gewesen sei, so dass er dort neue Probleme bekommen hätte können. Der Beschwerdeführer wiederholte psychische Probleme zu haben und nachts nicht schlafen zu können.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, aufgrund einer Depression Medikamente zu nehmen. Befragt, was sich konkret seit Erlassung der letzten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes am 23.04.2019 geändert habe, gab die sie an, Probleme und Angst zu haben. Sie habe davon nicht gesprochen. Als sie 12 Jahr alt gewesen sei, habe sie ihr Vater verlobt. Mit 15 Jahren habe sie heiraten müssen. Nach der Eheschließung habe sie mit ihrem Mann mit seinem Onkel väterlicherseits gelebt. Dieser sei gleichzeitig ihr Onkel mütterlicherseits. Dieser Onkel habe immer wieder ihren Körper berührt und ihr unanständige Vorschläge gemacht. Dieser Onkel habe sie zwei oder drei Mal auch vergewaltigt. In Afghanistan sei die Bestrafung für eine untreue Frau die Steinigung. Bei einer Rückkehr habe sie Angst, dass ihrer Tochter etwas Ähnliches wie ihr passiere, dass sie auch gezwungen werde, jung jemanden zu heiraten. Bisher habe sie nicht gewollt über die Vergewaltigungen zu sprechen, aber jetzt sei sie gezwungen das zu sagen, weil sie zurückkehren müssten.

18. Mit Bescheiden vom 15.01.2021 wurden die Anträge der Familie auf internationalen Schutz vom 14.10.2020 hinsichtlich des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde zusammengefasst festgehalten, dass im Vergleich zu den Feststellungen des Erstverfahrens kein neuer entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt habe werden können. Bereits in den Vorverfahren sei mehrfach festgestellt worden, dass den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr oder Abschiebung in ihr Herkunftsland keine Verletzung ihrer Integrität drohe. Die allgemeine Lage wie auch die persönlichen Verhältnisse und der körperliche Zustand der Beschwerdeführer hätten sich seit der letzten Entscheidung des Bundesamtes nicht entscheidungswesentlich geändert. Zum Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin wurde ausgeführt, dass sie seit ihrem Aufenthalt in Österreich mehrmals die Möglichkeit gehabt habe, die von ihr nunmehr behaupteten Vergewaltigungen anzuführen. Die Behörde gehe daher davon aus, dass sie diese Behauptungen in den Raum stelle, um eine neuerliche negative Entscheidung zu unterbinden.

19. Gegen diese Bescheide wurde mit Schreiben vom 01.02.2021 Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung für die Beschwerdeführer günstigere Bescheide erzielt worden wären, erhoben. Vorgebracht wurde zusammengefasst, dass sie aufgrund ihrer westlichen Orientierung sowie der Tatsache, dass die Tochter in Österreich geboren worden sei, fürchten würden, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden. Weiters fürchtet die Zweitbeschwerdeführerin Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen. Zusätzlich drohen den Beschwerdeführern Verletzungen ihrer Art. 2 und 3 EMRK Rechte, da sie aufgrund ihrer psychischen Probleme intensive medizinische Zuwendungen brauchen, im Speziellen die Zweitbeschwerdeführerin aufgrund des tragischen Todes ihrer Tochter, die in Afghanistan jedoch nicht gewährleistet werden könnte. Die Zweitbeschwerdeführerin besuche regelmäßig das Grab ihrer Tochter und sei dies für ihre psychologische Behandlung wichtig. Zudem habe die Zweitbeschwerdeführerin nunmehr erstmals vorgebracht, in Afghanistan Opfer von Vergewaltigung geworden zu sein. Sie habe bislang nicht über den Vorfall sprechen können, da sie Angst gehabt habe, von der Familie verstoßen zu werden und sie nicht gewollt habe, dass ihr Ehemann diese Tatsache erfahre. Weiters sei der psychische Zustand der Zweitbeschwerdeführerin sehr labil und habe sie sich erst durch regelmäßige Behandlung nunmehr öffnen können. Die Zweitbeschwerdeführerin sei aufgrund des Vorfalles sehr belastet und falle es ihr nach wie vor schwer, über diese Tatsache zu sprechen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

Zur Person der Beschwerdeführer und ihren Fluchtgründen:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan und Angehörige der Volksgruppe der Turkmenen und des moslemischen Glaubens. Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer reisten am 28.10.2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am selben Tag ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz stellten. Die Fünftbeschwerdeführerin wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren und stellte diese durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin am 14.02.2018 ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Diese ersten Anträge auf internationalen Schutz wurden jeweils mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.10.2017 bzw. 26.02.2018 und in weiterer Folge vom Bundesverwaltungsgericht als Rechtsmittelinstanz mit Erkenntnis vom 19.09.2018 rechtskräftig abgewiesen.

Am 22.01.2019 stellten die Beschwerdeführer ihre zweiten Anträge auf internationalen Schutz und gaben sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie keine neuerlichen Fluchtgründe hätten und ihre Fluchtgründe seit der ersten Asylantragstellung gleichgeblieben seien. Die Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2019 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und in weiterer Folge vom Bundesverwaltungsgericht als Rechtmittelinstanz mit Erkenntnis vom 23.04.2019 rechtskräftig abgewiesen. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 23.09.2019 abgelehnt.

Am 14.10.2020 stellten die Beschwerdeführer ihre dritten Anträge auf internationalen Schutz und gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er keinen neuen Fluchtgrund habe. Seine im Mai 2020 geborene Tochter sei im Juni 2020 verstorben. Es gehe ihm psychisch schlecht und er nehme Medikamente ein. Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, dass sie in Afghanistan zwangsverheiratet und vergewaltigt worden sei. Ihre im Mai geborene Tochter sei verstorben und habe die Familie seither psychische Probleme.

Die Beschwerdeführer stützen ihre Folgeanträge vom 14.10.2020 auf dieselben Fluchtgründe, die bereits im ersten Verfahren geltend gemacht wurden. Neue Fluchtgründe, denen ein "glaubwürdiger Kern" innewohnen würde, wurden nicht vorgebracht.

In Bezug auf die individuelle Lage der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat wird im Vergleich zu jenem Zeitpunkt, in dem letztmalig über ihre Anträge auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, eine maßgebliche Änderung der Situation festgestellt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung der Rückkehrsituation der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf den psychischen Gesundheitszustand des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, vor allem auch im Hinblick auf die Situation aufgrund der herrschenden Covid-19-Pandemie, ist erforderlich. Ermittlungen und Feststellungen zu den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, der Möglichkeiten einer Existenzsicherung der Familie unter der Berücksichtigung der psychischen Probleme beider Elternteile nach dem Tod ihrer Tochter und somit einer möglichen Verletzung von Art. 3 EMRK, sind den angefochtenen Bescheiden nicht zu entnehmen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer und den Gang der Asylverfahren wurden auf Grundlage der vorliegenden Verwaltungsakte bzw. der bereits erlassenen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes getroffen.

Die Feststellungen zur Nationalität und Volksgruppenzugehörigkeit stützen sich auf die Angaben im Asylverfahren. Der Beschwerdeführer machten diesbezüglich durchgehend gleichbleibende und glaubhafte Angaben.

Die Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren gründen insbesondere auf dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.09.2018, wo das Fluchtvorbringen als unglaubhaft beurteilt wurde, auf den Einvernahmen durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie den Protokollen der Sicherheitsbehörden und der Beschwerde im gegenständlichen Verfahren. Der Erstbeschwerdeführer gab in der Erstbefragung und in seiner Einvernahme an, keine neuen Fluchtgründe zu haben. Auch die in der Beschwerde vorgebrachte westliche Orientierung der Zweitbeschwerdeführerin war Gegenstand des vorangegangenen Asylverfahrens. Soweit die Zweitbeschwerdeführerin erstmalig im dritten Asylverfahren vorbringt, in Afghanistan vergewaltigt worden zu sein, so ist der belangten Behörde zuzustimmen, dass das Vorbringen keinen glaubhaften Kern aufweist. Dies vor dem Hintergrund, dass die Zweitbeschwerdeführerin zahlreiche Möglichkeiten gehabt hat, dieses Vorbringen zu erstatten. Die Erklärung der Zweitbeschwerdeführerin in ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, sie würde erst im dritten Asylverfahren darüber sprechen, da sie nun Angst habe nach Afghanistan abgeschoben zu werden, ist nicht nachvollziehbar, zumal die Beschwerdeführer bereits nach ihrem ersten rechtskräftig entschiedenen Asylverfahren zur Rückkehr nach Afghanistan verpflichtet gewesen wäre. Auch die Erklärung in der Beschwerde, wonach die Zweitbeschwerdeführerin nicht gewollt habe, dass ihr Ehemann, der Erstbeschwerdeführer, von den Vergewaltigungen erfahre, geht ins Leere, zumal die Zweitbeschwerdeführerin getrennt vom Erstbeschwerdeführer einvernommen wurde. Sie hätte daher bereits im ersten Asylverfahren ihr Vorbringen erstatten können, ohne dass sie es vor ihrem Ehemann hätte erzählen müssen.

Wie bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im bekämpften Bescheid nachvollziehbar aufzeigen konnte, haben die Beschwerdeführer im Hinblick auf den Status eines Asylberechtigten neue Gründe, die ein abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage erfordern würden, in keiner Weise vorgetragen. Die Beschwerdeführer verkennen, dass ihre Fluchtgründe zu einer rechtskräftigen abweisenden Entscheidung geführt haben und sie konnten auch in den gegenständlichen Verfahren keine sie betreffenden Konventionsgründe glaubhaft machen.

Das Ermittlungsverfahren ergab jedoch Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihrer persönlichen Situation bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine existenzbedrohende Lage kommen könnten. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl würdigte in keinster Weise die Feststellung, dass der Erstbeschwerdeführer an einer Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion leidet. Die psychischen Probleme des Erstbeschwerdeführers traten nach dem Tod der Tochter (im Juni 2020) auf. Der Beschwerdeführer legte dazu einen Befund vor und gab an, verschiedene Medikamente einzunehmen und regelmäßig beim Psychologen gewesen zu sein (vgl. Bescheid S. 9).

Den Länderfeststellungen im Bescheid der belangten Behörde lässt sich entnehmen (vgl. Bescheid S. 15), dass die schnelle Ausbreitung des COVID-19 Virus in Afghanistan starke Auswirkungen auf die Vulnerablen unter der afghanischen Bevölkerung, einschließlich der Rückkehrer, da sie nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, insbesondere zur Gesundheitsversorgung, haben und zudem aufgrund der landesweiten Abriegelung Einkommens- und Existenzverluste hinnehmen müssen (IOM 7.5.2020).

Aufgrund der nunmehr auch beim Erstbeschwerdeführer bestehenden psychischen Problemen in Zusammenschau mit den Länderinformationen war festzustellen, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung der Rückkehrsituation der Familie mit drei minderjährigen Kindern vor allem auch im Hinblick auf die Situation aufgrund der herrschenden Covid-19-Pandemie erforderlich ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)

3.1. Zur Abweisung der Beschwerden gegen die Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Nach § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, welche die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, (außer in den Fällen der §§ 69 und 71 AVG) wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Nach der Rechtsprechung zu dieser Bestimmung liegen verschiedene „Sachen“ im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid (für das Vorerkenntnis) maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid (Vorerkenntnis) als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist, oder, wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH vom 04.11.2004, Zl. 2002/20/0391, mwN).

Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (vgl. VwGH vom 25.04.2007, Zl. 2004/20/0100, mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist als Vergleichsbescheid derjenige Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. VwGH vom 15.11.2000, Zl. 2000/01/0184; VwGH vom 16.07.2003, Zl. 2000/01/0440; VwGH vom 26.07.2005, Zl. 2005/20/0226). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. VwGH vom 12.10.2016, Ra 2015/18/0221, vom 25.02.2016, Ra 2015/19/0267 und vom 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH vom 21.10.1999, Zl. 98/20/0467; vgl. auch VwGH vom 17.09.2008, Zl. 2008/23/0684 und vom 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344).

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein „Fortbestehen und Weiterwirken“ behauptet; vgl. VwGH vom 20.03.2003, Zl. 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH vom 07.06.2000, Zl. 99/01/0321).

„Sache“ des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist nur die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat (vgl. dazu VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).

Die Rechtsmittelbehörde darf nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung (wegen entschiedener Sache) durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist und hat dementsprechend entweder - im Falle des Vorliegens entschiedener Sache - das Rechtsmittel abzuweisen oder - im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung - den bekämpften Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die erstinstanzliche Behörde in Bindung an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde den gestellten Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt, über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (VwSlg 2066A/1951, VwGH vom 30.05.1995, Zl. 93/08/0207; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren², 1433 mwH).

Die Beschwerdeführer begründeten ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz damit, dass der Erstbeschwerdeführer der turkmenischen Minderheit angehöre und seine Familie von den Taliban bedroht und verfolgt worden sei. Einige seiner Cousins seien getötet worden und habe man einem seiner Onkel beide Beine abgeschnitten. Aus Angst, dass ihnen ähnliches passieren könnte, seien sie geflüchtet. Diese Fluchtgründe wurden seitens des Bundesverwaltungsgerichtes aufgrund zahlreicher Widersprüche und massiver Ungereimtheiten im Vorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin als unglaubhaft erkannt. Zur behaupteten „westlichen Orientierung“ der Zweitbeschwerdeführerin ist auszuführen, dass bereits im ersten Asylverfahren das Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen hat, dass der Gesamteindruck ergeben habe, keinesfalls das Bild einer bereits stark verinnerlichten „westlichen Orientierung“ zu haben. Bei einer Gesamtbetrachtung erscheine nicht zuletzt auch angesichts der bisherigen geringen Fortbildungsbemühungen der Zweitbeschwerdeführerin bei dieser insgesamt keine „westliche Orientierung“ manifestierbar.

Am 22.01.2019 stellten die Beschwerdeführer dann ihre weiteren Anträge auf internationalen Schutz. Begründend gaben sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Zweitbeschwerdeführerin übereinstimmend an, dass sie keine neuerlichen Fluchtgründe hätten und die Fluchtgründe gegenüber ihren ersten Verfahren gleichgeblieben seien. Auch in ihrem dritten Asylverfahren, gaben die Beschwerdeführer an, dass es keine neuen Asylgründe gebe.

Damit behaupten die Beschwerdeführer bloß ein "Fortbestehen und Weiterwirken" (vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480) des schon im ersten Asylverfahren erstatteten und für unglaubwürdig erkannten Vorbringens und beabsichtigten im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung ihrer mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.09.2018 bereits rechtskräftig entschiedenen Anträge auf internationalen Schutz (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321). Gründe, die von der Einschätzung in dieser Entscheidung abweichen, sind nicht hervorgekommen.

Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, weist das erstmals im dritten Antrag auf internationalen Schutz erstattete Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin, in Afghanistan vergewaltigt worden zu sein, keinen glaubhaften Kern auf.

Hinsichtlich des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 behaupteten die Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl somit keine Sachverhaltsänderung, die die Gewährung von Asyl rechtfertigen könnte. Aus diesem Grund erweist sich die Zurückweisung der neuerlichen Anträge, insoweit sich diese auf die Gewährung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 beziehen, als rechtmäßig und waren somit im Ergebnis die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Stattgebung der Beschwerden gegen die Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide):

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus; Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH vom 29.06.2011, U 1533/10, und VwGH vom 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344 mwN).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ließ den Gesundheitszustand des Erstbeschwerdeführers außer Acht und berücksichtigte nicht die Länderberichte, denen entnommen werden kann, dass die schnelle Ausbreitung des COVID-19 Virus in Afghanistan starke Auswirkungen auf die Vulnerablen unter der afghanischen Bevölkerung haben kann.

Aufgrund der psychischen Probleme nunmehr beider Elternteile in Zusammenschau mit der durch die vorherrschende COVID-19-Pandemie verschärften Schwierigkeiten in Bezug auf die Erwirtschaftung eines ausreichenden Einkommens für eine Familie mit drei minderjährigen Kindern, ergeben sich im Hinblick auf Art. 3 EMRK nunmehr Anhaltspunkte, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine Situation geraten würden, die eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK mit sich bringen würde.

Im Ergebnis war daher Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide ebenso zu beheben wie der darauf aufbauende Spruchpunkt III.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Folgeantrag Gesundheitszustand Identität der Sache non-refoulement Prüfung Pandemie Prozesshindernis der entschiedenen Sache Rückkehrsituation Teilstattgebung vulnerable Personengruppe wesentliche Sachverhaltsänderung Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W232.2176955.5.00

Im RIS seit

10.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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