TE Bvwg Beschluss 2021/2/10 W195 2184028-2

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Veröffentlicht am 10.02.2021
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Entscheidungsdatum

10.02.2021

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §33

Spruch


W195 2184028-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über den Antrag von XXXX geb. XXXX , StA Bangladesch, vertreten durch die XXXX , betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 VwGVG (belangte Behörde: Bundesamt für Fremdenrecht und Asyl, Zl XXXX ) beschlossen:

A)

Dem Antrag gemäß § 33 VwGVG wird stattgegeben und das Verfahren über die Beschwerde des ASt gegen den Bescheid des BFA vom 21.12.2021, XXXX , in die Lage vor Eintritt der versäumten Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 25.01.2021 versetzt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.



Text


Begründung:

I. verfahrensgegenständlicher Verfahrensgang:

I.1. Der Antragsteller (ASt) beantragte am 23.07.2015 internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des BFA vom 21.12.2017, XXXX , abgewiesen sowie eine Rückkehrentscheidung getroffen wurde. Dagegen brachte der BF, damals vertreten durch die XXXX eine Beschwerde ein.

I.2. Mit Schreiben vom 11.12.2020 legte die XXXX im gegenständlichen Fall mit Wirksamkeit vom 31.12.2021 ihre Vertretungsvollmacht zurück.

I.3. Am 07.01.2021 erfolgte die persönliche Ladung des ASt an seine nach dem zentralen Melderegister bestehende Wohnadresse zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht für den 25.01.2021. Dieser Ladung war folgendes Merkblatt beigegeben:

<Beginn des Merkblattes>

MERKBLATT

Geschäftszahl (GZ):
XXXX

(bitte bei allen Eingaben anführen)

 

Betreff: Teilnahme des Rechtsberaters/der Rechtsberaterin an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht

Sollten Sie eine Teilnahme Ihrer Rechtsberatung
XXXX

Adresse: XXXX

Telefon XXXX

Email: XXXX

Homepage: XXXX

an der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wünschen, nehmen Sie mit dieser bitte ehestmöglich Kontakt auf (Rechtsgrundlage: § 52 Abs. 2 BFA-VG).

Es wird darauf hingewiesen, dass die (physische) Adresse der XXXX erst ab dem 01.01.2021 zur Verfügung steht.

 

 

XXXX

<Ende des Merkblattes>

I.4. Wie der Mitteilung des Zustellers entnommen werden kann wurde das zu eigenen Handen zuzustellende Dokument am 11.01.2021 durch Hinterlegung zugestellt und am 12.01.2021 übernommen.

I.5. Am 25.01.2021 fand im Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung statt, welcher der BF unentschuldigt fernblieb. Aus dem Protokoll der Verhandlung ist folgendes ersichtlich:

„Der VP stellt fest, dass die Verfahrenspartei nicht anwesend ist.

Es wird nochmals im Akt nachgesehen, ob die Ladung ordentlich erfolgte. Es erging die Ladung an den BF am 07.01.2021, einschließlich eines Merkblattes hinsichtlich der Teilnahme eines Rechtsberaters der XXXX . Laut Rückschein der Post wurde das mit RSa übermittelte Schriftstück an die im ZMR angegebene Adresse zu eigenen Handen geschickt. Das Dokument wurde am 12.01.2021 vom Empfänger übernommen. Dies ist im Akt ausgewiesen.

Eine neuerliche Nachschau im ZMR ergibt keine Veränderung hinsichtlich der Meldeadresse.

Der VP ersucht die Frau D nochmals um Ausruf des BF XXXX in bengalischer Sprache. Da sich niemand meldet, wird festgehalten, dass der BF nicht anwesend ist.

Der VP erläutert den bisherigen Sachverhalt und Verfahrensgang; insbesondere wird auf den Bescheid und die Beschwerde eingegangen.

Der VP stellt fest, dass auf Grund der Aktenlage sowie der vorliegenden Beschwerde bereits der Sachverhalt ausreichend geklärt ist.

Da in Folge der Abwesenheit der Verfahrenspartei ein weiterer Vortrag aus den Akten sowie weitere Erörterungen nicht zweckdienlich sind und ob der vorliegenden umfassenden Aktenlage weitere Erhebungen nicht erforderlich sind, stellt der VP fest, dass die relevante Sachlage entscheidungsreif sei.

VP: Ich erkläre den Schluss des Beweisverfahrens.

In weiterer Folge verkündet der VP mündlich die fachfolgende Entscheidung“

I.6. Am 26.01.2021 wurde dem ASt die Niederschrift zur Verhandlung zugestellt, am 27.01.2021 wurde sie übernommen.

I.7. Am 09.02.2021 langte im Bundesverwaltungsgericht der verfahrensgegenständliche Antrag sowie ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sowie in eventu der Antrag auf schriftliche Ausfertigung des in der mündlichen Verhandlung verkündeten Erkenntnisses ein.

Begründend wurde zum Antrag auf Wiedereinsetzung – zusammengefasst – ausgeführt, dass der AS sprach- und rechtsunkundig sei und ihm zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst war, dass es sich hierbei um die Ladung zur mündlichen Verhandlung handelte. Er sei nach wie vor davon ausgegangen, dass er von der XXXX vertreten wäre und alle Schriftstücke betreffend sein Asylverfahren an sie übermittelt wurde. Der AS hat darauf vertraut, dass er vertreten sei und sie sich mit ihm in Kontakt setzen, sofern das Bundesverwaltungsgericht Schriftstücke übermittelt. Über die Auflösung der Vollmacht der XXXX mit 31.12.2020, war der AS nicht in Kenntnis. Der AS blieb sohin in Unkenntnis über die anberaumte Verhandlung am 25.01.2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht. In der Folge fand die mündliche Verhandlung ohne Beisein des AS und eines Rechtsvertreters statt und wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Erst als der AS die Niederschrift der mündlichen Verhandlung samt mündlich verkündetem Erkenntnis am 27.01.2021 erhielt und einen Freund bat, ihm die Bedeutung dieses Schriftstückes zu übersetzen, erfuhr er von der versäumten Verhandlung. Daraufhin begab sich der AS am 28.01.2021 zur Rechtsberatung der XXXX in die Geschäftsstelle Wien.

Die übrigen Ausführungen sind für den vorliegenden Sachverhalt nicht maßgeblich.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der dargestellte Verfahrensgang wird als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt. Festgestellt wird, dass in der Erstbefragung nach AsylG durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 24. Juli 2015 der ASt zu seiner Schulausbildung „Analphabet, Grundschule drei Jahre“ angab. Sonstige Angaben über die Schulausbildung des ASt finden sich im gesamten Administrativakt nicht.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen gründen sich auf den Administrativakt des BFA, den Gerichtsakt des BVwG sowie die Ausführungen des ASt in seinem Antrag, an deren Richtigkeit keine Zweifel bestehen, da sie nicht widersprüchlich sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 33 Abs 1 VwGVG ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet.

Gemäß § 33 Abs 5 VwGVG tritt das Verfahren durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

Zu A)

Im gegenständlichen Fall ist vorauszuschicken, dass hinsichtlich des Innenverhältnisses zwischen Vollmachtgeber und Vollmachtnehmer das Verwaltungsgericht weder Einfluss noch Kenntnis besitzt. Ob die Zurücklegung der Vertretungsvollmacht durch die XXXX die dem BVwG angezeigt wurde, auch gegenüber dem ASt bekannt gegeben wurde, ist dem BVwG originär nicht bekannt, sondern vertraut es diesbezüglich auf die Aussage des ASt in seinem Schriftsatz, obwohl es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass die Auflösung eines Vertretungsverhältnisses dem Vertretungsgeber kundgetan wird und davon auszugehen wäre.

Das BVwG hat jedenfalls eine ordnungsgemäße und zeitgerechte Ladung zur Verhandlung am 21.01.2021 durchgeführt. Es hat dem BF ein Merkblatt, sowohl in deutscher Sprache als auch in bengalischer Sprache übermittelt, in welchem auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Rechtsberatung durch die seit 01.01.2021 zuständige XXXX hingewiesen ist.

Der ASt hat nicht bestritten, dass er das bengalisch-sprachige Merkblatt erhalten habe.

Generell gesehen liegt somit kein Grund vor, einem Antrag gemäß § 33 VwGVG zu entsprechen.

Im konkreten Einzelfall berücksichtigt jedoch das BVwG, dass der ASt – gemäß Ersteinvernahmeprotokoll (andere Aussagen sind im Administrativakt nicht enthalten) - als „Analphabet“ mit dreijähriger Schulausbildung in Bangladesch nicht ausreichend der bengalischen Schriftsprache fähig war, den Inhalt der Ladung im Zusammenhang mit dem mehrsprachigen Merkblatt zu verstehen, obwohl der BF nunmehr offensichtlich doch eine Möglichkeit gefunden hat, sich die erforderlichen Informationen im Rahmen einer Rechtsberatung durch die XXXX zur Stellung des gegenständlichen Antrages zeitgerecht zu verschaffen.

Das BVwG erkennt somit im Zusammenhang damit, dass der ASt von Seiten der XXXX nicht ausreichend über die Vollmachtsauflösung erfahren hat, und in Anbetracht dessen, dass der BF auch mangels bengalischer Schriftsprachkenntnisse die Ladung zur mündlichen Verhandlung missverstand, dass den ASt lediglich ein geringer Grad des Versehens trifft. Da mit der Versäumung der mündlichen Verhandlung auch ein Rechtsnachteil, nämlich der Verlust des rechtlichen Gehörs im Rahmen der mündlichen Verhandlung, gegeben wäre, greift die Wohltat des § 33 VwGVG im gegenständlichen Fall für den ASt (s Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2, § 33 Anm 8).

Mit dem vorliegenden Beschluss ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand genehmigt und tritt das Verfahren XXXX betreffend die Beschwerde des ASt gegen den Bescheid des BFA vom 21.12.2017 in das Stadium vor der mündlichen Verhandlung des BVwG zurück.

Den sonstigen Anträgen im vorliegenden Antragsschriftsatz ist mit dieser Entscheidung somit die Grundlage entzogen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage der Wiedereinsetzung nach § 33 VwGVG ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen im konkreten Einzelfall der Wahrnehmung eines mehrsprachigen Merkblattes durch einen Analphabeten keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Analphabetismus minderer Grad eines Versehens mündliche Verhandlung Parteiengehör Vollmacht Wiedereinsetzung Wiedereinsetzungsantrag Zustellung Zustellung durch Hinterlegung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W195.2184028.2.00

Im RIS seit

12.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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