Entscheidungsdatum
11.02.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W200 2224264-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHERZ Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Christian SCHMAUS, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien vom 13.09.2019, Zl. 1094366301-151745605, zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der Bescheid vom 13.09.2019 ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Vorverfahren:
Der Beschwerdeführer stellte am 13.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 24.04.2017 brachte er – abgesehen von seinen ausreiserelevanten Gründen – vor, zum Christentum konvertiert zu sein. Er besuche den Taufunterricht seit Beginn 2017 und würde im nächsten Jahr getauft werden. In weiterer Folge langten beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Bestätigungen über den Besuch des Taufunterrichts, die Fixierung des Tauftermins sowie über den regelmäßigen Besuch der Sonntagsmesse ein. Die römisch-katholische Taufe erfolgte am 07.01.2018.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 17.09.2018 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz stattgegeben und ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Weiters wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
In diesem Bescheid wurden keine Feststellungen getroffen, beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in seinem Heimatland in Verbindung mit seinem Vorbringen die behauptete Flucht vor Verfolgung als glaubhaft gemacht gewertet werden konnte. Gem. § 58 Abs. 2 AVG konnte eine nähere Begründung entfallen.
Gegenständliches Verfahren:
Am 23.04.2019 erfolgten Einvernahmen des Beschwerdeführers in der er ausführte Afghane, Hazara, Christ, Katholik zu sein. Seine Brüder, Ehefrau und Tochter würden in Afghanistan leben. Die Eltern seien verstorben. Seine Gattin sei Offizierin in der afghanischen Armee und studiere Jus. Die Tochter besuche die Schule. Die Ehefrau und die Tochter würden in Kabul mit ihrer Mutter und dem Bruder leben. Die Gattin hätte Kenntnis über den Religionswechsel. Er hätte es ihr im Jahr 2016 erzählt. Sie hätte ihm erzählt, dass sie nicht nach seinem Religionsbekenntnis gefragt worden sei. Auf den Vorhalt der Aussage der Ehefrau, dass seine Religion der Islam sei, antwortete er, dass er mit seiner Ehefrau den Vatikan besucht hätte und mit ihr gemeinsam in der Kirche gebetet hätte. Es könne sein, dass der Dolmetscher die Frage nicht richtig verstanden oder übersetzt hätte.
Folgenden Sachverhalt konnte das BVwG aus einer die Ehefrau und Tochter des Beschwerdeführers betreffenden Entscheidung eruieren:
Die Ehefrau und Tochter stellten am 18.10.2018 bei der österreichischen Botschaft Islamabad einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 AsylG mit der Begründung, dass der Ehemann/Vater in Österreich asylberechtigt sei.
In seiner Mitteilung nach § 35 Abs. 4 AsylG vom 29.04.2019 führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass die Gewährung des Status des Asylberechtigten oder subsidiärer Schutzberechtigten der Ehefrau/Tochter nicht wahrscheinlich sei, da gegen die Bezugsperson ein Aberkennungsverfahren gemäß § 7 AsylG 2005 anhängig sei.
Über die Anträge wurden daraufhin rechtskräftig negativ entschieden.
Dem Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist weiters ein Schreiben eines katholischen Priesters zu entnehmen, der darin beschreibt, den Beschwerdeführer aufgrund seines häufigen Kirchenbesuches kennengelernt zu haben und somit mit ihm ins Gespräch gekommen zu sein. Er selbst sei tief betroffen und innerlich bewegt gewesen von der ehrlichen und festen katholischen Glaubensüberzeugung des Beschwerdeführers. Dieser komme nicht nur an Sonn- und Feiertagen zur hl. Messe, sondern auch werktags – sofern es ihm wegen seiner Schichtarbeit möglich sei. Zudem sei er – bei Bedarf – immer bereit als Erwachsener Ministrantendienst zu übernehmen.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.09.2019 wurde unter Spruchpunkt I. das Erstverfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG wieder aufgenommen.
Mit den folgenden Spruchpunkten II. – VII. wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und ihm eine freiwilligen Ausreisefrist von 14 Tagen gewährt.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab in diesem Bescheid zwei Einvernahmeprotokolle des Beschwerdeführers vom 23.04.2019 wieder.
Zur Wiederaufnahme des Asylverfahrens des Beschwerdeführers traf es folgende Feststellung:
„Festgestellt werden konnte, dass Sie in Ihrem Asylverfahren durch wissentlich falsche Angaben dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl einen für die Asylgewährung maßgeblichen Sachverhalt in der Absicht vorgetäuscht haben, diesen Status zu erlangen, sich diesen somit erschlichen haben.“
In der Begründung wurde unter der Überschrift mögliche Wiederaufnahme-/ Aberkennungsgründe ausgeführt, dass die Ehefrau bei der Botschaft in Islamabad auf Befragen angeführt hätte, dass die Religion des Beschwerdeführers der Islam sei.
Die Behörde prüfe nunmehr eine mögliche Täuschung respektive, ob ein Aberkennungsgrund vorliege. Der Beschwerdeführer hätte dazu ausgeführt, dass ihm die Ehefrau gesagt hätte, dass ihr diese Frage nie gestellt worden sei. Auf den Vorhalt, dass er angegeben hätte, dass seine Frau Kenntnis über seine Asylgründe hätte und befragt, wie sie auf die Frage seiner Religion „Islam“ angeben könne, antwortete er, mit seiner Ehefrau im Vatikan gewesen zu sein. Dort hätten sie gemeinsam die Kirche besucht und hätten gebetet. Seine Ehefrau hätte ihm gesagt, dass sie über das Christentum bzw. über seine Religion nicht gefragt worden wäre.
Unter anderem folgende Fragen wurden im Zuge einer Einvernahme am 23.04.2019 gestellt:
„F: Welches Religionsbekenntnis haben Sie?
A: Christ – Katholik
F: Warum haben Sie sich für den Katholizismus entschieden und nicht für eine andere Richtung? A: Ich habe viele Kirchen besucht. In dieser katholischen Kirche gab es einen Dolmetscher und er hat vom Christentum erzählt und dann habe ich mich für diese Richtung entschieden.
F: Was ist für Sie das Besondere an der katholischen Glaubensrichtung?
A: Die Heilige Maria ist sehr wichtig. Im Katholizismus lernt man die komplette Bibel, Neues und Altes Testament, im Protestantismus lernt man diese nicht komplett und die Heilige Maria spielt nicht so eine große Rolle.
F: Haben Sie eine Austrittsbescheinigung von der islamischen Glaubensgemeinde?
A: Ja, die habe ich bereits 2017 abgegeben.
F: Haben Sie den Austritt aus der islamischen Religionsgemeinde in Ihrer Heimat den Behörden bekannt gegeben?
A: Nein
F: Wusste Ihre Gattin über die Gründe der Zuerkennung des Asylberechtigten Bescheid?
A: Im Jahre 2016 habe ich meiner Frau erzählt, dass ich mich taufen lassen will. Ich hatte schon vorher Interesse am Christentum. Sie wusste von meiner Konversion Bescheid.
F: Konnten Sie im Alten oder Neuen Testament auch negative Eigenschaften feststellen?
A: Das Neue Testament ist von Jesus Christus. Wir haben zwei Testamente. Das Alte Testament gehört zu Moses, das Neue zu Jesus. Nein ich habe keine Kritik.
F: Haben Sie in Österreich Arbeit?
A: Ja
F: Besuchen Sie in Österreich Kurse, Vereine,……?
A: Derzeit besuche ich keine Kurse. Ich bin auf der Suche nach einer Wohnung, in der Nähe von XXXX , XXXX . Ich wohne bereits in XXXX . Ich möchte dort zu Pater XXXX gehen und die komplette Bibel lesen.
F: Haben Sie in Österreich einen Freundeskreis, oder bisher nicht genannte Verwandte in Österreich?
A: Ich habe viele österreichische Freunde in XXXX und auch in Wien und XXXX . Ich habe keine österreichische Freundin.
F: Wie ist Ihre Haltung zu Enthaltsamkeit und Bigamie?
A: Im Christentum darf man nicht zwei Mal heiraten, im Katholizismus muss man sein ganzes Leben mit einer Frau zusammen sein. Wenn einer davon Ehebruch begeht, dann darf man sich scheiden lassen.“
Beweiswürdigend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers im Zuge ihres Einreiseantrages am 10.01.2019 angegeben hätte, dass die Religion des Beschwerdeführers der Islam sei.
Sowohl in seiner Einvernahme zu den Einreiseanträgen seiner Ehefrau und seiner Tochter sowie auch in der ihn betreffenden Einvernahme zu seinem Verfahren hätte er doch darauf bestanden, dass die Ehefrau von der Konversion gewusst hätte. Er hätte ihr 2016 erzählt, dass er sich taufen hätte lassen wollen. Konfrontiert mit dem Vorhalt, warum die Gattin den Islam als Religion angegeben hätte, obwohl sie über die Gründe seiner Asylberechtigung informiert gewesen sei, hätte er erwidert, dass er mit seiner Ehefrau im Vatikan gewesen wäre und mit ihr eine Kirche besucht hätte, in der sie gebetet hätten. Es wäre denkbar, dass der Dolmetscher die Befragung nicht richtig verstanden hätte. Diese Aussage widerspreche jedoch der Behauptung, dass die Gattin überhaupt nicht nach seiner Religion gefragt worden wäre.
Weiters bezog sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch auf ein Schreiben des Dr. habil. XXXX vom 22.04.2019. Laut diesem Schreiben sei der Beschwerdeführer 2007 Mitglied in einer Hauskirche gewesen, er hätte sich auf die Taufe vorbereitet, die Untergrundkirche sei jedoch aufgeflogen und nach den Mitgliedern wäre im ganzen Land gefahndet worden. Er hätte dann seinen Glauben nur noch im Geheimen praktiziert. Der Beschwerdeführer selbst hätte jedoch in seiner Einvernahme keine Aussagen über eine Hauskirche getätigt, sondern hätte seine Ausführungen auf eine Studentengruppe bezogen, die 2008 oder 2009 Ukrainer als Mitglieder gehabt hätte. Am 24.04.2017 hätte der Beschwerdeführer ausgesagt sich für das Christentum interessiert zu haben, seitdem ein Verwandter ihm ein bisschen darüber etwas erzählt hätte. Dieser hätte von den Aktivitäten der Studentengruppe erzählt. Eine Mitgliedschaft oder Teilnahme an einer Hauskirche stehe sohin im vollkommenen Widerspruch zu der Schilderung der Studentengruppe. Im Brief des Dr. XXXX wiederrum sei mit keinem Wort die Studentengruppe erwähnt worden.
Aufgrund der widersprüchlichen Fluchtgeschichte gehe die Behörde davon aus, dass er in Afghanistan zu keinem Zeitpunkt in Kontakt mit dem Christentum gestanden sei. Der Eindruck verstärke sich noch durch seine Antworten, dass er nach dem muslimischen Ritus verheiratet gewesen sei, eine Tochter hätte, dass er Schiite gewesen sei und nun zum Christentum konvertiert sei. Daraus kann abgeleitet werden, dass er in Afghanistan keine Berührung mit dem Christentum gehabt hätte, in keiner geheimen Hauskirche gewesen sei, auf keiner Warteliste für die Taufe dieser behaupteten Studentengruppe gewesen sei, sondern dass er den Kontakt zu diversen christlichen Kirchen erst in Österreich hergestellt hätte. Damit hätte er sich in Afghanistan aber auch nicht im Geheimen mit der Bibel und dem Christentum beschäftigt, wodurch auch eine innere Überzeugung seiner Konversion in Österreich in Zweifel gezogen werde. Dem Christentum stehe er kritiklos gegenüber. Abschließend wurde festgestellt, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die gesamte Fluchtgeschichte, die hier in weiterer Folge nicht wiedergegeben wird, in Zweifel ziehe.
Rechtlich wurde auf § 69 Abs. 1 Z 1 AVG verwiesen, wonach der Beschwerdeführer den Bescheid erschlichen hätte.
Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, dies unter Hinweis auf im Aberkennungsverfahren bereits vorgelegte Unterlagen, konkret Fotos des Ehepaars in Rom, des Taufscheins, Bestätigungen, dass der Beschwerdeführer als Katholik die Sonntagsmesse der Franziskanerkirche in XXXX besuche und sich mit Hilfeleistungen in der Pfarrgemeinde einbringe, eines Schreibens der Taufpatin, in welchem bestätigt werde, dass er als Mitglied der katholischen Kirche seinen Glauben praktiziere, ein Schreiben von Dr. XXXX , dass der Beschwerdeführer diesem bekannt sei und regelmäßig die Glaubenskatachese sowie den Gottesdienst besuche, sowie ein Schreiben der Ehegattin, in dem sie bestätige, dass sie von der Konversion ihres Ehemann wisse und bei der Antragstellung hierzu nicht explizit gefragt worden sei.
Der Vertreter des Beschwerdeführers legte dem BVwG weitere Unterlagen über das aktuelle Praktizieren des katholischen Glaubens des Beschwerdeführers in Österreich vor:
je ein Schreiben des Abtes und des Priors des Stiftes XXXX vom 01.01.2020, ein Schreiben einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin der Pfarre und des Stiftes XXXX , Bestätigungen von Messbesuchern vom 03.12.2020 darüber, dass der Beschwerdeführer regelmäßig die Kirche besuche und insbesondere ein Schreiben der Taufpatin des Beschwerdeführers vom 01.11.2020, die darin angibt, dass sie diesem als Taufgeschenk eine Reise nach Rom geschenkt hätte, wo der Beschwerdeführer seine Ehefrau getroffen hätte, die im Rahmen ihrer Tätigkeit für das afghanische Verteidigungsministerium dort ein Weiterbildungsseminar absolviert hätte. Die beiden hätten den Vatikan besucht und hätten in Petersdom für eine gemeinsame Zukunft gebetet. Sie selbst sei mit der Ehefrau des Beschwerdeführers ab dieser Reise bis zur Anhörung in der Botschaft in Islamabad im Jänner 2019 in Kontakt gewesen und es sei ihr unbegreiflich, warum sie in der Botschaft ein muslimisches Religionsbekenntnis für ihren Ehemann angeben sollte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer stellte am 13.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz stattgegeben und ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Weiters wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Der Beschwerdeführer hatte glaubhaft gemacht, dass ihm in Afghanistan Verfolgung wegen seiner Religionszugehörigkeit droht.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.09.2016 wurde unter Spruchpunkt I. das Erstverfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG wiederaufgenommen, mit der Begründung, dass der Bescheid vom 17.09.2018 erschlichen worden sei.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer den Bescheid vom 17.09.2018 erschlichen hat.
Der Beschwerdeführer ist ein in Österreich katholisch getaufter, praktizierender Christ.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen gründen sich auf den dem BVwG vorgelegten Verwaltungsakt.
Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer ursprünglich glaubhaft gemacht hat, aus Gründen seiner Religionszugehörigkeit zum katholischen Christentum im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan verfolgt zu werden.
In weiterer Folge geht aus dem Akt, insbesondere aus allen vorgelegten Dokumenten (von Seelsorgern, Priestern, Taufpatin, Messbesuchern, Fotos vom Besuch des Vatikans…) hervor, dass der Beschwerdeführer aktuell den katholischen Glauben in Österreich regelmäßig praktiziert, ja sogar in einer Art und Weise, die das übliche Praktizieren eines gläubigen Christen (regelmäßige Besuche der Sonntags- und Feiertagsmesse) überschreitet.
Im Rahmen des Verfahrens gemäß § 35 AsylG 2005 der in Afghanistan aufhältigen Ehefrau und Tochter soll die Ehefrau in ihrer Einvernahme bei der ÖB Islamabad als Religionsbekenntnis ihres Ehemannes „Islam“ angegeben haben. (Festgehalten wird, dass die Niederschrift über die Einvernahme der Ehefrau des Beschwerdeführers dem BVwG nicht vorgelegt wurde.)
Aufgrund dieser Aussage leitete das BFA primär ein Aberkennungsverfahren gemäß § 7 AsylG 2005 ein, welches eingestellt wurde und im Anschluss wurde derselbe Sachverhalt in einem Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 3 AVG einer anderen rechtlichen Würdigung unterzogen.
Keinesfalls kann im Erstverfahren von einem Erschleichen des Bescheids gesprochen werden, zumal für die erkennende Richterin außer Streit steht, dass der Beschwerdeführer aktuell ein praktizierender Christ ist.
Das BFA hat den Inhalt der Niederschrift der Ehefrau des Beschwerdeführers - ohne diese zu Hinterfragen - dazu benützt, dem Beschwerdeführer das Erschleichen seines Flüchtlingsstatus zu unterstellen. Die Aussage der Ehefrau kann dem Beschwerdeführer auch nicht vorgeworfen werden, wenn dieser sich seit mehr als fünf Jahren in Österreich befindet und keinen Einfluss auf den Inhalt der Einvernahme der Ehefrau gehabt hat. Ebensowenig kann dem Beschwerdeführer angelastet werden, dass seine Ehefrau ihm erzählt hätte, dass sie nicht nach seiner Religion gefragt worden sei und es kann auch von ihm nicht erwartete werden, dass er das Zustandekommen des Inhalts des Protokolls seiner Ehefrau aufklärt, da er ja keine eigenen Wahrnehmungen dazu hat.
Auch ein Widerspruch in seinen Aussagen und dem Inhalt des Schreibens des Dr. habil XXXX kann die erkennende Richterin nicht erkennen. Der Beschwerdeführer hat offensichtlich mit Dr. XXXX im Zuge seiner Konversion zum Christentum Gespräche geführt, die mit Sicherheit eine andere Dimension und einen anderen Inhalt zum Thema hatten als das Thema der Einvernahme des BFA. Abgesehen davon kann das BVwG keinen Widerspruch in den Ausführungen zur Hauskirche des Dr. XXXX und der Angaben des Beschwerdeführers beim BFA (Studentengruppierung, von Ukrainern missioniert) erkennen, im Gegenteil handelt es sich um eine andere Bezeichnung. Für das BVwG handelt es sich auch hier um ein Konstrukt den vom Beschwerdeführer geschilderten Sachverhalt zu vereinfachen, und so kleine Unschärfen gegen den Beschwerdeführer zu verwenden.
Unter einem "Erschleichen" iSd § 69 Abs 1 Z 1 AVG ist ein vorsätzliches - nicht bloß kausales oder bloß fahrlässiges - Verhalten der Partei im Zuge des Verfahrens zu verstehen, das darauf abzielt, einen für sie günstigen Bescheid zu erlangen.
Unter Zugrundelegung des Verwaltungsaktes sowie der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen (ein Schreiben des Priors des Stiftes XXXX , ein Schreiben einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin der Pfarre und des Stiftes XXXX , Bestätigungen darüber, dass der Beschwerdeführer regelmäßig die Kirche besucht, ein Schreiben der Taufpatin des Beschwerdeführers, die ihm als Taufgeschenk eine Reise nach Rom geschenkt hatte, wo der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau den Vatikan besucht und im Petersdom für eine gemeinsame Zukunft gebetet hatte), kann die erkennende Richterin kein Erschleichen des Bescheides vom 17.09.2018 erkennen, zumal das BFA im Bescheid vom 17.09.2018 keine Feststellungen getroffen hat, sondern das Vorbringen des Beschwerdeführers der Entscheidung zu Grunde legt. Inhalt dieses Vorbringens ist jedenfalls auch die erfolgte Konversion in Österreich, die für das BVwG unzweifelhaft weiterhin aufrecht ist. Dies wurde auch vom BFA in seinem Bescheid auch nicht nachvollziehbar releviert, im Gegenteil ist sogar von seiner „Kritiklosigkeit“ dem Christentum gegenüber die Rede.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
§ 69 Abs. 1 Z. 1 AVG besagt:
Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.
Gemäß Abs. 3 leg. cit. Kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat. (§ 69 Abs. 4 AVG)
Da nach Ansicht des BVwG der Bescheid vom 17.09.2018 nicht erschlichen worden ist, war Spruchpunkt I. des Bescheides vom 13.09.2019 ersatzlos zu beheben.
Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. – VII. des angefochtenen Bescheides:
Nach übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung haben die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Sachentscheidung für sich Bescheidqualität und ist jeder dieser Bescheide für sich einer Berufung zugänglich und für sich rechtskraftfähig (vgl. hiezu beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 15. März 1988, Zl. 87/14/0073, und vom 12. Dezember 1988, Zl. 88/15/0062; sowie Stoll, BAO-Kommentar, 2967). Dabei ist entscheidend, ob die Gestaltung des in der Praxis üblichen, gesetzeskonformen "Sammelbescheids", in dem die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Sachentscheidung unter der gemeinsamen Bezeichnung mit dem vorangestellten Ausdruck "Bescheid" zusammengefasst werden, eine klare Trennung zwischen Wiederaufnahmsverfügung und Sachentscheidung ermöglicht.
Da durch die ersatzlose Behebung der Wiederaufnahme nunmehr die Voraussetzung für die Erlassung der Spruchpunkte II. – VII. wegfällt (res iudicata), waren auch diese ersatzlos zu beheben.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. (§ 24 Abs. 1 VwGVG)
Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist. (§ 24 Abs. 2 Z.1 VwGVG)
Wie bereits ausgeführt, steht für das BVwG aufgrund der Aktenlage fest, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war. Eine Verhandlung konnte unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, sondern stellt die Entscheidungsfindung ausschließlich das Resultat einer eingehenden Glaubwürdigkeitsauseinandersetzung, basierend auf den konkret im Verfahren präsentierten Angaben des Beschwerdeführers, dar. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
amtswegige Wiederaufnahme Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung Erschleichen Rückkehrentscheidung behoben WiederaufnahmeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W200.2224264.1.00Im RIS seit
10.05.2021Zuletzt aktualisiert am
10.05.2021