Entscheidungsdatum
12.02.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W123 2238155-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien, vertreten durch RA Mag. Stefan ERRATH, gegen Spruchpunkt VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.11.2020, Zl. 1029422809/201072568, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und Spruchpunkt VI. des bekämpften Bescheides behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, wurde am 31.10.2020 von der Landespolizeidirektion Wien einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle unterzogen. Dabei wurde festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.
2. Der Beschwerdeführer wurde am 01.11.2020 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer brachte darin vor, dass er bei seiner Frau und seinen drei Kindern wohne. Seine Frau und seine Kinder seien serbische Staatsbürger und würden über einen Aufenthaltstitel verfügen. Seine Frau erhalte Geld vom AMS ca. EUR 1.000,00 EUR 500,00 Kinderbeihilfe und sie arbeite geringfügig und bekomme EUR 400,00. Zur Finanzierung seines Aufenthaltes gab der Beschwerdeführer an, dass seine Frau alles bezahle.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.), gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).
4. Mit Schriftsatz vom 10.11.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des Bescheides der belangten Behörde und brachte zusammenfassend vor, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers ein monatliches Einkommen von zumindest EUR 1.900,00 beziehe. Der AMS-Bezug sei eine Versicherungsleistung und sei daher bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer habe einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegenüber seiner Ehegattin. Bereits aus diesem Grunde bestehe tatsächlich keine Gefahr einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft; die Tatbestandsvoraussetzung der Mittellosigkeit gemäß § 53 Abs. 2 Z 6 FPG liege daher nicht vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität und ist serbischer Staatsangehöriger.
Der Beschwerdeführer ist in Serbien geboren und aufgewachsen und besuchte dort 8 Jahre die Grundschule. Danach besuchte der Beschwerdeführer drei Jahre die Berufsschule als Bäcker und schloss die Matura ab. In Serbien lebt die Mutter des Beschwerdeführers und weitere Verwandte.
1.2. Der Beschwerdeführer ist mit einer serbischen Staatsbürgerin verheiratet und hat mit ihr drei minderjährige Kinder. Seine Frau und die Kinder halten sich in Österreich auf. In Österreich leben ferner der Vater, der Bruder und die Schwiegereltern des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer wohnt während seines Aufenthaltes bei seiner Ehefrau. Der Beschwerdeführer verfügte im Zeitpunkt der Anzeige über EUR 5,73 an Bargeld. Die Ehefrau des Beschwerdeführers erzielt aus einer geringfügigen Beschäftigung, einem AMS-Bezug sowie aus Kinderbeihilfe ein monatliches Einkommen von insgesamt EUR 1.900,00. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich wurde von seiner Ehefrau finanziert.
Der Beschwerdeführer ist gesund und strafrechtlich unbescholten.
1.3. Der Beschwerdeführer reiste am 09.11.2020 – mit Unterstützung des Vereins Menschenrechte Österreich – freiwillig aus Österreich aus.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Auskünfte aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Strafregister wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.
2.2. Die Feststellung zur Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen auf dessen serbischen Reisepasses.
2.3. Die Feststellungen zum Familien- und Privatleben beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme bzw. den Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz sowie aufgrund des unbestrittenen Inhaltes des angefochtenen Bescheides.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu den Spruchpunkten I. bis V. des angefochtenen Bescheides
Im gegenständlichen Fall wurde ausschließlich und ausdrücklich gegen Spruchpunkt VI. (Verhängung eines Einreiseverbotes) Beschwerde erhoben. Damit erwuchsen die Spruchpunkte I. bis V. in Rechtskraft.
3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides (Einreiseverbot)
3.2.1. Gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 FPG kann vom Bundesamt mit eine Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens 5 Jahren erlassen werden. Das Bundesamt hat bei der Bemessung der Dauer das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen miteinzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
3.2.2. Ein Einreiseverbot ist dann zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Dabei ist sowohl für die Frage, ob überhaupt ein Einreiseverbot zu verhängen ist, als auch für die Bemessung seiner Dauer eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, in die das Gesamtverhalten des oder der Betroffenen einzubeziehen ist. Aufgrund konkreter Feststellungen ist eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick worauf die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt ist. Es ist weiters in Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob private oder familiäre Interessen der Verhängung eines Einreiseverbots in der konkreten Dauer entgegenstehen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10, 12; vgl auch VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).
In Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Revisionswerbers - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (VwGH 16.05.2019, Ra 2019/21/0104).
Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache unter anderem von Bestrafungen nach den Verwaltungsgesetzen, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der Verwaltungsübertretungen und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (VwGH 20.12.2011, 2011/23/0256; 22.1.2013, 2012/18/0143).
Bei der Bemessung des Einreiseverbotes, kann sich die Behörde nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen zurückziehen, sondern ist insbesondere auch die Intensität der privaten und familiären Bindungen zu Österreich einzubeziehen (VwGH 7.11.2012, 2012/18/0057).
3.2.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:
Die belangte Behörde stützte das Einreiseverbot auf den Tatbestand des 53 Abs. 2 Z 6 FPG und begründete diesen im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer über keine nennenswerten Barmittel verfüge und auch nicht davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer in absehbarer Zeit zu einer Verbesserung seiner wirtschaftlichen Situation gelangen könne.
Zwar ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer lediglich über Bargeld in Höhe von EUR 5,74 verfügt. Die Ehefrau des Beschwerdeführers erzielt jedoch ein Einkommen aus verschiedenen Bezügen von insgesamt EUR 1.900,00.
Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0129, lautet auszugsweise:
„12 In der gegenständlichen Revision wird die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 Z 6 FPG - das Fehlen ausreichender Mittel seitens des Revisionswerbers - nicht in Frage gestellt. Die aus der Verwirklichung dieses Tatbestandes grundsätzlich abzuleitende Gefährdung öffentlicher Interessen ist aber vorliegend jedenfalls deshalb reduziert, weil der Revisionswerber gegenüber seiner nunmehrigen Ehefrau - auch nach serbischem Recht (Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Serbien S. 27) - einen Unterhaltsanspruch hat. […]
13 Vor diesem Hintergrund - weitere Überlegungen zu einer vom Revisionswerber ausgehenden Gefährlichkeit hat das BVwG nicht angestellt - käme die Verhängung eines dreijährigen Einreiseverbotes gegen den Revisionswerber nur dann in Betracht, wenn mit diesem Verbot, wie vom BVwG im Ergebnis zu Grunde gelegt, tatsächlich kein Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Revisionswerbers einhergehen würde.“
Der oben vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilende Sachverhalt ist mit gegenständlichem vergleichbar, womit aber die Ausführungen des Beschwerdeführers im Beschwerdeschriftsatz (vgl. AS 249) ihre Bestätigung finden.
Der belangten Behörde ist vorzuwerfen, dass sie in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht plausibel darlegte, inwiefern auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalles eine (besondere) "Schwere des Fehlverhaltens" des Beschwerdeführers anzunehmen gewesen wäre. Auch jene Umstände, die einer Beurteilung des "Gesamtverhaltens" des Beschwerdeführers zugrunde gelegen wären, wurden nicht dargelegt. Auch die Feststellung der belangten Behörde, wonach das alleinige Einkommen der Ehefrau des Beschwerdeführers in der Höhe von EUR 1.900,00 als „zu geringfügig“ sei, „um den Lebensunterhalt von fünf Personen finanzieren zu können“ (vgl. AS 197), wurde nicht näher begründet. Zudem ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtshofes auch nicht „a priori“ davon auszugehen, dass man mit einem Familieneinkommen von knapp EUR 2000,00 eine fünfköpfige Familie überhaupt nicht ernähren könnte.
Bei der Erlassung des gegenständlich verhängten Einreisverbotes wurde seitens der belangten Behörde ferner die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers und die Tatsache, dass der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung durch die freiwillige Ausreise (vgl. AS 247) nachgekommen ist. Wenngleich die belangte Behörde im Übrigen darauf hinweist, dass der legale Aufenthalt der Kernfamilie des Beschwerdeführers bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes berücksichtigt worden sei und Art. 8 EMRK nicht verletzt werde, ist diesen Ausführungen entgegenzuhalten, dass die sich die drei Kinder des Beschwerdeführers erst im Kleinkindalter befinden (vgl. zum Alter, AS 114) und schon aus diesem Grunde im Rahmen einer Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK besonders zu berücksichtigen gewesen wären.
3.2.4. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der Beschwerdeführer keine „Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“ darstellt und daher das verhängte Einreiseverbot aufzuheben war.
3.3. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Der Sachverhalt ist im Gegenstand aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung – trotz des Parteienantrages – unterbleiben konnte.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Einreiseverbot aufgehoben Mittellosigkeit UnbescholtenheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W123.2238155.1.00Im RIS seit
10.05.2021Zuletzt aktualisiert am
10.05.2021