TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/16 W159 2128192-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.02.2021
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Entscheidungsdatum

16.02.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W159 2128192-2/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geboren XXXX , Staatsangehörige von Äthiopien, gegen Spruchteile I. und II. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2018, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

Das Verfahren wird wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

II.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren XXXX , Staatsangehörige von Äthiopien gegen den Bescheid des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2018, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.02.2021 zu Recht erkannt.

A)

1. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. wird als unbegründet abgewiesen.

2. Der Beschwerde wird stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß §§ 54, 55 und 58 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ auf die Dauer von 12 Monaten erteilt.

3. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

B) Zu I und II.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang (Zu I. und II.):

Die Beschwerdeführerin Staatsangehörige von Äthiopien, Angehörige der Volksgruppe der Amharen, stellte am 10.05.2016 einen Erstantrag gem. § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG. Der bevollmächtigte XXXX führte auf, dass die Beschwerdeführerin, als Opfer des Menschenhandels im Haushalt ausgebeutet worden sei. Die Beschwerdeführerin habe von Montag bis Samstag durchgehend arbeiten müssen. Sie hätte auch zeitweise sonntags gearbeitet und für ihre Tätigkeiten bis Mai 2015 300 Euro und ab diesem Datum 350 Euro monatlich erhalten. Sie habe deshalb Anzeige beim Landesamt für Verfassungsschutz erstattet.

Mit Bescheid vom 27.05.2016, Zl. XXXX wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigenden Gründen als unzulässig zurückgewiesen. Gegen diesen Bescheid brachte der XXXX fristgerecht Beschwerde ein. Das BVwG behob den bekämpften Bescheid am 28.06.2016 mit Zl. XXXX , da sich das BFA nicht mit dem geschilderten Sachverhalt auseinandergesetzt hätte und seine Zuständigkeit zur inhaltlichen Prüfung des verfahrensgegenständlichen Erstantrages in rechtswidriger Weise abgelehnt hätte.

Die Beschwerdeführerin stellte am10.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführerin lehnte den vorgesehenen Dolmetscher ab, weil sie in einem Strafverfahren ausgesagt hätte und der Dolmetscher der beste Freund des Beschuldigten gewesen sei. Am gleichen Tag wurde sie durch die Landespolizeidirektion XXXX einer Erstbefragung mit einer anderen Dolmetscherin unterzogen. Dabei gab sie als Fluchtgrund an, sie sei etwa 15 Jahre alt gewesen, als ihre Eltern sie verheiraten hätten wollen. Die Beschwerdeführerin sei nach Addis Abeba geflohen und habe als Haushälterin bei einer Familie gearbeitet. Diese Familie sei nach Österreich ausgewandert und die Tochter der Familie habe die Beschwerdeführerin nachgeholt. Nunmehr sei die Familie nach Äthiopien zurückgekehrt und die Beschwerdeführerin würde als Haushälterin bei einer befreundeten Familie arbeiten. Es sei zu Unstimmigkeiten gekommen und die Beschwerdeführerin habe die Familie bei der Polizei angezeigt. Beide Familien würden in Kontakt stehen, weswegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehr nach Äthiopien fürchte.

Nach Zulassung zum Asylverfahren erfolgte am 16.05.2018 eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien. Sie gab an, sie sei im Dorf XXXX in der Region XXXX geboren worden und hätte dort gelebt, bis sie mit etwa 15 Jahren nach Addis Abeba gezogen sei. Sei sei christlich-orthodoxen Glaubens und habe keine Schulbildung. In Addis Abeba habe sie für eine Familie gearbeitet, die sie mit nach Österreich mit genommen hätte. Die Beschwerdeführerin gab an, sie habe Äthiopien schon fünfmal verlassen und sich immer wieder im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten. Sie habe immer als Haushälterin ihren Lebensunterhalt verdient.

Der Beschwerdeführerin wurde vorgehalten, dass sie am 10.05.2016 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 eingebracht hätte. Dieser Antrag sei mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl am 27.05.2016 gemäß § 58 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen worden. Sie habe eine Beschwerde eingebracht und mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 28.06.2016 sei der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 VwGVG behoben worden. Sie habe nunmehr einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht, weil ihr mitgeteilt worden sei, dass sie aufgrund mangelnden Aufenthalttitels in ihre Heimat zurückehren müsste. Sie könne nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil beide Familien dort wieder aufhältig seien, für welche sie gearbeitet hätte. Diese Familien würden dafür sorgen, dass sie inhaftiert werde. Außerdem würde in ihrer Heimat ein reicher Bauer leben, der sie zu seiner Frau hätte machen wollen und sie sei vor ihm bereits einmal geflüchtet. Nachgefragt gab sie an, wegen diesen Mann hätte sie sich nicht in ihr Heimatdorf zurück getraut. Sie sei jedoch in Addis Abeba von ihm nicht belästigt worden.

Sie habe die Familie, bei welcher sie in Österreich gearbeitet habe angezeigt, weil ihr, ihr Lohn nicht ausbezahlt worden sei. Die Polizei habe ihr gesagt, sie könne privat Klage erheben und solle den geforderten Lohn senken. Der XXXX sei mit der Beschwerdeführerin zur Arbeiterkammer zu einem Beratungsgespräch gegangen. Die Antwort der ehemaligen Chefin der Beschwerdeführerin habe die Arbeiterkammer veranlasst, den Fall nicht zu übernehmen. Die Beschwerdeführerin hätte nicht geklagt, weil sie etwaige Verfahrenskosten nicht übernehmen hätte können.

Nachgefragt gab sie weiters an, sie hätte in Äthiopien keine Probleme mit den Behörden gehabt, sie sei nicht politisch aktiv gewesen oder Mitglied einer politischen Partei. Sie habe in ihrem Herkunftsland auch keine Probleme aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit oder ihrer Religion gehabt. Sie habe keine Strafrechtsdelikte begangen.

Die Beschwerdeführerin gab an, sie könne nicht nach Äthiopien zurückkehren, weil beide Familien, für welche sie gearbeitet hätte, sie inhaftieren lassen würden, weil sie angeben würden, die Beschwerdeführerin hätte ihren Ruf ruiniert.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom 28.08.2018, Zahl XXXX wurde der Antrag gem. § 58 Abs. 9 Z 2 AsylG auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gem. § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Da die Beschwerdeführerin am 10.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, sie dieser Antrag zurückzuweisen gewesen. Aus diesem Grund käme kein Aufenthaltstitel nach §§ 55 und 56 AsylG30.08.2018 für die Beschwerdeführerin in Betracht.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom 19.01.2018, Zahl XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und unter Spruchteil II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien abgewiesen, unter Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, unter Spruchpunkt IV. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt V. festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und unter Spruchpunkt VI. die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt.

In der Begründung des Bescheides wurde zunächst der Verfahrensgang einschließlich der erfolgten Befragungen dargelegt sowie Feststellungen zu Äthiopien getroffen. Das vorgebrachte Fluchtvorbringen sei von zahlreichen Widersprüchen und Ungereimtheiten geprägt, weshalb es der Beschwerdeführerin nicht gelungen sei, es glaubhaft zu machen und den Nachweis einer Wahrscheinlichkeit zu erbringen, aus dem eine relevante individuelle Bedrohung oder aktuelle Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention abgeleitet werden könnte. Zu Spruchpunkt I. wurde nochmals darauf hingewiesen, dass das Vorbringen nicht asylrelevant wäre. Im Spruchpunkt II. wurde darauf hingewiesen, dass für Äthiopien nicht festgestellt werden hätte können, dass eine dermaßen schlechte wirtschaftliche Lage bzw. eine allgemeine Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Rückbringung in den Herkunftsstaat als unrechtmäßig erscheinen ließe. Da die Beschwerdeführerin vor der Ausreise als Haushälterin tätig gewesen sei, könne davon ausgegangen werden, dass sie wieder als Haushälterin arbeiten könnte. Sie verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte in ihrem Heimatstaat und könne bei ihrer Rückkehr mit der Unterstützung ihrer Familie rechnen. Zu Spruchpunkt III. wurde insbesondere ausgeführt, dass die Tatbestandsvoraussetzung des § 57 AsylG nicht vorlägen, zu Spruchpunkt IV wurde zunächst dargelegt, dass der Beschwerdeführer kein Familienleben in Österreich führe, zum Privatleben, dass unter Hinweis auf die diesbezügliche höchstgerichtliche Judikatur – auch bei weitgehenden Integrationsschritten - in Anbetracht der Kürze des Aufenthaltes kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen gewesen sei und eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen sei. Weiters liege keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG vor und stehe einer Abschiebung auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegen, sodass diese als zulässig zu bezeichnen gewesen sei (Spruchpunkt V); weiters würden keine Umstände vorliegen, die für eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise sprächen (Spruchpunkt VI.).

Gegen den Bescheid vom 30.08.2018 erhob die Beschwerdeführerin, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, fristgerecht gegen alle Spruchteile Beschwerde, in der zunächst das bisherige Vorbringen und der Verfahrensgang (kursorisch) wiedergegeben worden sei. Die Beschwerdeführerin sei in einer Diplomatenfamilie als „Sklavin“ gehalten worden. Sie habe unter unmenschlichen Bedingungen gearbeitet und keinen Lohn erhalten. Die Beschwerdeführerin hätte die Familie auf Anraten des XXXX bei der zuständigen Behörde angezeigt. Im Falle einer Einreise nach Äthiopien würde sie verhaftet werden, weil diese Diplomaten sehr viel Ansehen hätten und so würde sie direkt vom Staat verfolgt werden.

Zu der Beschwerdeverhandlung am 02.02.2021 ist kein Vertreter der belangten Behörde erschienen, die Beschwerdeführerin kam in Begleitung ihrer Rechtsvertretung, Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen. Weiters war der Zeuge XXXX anwesend.

Die Vertreterin der Beschwerdeführerin legte eine Bestätigung über freiwillige Mitarbeit bei der Caritas, diverse Empfehlungsschreiben und A1 Kursbestätigungen vor. Die Rechtsvertretung brachte vor, dass die Beschwerdeführerin seit 2004 in Österreich rechtmäßig aufhältig sei, bis April 2016 mit einer Legitimationskarte, seit 10.08.2018 im Rahmen ihres Asylantrages. Die Beschwerdeführerin verfüge seit zweieinhalb Jahren über ein schützenswertes Privat- und Familienleben gemäß Artikel 8 EMRK. Die Beschwerdeführerin sei mit dem anwesenden Zeugen seit 03.02.2020 verheiratet und würde mit ihm in einem Haushalt leben. Sie sei bemüht die deutsche Sprache so rasch wie möglich zu lernen. Die Beschwerdeführerin könnte nach Erhalt des Aufenthaltstitels in einem äthiopischen Lokal in Wien zu arbeiten beginnen. In diesem Zusammenhang wurde die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis II. zurückgezogen. Es werde um die Erteilung eines Aufenthaltstitels ersucht.

Befragt gab die Beschwerdeführerin an, sie halte ihre Beschwerde und ihr bisheriges Vorbringen aufrecht. Sie sei äthiopische Staatsangehörige, der amharischen Volksgruppe zugehörig und christlichen Orthodoxen Glaubens. Sie sei in XXXX am XXXX geboren worden. Sie Beschwerdeführerin gab an, sie sei mit ihren Eltern in XXXX aufgewachsen. Ungefähr ab den 15 Lebensjahr sei sie dann in Addis Abeba gewesen, weil sie noch nicht heiraten hätte wollen. Seit 2004 sei sie in Österreich. Sie sei das letzte Mal am 28.12.2014 in Äthiopien gewesen und seit dem 24.01.2015 wieder in Österreich aufhältig. Sie hätte keine Schule besucht oder eine sonstige Ausbildung erhalten. Sie habe zuerst bei ihren Eltern, die Bauern gewesen seien, gelebt und mitgeholfen. In Addis Abeba hätte sie als Haushälterin gearbeitet.

Ihr Vater und alle ihre Geschwister würden in Äthiopien leben, ihre Mutter sei verstorben. Sie stehe mit ihren Familienangehörigen in Kontakt. Einmal im Monat würden sie telefonieren. Sie habe in Österreich 12 Jahre lang bei zwei verschiedenen Familien, äthiopischen Diplomaten, im Haushalt gearbeitet, als Haushälterin und Babysitterin. 2016 hätte sie diese Arbeit beendet.

Nachgefragt welche Probleme sie gehabt hätte, antwortete die Beschwerdeführerin: „Bei der ersten Familie war es so, dass die Frau des Hauses sehr anstrengend und gemein zu mir war. Bei der zweiten Familie habe ich sehr wenig Bezahlung bekommen. Auch bei der ersten Familie wurde ich zu wenig bezahlt. Ich habe vier Jahre lang nur 50 Euro im Monat bekommen bei der ersten Familie. Danach habe ich 100 Euro bekommen. Bei der zweiten Familie habe ich dann etwas mehr bekommen.“

Sie habe zurzeit keine gesundheitlichen oder physischen Probleme, sie würde mit ihrem Mann zusammenleben. Sie habe ihn 2018 kennengelernt. Es gäbe eine äthiopische Frau, die wie seine eigene Schwester sei. Sie habe äthiopisches Essen gekocht. Sein Arbeitskollege und sein Chef seien auch anwesend gewesen und diese Frau hätte die Beschwerdeführerin im Juli 2018 vorgestellt. Sie hätten sich wieder getroffen und wären einkaufen gegangen, sie hätten gemeinsam Ausflüge gemacht und gemeinsam gegessen. Einen Monat, nachdem sie ihren Mann kennengelernt hätte, würden sie in einem Haushalt leben. Sie sei von Freitag über das Wochenende bei ihm geblieben, seit sie jedoch verheiratet seien, würden sie ständig zusammenleben. Sie hätten vor einem Jahr geheiratet. Ihr Mann sei Architekt und würde auf einer Baustelle arbeiten. Seit sie verheiratet seien, würde ihr Mann für sie aufkommen und sie würde keine Sozialleistungen beziehen. Sie würden den Haushalt gemeinsam führen. Wenn ihr Mann nicht zu Hause sei, würde sie den restlichen Haushalt machen und versuchen Deutsch zu lernen. Sie würden Deutsch miteinander sprechen.

Ihr Mann und sie würden ihre Freizeit gemeinsam verbringen. Vor Corona sei sie sonntags in die Kirche zur Messe alleine gegangen. Jetzt würde das Ehepaar die ganze Zeit miteinander verbringen. Sie würden spazieren gehen und hätten vor Corona Ausflüge unternommen, seine Eltern in der XXXX besucht oder seien zu Einladungen von Freunden gegangen.

Ihr Mann habe keine eigenen Kinder, sie würden sich jedoch beide Kinder wünschen. Seit sie nicht mehr für die äthiopischen Diplomaten arbeiten würde, würde sie Deutschkurse besuchen. Sie könne schon lesen und schreiben. Sie habe regelmäßig die Äthiopisch Orthodoxe Kirche, in XXXX besucht und habe in der Kirchengemeinde mitgearbeitet.

Der Richte erkundigte sich, welche Pläne die Beschwerdeführerin für die Zukunft hätte. Sie antwortete: „Als erstes wünsche ich mir, dass ich weiter mit meinem Mann glücklich bin, dass wir ein Kind bekommen, dass ich die Sprache besser lerne und dass ich auch arbeiten darf. … Es ist egal, Hauptsache ich arbeite. Ich könnte in einem äthiopischen Restaurant in der Küche zu arbeiten beginnen. … Sie heißt XXXX , ich kenne sie sehr gut. Ich weiß zwar nicht in welchen Monat, aber wir haben schon gemeinsam versucht beim AMS eine Arbeitsbewilligung zu erhalten, es war nur bisher nicht möglich. Von Ihr aus kann ich jederzeit anfangen, sobald das Lokal wieder öffnen darf.“

Einvernahme des Zeugen, XXXX , StA.: Österreich

Befragt gab der Zeuge an, er seine Frau vor zweieinhalb Jahren bei einem Geschäftsessen mit seinem Chef und einem Baujuristen kennengelernt. Es gäbe zwei bis dreimal im Jahr ein Äthiopisches Essen. Er sei sehr in der Äthiopischen Community verankert. Das Essen würde durch „seine kleine Schwester“, die auch Äthiopierin ist und in seiner Familie aufgenommen worden sei, veranstaltet. Sie habe seine nunmehrige Frau als Verstärkung hinzugezogen.

Seine Beziehung zu Äthiopien sei durch eine ehemalige Dolmetscherin, die auch für das Innenministerium gedolmetscht hätte, entstanden. Er habe sich mit seiner Frau eine Woche später getroffen und sie seien gemeinsam nach XXXX einkaufen gefahren. So habe die Beziehung begonnen. Die Beziehung sei dann immer intensiver geworden, sie seien ein halbes Jahr liiert gewesen, dann ein Jahr verlobt und dann hätten sie geheiratet. Morgen sei der erste Hochzeitstag.

Beruflich hätte der Zeuge seine eigene Firma, sie würde sich mit Baumanagement beschäftigen. Er würde auch für den Baugutachter XXXX arbeiten und für die Prozessanalysen zuständig sein. Er sei auch für die Visualisierungen der Gutachten zuständig.

Zurzeit komme er für den Familienunterhalt auf. Seine Frau würde keine Unterstützung vom Staat bekommen. Den Haushalt würden sie gemeinsam erledigen, er sei auch leidenschaftlicher Koch. Teilweise würde seine Frau auch Arbeiten alleine erledigen.

Ihre gemeinsame Sprache sei Deutsch. In ihrer Freizeit würden sie seit dem Lockdown wenig unternehmen. Sie würden hauptsächlich miteinander spazieren gehen. Vor dem Lockdown habe er seiner Frau einiges von Österreich gezeigt. Sie seien im Burgenland, in Salzburg und in Kärnten gewesen. Seine Eltern würden in XXXX leben, diese hätten sie zu allen familiären Anlässen besucht. Seine Frau würde die äthiopisch Orthodoxe Kirche besuchen, er sei Katholik und übe seine Religion nur teilweise aus.

In der Zukunft hätten sie gerne Kinder, sie würde jedoch vorrangig einen Aufenthaltsstatus benötigen. Sie würden später in die XXXX zurückgehen und seine Eltern betreuen wollen, denn seine Familie hätte einiges an Besitztümern.

Verlesen wurde der aktuelle Strafregisterauszug, in dem keine Verurteilung aufscheint.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen zu I. und II.:

Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Äthiopien, der amharischen Volksgruppe zugehörig und christlichen orthodoxen Glaubens. Sie übt ihre Religion in Österreich aus.

Sie wurde in XXXX am XXXX geboren. Sie wuchs bei ihren Eltern in XXXX auf. Sie hat keine Schulbildung genossen und ihren Eltern bei der Landwirtschaft geholfen. Ab dem 15. Lebensjahr zog sie nach Addis Abeba und arbeitete für äthiopische Diplomaten, die sie nach Österreich mitnahmen. Ihr Vater und alle fünf Geschwister leben in Äthiopien, ihre Mutter ist verstorben.

Seit 2004 ist die Beschwerdeführerin in Österreich (allerdings nicht ununterbrochen) aufhältig. Sie arbeitete in Österreich 12 Jahre lang bei zwei verschiedenen äthiopischen Diplomatenfamilien im Haushalt und Babysitterin. 2016 beendete sie diese Arbeit. Seit 24.01.2015 hält sie such ununterbrochen in Österreich auf.

Im Jahr 2018 lernte sie ihren jetzigen Mann bei einem äthiopischen Geschäftsessen kennen. Ihr Mann hat einen Bezug zu Äthiopien. Sie haben sich nach diesem Essen wiedergetroffen und eine Beziehung aufgebaut. Sie sind gemeinsam Einkaufen und Essen gegangen, haben gemeinsam Ausflüge gemacht, haben sich verlobt und schließlich am 03.02.2020 geheiratet. Ihr Mann ist im Bauwesen tätig und kommt zurzeit für den Lebensunterhalt auf. Sie führen den Haushalt gemeinsam. Die Beschwerdeführerin ist bestrebt die deutsche Sprache besser zu lernen. Ihr Mann und sie verbringen die Freizeit gemeinsam. Sie wünschen sich beide gemeinsame Kinder und möchte vorerst in einem äthiopischen Restaurant mitarbeiten. Die Beschwerdeführerin führt daher ein Familienleben in Österreich. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Beschwerdeführerin lediglich eine Aufenthaltsehe führt.

In Anbetracht der Zurückziehung der Beschwerde zu den Bereichen Asyl, und subsidiärer Schutz ist es nicht erforderlich, länderkundliche Feststellungen zu treffen.

Beweis wurde erhoben durch:

-        Erstbefragung der Beschwerdeführerin durch die Landespolizeidirektion XXXX am 10.082017,

-        durch Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien am 27.03.2018

-        durch den vorliegenden äthiopischen Reisepass XXXX

-        durch Befragung in der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.02.2021, im Zuge derer auch der Zeuge XXXX , St.A. Österreich befragt wurde.

-        durch den vorliegenden Verwaltungsakt XXXX

2. Beweiswürdigung (zu II.)

Unbestritten ist der Umstand, dass die Beschwerdeführerin äthiopische Staatsangehörige, der Volksgruppe der Amharen zugehörig und christlich orthodoxen Glaubens ist.

Aus dem Verfahrensakt ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin zuletzt am 24.01.2015 nach Österreich gelangt ist und es gibt keine Hinweise, dass sie zwischenzeitig (auch nur kurzfristig) es verlassen hat. Sie ist somit deutlich mehr als fünf Jahre in Österreich durchgehend aufhältig und zwar rechtmäßig als Asylwerberin.

Die Beschwerdeführerin ist mit einem Österreicher seit 03.02.2020 glücklich verheiratet, wie auch ihr Ehemann, als Zeuge vor dem Bundesverwaltungsgericht ausgesagt hat. Sie führt ein intensives Familien- und Privatleben. Sie ist in die Familie ihres Mannes integriert. Ihr Mann hat sie auch seinem Freundeskreis vorgestellt. Das Paar hat für die Zukunft Pläne geschmiedet und möchte gerne gemeinsame Kinder haben.

Die Beschwerdeführerin hat in Äthiopien keine Schul- und Berufsausbildung genossen. Sie ist auch als Analphabetin bemüht die deutsche Sprache zu erlernen. Ihr Mann unterstützt sie dabei, denn in ihrem Zusammenleben wird nur Deutsch gesprochen.

Die Unbescholtenheit ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin ihre Liebe in einem Österreicher, der sehr äthiopienbezogen ist, gefunden hat. Das Paar führt eine aufrechte Ehe und ist sehr durch ein intensives Familien- und Privatleben miteinander verbunden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu I. A.:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG die Entscheidungen und Anordnungen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Beschluss.

In welchen Fällen das Verfahren einzustellen ist, regelt das VwGVG nicht. Die Einstellung steht nach allgemeinem Verständnis am Ende jener Verfahren, in denen ein Erledigungsanspruch nach Beschwerdeeinbringung verloren geht, worunter auch der Fall der Zurückziehung der Beschwerde zu subsumieren ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG, Anm. 5).

Aufgrund der Zurückziehung der Beschwerde zu den Spruchpunkten I. und II. ist das Verfahren hinsichtlich dieser beiden Spruchpunkte rechtskräftig geworden und hat das Verwaltungsgericht das diesbezügliche Verfahren lediglich mit Beschluss einzustellen (siehe VwGH vom 29.04.2015 Fr 2014/20/0047-11).

Zu II. A)

1.       

Soweit sich die Beschwerde gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 richtet, ist sie ebenfalls nicht begründet:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

§ 57 AsylG 2005 lautet:

„§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.“

§ 58 AsylG 2005 lautet:

„§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

[…].“

Die Beschwerdeführerin befindet sich seit Jänner 2015 ununterbrochen im österreichischen Bundesgebiet und ist ihr Aufenthalt ist nicht seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet. Auch ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen erforderlich, noch ist die Beschwerdeführerin Opfer von Gewalt geworden. Das Strafverfahren gegen ihre letzte Arbeitgeberin wurde eingestellt, eine zivilrechtliche Klage wurde nicht erhoben bzw. zurückgenommen. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen somit nicht vor.

Die Beschwerde gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 waren daher als unbegründet abzuweisen.

2.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBL I Nr 68/2017 erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung sind insbesondere die Dauer des Aufenthaltes, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung maßgeblich. Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (Vgl. VfGH vom 29.09.2007, B 1150/07-9).

Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Unter Volljährigen reicht das rechtliche Band der Blutsverwandtschaft allein nicht, um ein Familienleben iSd. Art 8 MRK zu begründen. Hier wird auf das tatsächliche Bestehen eines effektiven Familienlebens abgestellt, darüber hinaus müssen zusätzliche Merkmale einer Abhängigkeit gegeben sein, die über die sonst üblichen Beziehungen hinausgehen. Vgl. ua. EGMR 30.11.1999 (Baghli gegen Frankreich) Ziff 35; EGMR Ezzouhdi (FN 9) Ziff 34; EGMR 10.07.2003 (Benhebba gegen Frankreich); EGMR 17.01.2006 (Aoulmi gegen Frankreich).

Dazu ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin in Österreich ein Familienleben führt. Sie hat einen österreichischen Staatsbürger geheiratet, der für das Familieneinkommen aufkommt und wurde auch von den Eltern ihres Ehemanns, die in der XXXX leben, sowie von seinem Freundeskreis aufgenommen.

Es ist weiters zu prüfen, ob mit einer Rückkehrentscheidung in das Privatleben der Beschwerdeführerin eingegriffen wird und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art. 8 Abs. 2 EMRK).

Unter „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EuGRZ 2006, 554, Sisojeva ua. gegen Lettland).

In die Interessenabwägung ist auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat mit einzubeziehen, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.). Der VwGH hat zum Ausdruck gebracht, dass einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. dazu VwGH 30.07.2015, Zl. 2014/22/0055; VwGH 23.06.2015, Zl. 2015/22/0026; VwGH 10.11.2010, Zl. 2008/22/0777, VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

Die Beschwerdeführerin lebt seit 2004 (allerdings nicht ununterbrochen) in Österreich, seit 24.01.2015 befindet sie sich ununterbrochen in Österreich. Sie arbeitete für äthiopische Diplomaten, die in ihr eine billige Arbeitskraft gesehen haben. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Mai 2016 ist die Beschwerdeführerin vermehrt bemüht sich in Österreich zu integrieren. Sie ist bemüht die deutsche Sprache zu erlernen und wird von ihrem Ehemann dabei tatkräftig unterstützt. Hierbei ist zu beachten, dass die Beschwerdeführerin als Analphabetin gestartet hat.

Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zwar grundsätzlich ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VfGH 1. 7. 2009, U992/08 bzw. VwGH 17. 12. 2007, 2006/01/0216; 26. 6. 2007, 2007/01/0479; 16. 1. 2007, 2006/18/0453; 8. 11. 2006, 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; 22. 6. 2006, 2006/21/0109; 20. 9. 2006, 2005/01/0699), im gegenständlichen Fall überwiegen aufgrund der dargestellten Gründe in einer Gesamtabwägung aller Umstände die familiären und privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, für die sich in der vorliegenden Konstellation keine begründeten Rechtfertigungen erkennen lassen (vgl. VwGH 22. 2. 2005, 2003/21/0096; vgl. ferner VwGH 26. 3. 2007, 2006/01/0595, sowie VfSlg 17.457/2005).

Eine Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführerin würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt wegen des unzweifelhaften intensiven Familienlebens als unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen (siehe auch BVwG vom 04.12.2017, W107 2163499-1/13E).

Da die maßgeblichen Umstände in ihrem Wesen nicht bloß vorübergehend sind, war die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (in diesem Sinne auch schon AsylGH vom 11.08.2009, Zl. B5 241.319-2/2009/3E, AsylGH vom 29.10.2009, Zl. D8 263154-0/2008/20E, AsylGH vom 09.11.2009, Zl. D7 242438-9/2008/20E, AsylGH vom 27.10.2009, Zl. E3 249.769-2/2009/5E, AsylGH vom 29.01.2010 D3 400226-1/2008/15E, u.a.).

Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. des angefochtenen Bescheides war daher stattzugeben und festzustellen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

§ 9 Abs. 4 IntG lautet:

„Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1.       einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

2.       einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt,

3.       über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4.       einen Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot – Karte‘ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5.       als Inhaber eines Aufenthaltstitels ‚Niederlassungsbewilligung – Künstler‘ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Da die Beschwerdeführerin weder ein Sprachdiplom A2 (oder höher) noch einen entsprechenden Verdienstnachweis vorlegen konnte, war lediglich eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen.

Das BFA hat der Beschwerdeführerin den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 4 AsylG 2005 auszufolgen; die Beschwerdeführerin hat dabei gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 mitzuwirken. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

Zu Spruchpunkt 3.

In dem gegenständlichen Fall ist die Rückkehrentscheidung betreffend den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig. Da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Abschiebung und die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise somit nicht mehr vorliegen, waren die Spruchpunkte IV. bis VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos zu beheben (vgl. dazu auch VfGH vom 13.09.2013, U 370/2012; VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162).

Zu I und II B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des VwGH, aber auch des VfGH und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltsdauer Ehe Familienleben Interessenabwägung Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Teileinstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W159.2128192.2.00

Im RIS seit

10.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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